Vorsicht im Umgang mit Fremdgeld

Ausbildungsvergütung

erschienen im KammerReport 2-2020 | 31.03.2020

Rechtsanwalt und Notar a. D. Karl F. Hofmeister, Olpe

Wenn ein Anwalt Gelder für einen Mandanten in Empfang nimmt und nicht einem Anderkonto zuführt, sondern anderweitig verwendet, macht dieser sich nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs grundsätzlich der Untreue i. S. des § 266 StGB schuldig. In der Regel führt eine Verurteilung zum Ausschluss aus der Anwaltschaft nach § 114 Abs. 1 Nr. 5 BRAO. Zivilrechtlich hat der Mandant neben dem Anspruch auf Herausgabe des Fremdgeldes Anspruch auf Schadenersatz wegen Verletzung des Vertragsverhältnisses sowie nach §§ 823 Abs. 2 BGB, 266 StGB.

In der Praxis ist immer wieder festzustellen, dass Fremdgeld entgegen § 43 a Abs. 5 BRAO nicht unverzüglich an den Empfangsberechtigten ausgezahlt wird, weil der Anwalt sich selbst in finanziellen Schwierigkeiten befindet. Bei Durchsetzung der zivilrechtlichen Ansprüche des Mandanten, die in solchen Fällen oft erfolglos bleibt, kommt es dann zu einem Widerruf der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft nach § 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO.

Aber auch unterhalb der Schwelle des Strafrechts gilt, dass die Pflicht, fremde Gelder unverzüglich an den Empfangsberechtigten auszuzahlen, zu den anwaltlichen Kernpflichten gehört, sodass in diesen Fällen nahezu immer eine Pflichtverletzung von derart erheblicher Schwere gegeben ist, dass von dem Rechtsanwalt, jedenfalls im Wiederholungsfalle, eine Gefahr für die Rechtspflege ausgeht und ihm kaum mehr die umfassende Aufgabe weiter anvertraut werden kann, unabhängiger Berater und Vertreter der Rechtsuchenden zu sein (Henssler/Prütting, Bundesrechtsanwaltsordnung, 5. Aufl., § 43 a BRAO Rdnr. 226, m. w. N.).

Was also gilt es für den Anwalt und seine Büroorganisation zu beachten, wenn Fremdgeld auf einem Geschäftskonto eingegangen ist?
Es gelten die berufsrechtlichen Regelungen der §§ 43 a Abs. 5 BRAO, 4 Abs. 2 BORA.

§ 43 a Abs. 5 BRAO lautet:

Der Rechtsanwalt ist bei der Behandlung der ihm anvertrauten Vermögenswerte zu der erforderlichen Sorgfalt verpflichtet. Fremde Gelder sind unverzüglich an den Empfangsberechtigten weiterzuleiten oder auf ein Anderkonto einzuzahlen.

§ 4 Abs. 2 BORA lautet:

Fremdgelder und sonstige Vermögenswerte, insbesondere Wertpapiere und andere geldwerte Urkunden, sind unverzüglich an den Berechtigten weiterzuleiten. Solange dies nicht möglich ist, sind Fremdgelder auf Anderkonten zu verwalten; dies sind in der Regel Einzelanderkonten. Auf einem Sammelanderkonto dürfen Beträge über 15.000,- € für einen einzelnen Mandanten nicht länger als einen Monat verwaltet werden. Sonstige Vermögenswerte sind gesondert zu verwahren. Die vorstehenden Bestimmungen gelten nicht, solange etwas anderes in Textform vereinbart ist. Über Fremdgelder ist unverzüglich, -spätestens mit Beendigung des Mandats, abzurechnen.

Die Fallstricke sollen anhand einiger Fälle aus der Praxis erläutert werden:

1. Anzeigepflicht – OLG Düsseldorf Beschl. v. 15.05.2019 – I 24 U 171/18

Der beklagte Rechtsanwalt hatte von der Rechtsschutzversicherung zweier Gesellschafter einer oHG Gerichtskostenvorschüsse für zwei Gerichtsverfahren gegen die Vermieterin erhalten und bei der Gerichtskasse eingezahlt. Am 16.10. 2010 wurden ihm von der Gerichtskasse 7.350,- € zurückerstattet. Mit Schreiben vom 30.12.2010 erteilte der Beklagte der klägerischen Rechtsschutzversicherung eine „Abschlusskostennote“, in der der Zahlungseingang nicht aufgeführt war. Erst mit Schreiben vom 07.09.2011 teilte der Rechtsanwalt seinem Mandanten und Versicherungsnehmer die Zahlung mit. Die Berufung des beklagten Rechtsanwalts gegen den Zahlungsanspruch der Klägerin blieb erfolglos. Der Rechtsanwalt hatte gegen seine Verpflichtung verstoßen, den Eingang von Fremdgeld unverzüglich dem Mandanten anzuzeigen und dieses auszuzahlen. Für diesen Vorgang darf nach Ansicht des Schrifttums ein Zeitraum von 2-3 Wochen regelmäßig nicht überschritten werden (Henssler/Prütting BRAO, a.a.O.). Nach der Recht-sprechung werden als Obergrenze 2 Wochen angesehen (OLG Hamm, Beschl. v. 28.02.2013 – IX – 32 W 1/13; OLG Celle, Beschl. v. 24.10.2013 – 17 W 7/13). Der Rechtsanwalt hätte die Versicherung entsprechend zeitnah gemäß § 43 a Abs. 5 BRAO, 4 BORA unterrichten und die Auszahlung vornehmen müssen. Der Versuch des Rechtsanwalts, gegenüber der Klageforderung mit Ansprüchen gegen seinen Mandanten aufzurechnen, blieb erfolglos, weil der Mandant zu keinem Zeitpunkt Inhaber der Hauptforderung war (arg. § 17 VIII ARB 94 i. V. m. § 86 Abs. 1 VVG).

2. Unverzügliche Auszahlung und Abrechnung – AGH NRW Urteil v. 06.09.2019 – 2 AGH 1/19

In diesem Fall wurde der Rechtsanwalt durch seinen Mandanten beauftragt, gegen seinen früheren Arbeitgeber einen Urlaubsgeldanspruch geltend zu machen. Nach Abschluss des Arbeitsgerichtsverfahrens zahlte der Arbeitgeber einen Betrag von 1.390,99 E auf das Geschäftskonto des Rechtsanwalts, eingegangen am 04.07.2013. Hiervon zahlte er an den Mandanten einen Betrag von 1.000,- € am 12.09.2013. Den darüberhinausgehenden Betrag behielt der Rechtsanwalt zunächst im Hinblick auf Forderungen gegen den Sohn des Mandanten, ohne dieses mit dem Mandanten zu vereinbaren.

Der Anwaltsgerichtshof bestätigte die vorgenannte Rechtsprechung aus der o. a. Entscheidung des OLG Düsseldorf vom 15.05.2019. Der Einbehalt von Fremdgeld von mehr als 2 Monate nach der Kontogutschrift sei verspätet erfolgt. Der AGH beanstandete aber auch als Verstoß gegen §§ 43 a Abs. 5 S. 2 BRAO, 4 Abs. 2 S. BORA, dass der Rechtsanwalt das Fremdgeld auf seinem Geschäftskonto belies und nicht auf einem Anderkonto deponierte, über das er nicht verfügte. Die Pflichtverletzungen des Rechtsanwalts wurden mit Verweis und Geldbuße nach § 113 Abs. 1 BRAO geahndet.

3. Treuwidrige Verwendung von Auslagenvorschüssen – AGH NRW Urteil v. 13.05.2015 – 2 AGH NW 23/15

Der Rechtsanwalt war von einem Unternehmen mit 6 Markenanmeldungen bei dem Deutschen Patent- und Markenamt beauftragt worden Er übersandte seiner Mandantin 6 gleichlautende Kostennoten über jeweils 740,30 E, in denen 440,30 E Anwaltsvergütung und 300,00 E Auslagen für das Patent- und Markenamt enthalten waren. Die Mandantin beglich die Rechnungen, der Geldbetrag wurde am 23.01.2008 dem Geschäftskonto des Rechtsanwalts gutgeschrieben. Er stellte die Markenanträge, zahlte aber die Gebühren nicht ein. Am 09.03.2009 kündigte der Rechtsanwalt alle mit der Mandantin bestehenden Mandate, weil diese in einer bestimmten Angelegenheit seine Kosten trotz Mahnung nicht bezahlt hatte. Zugleich schrieb er seiner Mandantin: „Um meinem Geld nicht uneingeschränkt hinterherlaufen zu müssen, verrechne ich in Übereinstimmung mit den geltenden Gesetzen jegliches Guthaben Ihrerseits mit den Forderungen. Hierzu gehören auch die Amtsgebühren der vergangenen Markenanmeldungen. Das Markenamt ist informiert und wird diese nun von Ihnen direkt einfordern.“

Der Anwaltsgerichtshof wies in seiner Entscheidung auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes hin, wonach sich ein Rechtsanwalt grundsätzlich der Untreue schuldig macht, wenn er Gelder für einen Mandanten vereinnahmt und diese nicht einem Anderkonto zuführt, sondern anderweitig verwendet. Die Rechtsprechung sei auch für Auslagenvorschüsse anzuwenden, die für Gerichtskosten oder behördliche Gebühren an den Rechtsanwalt zur Weiterleitung gezahlt werden (BGH Beschl. v. 24.07.2010 – 2 StR 221/14, NStZ 2015, 2177, Rn. 4 und 8). Der Anwaltsgerichtshof stellte weiter fest, dass es für eine Aufrechnung bis zur Mandatsniederlegung an der Voraussetzung der Gegenseitigkeit gefehlt habe. Ein Rechtsanwalt darf nicht gegen zweckgebundene zur Weiterleitung an Gerichte oder Behörden an ihn gezahlte Beträge aufrechnen, da es sich um Treugut handelt (OLG Düsseldorf VersR 2010, 1652; OLG Düsseldorf, VersR 2010, 1031; BGH NJW 1989, 1148). Die Pflichtverletzungen des Rechtsanwalts wurden mit Verweis und Geldbuße nach § 113 Abs. 1 BRAO geahndet.

4. Empfangsberechtigter und Rechtsschutzversicherung – BGH Urteil vom 23.07.2019 – VI ZR 307/18

In diesem Fall hatte die beklagte Rechtsanwältin von dem Rechtsschutzversicherer des Mandanten einen Kostenvorschuss für Gerichtsverfahren erhalten; sie zahlte auch Gerichtskosten. Nach erfolgreichem Rechtsstreit zahlte der Prozessgegner im November 2012 entsprechend dem vorausgegangenen Kostenfestsetzungsbeschluss ca. 8.000,- € an die Rechtsanwältin, die rechtzeitig die Summe an den Mandanten überwies. Im Juni 2015 bat die Rechtsschutzversicherung die Rechtsanwältin um Mitteilung des Verfahrensstandes, die entsprechend Auskunft über ihre Zahlung an den Mandanten gab. Dieser zahlte dann im August 2015 den erhaltenen Betrag an die Rechtsschutzversicherung, die nun ihrerseits die Rechtsanwältin auf Erstattung eines Zinsschadens und vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten in Anspruch nahm. Die Klage blieb erfolglos.

In seiner Entscheidung wies der Bundesgerichtshof darauf hin, dass die Rechtsschutzversicherung eine Sachversicherung sei, für die § 86 Abs.1 S. 1 VVG gelte. Danach sei der Kostenerstattungsanspruch des Mandanten gegen den unterlegenen Prozessgegner auf die Klägerin übergegangen. Ein Anspruch auf Verzinsung der Geldschuld der Beklagten aus §§ 280 Abs. 2, 286 Abs. 1, 288 Abs. 1 BGB habe nicht bestanden, weil die beklagte Rechtsanwältin mangels Mahnung im Zeitraum von November 2012 bis August 2015 nicht in Verzug geraten sei. Ein Verzinsungsanspruch aus § 849 BGB komme nicht in Betracht, weil ein deliktischer Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB daran scheitere, dass § 43 a Abs. 5 S. 2 BRAO kein Schutzgesetz zugunsten des Rechtsschutzversicherers sei.

Der Fall zeigt aber auch, wer Fremdgelder an einen Nichtberechtigten auszahlt, deshalb noch einmal in Anspruch genommen werden kann.

5. Sammelanderkonten – BGH Beschl. v. 31.10.2018 – XII ZB 300/18

Ein Rechtsanwalt, der zum Berufsbetreuer für eine Person mit dem Aufgabenkreis Vermögenssorge bestellt worden war, führte bei seiner Bank ein als „Barkasse“ bezeichnetes Rechtsanwalts-Sammelanderkonto, auf dem er Gelder verschiedener Betreuter verwaltete. Die Betreute verfügte selbst über ein eigenes Girokonto bei derselben Bank, welches als Pfändungsschutzkonto geführt wurde.

Der Bundesgerichtshof entschied über eine Rechtsbeschwerde gegen einen Beschluss, der ihm verbot, das Rechtsanwalts-Sammelanderkonto für den Betroffenen zu führen und künftig nochmals Gelder aus dem Vermögen des Betroffenen einem Fremdgeld- oder Anderkonto zuzuführen.

Bereits für das frei vereinbarte, auf besonderem Vertrauen beruhende Mandatsverhältnis enthalte § 4 Abs. 2 BORA eine Beschränkung dahin, dass Fremdgelder in der Regel als Einzelanderkonten zu verwalten seien. Noch strengere Maßstäbe seien angelegt, wenn das Treuhandverhältnis nicht auf einer frei vereinbarten Vertrauensstellung gründet, sondern auf öffentlicher Amtsstellung, etwa bei Notaren, beruht. Entsprechendes gelte für die auf gerichtlicher Bestellung des Vormunds oder Betreuers gründende Verwaltung von Mündelgeldern und Gelder von Betreuten.

Der Fall zeigt, dass §§ 43 a Abs. 5 BRAO, 4 Abs. 2 BORA nicht nur auf die Berufsausübung als Rechtsanwalt im engeren Sinne Anwendung findet, sondern dass zu seiner Berufsausübung auch seine Tätigkeit als Betreuer, Nachlassverwalter, Testamentsvollstrecker, Insolvenzverwalter u. a. gehört (Weyland-Träger, Bundesrechtsanwaltsordnung, 10. Aufl., § 43 a BRAO, Rdnr. 89).

Die vorgenannten Fälle sind vereinfacht dargestellt. Sie zeigen, dass der falsche oder sorglose Umgang mit Fremdgeld in der Regel – ungeachtet der erheblichen zivilrechtlichen Folgen – mit drastischen anwaltsgerichtlichen Maßnahmen nach §§ 113, 114 BRAO geahndet wird, die bis zur Ausschließung aus der Rechtsanwaltschaft reichen können. Die Rechtsanwaltskammern sind meistens mit eigenen Aufsichtsmitteln nicht in der Lage, Berufsrechtsverstöße nach §§ 43 a Abs. 5 BRAO, 4 Abs. 2 BORA angemessen zu ahnden, sodass sie in der Regel bei den Staatsanwaltschaften die Einleitung eines anwaltsgerichtlichen Verfahrens oder auch eines staatsanwaltlichen Ermittlungsverfahrens beantragen.
Die Rechtsanwaltskammern haben selbst keine Möglichkeiten, von Amts wegen eigene Ermittlungen anzustellen, wenn ihnen Unregelmäßigkeiten bei der Abwicklung von Fremdgeldern angezeigt werden. Sie können daher nicht durch einen Beauftragten den Zahlungsverkehr, die Konten und die auf diese bezugnehmenden Unterlagen des Rechtsanwalts einsehen und prüfen.

Bildnach

Legal Tech – Eine neue Herausforderung für die Anwaltschaft

Legal Tech

erschienen im KammerReport 2-2020 | 31.03.2020

Abdruck mit freundlicher Genehmigung der Rechtsanwaltskammer Kassel

RAin Gisela Falk, Marburg

I. Einführung

Der Rechtsberatungsmarkt ist in Turbulenzen geraten, nachdem wirtschaftlich interessante Geschäftsmodelle durch die Möglichkeiten des sogenannten Legal Tech entstanden sind. Die in den USA seit langer Zeit bekannte kollektive Durchsetzung von Ansprüchen bei Massenschäden bieten dort hohe Gewinnmargen. Eine Studie der OECD hält 41 % der weltweiten Arbeitsplätze im Sektor Rechtsberatung für durch Automatisierung bedroht. Die einfache Verfügbarkeit von Internet-Suchmaschinen und juristischen Frage-Antwort-Plattformen hat den Zugang zu Rechtsinformationen seit dem Beginn des 21. Jahrhunderts stark vereinfacht und teils von der Anwaltschaft gelöst. Nach Schätzungen bearbeiten Legal-Tech-Inkassodienstleister ihre Fälle mit einem Zehntel der Arbeitskraft, die in Anwaltskanzleien erforderlich wäre.

Auch in Deutschland versuchen registrierte Inkassounternehmen zunehmend kommerzielle Geschäftsmodelle durchzusetzen, bei denen die beabsichtigte Rechtsdurchsetzung mit einer Prozessfinanzierung und einer erfolgsbezogenen Vergütung kombiniert werden. So betreibt beispielsweise die financialright GmbH die Onlineplattform myright, die Verbrauchern Hilfe anbietet, um ihre Rechte aus Kaufverträgen über Kraftfahrzeuge insbesondere im Hinblick auf den VW-Abgasskandal wahrzunehmen. Der Anbieter, der eine Inkassoerlaubnis nach § 10 RDG besitzt, lässt sich mögliche Schadensersatzansprüche treuhänderisch abtreten und verspricht deren gerichtliche Durchsetzung gegen die Zahlung einer Provision von 35 % des erstrittenen Zahlungsbetrages. Die gerichtliche Geltendmachung der Ansprüche erfolgt in diesen Fällen im Wege der Klagehäufung, in denen die gleichartigen Ansprüche verschiedener Geschädigter an den Anbieter abgetreten und von diesem im Rahmen einer Klage zusammengefasst werden. Bezahlt wird der Anbieter nur im Erfolgsfall; bei einem Misserfolg der Klageverfahren übernimmt er sämtliche Kosten. Im Falle eines Prozessvergleichs ist der Kunde frei, selbst zu entscheiden, ob er entweder auf eigenes Risiko weiter prozessieren will (der Vertrag mit dem Anbieter wird dann gekündigt, der Kunde wieder selbst Forderungsinhaber) oder den Vergleich annimmt.

Je nach Geschäftsmodell werben die Anbieter im Kern damit, dass für die Kunden mit Ausnahme der vereinbarten Provision keine Kosten, insbesondere keine Gerichts- und Anwaltskosten im Falle des Unterliegens entstehen. Es handelt sich also nicht um die altbekannte Inkassodienstleistung, sondern es geht vor allem um eine Prozessfinanzierung gegen Erfolgsbeteiligung. Rechtsanwälten sind vergleichbare Dienstleistungen gesetzlich verboten. Sie können mit diesen Geschäftsmodellen schon im Ausgangspunkt nicht konkurrieren.

II. Rechtliche Streitfragen

Bisher war die Zulässigkeit einer derartigen Rechtsdurchsetzung mit Prozessfinanzierung und Erfolgshonorar hoch umstritten. Unstreitig war lediglich der Ausgangspunkt, dass es bei den im Rahmen dieser Geschäftsmodelle geschuldeten Tätigkeit um erlaubnispflichtige Rechtsdienstleistungen im Sinne von § 2 RDG geht.
Die einschlägigen Normen lauten auszugsweise:

§ 2

Begriff der Rechtsdienstleistung

(1) Rechtsdienstleistung ist jede Tätigkeit in konkreten fremden Angelegenheiten, sobald sie eine rechtliche Prüfung des Einzelfalls erfordert.

(2) Rechtsdienstleistung ist, unabhängig vom Vorliegen der Voraussetzungen des Absatzes 1, die Einziehung fremder oder zum Zweck der Einziehung auf fremde Rechnung abgetretener Forderungen, wenn die Forderungseinziehung als eigenständiges Geschäft betrieben wird (Inkassodienstleistung). Abgetretene Forderungen gelten für den bisherigen Gläubiger nicht als fremd.

(3) […]

§ 3

Befugnis zur Erbringung außergerichtlicher Rechtsdienstleistungen

Die selbstständige Erbringung außergerichtlicher Rechtsdienstleistungen ist nur in dem Umfang zulässig, in dem sie durch dieses Gesetz oder durch oder aufgrund anderer Gesetze erlaubt wird.

§ 4

Unvereinbarkeit mit einer anderen Leistungspflicht 

Rechtsdienstleistungen, die unmittelbaren Einfluss auf die Erfüllung einer anderen Leistungspflicht haben können, dürfen nicht erbracht werden, wenn hierdurch die ordnungsgemäße Erbringung der Rechtsdienstleistung gefährdet wird.

§ 10

Rechtsdienstleistungen aufgrund besonderer Sachkunde

(1) Natürliche und juristische Personen sowie Gesellschaften ohne Rechtspersönlichkeit, die bei der zuständigen Behörde registriert sind (registrierte Personen), dürfen aufgrund besonderer Sachkunde Rechtsdienstleistungen in folgenden Bereichen erbringen:
1. Inkassodienstleistungen (§ 2 Abs. 2 Satz 1),
2. […],
3. […].

Die Registrierung kann auf einen Teilbereich der in Satz 1 genannten Bereiche beschränkt werden, wenn sich der Teilbereich von den anderen in den Bereich fallenden Tätigkeiten trennen lässt und der Regis-trierung für den Teilbereich keine zwingenden Gründe des Allgemein-interesses entgegenstehen.

(2) Die Registrierung erfolgt auf Antrag. Soll die Registrierung nach Absatz 1 Satz 2 für einen Teilbereich erfolgen, ist dieser im Antrag zu bezeichnen.

(3) Die Registrierung kann, wenn dies zum Schutz der Rechtsuchenden oder des Rechtsverkehrs erforderlich ist, von Bedingungen abhängig gemacht oder mit Auflagen verbunden werden. […].

§ 12

Registrierungsvoraussetzungen

 (1) Voraussetzungen für die Registrierung sind
1. persönliche Eignung und Zuverlässigkeit; […],
2. theoretische und praktische Sachkunde in dem Bereich oder den Teilbereichen des § 10 Abs. 1, in denen die Rechtsdienstleistungen erbracht werden sollen,
3. […].

(2) […]

Nach bisheriger Auffassung der Bundesregierung soll zur Regulierung des entsprechenden Beratungsmarktes die Orientierung am geltenden Recht des RDG ausreichen; es müsse von den Gerichten lediglich zur Anwendung gebracht werden. Das anwaltliche Berufsrecht sei jedenfalls auf Inkasso-dienstleister nach dem ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers weder unmittelbar noch analog anwendbar. Aus diesem Grund dürften Inkassodienstleister rechtliche Ansprüche beitreiben und durchsetzen. Auch die gleichzeitige Übernahme von Inkassodienstleistungen und Prozessfinanzierung stelle keinen Interessenkonflikt i. S. v. § 4 RDG dar. Abgesehen davon könne dieses Hindernis durch die schlichte Einwilligung des Kunden überwunden werden.

Nach einer den neuen Geschäftsmodellen kritisch gegenüberstehenden Auffassung handelt es sich dagegen um eine Zweckentfremdung der erteilten Inkassoerlaubnis. Über die nur formale Einschaltung eines Inkassodienstleisters würden die mandantenschützenden anwaltlichen Berufspflichten der BRAO ausgehebelt. Damit sei zugleich § 3 RDG verletzt, der bestimmt, dass die selbstständige Erbringung von außergerichtlichen Rechtsdienstleistungen nur in dem Umfang zulässig ist, in dem sie durch das RDG oder andere Gesetze erlaubt sind. Auch im Hinblick auf § 4 RDG werden Bedenken geäußert, weil das Dienstleistungspaket trotz eines immanenten Interessenkonflikts auch die Finanzierung der prozessualen Forderungsdurchsetzung umfasse. Schließlich fehlten prozessfinanzierenden Inkassodienstleistern die persönliche Eignung im Sinne von § 12 Abs. 1 RDG.

Damit übereinstimmend wurde noch auf der Konferenz der Landesjustizminister im Frühjahr 2019 ein Bericht vorgelegt, in dem gefordert wurde, dass Legal-Tech-Portale, die Rechtsdienstleistungen anbieten oder erbringen, von der Anwaltschaft betrieben werden müssten. Der Deutsche Anwaltverein hat daran anknüpfend betont, dass eine individuelle rechtliche Prüfung und Beratung der Anwaltschaft vorbehalten sein müsse, schon aus Gründen der Qualitätssicherung und des Verbraucherschutzes. Ein Schutzbedürfnis bestehe auch dann, wenn die Rechtsdienstleistung unter Einsatz von digitalen Systemen erfolge. Es dürfe keinen Rechtsdienstleistungsberuf unterhalb der Schwelle der Anwaltschaft geben. Dementsprechend sieht der DAV den Vorschlag der Landesjustizminister kritisch, das Fremdkapitalverbot an Rechtsanwaltsgesellschaften zu lockern, um Investments in anwaltliche Legal-Tech-Angebote zu ermöglichen. Das Verbot reiner Kapitalbeteiligungen an Anwaltsgesellschaften sei zur Sicherung der anwaltlichen Unabhängigkeit auch weiterhin erforderlich.

III. Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 27. November 2019

Im November 2019 hat der BGH nun erstmals eine Grundsatzentscheidung getroffen, ob und wenn ja welche Tätigkeiten von Legal-Tech-Unternehmen unter das Rechtsdienstleistungsgesetz fallen (BGH, Urt. v. 27.11.2019 – VIII ZR 285/18).

Es ging um die von Lexfox betriebene Seite wenigermiete.de, die nach einem ähnlichen Geschäftsmodell wie das unter myright.de zuvor vorgestellte arbeitet. Dieser Anbieter wirbt unter anderem damit, Rechte von Wohnraummietern aus der Mietpreisbremse „ohne Kosten“ durchzusetzen.

Der Fall:
Die Klägerin, eine Gesellschaft mit begrenzter Haftung, die über eine Registrierung gemäß § 10 RDG für den Bereich der Inkassodienstleistungen verfügt, macht aus abgetretenem Recht des Wohnraummieters gegenüber der beklagten Vermieterin wegen eines behaupteten Verstoßes gegen die Begrenzung der Miethöhe (§ 556d BGB) Auskunftsansprüche sowie Ansprüche auf Rückzahlung zu viel gezahlter Miete und Zahlung vorgerichtlicher Rechtsverfolgungskosten geltend.

Die Beklagte vermietete ab dem 01.12.2015 eine 56 qm große Wohnung in Berlin an den Mieter B. Die vertraglich vereinbarte Nettokaltmiete beträgt 371,57 E (= 6,64 E/m²). Die Wohnung liegt nach der am 01.06.2015 in Kraft getretenen Mieten-begrenzungsverordnung des Landes Berlin in einem Gebiet mit angespanntem Wohnungsmarkt im Sinne des § 556d Abs. 1, 2 BGB. Die ortsübliche Vergleichsmiete für diese Wohnung – zuzüglich 10 % (§ 556d Abs. 1 BGB) – beläuft sich nach dem Berliner Mietspiegel 2015 auf 346,81 E.

Der Mieter B. beauftragte die Klägerin – unter Einbeziehung ihrer Allgemeinen Geschäftsbedingungen – mit der Durchsetzung etwaiger Ansprüche gegen die Beklagte wegen Verstoßes gegen die Miethöhenbegrenzung (§ 556d BGB) und trat dazu diese Ansprüche gegen die Beklagte an die Klägerin ab. Mit Schreiben vom 20.03.2017 rügte die Klägerin gegenüber der Beklagten – unter Berufung auf die vorgenannte Beauftragung und Abtretung – gemäß § 556g Abs. 2 BGB [aF] einen Verstoß gegen die Vorschriften der Begrenzung der Miethöhe (§§ 556d ff. BGB) in Bezug auf die streitgegenständliche Wohnung, da die (Nettokalt-)Miete zu Beginn des Mietverhältnisses die ortsübliche Vergleichsmiete um 17,85 % überstiegen und damit um 24,76 € höher gelegen habe als die gemäß § 556d Abs. 1 BGB zulässige Höchstmiete von hier 346,81 € (ortsübliche Vergleichsmiete zuzüglich 10 %).
Die Klägerin verlangte mit diesem Schreiben unter Fristsetzung zum einen Auskunft über die Höhe der durch den Vormieter gezahlten Miete sowie über vorangegangene Mieterhöhungen und durchgeführte Modernisierungsmaßnahmen, zum anderen begehrte sie die Rückerstattung der künftig über den vorgenannten zulässigen Höchstbetrag hinaus zu viel gezahlten Miete, die Herausgabe der anteiligen Mietkaution sowie die Abgabe einer Erklärung der Beklagten, dass die künftig fällig werdende Miete auf den Höchstbetrag herabgesetzt werde. Der Mieter zahlte in der Folge die im Mietvertrag vereinbarte monatliche Miete unter Vorbehalt. Nach Ablauf der von ihr gesetzten Frist wiederholte die Klägerin mit Schreiben vom 06.04.2017 ihre vorstehend genannten Begehren und verlangte mit erneuter Fristsetzung unter anderem die Rückerstattung von jeweils 24,76 € zu viel gezahlter Miete für den dem Rügeschreiben vom 20.03.2017 nachfolgenden Monat und die künftigen Monate.

Mit der Klage verlangte die Klägerin die bereits erwähnte Auskunftserteilung sowie die Rückzahlung des die zulässige Höchstmiete übersteigenden Betrages von 24,76 E für einen Monat im Jahr 2017 und die Zahlung vorgerichtlicher Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 166,90 E. Nachdem die Beklagte im Laufe des erstinstanzlichen Verfahrens die begehrte Auskunft erteilt hatte, erklärte die Klägerin den Auskunftsantrag einseitig für erledigt, nahm die Klage hinsichtlich des Rückzahlungsanspruchs in Höhe von 1,27 € teilweise zurück und beantragte insoweit nur noch die Zahlung von 23,49 €.

Anders als die Vorinstanzen entschieden hatten, hält der Bundesgerichtshof die Vereinbarkeit der von der Klägerin erbrachten Dienstleistung mit dem RDG für gegeben.

Mit dieser höchstrichterlichen Entscheidung wird festgestellt:

  • Der Begriff der Rechtsdienstleistung in Gestalt der Inkassodienstleistung ist nicht in einem zu engen Sinne zu verstehen. Vielmehr sei – so der BGH – innerhalb des mit dem RDG verfolgten Schutzzwecks, die Rechtsuchenden, den Rechtsverkehr und die Rechtsordnung vor unqualifizierten Rechtsdienstleistungen zu schützen, eine eher großzügige Betrachtung geboten. Zur Begründung wird auf die vom Gesetzgeber mit dem Rechtsdienstleistungsgesetz – in Anknüpfung an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts – verfolgte Zielsetzung einer grundlegenden, an den Gesichtspunkten der Deregulierung und Liberalisierung ausgerichteten, die Entwicklung neuer Berufsbilder erlaubenden Neugestaltung des Rechts der außergerichtlichen Rechtsdienstleistungen verwiesen.
  • Für die Beurteilung, ob sich die Tätigkeit eines registrierten Inkassodienstleisters innerhalb seiner Inkassodienstleistungsbefugnis gem. § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 RDG halte, lasse sich kein allgemeiner Maßstab definieren. Es sei stets eine am Schutzzweck des Rechtsdienstleistungsgesetzes orientierte Würdigung der Umstände des Einzelfalls einschließlich einer Auslegung der hinsichtlich der Forderungseinziehung getroffenen Vereinbarungen notwendig.
  • Überschreite ein registrierter Inkassodienstleister danach seine Inkassodienstleistungsbefugnis, könne darin ein Verstoß gegen § 3 RDG liegen.
  • Ein solcher Verstoß könne nach § 134 BGB die Nichtigkeit der zwischen dem Inkassodienstleister und dessen Auftraggeber getroffenen Inkassovereinbarung einschließlich einer in diesem Zusammenhang erfolgten Forderungsabtretung zur Folge haben; dies setze voraus, dass bei einer umfassenden Würdigung der Gesamtumstände aus der objektivierten Sicht eines verständigen Auftraggebers des Inkasso-dienstleisters die Überschreitung der Befugnis eindeutig vorliege und unter Berücksichtigung der Zielsetzung des Rechtsdienstleistungsgesetzes in ihrem Ausmaß als nicht nur geringfügig anzusehen sei.

Von einer Nichtigkeit nach § 134 BGB ist danach insbesondere dann regelmäßig auszugehen, wenn der registrierte Inkassodienstleister Tätigkeiten vornimmt, die von vornherein nicht eine Forderungseinziehung i. S. d. § 2 Abs. 2 Satz 1 RDG zum Inhalt haben, sondern etwa

  • auf die Abwehr von Ansprüchen gerichtet sind
  • oder eine über den erforderlichen Zusammenhang mit der Forderungseinziehung hinausgehende Rechtsberatung zum Gegenstand haben
  • oder wenn das „Geschäftsmodell“ des Inkassodienstleisters zu einer Kollision mit den Interessen seines Auftraggebers führt.

Davon ausgehend sieht es der BGH als von der Inkassodienstleistungsbefugnis eines nach § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 RDG registrierten Inkasso-dienstleisters (noch) gedeckt an, wenn dieser auf seiner Internetseite einen „Mietpreisrechner“ zur – zunächst unentgeltlichen – Berechnung der ortsüblichen Vergleichsmiete zur Verfügung stellt und im Anschluss hieran dem Mieter die Möglichkeit gibt, ihn durch Anklicken eines Buttons mit der außergerichtlichen Durchsetzung von Forderungen gegen den Vermieter zu beauftragen; dies gelte auch für die Vereinbarung eines Erfolgshonorars in Höhe eines Drittels der jährlichen Mietersparnis und der Freihaltung des Mieters von sämtlichen Kosten. Nicht zu beanstanden sei auch die weitere Vereinbarung, die genannten Ansprüche zum Zweck der Durchsetzung treuhänderisch an den Inkassodienstleister abzutreten, der im Falle einer Erfolglosigkeit der eigenen außergerichtlichen Rechtsdienstleistungstätigkeit einen Vertragsanwalt mit der Durchsetzung der Ansprüche beauftragen könne; zum Abschluss eines Vergleichs benötige er jedoch grundsätzlich die Zustimmung des Mieters.

Bei einer solchen Vertragsgestaltung verstoße die treuhänderische Abtretung der genannten im Zusammenhang mit der „Mietpreisbremse“ stehenden Forderungen des Mieters (noch) nicht gegen ein gesetzliches Verbot (§ 3 RDG); sie sei daher auch nicht gem. § 134 BGB nichtig. Der Inkassodienstleister sei aus diesem Grund im gerichtlichen Verfahren aktiv legitimiert, diese Ansprüche im Wege der Klage gegen den Vermieter geltend zu machen.

IV. Rechtspolitischer Ausblick

Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs hat viele Juristinnen und Juristen insbesondere aus der Anwaltschaft überrascht. Entsprechend groß sind die Unsicherheiten, wie mit der dadurch geschaffenen Rechtslage umzugehen ist. Damit verbunden stellen sich zahlreiche Fragen hinsichtlich berufsrechtlicher und rechtspolitischer Aspekte, die hier nicht umfassend dargestellt werden können. Der Beitrag versteht sich daher in erster Linie als Anregung zur Diskussion in der Anwaltschaft.

Zunächst: Man wird nicht ernsthaft bestreiten können, dass Legal-Tech-Geschäftsmodelle einen Beitrag zur Durchsetzung von Verbraucherrechten leisten können. Gerade die aktuelle Entscheidung des Bundesgerichtshofs über die Mietrechtsplattform macht eines sehr deutlich: Welcher Anwalt wird bei derartigen Streitwerten das Mandat gerne übernehmen bzw. unter wirtschaftlichen Aspekten übernehmen können. Eine Gebührenvereinbarung scheidet im Regelfall aus, eher wird es um Beratungshilfe und Prozesskostenhilfe gehen. Umgekehrt dürften viele Betroffene Angst vor den Kosten haben und daher darauf verzichten, derartige Forderungen über einen Anwalt durchzusetzen. Anzuerkennen ist daher, dass die neuen Geschäftsmodelle in vielen Fällen den Zugang zum Recht erst schaffen.

Neben dem Zugang zum Recht geht es aber rechtspolitisch vor allem um eine Sicherung der Qualität der Rechtsdienstleistung. Die Konkurrenz zu den neuen Geschäftsmodellen macht einerseits einmal mehr die Notwendigkeit einer anwaltlichen Spezialisierung deutlich, um fundiertes Fachwissen anbieten zu können. Andererseits wird man durchaus darüber streiten können, ob ein durchschnittlich spezialisierter Fachanwalt für Mietrecht in jedem Fall besseren Rechtsrat anbieten kann als ein nichtjuristisch organisierter Legal-Tech-Anbieter mit der Erfahrung aus 10.000 Mietrechts-Fällen.

Bislang ist Qualitätssicherung der juristischen Dienstleistung im Wesentlichen über die Berufszugangsvoraussetzungen und durch echten Wettbewerb bei der Rechtsberatung gewährleistet worden. Diese Instrumente funktionieren aber nicht mehr, wenn das Anwaltsmonopol nur noch auf dem Papier steht und einzelne nicht anwaltliche Anbieter im Rechtsdienstleistungsmarkt mit aus Übung gewonnenen Erkenntnissen erhebliche Gewinne einfahren, die selbst der fachlich versierte Anwalt nicht generieren und somit mit dem Gesamtangebot der Legal-Tech-Unternehmen nicht konkurrieren kann. Stattdessen soll er die Rechtsberatung seriös im Rahmen der Beratungshilfe leisten.

Es erscheint im Lichte dieses Urteils daher fraglich, ob das eher konservative anwaltliche Berufsbild, das der Gesetzgeber mit dem Erlass des Rechtsdienstleistungsgesetzes (RDG) noch vor zwölf Jahren explizit bestätigt hat, nicht doch zumindest vorsichtiger Modifikationen bedarf.

Zweifellos sollte die Anwaltschaft darauf bestehen, dass das Anwaltsmonopol bei der Rechtsberatung schon zur Sicherung der eigenen Existenz und aus Gründen des Verbraucherschutzes wenigstens im Grundsatz uneingeschränkt erhalten bleibt. Allerdings gilt es dabei zu berücksichtigen, dass dieses Monopol schon durch die ständige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum früheren Rechtsberatungsgesetz in gewisser Weise durchbrochen war. In der Konsequenz dieser Rechtsprechung dürfen Legal-Tech-Anbieter, die nach der aktuellen BGH-Entscheidung unter § 10 RDG fallen, ihre Kunden durchaus darüber beraten, ob und unter welchen Voraussetzungen ihnen eine Forderung zusteht. Die Zulässigkeitsgrenze dürfte – hoffentlich! – de lege lata erst dort überschritten sein, wo bspw. die Ausübung von Gewährleistungsrechten aus einem Kaufvertrag, die Erklärung eines Widerrufs aus einem Darlehensvertrag oder eine anspruchsvoraussetzende Rüge gegenüber dem Vertragspartner notwendig ist, um einen schuldrechtlichen Anspruch des Kunden zu generieren.

De lege ferenda müssen die Berufsausübungsregeln bedacht werden. Das kann in der Weise geschehen, dass die Legal-Tech-Anbieter bei der Erbringung ihrer Rechtsdienstleistung identischen Anforderungen etwa in Fragen der Vergütung, Werbung, Haftung und der Interessenkonflikte unterworfen werden, wie andere zu Erwerbszwecken tätige Rechtsdienstleister auch. Alternativ ist an eine weitere Lockerung des in § 49b Abs. 2 und 3 BRAO enthaltenen grundsätzlichen Verbots von Erfolgshonoraren und Vermittlungsprovisionen zu denken.

Die weitere Entwicklung des Marktes der Rechtsdienstleistungen sollte jedenfalls nicht allein der Rechtsprechung überlassen werden. Eine rechtspolitische Diskussion über die Beibehaltung des Anwaltsmonopols in Abgrenzung zu den viel beschworenen amerikanischen Verhältnissen ist geboten und sollte von der Anwaltschaft von vornherein engagiert geführt werden.

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Formalien auf elektronisch

Aktive Nutzungspflicht

Was beim Einreichen elektronischer Dokumente zu beachten ist

erschienen im KammerReport 2-2020 | 31.03.2020

RAin Dr. Tanja Nitschke, Mag. rer. publ., BRAK, Berlin

Schriftsätze bei Gericht einreichen – das ist für die meisten Anwältinnen und Anwälte ganz alltäglich und welche Formalien zu beachten sind, wissen sie aus dem Effeff. Zumindest, solange die Schriftsätze per Post oder per Fax ans Gericht gehen. Beim Versand über das besondere elektronische Anwaltspostfach (beA) ist der eine oder die andere noch nicht so routiniert und die gesetzlichen Vorgaben sind nicht so geläufig. Und nun hört man auch noch, dass Gerichte Schriftsätze schon zurückweisen, wenn man nicht die richtige PDF-Version verwendet hat. Was dahinter steckt und wie die – eigentlich gar nicht so schwierigen – Vorgaben aussehen, soll im Folgenden näher betrachtet werden.

Wann braucht man eine qualifizierte Signatur?

Die qualifizierte elektronische Signatur (qeS) ist das erste Stichwort, das vielen in den Sinn kommt, wenn es um elektronischen Rechtsverkehr geht. Sie ersetzt die handschriftliche Unterschrift. Anstelle der qeS gilt gem. § 130a III, IV Nr. 2 ZPO als Schriftformersatz auch, wenn die Anwältin oder der Anwalt, die/der das Dokument verantwortet, es einfach signiert (also ihren/seinen Namen darunter schreibt und damit die Verantwortung für den Schriftsatz zu erkennen gibt) und aus dem eigenen beA an das Gericht sendet. Nutzt man diesen sog. sicheren Übermittlungsweg, ist also keine qeS erforderlich. Das gilt jedoch nur, wenn die signierende Person identisch ist mit derjenigen, aus deren beA das Dokument dann versandt wird.1 Wenn jemand anderes (z. B. der Kanzleimitarbeiter oder die vertretende Kollegin) das Dokument versenden soll, ist eine qeS der Anwältin oder des Anwalts erforderlich.

Das zum Schriftformersatz Gesagte gilt gem. § 130a I ZPO – und den parallelen Vorschriften in den übrigen Verfahrensordnungen – für vorbereitende Schriftsätze, schriftlich einzureichende Anträge und Erklärungen der Parteien sowie schriftlich einzureichende Auskünfte,  Aussagen, Gutachten, Übersetzungen und Erklärungen Dritter. Anlagen müssen nicht qualifiziert signiert bzw. per „sicherem Übermittlungsweg“ eingereicht werden. Das hat der Gesetzgeber zum 1.1.2020 ausdrücklich in § 130a III 2 ZPO klargestellt.

Was ist „für die Bearbeitung durch das Gericht geeignet“?

Bevor man ans Signieren (oder den „sicheren Übermittlungsweg“) geht, muss logisch die Frage stehen, was für ein Dokument man signiert. Für die einzureichenden Schriftsätze u. a. findet sich in § 130a II 1 ZPO die etwas kryptisch klingende Formulierung, sie müssten „für die Bearbeitung durch das Gericht geeignet“ sein. Das bedeutet vor allem, dass das elektronische Dokument ein für das Gericht lesbares Format haben muss.

Die Anforderungen hierfür sind in § 2 der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs (ERVV) definiert: Das Dokument soll „in druckbarer, kopierbarer und, soweit technisch möglich, durchsuchbarer Form im Dateiformat PDF“ übermittelt werden.

Druckbar und kopierbar sind in der Regel alle mit üblicher Office-Software erzeugten PDF-Dokumente, es sei denn, man ändert die entsprechenden Einstellungen.

Seit dem 1.7.2019 gilt zusätzlich, dass die PDF-Dokumente durchsuchbar sein müssen. Das bedeutet, dass man darin im Volltext nach Worten suchen oder sie markieren kann. Bei Textdokumenten, die als PDF gespeichert oder gedruckt werden, ist das meistens der Fall; bei Scans nur, wenn eine Texterkennung gelaufen ist. Die durchsuchbare Form muss nur genutzt werden, soweit sie technisch möglich ist – also z. B. nicht, wenn das Ausgangsdokument handschriftlich ist oder Abbildungen enthält, die per Texterkennung nicht zu erfassen sind. Nähere Hinweise dazu enthält der beA-Newsletter 20/2019.

Insbesondere: PDF/A-Format

Technisch gibt es unterschiedliche Varianten des Formats PDF. In Nr. 1 der Bekanntmachung nach § 5 ERVV (ERVB 2019) hat der Gesetzgeber Details dazu festgelegt, welche Varianten verwendet werden dürfen. Zulässig ist insbesondere das Format PDF/A-1. Nr. 1 ERVB 2019 verlangt in erster Linie, dass alle für die Darstellung des Dokuments notwendigen Inhalte (insb. Grafiken und Schriftarten) in das Dokument eingebettet sind.

Darauf muss vor allem achten, wer für seine Kanzlei ein Logo und eine besondere Schriftart als CD-Schrift verwendet; Standardschriftarten müssen in der Regel nicht extra eingebettet werden, sie sind in den gängigen PDF-Programmen bereits enthalten. Sind Schriftarten nicht eingebettet, besteht die Gefahr, dass das Anzeigeprogramm sie durch eigene Schriften ersetzt und der Text deshalb fehlerhaft dargestellt wird. Oder das Anzeigeprogramm könnte versuchen, fehlende Schriftarten aus dem Internet nachzuladen. Eine Anleitung, wie man Dokumente im PDF/A-Format erzeugt, und weitere Informationen sind im beA-Newsletter 2/2020 zu finden.

Gerichtliche Hinweispflicht

Sollte ein elektronisches Dokument für das Gericht gleichwohl nicht zur Bearbeitung geeignet sein, sieht § 130a VI ZPO eine Hinweispflicht vor: Das Gericht muss den Absender unverzüglich darauf hinweisen, dass der Eingang unwirksam ist und welche technischen Rahmenbedingungen einzuhalten sind. Das Dokument gilt als zum Zeitpunkt der früheren Einreichung eingegangen, sofern der Absender es unverzüglich in einer für das Gericht zur Bearbeitung geeigneten Form nachreicht und glaubhaft macht, dass es mit dem zuerst eingereichten Dokument inhaltlich übereinstimmt.

Von Viren und Anlagenkonvoluten

Zwei weitere Punkte sollte man vor dem Versand eines Schriftsatzes samt Anlagen ebenfalls noch bedenken:

Eigentlich eine Selbstverständlichkeit ist es, das eigene System regelmäßig auf Viren und andere Schadsoftware zu prüfen und dafür zu sorgen, dass man keine infizierten Dateien an andere versendet. In manchen Ländern (z. B. Bremen und Hamburg) weist die Justiz in ihren Bekanntmachungen zum ERV extra darauf hin, dass infizierte Dateien nicht bearbeitet werden können und deshalb auch nicht als zugegangen gelten – selbst wenn sie ansonsten alle in § 2 ERVV und der ERVB genannten Formalien erfüllen.

Wer Anlagen versendet, kann den Gerichts-Geschäftsstellen die Arbeit leichter machen: § 2 II ERVV sieht – als Soll-Vorschrift – vor, dass man als Anlage übermittelte Dokumente mit aussagekräftigen Dateinamen versieht und sie fortlaufend nummeriert (z. B. Klageschrift; Anlage1 usw.). Konvolute von Anlagen in einer Datei zusammenzufassen, quasi als digitales Abbild des zusammengetackerten Anlagenstapels, sollte man vermeiden, da dies zu Zuordnungsproblemen führen kann. Besser ist es, jeweils nur ein Dokument in einer Datei zu übersenden.

130a ZPO Elektronisches Dokument

(1) Vorbereitende Schriftsätze und deren Anlagen, schriftlich einzureichende Anträge und Erklärungen der Parteien sowie schriftlich einzureichende Auskünfte, Aussagen, Gutachten, Übersetzungen und Erklärungen Dritter können nach Maßgabe der folgenden Absätze als elektronische Dokumente bei Gericht eingereicht werden.

(2) Das elektronische Dokument muss für die Bearbeitung durch das Gericht geeignet sein. Die Bundesregierung bestimmt durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates die für die Übermittlung und Bearbeitung geeigneten technischen Rahmenbedingungen. […]

(6) Ist ein elektronisches Dokument für das Gericht zur Bearbeitung nicht geeignet, ist dies dem Absender unter Hinweis auf die Unwirksamkeit des Eingangs und auf die geltenden technischen Rahmenbedingungen unverzüglich mitzuteilen. Das Dokument gilt als zum Zeitpunkt der früheren Einreichung eingegangen, sofern der Absender es unverzüglich in einer für das Gericht zur Bearbeitung geeigneten Form nachreicht und glaubhaft macht, dass es mit dem zuerst eingereichten Dokument inhaltlich übereinstimmt.

2 ERVV Anforderungen an elektronische Dokumente

(1) Das elektronische Dokument ist in druckbarer, kopierbarer und, soweit technisch möglich, durchsuchbarer Form im Dateiformat PDF zu übermitteln. Wenn bildliche Darstellungen im Dateiformat PDF nicht verlustfrei wiedergegeben werden können, darf das elek-tronische Dokument zusätzlich im Dateiformat TIFF übermittelt werden. Die Dateiformate PDF und TIFF müssen den nach § 5 Absatz 1 Nummer 1 bekanntgemachten Versionen entsprechen.

[…]

Bekanntmachung zu § 5 ERVV vom 20.12.2018 (ERVB 2019)

1. Hinsichtlich der zulässigen Dateiversionen PDF, insbesondere PDF/A-1, PDF/A-2, PDF/UA, müssen alle für die Darstellung des Dokuments notwendigen Inhalte (insbesondere Grafiken und Schriftarten) in der Datei enthalten sein. Ein Nachladen von Datenströmen aus externen Quellen ist nicht zulässig. Der Dokumenteninhalt muss orts- und systemunabhängig darstellbar sein. […]

1 Vgl. BT-Drs. 17/12634, 25; s. auch OLG Braunschweig, BRAK-Mitt. 2019, 156; BAG, Beschl. v. 24.10.2019 – 8 AZN 589/19.

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Soldan Institut: Rückgang der staatlichen Ausgaben für Beratungshilfe

Rückgang der Beratungshilfe

erschienen im KammerReport 2-2020 | 31.03.2020

30 Prozent beträgt der Rückgang der staatlichen Pro-Kopf-Ausgaben für die Beratungshilfe und die Prozess- und Verfahrenskostenhilfe in der ordentlichen Gerichtsbarkeit zwischen 2008 und 2018. Wendete der Fiskus 2008 noch 7,08 EUR pro Bürger für die staatlich unterstützte Rechtsverfolgung auf, waren es 2018 nur noch 4,93 EUR.1 Mit 36 % war hierbei der Rückgang der Aufwendungen für die Beratungshilfe, d. h. für die staatlich finanzierte außergerichtliche Beratung und Vertretung, besonders groß (von 1,03 EUR auf 0,66 EUR per capita). Die Kosten der Prozesskosten- und Verfahrenskostenhilfe („PKH/VKH“), die für gerichtliche Verfahren gewährt wird, gingen bei den ordentlichen Gerichten, bei denen rund 90 % der PKH/VKH-Aufwendungen anfallen, von 6,15 EUR auf 4,27 EUR pro Kopf zurück. Innerhalb Deutschlands zeigen sich hierbei erhebliche Unterschiede: So waren zuletzt die Pro-Kopf-Ausgaben im Saarland mit 7,56 EUR pro Einwohner mehr als doppelt so hoch wie in Bayern mit 3,43 EUR.

Erklärungen können 2014 verschärfte Bewilligungsvoraussetzungen für die Prozesskosten- bzw. Verfahrenskostenhilfe, aber auch eine verbesserte wirtschaftliche Lage der Bevölkerung im zurückliegenden Jahrzehnt sein. Dem seit Jahren kontinuierlichen Rückgang des Geschäftsanfalls bei den deutschen Gerichten messen die Forscher des Soldan Instituts hingegen keine größere Bedeutung zu. Der mit Abstand größte Kostenblock in der Prozess- und Verfahrenskostenhilfe entfällt auf familiengerichtliche Verfahren. Die Zahl solcher Verfahren ist, anders als die Zahl der Verfahren in fast allen anderen Gerichtsbarkeiten, im Referenzzeitraum nicht rückläufig gewesen, sondern hat sogar leicht zugenommen.

Quelle: Presseinformation des Soldan Instituts

1 Bei den Beträgen zur Prozess- und Verfahrenskostenhilfe handelt es sich nicht um die Nettobelastung des Fiskus, da es aufgrund der Regelungen des Kostenhilferechts zu nachträglichen Rückflüssen kommen kann. Solche Rückflüsse werden in den meisten Bundesländern statistisch nicht trennscharf den vorangegangenen Ausgaben zugeordnet. Nach Erfahrungs-werten beträgt die Rückflussquote 15 bis 20 %.

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