Qualifizierte oder einfache elektronische Signatur?

erschienen im KammerReport 2-2023 | 24.03.2023

RAin Dr. Sonja Sojka, RA Franz Heinz
Mitglieder im Vorstand der Rechtsanwaltskammer Nürnberg

Wir nehmen die Entscheidungen des OLG Düsseldorf vom 27.10.2022 – 3 W 111/22 und des VG Halle vom 15.11.2021 – 5 A 235/21 zum Anlass, uns noch einmal mit der Verwendung der einfachen und qualifizierten elektronischen Signatur auseinanderzusetzen.

Alle, die ihre Schriftsätze bereits ausschließlich qualifiziert signieren, können die kommenden Seiten getrost überblättern oder zur Bestätigung, sich auf der sicheren Seite zu befinden, doch noch einmal lesen.

Mit der Einführung des elektronischen Rechtsverkehrs (ERV) stehen wir vor dem grundsätzlichen Problem, dass die analoge Signatur mit Füllfederhalter auf Papier in eingescannter Fassung ihre Wirkung als eigenhändige Unterschrift verliert.

Die qualifizierte elektronische Signatur

Vollwertigen Ersatz für die klassische analoge Signatur bietet die qualifizierte elektronische Signatur (qeS). Diese wird mittels einer Signatursoftware (z. B. SecSigner oder Governikus DATA Boreum oder auch in beA bzw. Ihre Anwaltssoftware integriert) als im PDF integrierte oder beizufügende Signaturdatei erzeugt und gewährleistet die Authentizität des Textdokuments und die Verantwortungsübernahme für dessen Inhalt.

Mit einer qeS versehene Dateien gelten als valide unterzeichnet und können im elektronischen Rechtsverkehr wie unterschriebene Dokumente im analogen Rechtsverkehr verwendet werden. Dies gilt sowohl in der Kommunikation mit Behörden und Gerichten, gilt aber auch in der Kommunikation mit Kollegen (innerhalb und außerhalb beAs), mit Gerichtsvollziehern und Mandanten.

Voraussetzung für das Anbringen der qeS ist, dass Sie über eine Signaturkarte verfügen, die ein Signaturzertifikat enthält. Alternativ kann die qeS mit Ihrer Signaturkarte per Fernsignatur erzeugt werden.

Zertifizierte Anbieter, die Ihnen nach wie vor die Möglichkeit bieten, offline zu signieren, finden Sie auf der Seite der BNotK: https://www.bea-brak.de/xwiki/bin/view/BRAK/%2300013

Die neuen beA-Signaturkarten unterstützen diese Offlinesignatur nicht mehr. Mit ihnen ist stattdessen nur noch die Möglichkeit gegeben, eine Fernsignatur zu erzeugen.

Kostentechnisch liegen alle Karten zur Erzeugung einer qeS im Bereich von 50,– bis etwa 100,– Euro pro Jahr.

Ob Sie sich für die Fernsignatur der BNotK oder eine Signaturkarte mit Offlinefunktionalität entscheiden, steht Ihnen völlig frei. Auf ein paar Unterschiede darf aber kurz hingewiesen werden:

  • Bei der klassischen Signaturkarte befindet sich das Signaturzertifikat physisch auf Ihrer Karte. Es besteht damit die Gefahr, dass Ihnen Karte und Zertifikat abhandenkommen. Bei der Fernsignatur liegt die Signaturdatei auf einem Server und kann Ihnen damit nicht abhandenkommen. Durch die zentrale Sammlung besteht aber die Gefahr von Cyberangriffen auf diese Infrastruktur, mit denen dann eine Vielzahl von Signaturzertifikaten abgegriffen werden können.
  • Bei der klassischen Signatur findet der Signaturprozess lokal auf Ihrem Rechner statt. Hierfür benötigen Sie eine Signatursoftware, die Sie entweder standalone installieren müssen oder die bereits in Ihrer Anwaltssoftware bzw. der Webanwendung von beA integriert ist. Für das Signieren ist keine Internetverbindung notwendig.
  • Bei der Fernsignatur sind für den Signaturprozess zwingend eine Internetverbindung und eine Erreichbarkeit des Zertifikatsservers erforderlich. Können Sie keine Internetverbindung herstellen oder ist der Zertifikatsserver nicht erreichbar, können Sie Ihre Schriftsätze nicht signieren. Wichtig ist dies insofern, als die Unmöglichkeit der Signaturanbringung keine technische Übertragungsunmöglichkeit im Sinne des § 130d Satz 2 ZPO darstellt und damit auch nicht die Möglichkeit eröffnet wird, auf Telefax oder analogen Schriftsatz auszuweichen (vgl. Beschluss des OLG Düsseldorf vom 23.03.2022 – 12 U 61/21).
  • Bei der Fernsignatur werden Signaturkarten verwendet, die nicht mit allen Tätigkeitsbereichen kompatibel sind. Gerade Kollegen aus dem Marken- und Patentrecht werden feststellen, dass die neuen Karten der BNotK vom DPMA nicht unterstützt werden.

Die einfache Signatur

Die einfache Signatur ist schlicht Ihr Name unter dem Schriftsatz. Es reicht völlig, wenn dieser maschinenschriftlich ausgeschrieben ist; wenn Sie eine eingescannte Unterschrift verwenden wollen, sollten Sie sicherstellen, dass der Name leserlich ist. Die Leserlichkeit Ihres Namens ist notwendige Voraussetzung für die einfache Signatur (Beschluss des BSG vom 16.02.22 – B 5 R 198/21 B).

Da freilich die Anbringung Ihres Namens kein Hexenwerk ist, hat die einfache Signatur alleine auch keinerlei rechtliche Wirkung. Erst aus dem Zusammenspiel mehrerer Komponenten wird – und das auch nur in bestimmten Szenarien – eine rechtsverbindliche Unterschrift dadurch quasi fingiert.

Geregelt sind diese Ausnahmetatbestände z. B. in § 130a ZPO, § 55a VwGO, § 32a StPO, § 65a SGG, § 52a FGO und § 46c ArbGG. Liegen die folgenden Voraussetzungen kumulativ vor, dann können Sie auch ohne Anbringung einer qeS formwirksam am ERV teilnehmen:

  • Aufgrund einer einfachen Signatur ist erkennbar, wer für den Schriftsatz die Verantwortung übernimmt.
  • Der Schriftsatz wird von der Person, die sich aus der einfachen Signatur ergibt, aus ihrem eigenen beA-Postfach eigenhändig und direkt an den Empfänger übermittelt.
  • Für das konkrete Anwendungsszenario gibt es eine gesetzliche Ausnahmevorschrift zur Verwendung der qeS.

Sie sehen schon, in einer Vielzahl von Fällen können oder könnten Ihre Schriftsätze auch ohne Anbringung einer qeS wirksam übermittelt werden. Voraussetzung ist nur, dass Sie dies selbst aus Ihrem Postfach machen. Versenden Sie nicht selbst, sondern lassen Ihr Personal versenden, dann ist das nicht nur unwirksam, sondern (so VG Freiburg, Beschluss vom 28.09.2022 – A 13 K 2458/22) auch grob sorgfaltswidrig.

Sie sehen aber auch, dass es sich bei diesen Vorschriften um Ausnahmevorschriften handelt und in einer Vielzahl von Fällen kein formwirksamer Unterschriftsersatz vorliegt. Dies betrifft die gesamte Kommunikation mit Ihren Mandanten, mit Kollegen und mit Behörden, soweit keine Rechtsverordnung nach § 3a Abs. 2 Nr. 4 VwVfG erlassen wurde.

Vorsicht ist insofern besonders in den Fällen geboten, in denen im ERV ein schriftformbedürftiger Widerspruch oder Einspruch ohne qeS eingelegt werden soll.

Zusammenfassend lässt sich also bereits an dieser Stelle sagen, dass der Verzicht auf die qeS in Teilbereichen möglich ist, jedoch erhebliche Haftungsrisiken in sich trägt. Nicht nur vor dem Hintergrund, dass Sie den Kanzleiablauf der Postabfertigung einschließlich aller damit zusammenhängenden Prüfungspflichten nicht mehr delegieren können, kann jeder Kollegin und jedem Kollegen nur empfohlen werden, eine qualifizierte elektronische Signatur zu verwenden.

Besonders problematisch wird es immer, wenn im Rahmen der ERV Erklärungen abgegeben werden, die aus formaler oder materieller Hinsicht unwirksam sind oder werden. Besonders problematisch wird es auch, wenn Fehler gemacht werden und Sie sich durch die Wahl der „nur“ einfachen Signatur um die Möglichkeit einer Wiedereinsetzung bringen.

Keine Wiedereinsetzung, da keine Delegation

In jüngster Zeit sind eine Reihe obergerichtlicher Entscheidungen ergangen, die sich mit den Sorgfaltspflichten rund um den Postausgang im ERV befassen.

So entschied der BGH in seinem Beschluss vom 30.11.2022 – IV ZB 17/22, dass grundsätzlich dieselben Voraussetzungen für den Versand im ERV wie auch für den Faxversand gelten. Insbesondere müsse der richtige Empfänger ausgewählt und dies auch kontrolliert werden. Zur Formunwirksamkeit weitergeleiteter Nachrichten weiter unten.

Die Prüfungspflichten im Rahmen der Postausgangskontrolle beinhalten nach dem Beschluss des BGH vom 20.09.2022, XI ZB 14/22 aber auch, dass geprüft wird, ob die Nachricht erfolgreich auf dem Intermediär des Empfängers eingegangen ist („Übertragungsstatus erfolgreich“), und zusätzlich die Kontrolle, dass auch wirklich die zu übermittelnden Dateien vollständig in der Nachricht enthalten waren.

Werden also beim Versand Fehler gemacht, hilft in der Regel nur der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. An dieser Stelle können nun alle Strafverteidiger – aber eben auch nur diese – aufatmen, da ihren Mandanten das Anwaltsverschulden nicht zugerechnet wird. Alle anderen Kollegen müssen nachvollziehbar darlegen, dass sie die Kontrolle der Ausgangspost einer gewissenhaften, ordentlich in ihre Pflichten eingewiesenen und immer wieder kontrollierten Mitarbeiterin oder Mitarbeiter übertragen haben. Nur dann, wenn das Verschulden also nicht beim Anwalt, sondern auf Sekretariatsebene eintritt, wird der Wiedereinsetzungsantrag Erfolg haben können.

Und genau an dieser Stelle bringen Sie sich um die Möglichkeit der Wiedereinsetzung, wenn Sie selbst aus Ihrem Postfach versenden und damit die Abfertigung der Ausgangspost und deren Kontrolle nicht mehr auf Ihr Sekretariat delegieren.

Nicht nur vor dem Hintergrund der Arbeitsersparnis auf Anwaltsebene spricht daher viel für die Nutzung einer qualifizierten elektronischen Signatur.

Formunwirksamkeit bei Weiterleitung

Ein weiteres Problem im Zusammenhang mit der einfachen Signatur ergibt sich, wenn Ihr Schriftsatz beim falschen Empfänger landet und von dort aus – sogar fristgerecht – an den richtigen Empfänger weitergeleitet wird.

Während dies in Fällen der Verwendung einer qeS unproblematisch ist, stellt sich die Frage, ob die mittelbare Übersendung (selbst im Bereich der Justiz) einer nur mit einfacher Signatur versehenen Nachricht dazu führt, dass die Unterschriftenfiktion der Prozessordnungen unterbrochen und damit der gesamte Schriftsatz formunwirksam wird.

Während man über diesen Punkt trefflich streiten kann, gibt es bereits erste Instanzentscheidungen, die von einer Unzulässigkeit derart eingereichter Anträge ausgehen, da dem Empfängergericht dann aufgrund des ihm vorliegenden Transferprotokolls die Prüfung, ob der Versand auf einem sicheren Übertragungsweg erfolgte, nicht möglich ist.

So wurde dem VG Halle eine an das VG Halle adressierte, aber per beA an das AG Halle übersandte Klageschrift in dem Verfahren 5 A 235/21 fristgerecht weitergeleitet. Das Dokument war nur mittels einfacher Signatur unterzeichnet und vom Anwalt selbst aus dessen Postfach (und mithin auf sicherem Übertragungsweg) an das AG Halle versandt worden.

Das VG Halle hat die so erhobene Klage als unzulässig, weil formunwirksam, abgewiesen.

Durch die eigene Versendung wird ein Vertrauenswürdiger Herkunftsnachweis (VHN) erzeugt, mit dem sich der sichere Übertragungsweg nachweisen lässt.

Wird die Nachricht jedoch nicht direkt, sondern über einen Dritten an den Empfänger geleitet, wird dieser Weg unterbrochen. Ein Zwischenschalten einer anderen Stelle ist im ERV nicht vorgesehen. Dem VG Halle wird dann nämlich nur der VHN des AG Halle (als letzter Absender) und eben nicht auch der VHN des Klägers (als ursprünglicher Absender) übermittelt.

Das weiterleitende Amtsgericht wird damit wie ein Sekretariat oder ein sonstiger Dritter behandelt, der eine Nachricht weiterleitet. Jedenfalls stammt die beim VG eingehende Nachricht nicht aus dem Postfach des die Klage zu verantwortenden Kollegen (einfache Signatur), sodass die Formvoraussetzungen eben nicht vorlagen, der VHN selbst ist nicht verkehrsfähig.

Angesichts der nicht einheitlichen und teils auch missverständlichen Benennungen der Gerichte im Verzeichnisdienst des EGVP, welcher letztendlich über das Adressbuch des beA ausgelesen wird, dürften diese Fälle häufiger auftreten.

Grundsätzlich ist dies auch nicht weiter schlimm, denn es gibt ja noch das Mittel der Wiedereinsetzung. Allerdings nicht für die Kollegen, die die einfache Signatur verwenden, da eine Delegation der Abfertigung der Ausgangspost in deren Kanzleiablauf nicht vorliegt.

Keine Festsetzungsanträge nach RVG möglich

Und die letzte Entscheidung für diese Ausgabe ist die schon eingangs angesprochene Entscheidung des OLG Düsseldorf vom 27.10.2022 – 3 W 111/22, in der es um einen Kostenfestsetzungsantrag nach § 11 RVG ging, der „nur“ mit einfacher Signatur eingereicht wurde.

In diesem Fall trat das OLG der Auffassung der Rechtspflegerin bei, wonach der Wortlaut des § 10 Abs. 1 Satz 1 RVG, wonach der Antrag eine vom Anwalt unterzeichnete Berechnung der festzusetzenden Gebühren beinhalten müsse, eindeutig sei.

Zwar könnten die formalen Voraussetzungen der Antragseinreichung über § 130a ZPO noch als erfüllt angesehen werden, die materiellen Voraussetzungen des § 10 RVG aber nicht. Der Festsetzungsantrag muss folglich mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehen sein, da die auf die Abgabe prozessualer Erklärungen beschränkte Vorschrift des § 130a ZPO die förmlichen Voraussetzungen für die Abgabe von materiellrechtlichen Erklärungen nicht berührt.

Falls auch Sie hin und wieder Kosten festsetzen lassen, sollten Sie dies im Hinterkopf behalten und überlegen, ob Sie Ihre Schriftsätze mit einer vollwertigen qeS statt einer einfachen Signatur unterzeichnen.

Fazit

Zusammenfassend lässt sich damit festhalten, dass der Gesetzgeber mit den Ausnahmevorschriften um die einfache Signatur eine bequeme und in einigen Fällen auch sicher sinnvoll einzusetzende Möglichkeit geschaffen hat, formwirksame Erklärungen ohne Signaturkarte abgeben zu können.

Er hat damit aber zugleich eine ganze Reihe von Haftungsfallen geschaffen und die Vielzahl der Einzelregelungen lässt einen leicht übersehen, dass die einfache Signatur gerade keine vollwertige Unterschrift darstellt und in einer Vielzahl von Fallkonstellationen schlicht zu nichts zu gebrauchen ist.

Wir können Ihnen daher – falls Sie nicht schon qualifiziert signieren – nur empfehlen, sich Ihr Anwendungsszenario und Ihren Kanzleiablauf einmal genau anzusehen, um zu prüfen, ob bei Ihnen vermeidbare Risiken durch die Nutzung der einfachen Signatur entstehen oder Ihnen die vorhandenen Möglichkeiten ausreichen.

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EuGH: Honorarvereinbarung mit Verbrauchern – Angabe des Stundensatzes allein reicht nicht

erschienen im KammerReport 2-2023 | 24.03.2023

Der EuGH hat durch Urteil vom 12.01.2023 in der Rechtssache C-395/21 über eine Klausel eines zwischen einem Rechtsanwalt und einem Verbraucher geschlossenen Vertrags über die Erbringung von Rechtsdienstleistungen entschieden, nach der sich die Vergütung der erbrachten Rechtsdienstleistungen nach dem Zeitaufwand richtet. Danach genügt eine solche Klausel ohne weitere Angabe nicht dem Erfordernis der Klarheit und Verständlichkeit.

Dem Gerichtshof wurden durch das Oberste Gericht Litauens Fragen zur Auslegung der unionsrechtlichen Bestimmungen zum Schutz der Verbraucher von missbräuchlichen Vertragsklauseln vorgelegt. Sie betreffen insbesondere den Umfang des Erfordernisses der klaren und verständlichen Abfassung einer Klausel eines Vertrags über die Erbringung von Rechtsdienstleistungen und die Folgen der Feststellung der Missbräuchlichkeit einer Klausel, mit der die Vergütung dieser Dienstleistung festgelegt wird. Im Wege eines Vorabentscheidungsersuchens können die Gerichte der Mitgliedstaaten in einem bei ihnen anhängigen Rechtsstreit dem Gerichtshof Fragen nach der Auslegung des Unionsrechts vorlegen. Der Gerichtshof entscheidet nicht über den nationalen Rechtsstreit. Es ist Sache des nationalen Gerichts, über die Rechtssache im Einklang mit der Entscheidung des Gerichtshofs zu entscheiden. Die Entscheidung des Gerichtshofs bindet andere nationale Gerichte, die mit einem ähnlichen Problem befasst werden.

Im Urteil vom 12.01.2023 stellt der EuGH zunächst klar, dass eine Klausel, mit der die Verpflichtung des Auftragsgebers zur Zahlung der Vergütung des Rechtsanwalts festgelegt und die Höhe der Vergütung bestimmt wird, unter den Begriff „Hauptgegenstand des Vertrages“ fällt. Im streitgegenständlichen Verfahren schloss ein Verbraucher in Litauen mit einem Rechtsanwalt fünf Verträge über Rechtsdienstleistungen. Die Vergütung sollte sich jeweils nach dem Zeitaufwand richten. Für die Beratung oder Erbringung von Rechtsdienstleistungen wurde ein Stundensatz von 100,00 € vereinbart. Nachdem die in Rechnung gestellte Vergütung nicht in voller Höhe gezahlt wurde, erhob der Anwalt zunächst beim erstinstanzlichen litauischen Gericht Klage auf Zahlung von 9.900,00 € für die erbrachten Rechtsdienstleistungen. Das erstinstanzliche litauische Gericht gab der Klage nur teilweise statt, die hiergegen eingelegte Berufung wurde zurückgewiesen. Daraufhin legte der Rechtsanwalt beim obersten Gericht Litauens eine Kassationsbeschwerde ein. Das Oberste Gericht Litauens legte den Rechtsstreit dann im Wege eines Vorabentscheidungsersuchens dem EuGH vor.

Der Gerichtshof gelangt zu dem Ergebnis, dass eine Klausel eines zwischen einem Rechtsanwalt und einem Verbraucher geschlossenen Vertrags über die Erbringung von Rechtsdienstleistungen, nach der sich die Vergütung Letzterer nach dem Zeitaufwand richtet, dem unionsrechtlichen Erfordernis, dass die Klausel klar und verständlich abgefasst sein muss, nicht genügt, wenn dem Verbraucher vor Vertragsabschluss nicht die Informationen erteilt worden sind, die ihn in die Lage versetzt hätten, seine Entscheidung mit Bedacht und in voller Kenntnis der wirtschaftlichen Folge des Vertragsabschlusses zu treffen. In diesen Informationen müssen Angaben enthalten sein, anhand deren der Verbraucher die Gesamtkosten der Rechtsdienstleistungen der Größenordnung nach einzuschätzen vermag, etwa eine Schätzung der Stunden, die voraussichtlich oder mindestens erforderlich sind, um eine bestimmte Dienstleistung zu erbringen, ohne die Verpflichtung, in angemessenen Zeitabständen Rechnungen oder regelmäßige Aufstellungen zu übermitteln, in denen die aufgewandten Arbeitsstunden ausgewiesen sind.

Der EUGH stellt zur Missbräuchlichkeit einer Klausel über die Vergütung von Rechtsdienstleistungen nach dem Zeitaufwand fest, dass das nationale Gericht unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände der Rechtssache zunächst zu prüfen hat, ob ein Verstoß gegen das Gebot von Treu und Glauben vorliegt, und dann, ob zum Nachteil des Verbrauchers ein erhebliches Missverhältnis besteht. Die Missbräuchlichkeit einer Klausel eines Verbrauchervertrags ist grundsätzlich im Wege einer Gesamtwürdigung zu beurteilen, bei der nicht nur die fehlende Transparenz der Klausel berücksichtigt wird. In seiner Entscheidung stellt der Gerichtshof fest, dass eine Klausel eines Vertrags über die Erbringung von Rechtsdienstleistungen, nach der sich die Vergütung Letzterer nach dem Zeitaufwand richtet und die daher den Hauptgegenstand des Vertrages betrifft, nicht bereits deshalb, weil sie dem Transparenzerfordernis nicht entspricht, als missbräuchlich anzusehen ist, es sei denn, dass innerstaatliche Recht sieht dies ausdrücklich vor. Was die Folgen der Missbräuchlichkeit einer Klausel über die Vergütung angeht, stellt der Gerichtshof fest, dass das nationale Gericht verpflichtet ist, eine solche Klausel für unanwendbar zu erklären, sofern der Verbraucher dem nicht widerspricht. Kann ein Vertrag über die Erbringung von Rechtsdienstleistungen nach der Aufhebung der Klausel über die Vergütung nach den einschlägigen Vorschriften des innerstaatlichen Rechts nicht fortbestehen, steht die Richtlinie 93/13 seiner Nichtigerklärung nicht entgegen, und zwar auch dann, wenn dies bedeuten würde, dass der Gewerbebetreibende für die von ihm erbrachten Dienstleistungen überhaupt keine Vergütung erhält. Nur falls die Nichtigerklärung insgesamt für den Verbraucher besonders nachteilige Folgen hätte, wäre das vorlegende Gericht ausnahmsweise befugt, eine für nichtig erklärte missbräuchliche Klausel durch eine dispositive Vorschrift des innerstaatlichen Rechts zu ersetzen.

Es empfiehlt sich daher, Zeitklauseln in Honorarvereinbarungen mit Verbrauchern so abzufassen, dass die Verbraucher eine Vorstellung davon haben, wie hoch das Honorar am Ende des Mandats sein wird. Eine Angabe des Stundensatzes allein dürfte daher nicht ausreichend sein.

Die Pressemitteilung des EuGH zu diesem Urteil finden Sie unter dem Link.

Quelle: Pressemitteilung Nr. 10/23 des EUGH

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Die Adressierung des „richtigen“ beA

erschienen im KammerReport 2-2023 | 24.03.2023

Oder: Wie vermeidet man „Fehlzustellungen“ durch Gerichte?*

Rechtsanwältin Julia von Seltmann, BRAK, Berlin

Warum schickt das Gericht Nachrichten nicht in mein beA, sondern scheinbar willkürlich in das meines Kollegen? Diese Frage stellen sich viele Anwältinnen und Anwälte, die feststellen müssen, dass für die Korrespondenz zwischen der Justiz und ihrer Kanzlei das beA der Person genutzt wird, die ganz oben auf dem Briefkopf steht. Das beA der sachbearbeitenden Kollegin oder des sachbearbeitenden Kollegen bleibt indes leer. Solche „Fehlzustellungen“ sind an der Tagesordnung. Besonders schwierig wird die Situation bei Berufsausübungsgesellschaften und in Vertretungsfällen oder wenn Anwältinnen und Anwälte aus bestimmten Gründen über ein zweites beA verfügen. Wie geht man damit um und wie beugt man für künftige Fälle vor?

Zugang von Nachrichten in „falschen“ Postfächern?

Nach § 31a VI BRAO und § 31b V i.V.m. § 31a VI BRAO müssen Anwältinnen und Anwälte sowie Berufsausübungsgesellschaften Posteingänge im beA zur Kenntnis nehmen. Daher dürfte das Argument nicht verfangen, das elektronische Dokument sei nicht zugegangen, wenn es innerhalb der Berufsausübungsgesellschaft im „falschen“ persönlichen oder Kanzlei-beA eingegangen ist. Jedenfalls dürfte dies dann gelten, wenn, wie in der Regel, die Berufsausübungsgesellschaft an sich mandatiert ist. Das elektronische Empfangsbekenntnis wird in diesen Fällen abzugeben sein.

Gleichwohl stören Posteingänge im „falschen“ beA die wohlüberlegten Arbeitsabläufe in der Kanzlei. Es ist also sinnvoll, dafür zu sorgen, dass die Korrespondenz über das richtige beA geführt wird.

Kann ich steuern, in welches Postfach Nachrichten gehen?

In Diskussionsforen zum elektronischen Rechtsverkehr weist die Justiz häufig darauf hin, dass Prozessbevollmächtigte angeben sollten, über welches beA in der konkreten Sache korrespondiert werden soll. Gemäß § 130 Nr. 1a ZPO sollen vorbereitende Schriftsätze die für eine Übermittlung elektronischer Dokumente erforderlichen Angaben enthalten. Dies ist der Anknüpfungspunkt für Anwältinnen und Anwälte, den Gerichten das „richtige“ beA mitzuteilen.

Bereits die Klageschrift sollte also die erforderlichen Angaben enthalten, damit Posteingänge so bearbeitet werden können, wie es der Kanzleiorganisation entspricht.

Sollten sich Änderungen ergeben, z. B. in Vertretungsfällen oder bei einem Wechsel der Sachbearbeitung, sollte man diese Änderung dem Gericht ebenfalls mitteilen und das beA angeben, über das künftig korrespondiert werden soll.

Was gilt für Berufsausübungsgesellschaften?

Die Empfehlung, gleich zu Beginn der elektronischen Korrespondenz das für die Sache „richtige“ beA anzugeben, gewinnt zunehmend an Bedeutung, weil seit dem 1.8.2022 auch Berufsausübungsgesellschaften über beAs verfügen. Sollen diese Postfächer für die Korrespondenz mit den Gerichten genutzt werden, sollte ausdrücklich darauf hingewiesen werden.

Besondere Vorsicht ist bei Berufsausübungsgesellschaften mit mehreren Standorten und mehreren Postfächern geboten. Sie sollten dem Gericht zweifelsfrei mitteilen, über welches beA der Berufsausübungsgesellschaft die künftige Korrespondenz geführt werden soll.

Was gilt beim Kanzleiwechsel?

Verlässt die sachbearbeitende Anwältin oder der sachbearbeitende Anwalt die Kanzlei, sollte in jedem Fall eine entsprechende Information unter Angabe des beA für die zukünftige Korrespondenz erfolgen – und zwar unabhängig davon, wo das Mandat verbleibt und über welches Postfach bisher korrespondiert wird. Dies beugt Irritationen und Auseinandersetzungen über Zustellungsfragen vor.

Was ist für die außergerichtliche Korrespondenz zu beachten?

Für die außergerichtliche Korrespondenz gibt es keine Besonderheiten. Auch hier empfiehlt sich stets die Angabe Ihrer beA-Korrespondenzadresse. Da unter Anwältinnen und Anwälten häufig die Antwortfunktion des beA genutzt wird, erleichtert es die Kommunikation, wenn Sie Ihre Nachrichten an Ihre Korrespondenzpartner auch aus dem Postfach verschicken, in das Sie die Antwort erhalten möchten.

* Erstveröffentlichung im BRAK-Magazin, Heft 6/2022

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BRAK-Ausschuss Steuerrecht: Ergänzung der Beitragsreihe „ABC-Steuerfragen für Rechtsanwälte“ zu dem Beitrag „Fahrtenbuch“ (Stand: Februar 2023)

Gesetzbuch mit Richterhammer - Steuerrecht

erschienen im KammerReport 2-2023 | 24.03.2023

Der Ausschuss Steuerrecht der BRAK hat die Beitragsreihe „ABC-Steuerfragen für Rechtsanwälte“ um einen Beitrag zum Fahrtenbuch ergänzt. Darin werden häufige Streitpunkte mit dem Finanzamt erläutert.

In der Beitragsreihe werden alle Handlungshinweise und Texte fortlaufend ergänzt und aktualisiert. Die bisherigen Beiträge zu den Themen Betriebsprüfung, Bewirtungsaufwendungen, doppelte Haushaltsführung,  Gewerblichkeit anwaltlicher Tätigkeit, das häusliche Arbeitszimmer des Anwalts – steuerliche Auswirkungen in Zeiten von Corona, das häusliche Arbeitszimmer im Ausland, Kanzleigründung, Lohnversteuerung der vom Arbeitgeber angestellter Rechtsanwälte übernommenen beruflichen Kosten, Mitteilungspflicht grenzüberschreitender Steuergestaltungen, Realteilung von Mitunternehmerschaften, Rechnungslegung durch und an Rechtsanwälte, Rechtsformwahl von Anwaltssozietäten, umsatzsteuerliche Behandlung anwaltlicher Dienstleistungen mit Auslandsbezug, Zusammenschlüsse zu und von Rechtsanwaltssozietäten und nun auch den neuen Beitrag Fahrtenbuch finden Sie auf der Homepage der BRAK unter dem Link.

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Aktuelles aus der Satzungsversammlung

erschienen im KammerReport 2-2023 | 24.03.2023

Die Satzungsversammlung ist das sogenannte Parlament der Rechtsanwaltschaft. Sie ist ein unabhängiges Beschlussorgan, das organisatorisch bei der BRAK angesiedelt ist. Sie beschließt die Regeln der Berufsordnung der Rechtsanwälte (BORA) und der Fachanwaltsordnung (FAO). Die Satzungsversammlung verfügt über insgesamt acht Ausschüsse, die sich beispielsweise mit den Themen Allgemeine Berufs- und Grundpflichten, Fachanwaltschaften und Datenschutz befassen.

Die nachfolgend dargestellten Beschlüsse der 4. Satzungsversammlung vom 05.12.2022 zur Änderung der FAO und der BORA wurden am 03.03.2023 auf der Homepage der BRAK veröffentlicht und treten am 01.06.2023 in Kraft.

Rettungsversuch für Sammelanderkonten

Die 7. Satzungsversammlung hat sich in ihrer 4. Sitzung am 5.12.2022 in Berlin erneut mit der Problematik der Sammelanderkonten befasst. Seit Anfang des Jahres 2022 hatten Banken massenhaft die Sammelanderkonten von Anwältinnen und Anwälten gekündigt. Vorangegangen war eine Änderung der Risikoeinstufung in den Auslegungs- und Anwendungshinweisen der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin), die für die Banken einen erhöhten Prüfungsaufwand bezüglich der anwaltlichen Konten mit sich bringt. Die BRAK suchte umgehend das Gespräch mit Bundesfinanz- und -justizministerium, BaFin und Bankwirtschaft, um eine Lösung zu erreichen.

In ihrer Sitzung am 29./30.4.2022 hatte die Satzungsversammlung bereits durch eine erste Änderung in § 4 I BORA klargestellt, dass Anwältinnen und Anwälte Sammelanderkonten nicht generell „auf Vorrat“ unterhalten müssen. Diese Änderung ist zum 1.10.2022 in Kraft getreten.

Darüber hinaus bedurfte es nach Ansicht der Satzungsversammlung jedoch noch weiterer inhaltlicher Präzisierungen und Ergänzungen berufsrechtlicher Pflichten. Damit soll nicht nur Rechtssicherheit für Anwältinnen und Anwälte geschaffen werden, sondern auch die Prüfung der Banken zur Risikoeinstufung erleichtert werden. Künftig müssen Anwältinnen und Anwälte sicherstellen, dass keine Transaktionen über Sammelanderkonten abgewickelt werden, bei denen Risiken der Geldwäsche oder Terrorismusfinanzierung bestehen. Bestimmte Geldflüsse dürfen dann generell nicht mehr über Sammelanderkonten laufen, z.B. aus Immobilientransaktionen und Unternehmenskäufen, ferner größere Bargeschäfte und Überweisungen von oder auf Konten in Hochrisikoländern.

Die Satzungsversammlung war sich bewusst, dass die Änderung von § 4 BORA keine Herabstufung des Risikos erzwingen kann. Sie beschloss die Änderung gleichwohl mit überwältigender Mehrheit, um Sammelanderkonten dauerhaft für die Kolleginnen und Kollegen zu erhalten, die auf sie angewiesen sind.

Die Bemühungen um die dauerhafte Erhaltung von Sammelanderkonten zeigen einen ersten Erfolg. In einem Erlass hat das Bundesfinanzministerium zumindest vorübergehend die Nichtbeachtung bestimmter geldwäscherechtlicher Meldepflichten in Bezug auf Sammelanderkonten sanktionslos gestellt.

Ende Dezember hat das Bundesfinanzministerium (BMF) einen Nichtbeanstandungserlass veröffentlicht. Danach soll das Bundeszentralamt für Steuern bis Ende Juni 2023 nicht sanktionieren, wenn Banken anwaltliche Sammelanderkonten als nicht nach dem Gesetz zum automatischen Austausch von Informationen über Finanzkonten in Steuersachen meldepflichtig behandeln. Hintergrund sind laufende Bemühungen, Sammelanderkonten von der Meldepflicht nach dem sog. Common Reporting Standard (CRS) auszunehmen. Dadurch soll eine Beeinträchtigung der anwaltlichen Berufsausübung abgewendet werden, die aus einem wegen der Meldepflicht erschwerten Zugang zu Sammelanderkonten resultieren könnte.

Weitere Beschlüsse der Satzungsversammlung vom 05.12.2022

Die Satzungsversammlung hat eine klarstellende Änderung in § 4a I FAO beschlossen. Danach sind bei Fachanwaltslehrgängen die Leistungskontrollen „in Präsenzform“ zu absolvieren. Hintergrund der Klarstellung ist, dass sich während der Coronapandemie bei online durchgeführten Lehrgängen eine unterschiedliche Handhabung der Rechtsanwaltskammern herausgebildet hat, ob Online-Klausuren unter Videoaufsicht anerkannt werden. Aufgrund des unverhältnismäßig hohen Missbrauchspotenzials wurde nun klargestellt, dass Klausuren in Präsenz zu schreiben sind.

Die Satzungsversammlung beschloss außerdem, § 24 BORA zu streichen. § 24 BORA ist im Wesentlichen durch nunmehr in § 31 Abs. 7  BRAO geregelte Mitteilungspflicht von Anwältinnen und Anwälten gegenüber der zuständigen Kammer obsolet geworden. Überschießende Regelungen wie die Mitteilung von Änderungen der privaten Wohnanschrift oder die Anzeige der Eingehung oder Beendigung von Beschäftigungsverhältnissen würden in der Praxis weitgehend nicht umgesetzt und seien daher entbehrlich.

Ferner wurden kleinere Änderungen an weiteren Vorschriften beschlossen. In § 16 BORA, der die Pflicht regelt, auf Prozesskosten- und Beratungshilfe hinzuweisen, wurde klarstellend die Verfahrenskostenhilfe mit aufgenommen. In § 21 BORA, der Honorarvereinbarungen betrifft, wurde die Bezeichnung an die „große BRAO-Reform“ angepasst und daher in „Vergütungsvereinbarungen“ geändert. Auch weitere beschlossene Änderungen in § 18 lit. f und § 20 Nr. 3 FAO sind im Wesentlichen redaktioneller Natur bzw. beinhalten Anpassungen an die „große BRAO-Reform“.

Weiterhin wurden Fassungen von BORA und FAO in geschlechtergerechter Sprache beschlossen. Inhaltliche Änderungen sind mit der gegenderten Fassung von BORA und FAO nicht verbunden, sie berücksichtigen nun aber durchgängig männliche und weibliche Bezeichnungen.

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Tagung der Anwaltsgerichtsbarkeit Nordrhein-Westfalen 2022: Aktuelle Rechtsprechung des Anwaltssenats des Bundesgerichtshofs

erschienen im KammerReport 4-2022 | 16.12.2022

RA Prof. Dr. Jens M. Schmittmann*, Essen

Der nachstehende Beitrag beruht auf einem Vortrag des Verfassers, den er am 26. September 2022 bei der Tagung der Anwaltsgerichtsbarkeit Nordrhein-Westfalen in Hamm gehalten hat. Der Beitrag behandelt die Schwerpunkte der Tätigkeit des Anwaltssenats des Bundesgerichtshofs. Zuvor werden statistische Hintergründe beleuchtet. Im Rahmen der Darstellung der Tätigkeit des Anwaltssenats wird anhand von zwei Beispielen erläutert, welchen Einfluss die Rechtsprechung auf die Gesetzgebung hat, insbesondere wenn der Gesetzgeber aus seiner Sicht unzutreffende Entscheidungen der Berufsgerichtsbarkeit korrigiert.

1. Einführung

Rechtsanwälte verfügen, anders als andere freie Berufe, über eine eigene Berufsgerichtsbarkeit, die aus der Ehrengerichtsbarkeit hervorgegangen ist und sowohl die disziplinarrechtlichen als auch die verwaltungsrechtlichen Angelegenheiten umfasst. Nach der Reichsrechtsanwaltsordnung (RAO) von 1878 setzte sich das Ehrengericht aus fünf Mitgliedern des Kammervorstands zusammen. Beim Reichsgericht war ein mit zwei Senaten ausgestatteter Ehrengerichtshof eingerichtet. Der erste Senat stand unter dem Vorsitz des Präsidenten des Reichsgerichts, der zweite Senat unter dem Vorsitz eines Senatspräsidenten des Reichsgerichts. Weiterhin waren die Senate mit drei weiteren Richtern des Reichsgerichts sowie drei Rechtsanwälten aus dem Kreis der beim Reichsgericht zugelassenen Rechtsanwälte besetzt. 1

Mit der Verordnung zur Änderung und Ergänzung der RAO vom 1. März 1943 2 erfolgten die Abschaffung einer eigenen Berufsgerichtsbarkeit und die Eingliederung in die Dienstgerichte der Beamten. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde Berufsgerichtsbarkeit zunächst in den westlichen Besatzungszonen schnell wieder eingerichtet, wobei erhebliche regionale Unterschiede bestanden. Eine Vereinheitlichung erfolgte erst durch die Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO) vom 1. August 1959. Durch das Gesetz zur Änderung des Berufsrechts der Rechtsanwälte und der Patentanwälte vom 2. September 1994 wurde mit den Begriffen Anwaltsgericht und Anwaltsgerichtshof eine einheitliche Bezeichnung geschaffen, ohne die bisherigen Gerichte aufzulösen. 3

Nach § 106 Abs. 1 BRAO wird beim BGH ein Senat für Anwaltssachen gebildet. Der Senat für Anwaltssachen beim Bundesgerichtshof entscheidet in Spruchgruppen, denen über den Vorsitzenden hinaus gemäß § 106 Abs. 2 BRAO jeweils zwei Berufsrichter und zwei Rechtsanwälte als ehrenamtliche Beisitzer angehören. Den Vorsitz des Senats hat kraft Gesetzes die Präsidentin oder der Präsident des Bundesgerichtshofs inne. Stellvertretender Vorsitzender ist derzeit der Vorsitzende des IX. Zivilsenats. Die Beisitzer, seien es die Richter des Bundesgerichts­hofes, seien es die rechtsanwaltlichen Beisitzer, stellen jeweils eine Personengruppe von sechs Personen dar, deren Einsatz dann vom Geschäftsverteilungsplan abhängt.

Für das Geschäftsjahr 2021 hat der Bundesgerichtshof folgende statistische Angaben veröffentlicht:

Berufsgerichtliche und Disziplinarverfahren

Im Wesentlichen wird die Arbeitskraft des Senates durch Verfahren beansprucht, die sich um den Widerruf der Zulassung, insbesondere wegen Vermögensverfalls, drehen. Darüber hinaus gelangen auch immer wieder Sachverhalte an den Bundesgerichtshof, die einen gewissen regionalen Bezug haben, aber damit bundesweit Aufmerksamkeit erregen.

Im Zusammenhang mit dem Seehaus am Starnberger See sind zahlreiche Verfahren anhängig, in denen es im Kern um den Renovierungsbedarf an diesem Seehaus geht, das die Rechtsanwaltskammer München von Todes wegen erlangt hat und das zu Fortbildungs-, Begegnungs- und Erholungszwecken genutzt worden ist. Der Betrieb der Nutzung wurde im Hinblick auf den anstehenden Renovierungsbedarf aufgegeben. Ein Antrag einer Gruppe Münchener Rechtsanwälte, den Betrieb des Seehauses in der bisherigen Art und Weise zum Zwecke und zum Wohle der Mitglieder und im Sinne des Testaments der Erblasserin unverzüglich wieder aufzunehmen, war beim Anwaltsgerichtshof München gescheitert. 4 Der dagegen gerichtete Antrag auf Zulassung der Berufung wurde abgelehnt. 5 Weiter wurde entschieden, dass aus dem Erörterungsrecht der Kammer kein Recht folgt, den zuständigen Organen in ihr nicht zur Entscheidung stehenden Angelegenheiten inhaltlich bindende Vorgaben zu machen. 6 Weitere Verfahren sind anhängig.

Bundesweites Aufsehen löste die Anfechtung der Wahl des Kammervorstandes der Rechtsanwaltskammer Düsseldorf aus. Im Ergebnis hat der Senat entschieden, dass die Wahl zum Vorstand einer Rechtsanwaltskammer wegen unzulässiger Wahlbeeinflussung gem. § 112f Abs. 1 Nr. 1 BRAO für ungültig zu erklären ist, wenn der Präsident der Rechtsanwaltskammer den Tätigkeitsbericht für eine Wahlrede mit offener Werbung für seine Wiederwahl und negativen und herabsetzenden Äußerungen über seine Gegenkandidaten nutzt und damit das staatliche Neutralitätsgebot in unzulässiger Weise verletzt. 7

II. Schwerpunkte der Tätigkeit des Senats

Die Tätigkeit des Senats lässt sich in die verwaltungsrechtlichen Anwaltssachen und die anwaltsgerichtlichen Verfahren differenzieren.

1. Verwaltungsgerichtliche Anwaltssachen
Im Rahmen der verwaltungsgerichtlichen Anwaltssachen stehen der Widerruf der Zulassung wegen Vermögensverfall, die Zulassung von Syndikusrechtsanwälten sowie bestimmte Einzelfragen im Vordergrund.

a) Widerruf der Zulassung wegen Vermögensverfalls
Beim Widerruf der Zulassung als Rechtsanwalt wegen Vermögensverfalls sind die Verhältnisse im Zeitpunkt des Abschlusses des behördlichen Verfahrens maßgeblich. Spätere Entwicklungen können nur im Wiederzulassungsverfahren berücksichtigt werden. 8

Vermögensverfall liegt vor, wenn der Rechtsanwalt in schlechte finanzielle Verhältnisse geraten ist, die er in absehbarer Zeit nicht ordnen kann, und außerstande ist, seinen Verpflichtungen nachzukommen. Die Eintragung in das Schuldnerverzeichnis oder die Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründet die Vermutung für einen Vermögensverfall. Als Beweisanzeichen kommen offene Forderungen, Titel und Vollstreckungsmaßnahmen in Betracht. 9

Vermögenswerte sind nur zu berücksichtigen, wenn sie liquide sind. 10 Für den betroffenen Berufsträger stellt sich die Frage, wie er die Zulassung „retten“ kann, wenn er in Vermögensverfall geraten ist. Diese Frage lässt sich nicht allgemein beurteilen, sondern jeweils nur für den Einzelfall. Dabei sind folgende Rahmenbedingungen zu beachten:

Es ist zur Erhaltung der Zulassung erforderlich, Maßnahmen zu ergreifen, die eine Gefährdung der Mandanten effektiv verhindern. 11

Selbst wenn der Insolvenzplan vom Insolvenzgericht bestätigt oder ein Schuldenbereinigungsplan angenommen worden ist, kann auf einen Widerruf der Zulassung verzichtet werden bzw. die Wiederzulassung erfolgen. 12

Im Rahmen der Erteilung der Restschuldbefreiung ist nach der aktuellen Rechtslage zu beachten, dass das Insolvenzgericht gem. § 287a InsO n.F. im Fall eines zulässigen Restschuldbefreiungsantrages bereits bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens feststellt, dass der Schuldner Restschuldbefreiung erlangt, damit aber noch nicht die gesetzliche Vermutung des Vermögensverfalles durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens als widerlegt angesehen werden kann. 13

Die Erteilung der Restschuldbefreiung erfolgt in Insolvenzverfahren, die ab dem 1. Oktober 2020 beantragt worden sind, bereits nach Ablauf von drei Jahren. Es kann daher zweckmäßig sein, auf die Zulassung zu verzichten, das Insolvenzverfahren zu durchlaufen und sodann die Wiederzulassung zu beantragen.

Soweit durch das Sanierungs- und Insolvenzrechtsfortentwicklungsgesetz 14 das Restrukturierungsplanverfahren (§§ 2 ff. StaRUG) sowie das Sanierungsmoderationsverfahren (§§ 94 ff. StaRUG) eingeführt worden sind, liegt dazu Rechtsprechung noch nicht vor. Es ist allerdings anzunehmen, dass in diesen Fällen, die voraussetzen, dass beim Schuldner noch keine Zahlungsunfähigkeit, sondern lediglich drohende Zahlungsunfähigkeit eingetreten ist, auch kein Vermögensverfall vorliegt.

b) Zulassung von Syndikusrechtsanwälten
Ein weiterer Themenkreis, der den Senat beschäftigt, ist die Zulassung von Syndikusrechtsanwälten.

Die Tätigkeit ist nach dem objektiven Inhalt der Tätigkeit des Bewerbers und nicht nach ihrem Erscheinungsbild zu bestimmen. 15 Die anwaltliche Tätigkeit muss prägend sein und mindestens 65 % der Tätigkeit umfassen. 16

Es muss sich nach der seinerzeit anwendbaren Rechtslage um eine Rechtsangelegenheit des Arbeitgebers und nicht seiner Kunden handeln. Eine Angelegenheit wird nicht dadurch zu einer Rechtsangelegenheit des Arbeitgebers, dass dieser sich schuldrechtlich zur Erbringung einer Dienstleistung verpflichtet hat. 17 Ein „Case Manager“ in der Schiedsgerichtsbarkeit nimmt keine Rechtsangelegenheiten der Institution wahr, die Schiedsverfahren administriert, sondern Rechtsangelegenheiten der Schiedsparteien. Daher kommt eine Zulassung als Syndikusrechtsanwalt nicht in Betracht. Dies gilt selbst vor dem Hintergrund, dass sich der Gesetzgeber entschlossen hat, die Rechtslage ab 1. August 2022 neu zu regeln. Eine „Vorwirkung“ des neuen Rechts kommt nicht in Betracht. 18

Der Geschäftsführer einer GmbH kann nicht als Syndikusrechtsanwalt hinsichtlich dieser Tätigkeit zugelassen werden, da die fachliche Unabhängigkeit nicht gewährleistet ist. 19

Die Rücknahme und der Widerruf der Zulassung eines Syndikusrechtsanwalts können nur mit Wirkung für die Zukunft erfolgen. 20

Die Befreiung von der gesetzlichen Rentenversicherungspflicht endet ipso jure unabhängig von der Zulassung als Syndikusrechtsanwalt mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses. 21 Rechtsangelegenheiten des Arbeitgebers liegen vor, wenn ein bei einem Haftpflichtversicherer angestellter Rechtsanwalt zur Unterstützung von Versicherungsnehmern bei der Abwehr unberechtigter Haftpflichtansprüche handelt. 22

Die Tätigkeit als Rechtsanwalt der Kreishandwerkerschaft ist mit der Syndikusrechtsanwaltstätigkeit vereinbar. 23

c) Sonderfälle
Zu den Schwerpunkten „Widerruf der Zulassung wegen Vermögensverfalls“ und „Zulassung als Syndikusrechtsanwalt“ treten eine Reihe von Fallgestaltungen hinzu, die in aller Regel sehr einzelfallbezogen sind.

Vermerkt der Zusteller entgegen § 3 Abs. 2 VwZG, § 180 Abs. 3 ZPO auf dem Umschlag des zuzustellenden Schriftstücks das Datum der Zustellung nicht, gilt das Dokument gem. § 8 VwZG erst in dem Zeitpunkt als zugestellt, in dem es dem Empfangsberechtigten tatsächlich zugegangen ist. 24

Erfolglos war der Antrag eines Rechtsanwalts, den Kammerbeitrag im Wege des Erlasses nicht zahlen zu müssen bzw. eine Stundung zu erlangen. Nach den Feststellungen des Anwaltsgerichtshofs hat die Rechtsanwaltskammer den Kammerbeitrag zutreffend auf Grundlage der Beitragsordnung festgesetzt. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wurde abgelehnt. 25

Erfolglos war auch der Antrag eines Rechtsanwalts aus München, der der Auffassung war, dass die erstmals elektronisch durchgeführte Wahl zur siebten Satzungsversammlung ungültig sei. Insbesondere hat der Senat herausgestellt, dass ein Wahlfehler zur Ungültigerklärung der Wahl nach § 112f Abs. 1 BRAO führt, es sei denn, dass sich der Fehler auf das Wahlergebnis weder tatsächlich ausgewirkt hat noch konkret und nicht nur theoretisch hat auswirken können. 26

Immer wieder von Interesse ist die Frage, wann nach einer strafrechtlichen Verurteilung die Wiederzulassung erfolgen kann. Hierbei sind der Zeitablauf und das zwischenzeitliche Wohlverhalten zu berücksichtigen, ohne dass eine schematische Prüfung erfolgt. 27 Bei gravierenden Straftaten mit Bezug zur beruflichen Tätigkeit des Rechtsanwalts ist ein zeitlicher Abstand zwischen der die Unwürdigkeit begründenden Straftat des Bewerbers und dessen Wiederzulassung von in der Regel 15 bis 20 Jahren erforderlich. 28

Im Rahmen der Prognoseentscheidung, die im Hinblick auf die Beeinträchtigung der einer Zulassung entgegenstehenden Interessen der Öffentlichkeit zu erstellen ist, ist von Bedeutung, wie viele Jahre zwischen einer Verfehlung und dem Zeitpunkt der Wiederzulassung liegen. Auch eine durch ein besonders schwerwiegendes Fehlverhalten begründete Unwürdigkeit kann durch Zeitablauf und Wohlverhalten des Bewerbers derart an Bedeutung verloren haben, dass sie seiner Zulassung nicht mehr im Weg steht. 29

Gelegentlich ist auch eine Abwicklungsanordnung Gegenstand der Rechtsprechung des Senats, insbesondere zur Frage der Auswahl des Abwicklers. Grundsätzliche Bedeutung besteht in diesen Fällen regelmäßig nicht. 30

Selten sind Sachverhalte, in denen es um die Erteilung des Fachanwaltstitels geht. Der Senat hat es nicht beanstandet, dass der Anwaltsgerichtshof es für eine persönliche Fallbearbeitung i. S. v. § 5 Abs. 1 Satz 1 FAO hat genügen lassen, dass eine inhaltliche Befassung der antragstellenden Rechtsanwältin mit den von ihr bearbeiteten Verfahren vorgelegen hat. 31

Bisweilen wird zwischen Rechtsanwaltskammer und einem Vorstandsmitglied über die Zahlung der Entschädigung gestritten. Insoweit handelt es sich regelmäßig um Einzelfälle, die dann nach der jeweiligen Beitrags-, Gebühren- und Entschädigungsordnung der Rechtsanwaltskammer zu behandeln sind, wobei regelmäßig keine rechtlichen Schwierigkeiten bestehen. 32

2. Anwaltsgerichtliche Verfahren
Bei den anwaltsgerichtlichen Verfahren geht es im Wesentlichen um das Verbot der Vertretung widerstreitender Interessen 33, Verstöße gegen das Sachlichkeitsgebot 34 und die Frage, ob die Übernahme einer Vielzahl von Mandanten und die Anhängigmachung von zahlreichen Sachen zulässig ist 35.

III. Gesetzgeberische Korrekturen der Rechtsprechung

Anhand von zwei Beispielen möchte ich darlegen, dass die Gesetzgebung gelegentlich Rechtsprechung der anwaltlichen Gerichtsbarkeit, die ihr missfällt, zum Anlass nimmt, die gesetzlichen Grundlagen zu ändern. Dies steht dem Gesetzgeber zu, soll hier aber gleichwohl Anlass für eine überblicksartige Darstellung sein.

Der Senat hatte entschieden, dass ein Rechtsanwalt durch die Verweigerung der Ausstellung des Empfangsbekenntnisses im Rahmen einer Zustellung von Anwalt zu Anwalt gem. § 195 ZPO keine zu ahndende Berufspflichtverletzung begeht, da die Bestimmung des § 59b Abs. 2 BRAO keine den Grundsätzen des Vorbehalts sowie des Vorrangs des Gesetzes genügende Ermächtigungsgrundlage für die Schaffung einer Berufspflicht des Rechtsanwalts, an einer Zustellung von Anwalt zu Anwalt mitzuwirken, enthalte. 36

Heute findet sich in § 59b Abs. 2 Nr. 8 BRAO in der ­Fassung des Gesetzes zur Umsetzung der Berufsanerkennungsrichtlinie und zur Änderung weiterer Vorschriften im Bereich rechtsberatender Berufe vom 12. Mai 2017 37 eine für diesen Fall geschaffene Rechtsgrundlage. Zudem wurde § 14 BORA dahin geändert, dass der Rechtsanwalt gem. § 14 Satz 1 BORA ordnungsgemäße Zustellungen von Gerichten, Behörden und Rechtsanwälten entgegenzunehmen und das Empfangsbekenntnis mit dem Datum versehen unverzüglich zu erteilen hat.

In den Gesetzgebungsmaterialien heißt es ausdrücklich:

„Nachdem der Bundesgerichtshof am 26. Oktober 2015 entschieden hat, dass § 59b Abs. 2 BRAO bisher keine ausreichende Ermächtigungsgrundlage für die Satzungsversammlung der Bundesrechtsanwaltskammer beinhaltet, (auch) die Mitwirkungspflichten des Rechtsanwalts bei einer Zustellung von Anwalt zu Anwalt nach § 195 der Zivilprozessordnung (ZPO) zu regeln, soll eine solche Befugnis nunmehr durch eine Ergänzung des § 59b Abs. 2 Nr. 8 BRAO-E geschaffen werden (Art. 1 Nr. 21d). Eine Parallelregelung für die Patentanwälte ist in § 52b Abs. 2 Nr. 7 PAO-E vorgesehen (Art. 4 Nr. 25b cc).“ 38

Im Zusammenhang mit Syndikusrechtsanwälten hat der BGH mehrfach entschieden, dass keine Tätigkeit in Rechtsangelegenheiten des Arbeitgebers vorliegt, wenn Rechtsangelegenheiten der Kunden des Arbeitgebers behandelt werden. Dies ist beispielsweise bei der ­Schadenfallbearbeitung für Kunden eines Versicherungsmaklers durch einen bei diesem angestellten Juristen der Fall, wenn sich der Versicherungsmakler schuldrechtlich gegenüber seinen Kunden zur Durchführung der Schadensfallbearbeitung verpflichtet hat. 39

Die Zulassung als Syndikusrechtsanwalt setzt voraus, dass die anwaltliche Tätigkeit in Rechtsangelegenheiten des Arbeitgebers das Arbeitsverhältnis des Antragstellers prägt. Eine Tätigkeit in Rechtsangelegenheiten von Kunden des Arbeitgebers stellt keine Rechtsangelegenheit des Arbeitgebers dar, selbst wenn sich dieser zu einer Beratung des Kunden verpflichtet hat. 40

Der Senat hatte seinerzeit herausgestellt, dass bereits der Wortlaut des § 46 Abs. 2 Satz 1 und Abs. 5 Satz 1 BRAO und die Systematik dieser Bestimmungen, wonach der Syndikusrechtsanwalt im Rahmen seines Arbeitsverhältnisses für seinen Arbeitgeber anwaltlich tätig ist (§ 46 Abs. 2 Satz 1 BRAO) und sich die Befugnis des Syndikusrechtsanwalts zur Beratung und Vertretung auf die Rechtsangelegenheiten des Arbeitgebers beschränkt (§ 46 Abs. 5 Satz 1 BRAO), dafür sprechen, dass der Syndikusrechtsanwalt in Rechtsangelegenheiten seines Arbeitgebers und nicht von dessen Kunden einzusetzen ist. 41

Durch das Gesetz zur Neuregelung des Berufsrechts der anwaltlichen und steuerberatenden Berufsausübungsgesellschaften sowie zur Änderung weiterer Vorschriften im Bereich der rechtsberatenden Berufe vom 1. Juli 2011 42 wurde § 46 Abs. 6 BRAO eingeführt, der regelt, dass für den Fall, dass ein Arbeitgeber, der nicht den sozietätsfähigen Berufen angehört, aber zur Erbringung von Rechtsdienstleistungen berechtigt ist, diese Leistungen auch durch den Syndikusrechtsanwalt erbracht werden können. Dabei hat der Syndikusrechtsanwalt darauf hinzuweisen, dass er keine anwaltliche Beratung i. S. d. § 3 BRAO erbringt und ihm kein Zeugnisverweigerungsrecht nach § 53 StPO zukommt. Die Erbringung von Rechtsdienstleistungen in diesem Sinne ist keine anwaltliche Tätigkeit.

IV. Fazit und Ausblick

Die Fallzahlen des Anwaltssenats beim Bundesgerichtshof sind in den vergangenen Jahren weitgehend konstant geblieben. Der Schwerpunkt der Tätigkeit des Senats liegt bei dem Widerruf der Zulassung wegen Vermögensverfall sowie der Zulassung von Syndikusrechtsanwälten.

Auch wenn er verschiedene Bereiche der rechtsberatenden Tätigkeiten in Zukunft in größerem Umfang als bisher bestimmen wird, so ergeben sich daraus Konsequenzen für den Anwaltssenat des Bundesgerichtshofes voraussichtlich nicht, da eine Zuständigkeit des Senats nicht besteht. Vielmehr werden diese Fälle vor die Senate gelangen, aus deren Rechtsgebiet die materiell rechtlichen Fragen der Sachverhaltsgestaltung entspringen.

Ob der Gesetzgeber in Zukunft noch weitere Eingriffe in die Ergebnisse der Rechtsprechung des Senats vornehmen wird, bleibt abzuwarten.

*) Der Verfasser lehrt an der FOM Hochschule für Oekonomie und Management Essen Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, Wirtschafts- und Steuerrecht und ist daneben als Rechtsanwalt, Fachanwalt für Insolvenz- und Sanierungsrecht, Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht, Fachanwalt für Steuerrecht sowie Steuerberater tätig sowie Mitglied des Senats für Anwaltssachen des Bundesgerichtshofs. Er vertritt in diesem Beitrag, der nicht in dienstlicher Eigenschaft verfasst ist, ausschließlich seine persönliche Auffassung.

1. Vgl. Offermann-Burckart in: Henssler/Prütting, BRAO-Kommentar, 5. Auflage, München, 2019, Vor § 92 BRAO Rn. 5.
2. S. RGBl. 1943 I, S. 123.
3. Vgl. Offermann-Burckart in: Henssler/Prütting, BRAO-Kommentar, 5. Auflage, München, 2019, Vor § 92 BRAO Rn. 14.
4. So AGH München, Urteil vom 11.11.2021 – BayAGH III – 4 – 6/19.
5. So BGH, Beschluss vom 28.9.2022 – AnwZ (Brfg) 11/22.
6. So BGH, Beschluss vom 19.4.2022 – AnwZ (Brfg) 51/21.
7. So BGH, Urteil vom 7.12.2020 – AnwZ (Brfg) 19/19.
8. So BGH, Beschluss vom 30.5.2022 – AnwZ (Brfg) 6/22, Rn. 3; BGH, Beschluss vom 12.12.2018 – AnwZ (Brfg) 60/17, Rn. 4.
9. So BGH, Beschluss vom 30.5.2022 – AnwZ (Brfg) 6/22, Rn. 5; BGH, Beschluss vom 15.12.2017 – AnwZ (Brfg) 11/17, Rn. 4.
10. So BGH, Beschluss vom 10.5.2022 – AnwZ (Brfg) 9/22, Rn. 16; BGH, Beschluss vom 4.3.2019 – AnwZ (Brfg) 47/18, Rn. 6.
11. So BGH, Beschluss vom 30.5.2022 – AnwZ (Brfg) 43/21, Rn. 8.
12. Vgl. BGH, Beschluss vom 19.4.2022 – AnwZ (Brfg) 2/22, Rn. 7.
13. So BGH, Beschluss vom 29.12.2016 – AnwZ (Brfg) 53/16, Rn. 7.
14. Gesetz zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts vom 22.12.2020, BGBl. I 2020, 3256 ff.
15. So BGH, Beschluss vom 28.6.2022 – AnwZ (Brfg) 5/22, Rn. 5; BGH, Urteil vom 7.12.2020 – AnwZ (Brfg) 11/20, Rn. 27.
16. So BGH, Urteil vom 25.3.2022 – AnwZ (Brfg) 8/21, Rn. 55.
17. So BGH, Beschluss vom 28.6.2022 – AnwZ (Brfg) 5/22, Rn. 5; BGH, Urteil vom 9.3.2020 – AnwZ (Brfg) 1/18, Rn. 20.
18. Vgl. BGH, Urteil vom 13.5.2022 – AnwZ (Brfg) 46/21.
19. So BGH, Urteil vom 13.5.2022 – AnwZ (Brfg) 21/21, Rn. 28.
20. So BGH, Urteil vom 13.5.2022 – AnwZ (Brfg) 21/21, Rn. 20.
21. So BGH, Urteil vom 13.5.2022 – AnwZ (Brfg) 21/21, Rn. 25; BGH, Urteil vom 30.3.2020 – AnwZ (Brfg) 49/19, Rn. 17.
22. So BGH, Urteil vom 2.11.2020 – AnwZ (Brfg) 24/19, Rn. 17.
23. So BGH, Urteil vom 25.3.2022 – AnwZ (Brfg) 8/21, Rn. 17.
24. So BGH, Beschluss vom 29.7.2022 – AnwZ (Brfg) 28/20.
25. So BGH, Beschluss vom 22.6.2022 – AnwZ (Brfg) 7/22; Vorinstanz: AGH Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 10.12.2021 – 1 AGH 37/21.
26. So BGH, Beschluss vom 30.5.2022 – AnwZ (Brfg) 47/21, Rn. 8.
27. Vgl. BGH, Beschluss vom 19.7.2021 – AnwZ (Brfg) 2/21, Rn. 8; BGH, Beschluss vom 19.8.2021 – AnwZ (Brfg) 18/21, Rn. 10.
28. So BGH, Beschluss vom 19.7.2021 – AnwZ (Brfg) 2/21, Rn. 8: Verur­teilung wegen Untreue und Insolvenzverschleppung sowie Bankrott.
29. So BGH, Beschluss vom 19.8.2021 – AnwZ (Brfg) 18/21, Rn. 10: Ver­suchter Prozessbetrug, Anstiftung zum Meineid, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, Untreue und Steuerhinterziehung.
30. So BGH, Beschluss vom 3.6.2022 – AnwZ (Brfg) 40/21.
31. Vgl. BGH, Beschluss vom 19.4.2022 – AnwZ (Brfg) 1/22, Rn. 4.
32. Vgl. BGH, Beschluss vom 19.1.2022 – AnwZ (Brfg) 25/21.
33. Vgl. BGH, Beschluss vom 4.5.2021 – AnwSt (B) 1/21.
34. Vgl. BGH, Beschluss vom 29.10.2021 – AnwSt (B) 3/21.
35. So BGH, Beschluss vom 3.3.2022 – AnwSt (R) 5/21.
36. So BGH, Urteil vom 26.10.2015 – AnwSt (R) 4/15; Vorinstanz: AGH Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 7.11.2014 – 2 AGH 9/14.
37. BGBl. I 2017, S. 1121 ff.
38. So Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 5.9.2016, BT-Drs. 18/9521, S. 84.
39. So BGH, Beschluss vom 16.8.2019 – AnwZ (Brfg) 58/18, Rn. 23.
40. So BGH, Urteil vom 20.6.2020 – AnwZ (Brfg) 23/19; BGH, Urteil vom 15.10.2018 – AnwZ (Brfg) 58/17; BGH, Urteil vom 2.7.2018 – AnwZ (Brfg) 49/17, Rn. 39 ff.
41. So BGH, Urteil vom 2.7.2018 – AnwZ (Brfg) 49/17, Rn. 41 ff.
42. BGBl. I 2021, 2363 ff.

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Wie erreiche ich, dass Gerichte in das „richtige“ beA zustellen?

erschienen im KammerReport 4-2022 | 16.12.2022

Warum schickt das Gericht Nachrichten nicht in mein beA, sondern scheinbar willkürlich in das meines Kollegen, obwohl ich doch die Sache bearbeite? Diese Frage stellen sich viele Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte, die feststellen müssen, dass für die Korrespondenz zwischen Justiz und ihrer Kanzlei das beA derjenigen Kollegin oder desjenigen Kollegen genutzt wird, die oder der ganz oben auf dem Briefkopf steht. Das beA der sachbearbeitenden Kollegin oder des sachbearbeitenden Kollegen bleibt indes leer. Besonders schwierig wird die Situation in Vertretungsfällen oder wenn Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte aus bestimmten Gründen über ein zweites beA verfügen. Solche „Fehlzustellungen“ sind an der Tagesordnung. Es stellt sich daher die Frage, wie damit umzugehen ist und wie man für künftige Fälle vorbeugt.

Aus § 31a Abs. 6 BRAO und § 31b Abs. 5 BRAO i. V. m. § 31a Abs. 6 BRAO ergibt sich die Pflicht für Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte sowie Berufsausübungsgesellschaften, Posteingänge im beA zur Kenntnis zu nehmen. Daher dürfte das Argument nicht verfangen, das elektronische Dokument sei nicht zugegangen, wenn es innerhalb der Berufsausübungsgesellschaft im „falschen“ persönlichen oder Kanzlei-beA eingegangen ist. Jedenfalls dürfte dies dann gelten, wenn wie in der Regel die Berufsausübungsgesellschaft an sich mandatiert ist. Das elektronische Empfangsbekenntnis wird in diesen Fällen wohl abzugeben sein.

Gleichwohl stören Posteingänge im „falschen“ beA die wohlüberlegten Arbeitsabläufe in der Kanzlei. Es ist also sinnvoll, dafür zu sorgen, dass die Korrespondenz über das richtige beA geführt wird. In Diskussionsforen zum elektronischen Rechtsverkehr weist die Justiz häufig darauf hin, dass Prozessbevollmächtigte möglichst angeben sollten, über welches beA in der konkreten Sache korrespondiert werden soll. Gemäß § 130 Nr. 1a ZPO sollen vorbereitende Schriftsätze die für eine Übermittlung elektronischer Dokumente erforderlichen Angaben enthalten. Dies ist der Anknüpfungspunkt für Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte, den Gerichten mitzuteilen, über welches beA künftig kommuniziert werden soll. Sollten sich Änderungen ergeben, zum Beispiel in Vertretungsfällen oder bei einem Wechsel der Sachbearbeitung innerhalb der Berufsausübungsgesellschaft, ist es zu empfehlen, darauf zu achten, diesen Wechsel dem Gericht ebenfalls mitzuteilen und das beA anzugeben, über das künftig die Korrespondenz geführt werden soll.

Diese Empfehlung gewinnt zunehmend an Bedeutung, weil nunmehr auch die Berufsausübungsgesellschaften über besondere elektronische Anwaltspostfächer verfügen. Sollen diese Postfächer für die Korrespondenz mit den Gerichten genutzt werden, sollte ausdrücklich darauf hingewiesen werden. Besondere Vorsicht ist bei Berufsausübungsgesellschaften mit mehreren Standorten und mehreren beAs geboten. Hier sollte darauf geachtet werden, dem Gericht zweifelsfrei mitzuteilen, welches das richtige beA für die künftige Kommunikation ist.

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STAR 2022: Einblicke zu nicht-anwaltlichem Fachpersonal in Kanzleien

erschienen im KammerReport 4-2022 | 16.12.2022

Das Statistische Berichtssystem für Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte (STAR) untersucht mit dem STAR-Bericht 2022 erstmals die Situation von nicht-anwaltlichem Fachpersonal in Kanzleien. Das Statistische Berichtssystem für Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte (STAR) wurde 1993 von der BRAK ins Leben gerufen. In ihrem Auftrag untersucht das Institut für Freie Berufe (IFB) der Universität Erlangen-Nürnberg regelmäßig die berufliche und wirtschaftliche Lage in der deutschen Anwaltschaft. Die diesjährige Befragung widmete sich dem Einsatz von nicht-anwaltlichem Fachpersonal, also der Frage, wie die Anwaltschaft ihre Fachkräfte einsetzt. Wirtschaftliche Kennzahlen zur Anwaltschaft waren daher in der diesjährigen Umfrage nicht enthalten. Die STAR-Befragung wurde zum ersten Mal rein digital durchgeführt, um möglichst viele Kolleginnen und Kollegen zu erreichen.

Im Fokus der Untersuchung standen unbesetzte Stellen für Rechtsanwalts- bzw. Rechtsanwalts- und Notarfachangestellte, aber auch für sonstiges Kanzleipersonal. Betrachtet wurden außerdem die Arbeitsbedingungen wie etwa Gehälter, erhaltene freiwillige Leistungen, Weiterbildung, Arbeitszeitgestaltung und Einsatzgebiete. Auch die Qualifikationen der Mitarbeitenden und die voraussichtliche Entwicklung des Personalbedarfs wurden erhoben. Zudem wurde insgesamt nach der Nutzung und den Einsatzbereichen von Legal Tech gefragt.

Zu den wichtigsten Ergebnissen zählt, dass gut 25 % der Kanzleien und Unternehmen unbesetzte Stellen vor allem im Bereich des nicht-anwaltlichen Fachpersonals, aber auch bei den sonstigen Büro- oder Schreibkräften haben. Bei Sozietäten mit mehreren Berufsträgern berichten sogar weit über 50 % von unbesetzten Stellen. Den künf­tigen Personalbedarf sieht gut die Hälfte der Befragten als gleichbleibend, gut 28 % gehen von einem steigenden Bedarf an nicht-anwaltlichem Büropersonal aus.

Zur Höhe der Jahresgehälter antworteten die Befragten, dass die durchschnittlich gezahlten Bruttojahresgehälter von in Vollzeit angestellten ReFa-/ReNo-Fachkräften – je nach Berufserfahrung – zwischen 26.000 und 35.000 Euro liegen. Im Westen wird durchschnittlich etwas besser gezahlt. Auch Sozietäten zahlen im Vergleich zu Einzelkanzleien im Durchschnitt mehr. Rechtsfachwirte verdienen ebenfalls besser, konkret zwischen 29.000 Euro und 41.000 Euro, variierend nach Berufserfahrung, Standort und Kanzleigröße. Mehr als die Hälfte der Befragten gab an, dass es individuell Gehaltserhöhung gebe.

86,4 Prozent der Befragten gaben an, dass sie freiwillige finanzielle Leistungen wie Weihnachtsgeld, Erstattung der Fortbildungskosten, Fahrkostenzuschüsse, vermögenswirksame Leistungen, Urlaubsgeld, betriebliche Altersvorsorge, Überstundenvergütung und Tankgutscheine zahlen.

Als Fazit dieser Erhebung hat sich im Rahmen der bisherigen Auswertung ergeben, dass ReFa-/ReNo-Fachkräften, Rechtsfachwirte, aber auch sonstige Schreibkräfte gesucht sind und es viele unbesetzte Stellen gibt. Das Gehalt variiert je nach Berufserfahrung, Standort und Kanzleigröße. Individuelle Gehaltserhöhungen sind möglich, insbesondere werden freiwillige Leistungen und Weiterbildungen gezahlt. Eine flexible Arbeitszeitgestaltung ist überwiegend möglich. Die Einsatzgebiete sind vielfältig und digitales Arbeiten wird wichtiger. Personalbedarf wird auch zukünftig gesehen. Die Ergebnisse der STAR-Untersuchung 2022 sind auf der BRAK-Website veröffentlicht, Sie können diese unter dem folgenden Link aufrufen:
STAR 2022 – Statistisches Berichtssystem für Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte | Bundesrechtsanwaltskammer (brak.de)

Den vollständigen Bericht finden Sie unter diesem Link:
star2022_Bericht_02-11-2022.pdf (brak.de)

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Sicherer Übermittlungsweg für Berufsausübungsgesellschaften? – BRAK und DAV empfehlen qualifizierte ­elektronische Signatur

erschienen im KammerReport 4-2022 | 16.12.2022

Gemäß § 130a Abs. 4 ZPO und den Parallelvorschriften in den übrigen Verfahrensordnungen stellt auch das beA einer zugelassenen Berufsausübungsgesellschaft seit dem 01.08.2022 einen sicheren Übermittlungsweg dar. Nach § 59l Abs. 2 BRAO i. V. m. § 23 Abs. 3 RAVPV können berechtigte Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte daher grundsätzlich elektronische Dokumente aus dem beA der Berufsausübungsgesellschaft ohne qualifizierte elektronische Signatur wirksam einreichen.

Aufgrund von technischen Gegebenheiten in der Justiz ist es derzeit nicht möglich, dass in den Metadaten der beA-Nachrichten die Identität der im Zeitpunkt des Versands der Nachricht am beA der Berufsausübungsgesellschaft angemeldeten Person übermittelt wird. Es wird daher nur die Information übertragen, dass eine gemäß § 23 Abs. 3 RAVPV berechtigte Person die Nachricht aus dem Postfach der Berufsausübungsgesellschaft versandt hat. Die Identität der konkreten Person wird nicht übermittelt, sodass für die Gerichte auch kein Abgleich möglich ist, ob die den Schriftsatz verantwortende Person mit der ihn versendenden Person identisch ist.

Die Rechtsfrage, ob das Erfordernis der Personenidentität zwischen der verantwortenden Person, die das elektro­nische Dokument einfach signiert, und der die Nachricht versendenden Person auch für den Versand von Nachrichten aus beA der Berufsausübungsgesellschaften gilt, ist bislang ungeklärt. Rechtsprechung zur Nutzung des sicheren Übermittlungswegs durch Berufsausübungs­gesellschaften liegt noch nicht vor.

Zur Vermeidung möglicher Nachteile empfehlen Bundesrechtsanwaltskammer und Deutscher Anwaltverein daher allen Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten, die in Berufsausübungsgesellschaften tätig sind und Schriftsätze aus dem beA der Berufsausübungsgesellschaften einreichen möchten, ihre Schriftsätze qualifiziert elektronisch zu signieren.

Für den Fall, dass trotz der bestehenden Unsicherheiten das Kanzlei-beA als sicherer Übermittlungsweg ohne qualifizierte elektronische Signatur genutzt werden soll, sollte darauf geachtet werden, dass die Rechtsanwältin oder der Rechtsanwalt, die oder der das elektronische Dokument zeichnet, sich auch selbst am Kanzlei-beA angemeldet hat und das Dokument persönlich versendet. Zur Sicherheit sollte sodann ein Auszug aus dem Nachrichtenjournal, welches erkennen lässt, welche Nutzerin oder welcher Nutzer am Kanzlei-beA angemeldet war, zur Akte genommen werden. Damit lässt sich auch später nachweisen, welche Rechtsanwältin oder welcher Rechtsanwalt die Nachricht versandt hat.

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Qualifizierte elektronische Signatur als Fernsignatur Erläuterungen zur Nutzung des Fernsignaturservices in der beA-Webanwendung*

erschienen im KammerReport 4-2022 | 16.12.2022

RAin Julia von Seltmann, BRAK, Berlin

Die beA-Webanwendung unterstützt seit der Version 3.12 den Fernsignaturservice der Zertifizierungsstelle der Bundesnotarkammer. Mit der Fernsignatur werden qualifizierte elektronische Signaturen (qeS) im Auftrag der Unterzeichnerin oder des Unterzeichners aus der Ferne erzeugt. Das höchstpersönliche qualifizierte Zertifikat befindet sich dabei in der hochsicheren Umgebung der Zertifizierungsstelle. Das zu signierende Dokument verbleibt die ganze Zeit über bei der Rechtsanwältin oder beim Rechtsanwalt und verlässt den Anwender-PC beim Signieren nicht. Der folgende Beitrag erläutert, welche Schritte unternommen werden müssen, um eine Fernsignatur anzubringen.

Um den Fernsignaturservice der Zertifizierungsstelle der Bundesnotarkammer (BNotK) nutzen zu können, ist ein geeignetes Signaturzertifikat erforderlich. Inhaberinnen und Inhaber eines beA können Fernsignaturen erzeugen, wenn sie eine personengebundene beA-Karte der neuen Kartengeneration nebst PIN besitzen und zu dieser beA-Karte ein qualifiziertes Zertifikat im Fernsignaturdienst bei der BNotK hinterlegt ist. Die beA-Karten der neuen Generation gibt die Zertifizierungsstelle der BNotK derzeit an alle Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte aus. Informationen zum Erwerb eines qualifizierten Zertifikats für den Fernsignaturdienst der BNotK haben BRAK und BNotK im beA-Supportportal bereitgestellt.

Wie wird die Fernsignatur angebracht?

Die Fernsignatur kann in verschiedenen Dialogen in der beA-Webanwendung ausgelöst werden:

1. Möglichkeit: Signieren beim Hochladen eines Anhangs

Beim Hochladen eines Anhangs im Nachrichtenentwurf öffnet sich nach Auswahl des Dokuments im Dateisystem ein Dialog, in dem Nutzerinnen und Nutzer Einstellungen vor dem Hochladen des Dokuments vornehmen können (Abb. 1).

Hier kann das Erstellen einer qeS mit der Einstellung „Neue Signaturen erstellen“ vorbereitet werden. Dazu ist es erforderlich, dass die beA-Karte mit hinterlegtem Fernsignaturzertifikat in den Kartenleser eingelegt und die Schaltfläche OK betätigt wird.
Nach einigen Sekunden erscheint die Aufforderung zur Eingabe der PIN. Nach erfolgreicher PIN-Eingabe wird zu dem ausgewählten Dokument eine qualifizierte Signatur im Fernsignaturdienst der BNotK erstellt und gemeinsam mit dem hochgeladenen Dokument dem Nachrichtenentwurf hinzugefügt.
Sollte aufgrund technischer Probleme der Fernsignaturdienst der BNotK nicht erreichbar sein, wird eine Fehlermeldung angezeigt.

2. Möglichkeit: Signieren des bereits hochgeladenen Anhangs

Eine qualifizierte Signatur zu einem Anhang kann wie bisher auch ausgelöst werden, wenn dem Nachrichtenentwurf bereits ein Anhang hinzugefügt ist. Wählen Sie dazu bitte die Schaltfläche mit dem Punkt-Symbol an dem zu signierenden Anhang aus. Starten Sie sodann den unter 1. beschriebenen Signaturvorgang (Abb. 2).

3. Möglichkeit: Stapelsignatur

Sie können auch mehrere Schriftsätze in mehreren Nachrichten im Wege der sog. Stapelsignatur signieren. Aktivieren Sie dazu bitte unter „Signieren“ die Schaltfläche „Schriftsatz“. Starten Sie sodann den unter 1. beschriebenen Signaturvorgang (Abb. 3).

Gibt es Alternativen zur Fernsignatur?

In der beA-Webanwendung können qualifizierte elektronische Signaturen für Dokumente und elektronische Empfangsbekenntnisse auch weiterhin mit dafür geeigneten und unterstützten Signaturkarten erzeugt werden. Eine Übersicht der unterstützten Signaturkarten findet sich in der Anwenderhilfe.

Das beA-System unterstützt die Nutzerinnen und Nutzer bei der Suche nach vorhandenen Signaturzertifikaten: Befindet sich im Kartenleser eine Signaturkarte mit qeS-Zertifikat, so wird das auf der eingelegten Karte gespeicherte qualifizierte Zertifikat angezeigt und verwendet. Befindet sich im Kartenleser eine beA-Karte der neuen Generation, wird geprüft, ob zu dieser Karte ein qualifiziertes Zertifikat im Fernsignaturdienst der BNotK hinterlegt ist.

Nutzung des sicheren Übermittlungswegs

Der sichere Übermittlungsweg ersetzt die Schriftform in gleicher Weise wie die qualifizierte elektronische Signatur. Dokumente genügen daher auch dann der (prozessualen) Schriftform, wenn die Postfachinhaberin oder der Postfachinhaber sich selbst mit der beA-Karte am Postfach anmeldet und dann das Dokument eigenhändig versendet. Zusätzlich ist eine einfache elektronische Signatur erforderlich, also die Angabe des (leserlichen) Namens der verantwortenden Person unter dem elektronischen Dokument.

Das System bringt dann einen sog. vertrauenswürdigen Herkunftsnachweis (VHN) an, der bestätigt, dass die Rechtsanwältin oder der Rechtsanwalt den Versand eigenhändig vorgenommen hat. Eine zusätzliche qeS ist in diesem Fall nicht erforderlich. Zu beachten ist aber, dass mit der Nutzung des sicheren Übermittlungswegs nur die prozessuale, nicht indes die materiell-rechtliche Schriftform nach § 126a BGB ersetzt wird.

Hinweis zum sicheren Übermittlungsweg für Berufsausübungsgesellschaften

Gemäß § 130a IV ZPO und den Parallelvorschriften in den übrigen Verfahrensordnungen stellt auch das beA einer zugelassenen Berufsausübungsgesellschaft seit dem 1.8.2022 einen sicheren Übermittlungsweg dar. Nach § 59l II BRAO i. V. m. § 23 III RAVPV können berechtigte Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte daher grundsätzlich elektronische Dokumente aus dem beA der Berufsausübungsgesellschaft ohne qualifizierte elektronische Signatur wirksam einreichen.

Aufgrund von technischen Gegebenheiten in der Justiz ist es derzeit nicht möglich, dass in den Metadaten der beA-Nachrichten die Identität der im Zeitpunkt des Versands der Nachricht am beA der Berufsausübungsgesellschaft angemeldeten Person übermittelt wird. Die Rechtsfrage, ob das Erfordernis der Personenidentität zwischen der verantwortenden Person, die das elektronische Dokument einfach signiert, und der die Nachricht versendenden Person auch für den Versand von Nachrichten aus beA der Berufsausübungsgesellschaften gilt, ist bislang noch ungeklärt.

Zur Vermeidung möglicher Nachteile empfehlen Bundesrechtsanwaltskammer und Deutscher Anwaltverein daher allen Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten, die in Berufsausübungsgesellschaften tätig sind und Schriftsätze aus dem beA der Berufsausübungsgesellschaften einreichen möchten, ihre Schriftsätze qualifiziert elektronisch zu signieren.

Für den Fall, dass trotz der bestehenden Unsicherheiten das Kanzlei-beA als sicherer Übermittlungsweg ohne qualifizierte elektronische Signatur genutzt werden soll, sollte darauf geachtet werden, dass die Rechtsanwältin oder der Rechtsanwalt, die oder der das elektronische Dokument zeichnet, sich auch selbst am Kanzlei-beA angemeldet hat und das Dokument persönlich versendet. Zur Sicherheit sollte sodann ein Auszug aus dem Nachrichtenjournal, welches erkennen lässt, welche Nutzerin oder welcher Nutzer am Kanzlei-beA angemeldet war, zur Akte genommen werden. Damit lässt sich auch später nachweisen, welche Rechtsanwältin oder welcher Rechtsanwalt die Nachricht versandt hat.

*) Erstveröffentlichung im BRAK-Magazin Heft 5/2022.

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