Vorsicht im Umgang mit widerstreitenden Interessen

Umgang mit widerstreitenden Interessen

– Interessenkollision im Lichte der BRAO-Reform: Was gilt heute, was kommt, was kommt nicht? –

erschienen im KammerReport 3-2021 | 24.09.2021

Rechtsanwalt und Notar a.D. Karl F. Hofmeister, Olpe

Interessenkonflikte und hieraus sich ergebende Tätigkeitsverbote beschäftigen regelmäßig seit Jahrzehnten die Aufsichtsabteilungen der Rechtsanwaltskammern.

Oft wird die Tragweite des Verbotes widerstreitender Interessen in der Kollegenschaft verkannt, will man nicht ohne Weiteres und ohne Not auf ein lukratives Mandat verzichten. Die Entscheider in der Anwaltsgerichtsbarkeit, den Kammern und den Staatsanwaltschaften tun sich oft schwer, den konkreten Fall sachgerecht zu beurteilen und zu entscheiden.

Der Aufsatz soll als Orientierungshilfe zum Thema Interessenkollision dienen, wobei auf eine umfassende Darstellung der einzelfallbezogenen Rechtsprechung zum Verbot widerstreitender Interessen zu Gunsten der besseren Übersicht verzichtet wird.

Die Rechtsanwaltskammer Hamm hatte folgenden Fall zu beraten und zu entscheiden, der es bis zum Bundesgerichtshof gebracht hat:

Die Beschwerdegegnerin vertrat in einem Scheidungs- und Zugewinnausgleichsverfahren den Ehemann sowie später auch den volljährigen Sohn der Eheleute gegen die Mutter auf Zahlung von Kindesunterhalt.

Im Ergebnis wurde der Beschwerdegegnerin ein belehrender Hinweis wegen Verstoßes gegen §§ 43 a Abs. 4 BRAO, 3 Abs. 1 1. Alt. BORA erteilt. Der Anwaltsgerichtshof hob den belehrenden Hinweis auf, ließ aber die Berufung unter Hinweis darauf zu, dass es für die Annahme einer Interessenkollision auf eine Einzelbetrachtung ankomme, diese Frage aber höchstrichterlich noch nicht geklärt sei.

Der Anwaltssenat des Bundesgerichtshofes hat mit Urteil vom 23.04.2012 1 die Berufung gegen die Entscheidung des AGH zurückgewiesen und die Auffassung vertreten, ein Interessengegensatz sei anhand einer „konkret objektiven Betrachtung“ zu beurteilen. Ob widerstreitende Interessen vertreten werden, könne nicht ohne Blick auf die konkreten Umstände des Einzelfalls beurteilt werden. Maßgeblich sei, ob der in den anzuwendenden Rechtsvorschriften typisierte Interessenkonflikt im konkreten Fall tatsächlich auftrete.

Die Entscheidung des BGH wurde im Schrifttum 2 mit „mehr als überraschend“ betitelt, hatte die Rechtsprechung 3 doch bis dahin die Frage, ob die Interessen der Parteien anhand eines subjektiven oder eines objektiven Bewertungsmaßstabes zu bestimmen seien, in dem Sinne überwiegend entschieden, dass den subjektiven Vorstellungen der Mandanten entscheidende Bedeutung zukomme.

 

I. Ausgangslage

Vor einer Beschäftigung mit weiteren aktuellen Streitfragen bedarf es zunächst eines Blickes auf die rechtlichen Grundlagen; es sind diese straf- und berufsrechtlichen Vorschriften:

§ 356 Abs. 1 StGB lautet:

Ein Anwalt oder ein anderer Rechtsbeistand, welcher bei den ihm in dieser Eigenschaft anvertrauten Angelegenheiten in derselben Rechtssache beiden Parteien durch Rat oder Beistand pflichtwidrig dient, wird mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.

§ 43 a Abs. 4 BRAO lautet:

Der Rechtsanwalt darf keine widerstreitenden Interessen vertreten.

§ 3 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 1 BORA lauten:

(1) Der Rechtsanwalt darf nicht tätig werden, wenn er eine andere Partei in derselben Rechtssache im widerstreitenden Interesse bereits beraten oder vertreten hat oder mit dieser Rechtssache in sonstiger Weise im Sinne der §§ 45, 46 Bundesrechtsanwaltsordnung beruflich befasst war. …

(2) Das Verbot des Abs. 1 gilt auch für alle mit ihm in derselben Berufsausübungs- oder Bürogemeinschaft gleich welcher Rechts- oder Organisationsform verbundenen Rechtsanwälte. …

Was unterscheidet die verschiedenen Verbotstatbestände und was sind ihre Tatbestandsmerkmale?

  1. In § 356 StGB wird das Verhalten eines Rechtsanwalts unter Strafe gestellt, der bei den ihm in dieser Eigenschaft anvertrauten Angelegenheiten in derselben Rechtssache beiden Parteien pflichtwidrig dient.

In § 43 a Abs. 4 BRAO heißt es nur kurz und knapp, dass einem Rechtsanwalt die Vertretung widerstreitender Interessen untersagt ist.

Die berufsrechtliche Regelung des § 3 BORA ist hingegen detaillierter. In Absatz 2 wird das Verbot auch auf alle in derselben Berufsausübungs- und Bürogemeinschaft verbundenen Rechtsanwälte erstreckt und gilt nach Absatz 3 auch für den Fall des Sozietäts- oder Bürogemeinschaftswechslers.

§ 356 StGB setzt vorsätzliches Handeln voraus, während für die Norm des § 43 a Abs. 4 BRAO jeder schuldhafte, auch fahrlässige Verstoß, genügt.

Eine Besonderheit besteht für Anwälte in einer Sozietät insoweit, als § 356 StGB nicht sozietätsweit gilt.

  1. Tatbestandsmerkmale des § 43 a Abs. 4 BRAO sind:
  • Vertretung 4
    • erfasst wird jede rechtsbesorgende anwaltliche Berufsausübung
  • widerstreitender 5
    • Verhältnis von Dingen, die sich unvereinbar, widersprüchlich gegenüberstehen
  • Interessen 6
    • diese sind rechtlich zu würdigen (nicht bloß wirtschaftliche Interessen)
  • in derselben Rechtssache
    • ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal in § 43 a Abs. 4 (in § 356 StGB und § 3 Abs. 1 BORA ausdrücklich klargestellt)

 

II. Streitfragen

In der Praxis wirft das Verbot der Vertretung widerstreitender Interessen auf Basis der bestehenden Gesetzeslage 7 eine Reihe offener Fragen auf. Die damit einhergehende Rechtsunsicherheit stellt eine Gefahr für die Arbeit eines Rechtsanwalts/einer Rechtsanwältin dar. Die wesentlichen Streitfragen waren bisher – ohne Anspruch auf Vollständigkeit – folgende:

  • Kann das Einverständnis der Mandanten die pflichtwidrige Vertretung widerstreitender Interessen beseitigen? 8
  • Wann stellen zwei Angelegenheiten „dieselbe Rechtssache“ dar? 9
  • Kann allein der Mandant bestimmen, welche Interessen der Anwalt zu vertreten hat oder sind die maßgeblichen Interessen objektiv zu bestimmen? 10
  • Kann ein Anwalt Parallelmandate führen, also in derselben Angelegenheit für mehrere Mandanten tätig sein, deren Interessen gleichgerichtet sind? 11
  • Welche Auswirkungen hat ein Sozietätswechsel für die aufnehmende und die abgebende Sozietät, wenn der wechselnde Anwalt a) persönlich b) nicht persönlich vorbefasst war? 12
  • Gelten Tätigkeitsverbote auch für Referendare im oder neben dem Vorbereitungsdienst bei Rechtsanwälten bzw. in Anwaltssozietäten und für befristet angestellte wissenschaftliche Mitarbeiter? 13
  • Führt eine vertrauliche Information, die der Anwalt von einer Partei erhalten hat, zu einem Tätigkeitsverbot, wenn die Information aus einem anderen Mandatsverhältnis stammt, diese Information für die neue Rechtssache von Bedeutung sein kann und deren Verwendung im Widerspruch zu den Interessen des Mandanten des vorherigen Mandats stehen? 14

III. Sanktionen

Ein vorsätzlicher Verstoß gegen das Verbot widerstreitender Interessen kann zu einer Verurteilung wegen einer Straftat (§ 356 StGB) führen (s. o).

Darüber hinaus kommen die berufsrechtlichen Sanktionen in Betracht (§ 113 BRAO). In der Regel wird die Rechtsanwaltskammer bei der Generalstaats-anwaltschaft die Einleitung eines anwaltsgerichtlichen Verfahrens gemäß § 121 f. BRAO beantragen. Als anwaltsgerichtliche Maßnahmen kommen (zunächst) ein Verweis und/oder eine Geldbuße in Betracht (§ 114 Abs. 1 BRAO). Bei geringem Verschulden des Rechtsanwalts kann auch eine Rüge (§ 74 BRAO) ausgesprochen werden. Die Rechtsanwaltskammer kann gegenüber dem betroffenen Anwalt auch einen Belehrungsbescheid aussprechen und die Fortführung des Mandates untersagen. 15

Die Mandatsniederlegung kann von dem Prozessgegner auch im Wege eines Unterlassungsanspruchs gemäß §§ 1004, 823 Abs. 2 BGB durchgesetzt werden. 16

Schließlich kommen als zivilrechtliche Rechtsfolgen eines Verstoßes gegen das Verbot widerstreitender Interessen die Nichtigkeit des Mandatsvertrages gemäß § 134 BGB in Betracht, so dass ggf. vertragliche Honoraransprüche nicht mehr geltend gemacht werden können. 17

 

IV. Neuregelung des § 43 a Abs. 4 durch die BRAO-Reform 18

Die bisherige aus einem Satz bestehende Regelung wird neu und umfassend über drei Absätze formuliert. § 43 a Abs. 4 bis Abs. 6 BRAO lauten künftig:

(4) Der Rechtsanwalt darf nicht tätig werden, wenn er einen anderen Mandanten in derselben Rechtssache bereits im widerstreitenden Interesse beraten oder vertreten hat. Das Tätigkeitsverbot gilt auch für Rechtsanwälte, die ihren Beruf gemeinschaftlich mit einem Rechtsanwalt ausüben, der nach Satz 1 nicht tätig werden darf. Ein Tätigkeitsverbot nach Satz 2 bleibt bestehen, wenn der nach Satz 1 ausgeschlossene Rechtsanwalt die gemeinschaftliche Berufsausübung beendet. Die Sätze 2 und 3 sind nicht anzuwenden, wenn die betroffenen Mandanten der Tätigkeit des Rechtsanwalts nach umfassender Information in Textform zugestimmt haben und geeignete Vorkehrungen die Einhaltung der Verschwiegenheit des Rechtsanwalts sicherstellen. Ein Tätigkeitsverbot nach Satz 1, das gegenüber einer Berufsausübungsgesellschaft besteht, entfällt, wenn die Voraussetzungen des Satzes 4 erfüllt sind. Soweit es für die Prüfung eines Tätigkeitsverbots nach Satz 1 oder Satz 2 erforderlich ist, dürfen der Verschwiegenheitspflicht unterliegenden Tatsachen einem Rechtsanwalt auch ohne Einwilligung des Mandanten offenbart werden.

(5) Absatz 4 Satz 1 gilt entsprechend für die Tätigkeit als Referendar im Vorbereitungsdienst im Rahmen der Ausbildung bei einem Rechtsanwalt. Absatz 4 Satz 2 ist nicht anzuwenden, wenn dem Tätigkeitsverbot nach Absatz 4 Satz 1 eine Tätigkeit als Referendar nach Satz 1 zugrunde liegt.

(6) Absatz 4 Satz 1 gilt entsprechend für ein berufliches Tätigwerden des Rechtsanwalts außerhalb des Anwaltsberufs, wenn für ein anwaltliches Tätig-werden ein Tätigkeitsverbot nach Abs. 2 Satz 1 bestehen würde.

Mit der Neuregelung zu § 43 a Abs. 4 a.F. BRAO wird die bisherige Kurzfassung durch eine ausdifferenzierte Vorschrift ersetzt, die auch Sozietätsfälle regelt. Im Einzelnen:

Das in § 43 a Abs. 4 BRAO a. F. hineininterpretierte ungeschriebene Tatbestandsmerkmal „in derselben Rechtssache“ wird in den Gesetzestext aufgenommen. Absatz 4 Satz 1 n.F. ist im Übrigen wortgleich zu § 3 Abs. 1 BORA formuliert.

In § 43 a Abs. 4 BRAO n.F. wird jetzt bei der Sozietätserstreckung nicht mehr von der „Berufsausübung in der Berufsausübungsgesellschaft“, sondern von der „gemeinschaftlichen Berufsausübung“ gesprochen. Durch diese Änderung soll – so die Gesetzesbegründung – klargestellt werden, dass nicht nur die Gesellschafterinnen und Gesellschafter von Berufsausübungsgesellschaften erfasst sind, sondern auch deren angestellte Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte. Außerdem gilt die Norm jetzt auch für die angestellten Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte von Einzelanwältinnen und -anwälten sowie die freien Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Kanzleien. Ausdrücklich ausgenommen bleibt die Bürogemeinschaft. Sie soll von der Sozietätserstreckung nicht erfasst werden.

§ 43 a Abs. 4 Satz 4 BRAO n.F. sieht wie § 3 Abs. 2 BORA die Möglichkeit vor, dass die beteiligten Mandanten in Textform der Übernahme eines widerstreitenden Mandats zustimmen, wobei es auf entgegenstehende „Belange der Rechtspflege“ nicht mehr ankommt, jetzt aber zusätzlich verlangt wird, dass „geeignete Vorkehrungen die Einhaltung der Verschwiegenheit sicherstellen“.

Für Kanzleiwechsler stellt § 43 a Abs. 4 Satz 3 BRAO nun klar, dass ein Rechtsanwalt, den aufgrund persönlicher Mandatsbefassung ein Tätigkeitsverbot trifft, dieses für die aufnehmende Kanzlei fortbesteht, die dann ein betreutes kollidierendes Mandat nicht weiterführen oder neu annehmen darf. Für die abgebende Kanzlei stellt Satz 3 BRAO klar, dass deren Rechtsanwälte an das Tätigkeitsgebot gebunden bleiben. Bei nicht persönlicher Mandatsbefassung des Kanzleiwechslers erstreckt sich ein Tätigkeitsverbot nicht auf die Rechtsanwälte der aufnehmenden Kanzlei. 19

§ 43 a Abs. 4 Satz 5 BRAO n.F. regelt eine mögliche Interessenkollision für den Referendar, der nach seiner Zulassung als Rechtsanwalt in widerstreitendem Interesse zu einem Mandat tätig wird, das er als Referendar bearbeitet hatte. Eine sozietätsweite Erstreckung seines Tätigkeitsverbotes auf die gesamte Kanzlei erfolgt indes nicht.

 

V. Was kommt nicht?

Im Gesetzgebungsverfahren zur BRAO-Reform war zunächst auch eine Verschärfung des Verbots der widerstreitenden Interessen bei vertraulichen Informationen aus einem anderen Mandat vorgesehen.  Diese Regelung im § 43 a Abs. 4 BRAO-E war in den Beratungen umstritten und ist ebenso wie im § 45 Abs. 2 BRAO-E wieder ersatzlos gestrichen worden.

 

VI. Fazit und Ausblick

Das Verbot der Vertretung widerstreitender Interessen gehört zu Grundpflichten, die ein Rechtsanwalt als „Organ der Rechtspflege“ (§ 1 BRAO) zu beachten hat. Die Vertretung widerstreitender Interessen kann für einen Rechtsanwalt strafrechtliche, berufsrechtliche und zivilrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen. Wer ein solches Risiko nicht eingehen möchte, sollte die konkrete Situation stets gründlich prüfen und im Zweifelsfall auf das Mandat verzichten.

Dass die große BRAO-Reform auch das Verbot widerstreitender Interessen regelt und sich das Tätigkeitsverbot bei Interessenkollision auch auf die Sozietät erstreckt, ist zu begrüßen. Es bleibt abzuwarten, wie sich die bisher einzelfallbezogene Rechtsprechung hierauf einstellt.

 

1 BGH NJW 2012, 3039
2 Henssler in Henssler/Prütting, BRAO, 5. Aufl., Rz. 172 c zu § 43 a
3 Henssler, AnwBl 2018, 342, 346 f.; BVerfG NJW 2003, 2521 – Sozietätswechsler; BVerfG NJW 2006, 2469; BGH Beschl. vom  09.02.2012, BeckRS 2012, 06067
4 Weyland/Träger, BRAO, 10. Aufl., § 43 a, Rz. 66; Henssler/Prütting, a.a.O., Rz. 186 a
5 Henssler/Prütting, a.a.O, Rz. 171;
6 Henssler/ Prütting, a.a.O., Rz.169 f.
7 siehe unten Fußnote 17
8 Henssler/Prütting, a.a.O, Rz. 171; Geier/Wolf/Göcken, Anwaltliches Berufsrecht, 3. Aufl., § 3 BORA, R7. 33
9 BGH NJW 2020, 3451; Henssler/Prütting, a.a.O, Rz. 199; -Weyland/Träger, a.a.O., Rz. 61 f.
10 vgl. Gaier/Wolf/Göcken, a.a.O., § 43 a, Rz. 46
11 Henssler/Prütting, a.a.O, R7. 181
12 Diller, AnwBl 2021, 162
13 Schnapp, AnwBl. 2021, 223; Diller, AnwBl Oneline, 2021, 1–4
14 Schnapp, AnwBl, a.a.O.
15 BGH NJW 2012, 3039 Rz.5
16 Deckenbrock, AnwBl Online, 2018, 209
17 BGH NJW 2016, 2561; BGH NJW-RR 2017, 1459
18 Gesetz zur Neuregelung des Berufsrechts der anwaltlichen und steuerberatenden Berufsausübungsgesellschaften sowie zur Änderung weiterer Vorschriften im Bereich der rechtsberatenden Berufe vom 07.07.2021, BGBl.2021 I, 2363; Inkrafttreten zum 01.08.2022
19 vgl. Meinungsstreit Henssler in Henssler/Prütting a.a.O. Rz. 36 zu § 3 BORA

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Umgang mit elektronischen Empfangsbekenntnissen (eEB)

Elektronische Empfangsbekenntnisse

erschienen im KammerReport 3-2021 | 24.09.2021

Da in der Nachrichtenübersicht bislang nicht sichtbar war, ob eEB-Anfragen in eingehenden Nachrichten vorliegen, diese bereits abgegeben oder abgelehnt wurden, wurde zur Verbesserung  mit der beA-Version 3.7 die Option eingeführt, in der Nachrichtenübersicht eine Spalte „eEB“ zu ergänzen. In dieser Spalte wird der Status von eEB-Anforderungen jeweils mit einem Symbol in Ampelfarbe angezeigt. Gekennzeichnet wird, ob für eine betreffende Nachricht ein eEB angefordert (gelbes Symbol), ein solches bereits abgegeben und erfolgreich versendet (grünes Symbol) oder abgelehnt und erfolgreich versendet (rotes Symbol) wurde.

Für Nutzer, die bisher keine Anpassung an ihrer Standard-Spaltenauswahl getroffen haben, wird die neue Spalte „eEB“ automatisch mit der neuen beA-Version 3.7 angezeigt. Die neue Spalte „eEB“ kann für einen Ordner (z. B. Posteingang) der Nachrichtenübersicht manuell in der Spaltenauswahl hinzugefügt und darin positioniert werden. Aktivieren Sie hierzu unter „Sonstige Funktion“ die „Spaltenauswahl“. In dem Fenster, das sich daraufhin öffnet, können Sie die Spalte „eEB“ unter „Alle Spalten“ auswählen. Mit der Schaltfläche „>“ können Sie die eEB-Spalte in Ihre aktuelle Auswahl übernehmen und daran anschließend an die von Ihnen gewünschte Position nach oben oder unten verschieben. Nach dem Speichern der gewählten Spaltenauswahl erscheint dann die zusätzliche Spalte an der ausgewählten Position. Das Hinzufügen der neuen Spalte „eEB“ kann auch für weitere Ordner ausgeführt werden. Die Spaltenauswahl wird auf die Unterordner übertragen.

Erstellen einer eEB-Antwort zu einer eingehenden eEB-Anfrage

Bisher konnte ein Benutzer der beA-Webanwendung zu einer eingehenden eEB-Anfragen mehrere – auch widersprüchliche – eEB-Antworten abgeben. Mit der beA-Version 3.7 kann auf eine eEB-Anfrage nur noch einmal geantwortet werden. Das eEB kann wie bisher entweder abgeben oder abgelehnt werden. Nach Abgabe oder Ablehnung einer eingehenden eEB-Anfrage und erfolgtem erfolgreichen Nachrichtenversand ändert sich der eEB-Status der Nachricht mit der eingehenden eEB-Anfrage in der Nachrichtenübersicht. Die Statusänderung nach erfolgreichem Nachrichtenversand wird aber erst nach einer Aktualisierung der Nachrichtenübersicht sichtbar, z. B. dadurch, dass Sie den „Gesendet“-Ordner aufrufen und dann zum Posteingang zurückkehren. Wenn der Nachrichtenversand der eEB-Antwort zu einer eEB-Anfrage erfolgreich war, können Sie danach keine weitere eEB-Antwort zu dieser eEB-Anfrage versenden.

 

Verbesserte Anzeige von Nachrichten mit eingehenden eEB-Anfragen

Wurde für eine Nachricht bereits ein eEB abgegeben und versendet, dann erscheint in der geöffneten Nachricht der eEB-Anfrage die Schaltfläche “Abgabe öffnen”. Mit Klick auf diese Schaltfläche öffnet sich direkt die zugehörige und bereits versendete Antwortnachricht, sofern diese Antwortnachricht noch nicht endgültig aus dem Postfach gelöscht wurde. In der Abgabenachricht können Sie sich das eEB durch Betätigung der Schaltfläche „Anzeigen“ ansehen.

Wurde für eine Nachricht bereits ein eEB abgelehnt und die Ablehnung versendet, dann erscheint analog dazu in der geöffneten Nachricht der eEB-Anfrage die Schaltfläche “Ablehnung öffnen”. Mit Klick auf diese Schaltfläche öffnet sich direkt die zugehörige und bereits versendete Antwortnachricht, sofern diese Antwortnachricht noch nicht endgültig gelöscht wurde. In der Antwortnachricht können Sie sich die Ablehnung der eEB-Anfrage durch Betätigung der Schaltfläche „Anzeigen“ ansehen.

Wie bisher sollten Sie alle Nachrichten mit eEB-Anforderungen und alle Nachrichten mit eEB-Antworten aus Ihrem beA-Postfach vor dem Löschen der betreffenden Nachrichten für Ihre Handakte exportieren. Ein Video, in dem die dargestellten Schritte erklärt sind, können Sie hier aufrufen: youtu.be/7xvxfNc-BYE

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Große BRAO-Reform tritt zum 01.08.2022 in Kraft

Große BRAO-Reform

erschienen im KammerReport 3-2021 | 24.09.2021

Das Gesetz zur Neuregelung des Berufsrechts der anwaltlichen und steuerberatenden Berufsausübungsgesellschaften sowie zur Änderung weiterer Vorschriften im Bereich der rechtsberatenden Berufe tritt am 1.8.2022 in Kraft. Nachdem das auch als „große BRAO-Reform“ bezeichnete Vorhaben Ende Juni vom Bundestag verabschiedet worden war, wurde es am 12.7.2021 im Bundesgesetzblatt verkündet und kann daher, wie in Art. 36 I des Gesetzes vorgesehen, im Sommer nächsten Jahres in Kraft treten.

Damit kommt die umfassendste Reform des Berufsrechts für die Anwaltschaft seit Inkrafttreten der BRAO im Jahr 1994. Das neue Gesetz führt insbesondere im Bereich des anwaltlichen Gesellschaftsrechts zu erheblichen Veränderungen. Es beinhaltet u.a. Änderungen für die berufliche Zusammenarbeit mit Angehörigen anderer Berufe, trifft eine differenzierte Regelung zum Verbot der Vertretung widerstreitender Interessen, erlaubt Syndikusrechtsanwältinnen und Syndikusrechtsanwälten unter bestimmten Voraussetzungen die Beratung von Kunden ihres Arbeitgebers und führt für zugelassene Berufsausübungsgesellschaften obligatorisch ein besonderes elektronisches Anwaltspostfach (beA) ein.

Neuregelungen für die berufliche Zusammenarbeit

Der Katalog der zulässigen Rechtsformen der Berufsausübungsgesellschaften wird erheblich erweitert: Ab dem 01.08.2022 sind alle Gesellschaftsformen nach deutschem Recht, einschließlich der Handelsgesellschaften, sowie europäische Gesellschaften und Gesellschaften, die nach dem Recht eines Mitgliedsstaates der EU oder eines Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum zulässig sind, gestattet. Für Berufsausübungsgesellschaften nach dem Gesellschaftsrecht eines Staates, der Nichtmitgliedstaat der Europäischen Union oder Vertragsstaat des Abkommens über den europäischen Wirtschaftsraum ist, gilt § 207a BRAO n.F. Die künftig zulässigen Rechtsformen von Berufsausübungsgesellschaften zur gemeinsamen Berufsausübung sind in § 59b Abs. 2 BRAO n.F. aufgeführt. Da § 59i BRAO n.F. künftig auch Beteiligungen von Rechtsanwaltsgesellschaften an anderen Gesellschaften erlaubt, werden insbesondere auch die Rechtsanwalts-GmbH & Co.KG sowie Rechtsanwalts-UG & Co.KG möglich. Die Öffnung der Personenhandelsgesellschaften ist durch das parallel mit der BRAO-Reform verabschiedete, aber erst zum 01.01.2024 in Kraft tretende Gesetz zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts ausdrücklich vorgesehen, soweit das jeweilige Berufsrecht dies zulässt; durch die neue Regelung des § 59b Abs. 2 BRAO n.F. wird diese Möglichkeit für Rechtsanwaltsgesellschaften schon ab August 2022 eröffnet.

Die Berufsausübungsgesellschaften müssen zukünftig nach § 59f Abs. 1 S. 1 BRAO n.F. von den zuständigen Rechtsanwaltskammern zugelassen werden. Keiner Zulassung bedürfen gem. § 59f Abs. 1 S. 2 BRAO n.F. Personengesellschaften ohne Beschränkung der persönlichen Haftung der Gesellschafter, welche allerdings einen freiwilligen Antrag auf eine Zulassung stellen können (§ 59f Abs. 1 S. 3 BRAO n.F.), denn nur als zugelassene Berufsausübungsgesellschaft besteht die Möglichkeit, ein besonderes elektronisches Anwaltspostfach zu erhalten.

Durch § 59c BRAO n.F. wird der Kreis der Angehörigen sozietätsfähiger Berufe, die sich zusammenschließen können, erheblich ausgeweitet. Die aktuell gültige Regelung in § 59a BRAO sieht vor, dass sich Rechtsanwälte mit Mitgliedern einer Rechtsanwaltskammer und der Patentanwaltskammer, mit Steuerberatern, Steuerbevollmächtigten, Wirtschaftsprüfern und vereidigten Buchprüfern zur gemeinschaftlichen Berufsausübung verbinden dürfen. Diese Regelung wird in § 59c Abs. 1 Nr. 1 BRAO n.F. aufgegriffen. Darüber hinaus ist künftig eine Verbindung mit Angehörigen von Rechtsanwaltsberufen aus anderen Staaten, die nach dem Gesetz über die Tätigkeit europäischer Rechtsanwälte in Deutschland oder nach § 206 BRAO berechtigt wären, sich im Geltungsbereich der BRAO niederzulassen (§ 59c Abs. 1 Nr. 2 BRAO n.F.), gestattet. Zudem ist unter den Voraussetzungen des § 59c Abs. 1 Nr. 3 BRAO n.F. eine Verbindung mit den in § 59c Abs. 1 Nr.1 BRAO n.F. aufgeführten sozietätsfähigen Berufen mit Angehörigen aus anderen Staaten erlaubt. Eine Erweiterung der sozietätsfähigen Berufe auf sämtliche freien Berufe im Sinne des § 1 Abs. 2 PartGG ist in § 59c Abs. 1 Nr. 4 BRAO normiert. Gestattet wird mithin eine Zusammenarbeit mit einer Vielzahl unterschiedlichster Berufsbilder. Allerdings setzt § 59c Abs. 1 Nr. 4 BRAO n.F. voraus, dass die Verbindung mit dem Beruf des Rechtsanwalts, insbesondere mit seiner Stellung als unabhängigem Organ der Rechtspflege, vereinbar ist und das Vertrauen in seine Unabhängigkeit nicht gefährdet wird. Auch die nicht-anwaltlichen Gesellschafter unterliegen nach § 59d BRAO n.F. den anwaltlichen Berufspflichten, d. h. die Pflicht zur Verschwiegenheit und das Verbot der Vertretung widerstreitender Interessen gilt auch für sie.

Durch die Reform wird also eine relativ weitreichende Organisationsfreiheit ermöglicht. Es wurden einheitliche, rechtsformneutrale Regelungen für anwaltliche, patentanwaltliche und steuerberatende Berufsausübungsgesellschaften geschaffen.

Gemäß § 59b Abs. 1 S. 2 BRAO n.F. dürfen sich Rechtsanwälte zur Ausübung ihres Berufs auch in Berufsausübungsgesellschaften organisieren, deren einziger Gesellschafter sie sind, d. h. auch Ein-Personen-Gesellschaften sind ab Inkrafttreten des Gesetzes zulässig.

Die anwaltliche Unabhängigkeit und die Einhaltung des Berufsrechts sollen dadurch gewährleistet werden, dass die nicht-anwaltlichen Gesellschafter aufgrund der Bestimmung des § 59d BRAO n.F. die anwaltlichen Berufspflichten zu beachten haben.

Die Berufsausübungsgesellschaften werden über die Verweisung in § 59e BRAO n.F. selbst Träger von Berufspflichten. Die Gesellschaft selbst kann zudem zukünftig berufsrechtlichen Sanktionen unterliegen. Zudem sind Sanktionen gegen Leitungspersonen von Berufsausübungsgesellschaften vorgesehen. Hierzu wurden die Vorschriften über das Rügeverfahren und das anwaltsgerichtliche Verfahren entsprechend angepasst.

Berufsausübungsgesellschaften können künftig selbst als Prozess- oder Verfahrensbevollmächtigte beauftragt werden und haben in diesem Fall die Rechte und Pflichten eines Rechtsanwalts, § 59l BRAO n.F.. Die Berufsausübungsgesellschaft ist künftig auch selbst befugt, Rechtsdienstleistungen zu erbringen, wobei sie durch ihre Gesellschafter und Vertreter handeln muss, die wiederum selbst rechtsdienstleistungsbefugt sein müssen, § 59k BRAO n.F.

Durch das neue Gesetz wird erstmals der Begriff der Bürogemeinschaft legaldefiniert. Gemäß § 59q BRAO n.F. können sich Rechtsanwälte zu einer Gesellschaft verbinden, die der gemeinschaftlichen Organisation der Berufstätigkeit der Gesellschafter unter gemeinschaftlicher Benutzung von Betriebsmitteln dient, jedoch nicht selbst als Vertragspartner von rechtsanwaltlichen Mandatsverträgen auftreten soll. Ausdrücklich zugelassen sind künftig auch Bürogemeinschaften mit Personen, die nicht zur Rechtsanwaltschaft zugelassen sind. Ausgeschlossen sind allerdings Verbindungen, die mit der Stellung des Rechtsanwalts als unabhängiges Organ der Rechtspflege nicht vereinbar sind und das Vertrauen in seine Unabhängigkeit gefährdet, dies sieht § 59q Abs. 2 BRAO n.F. ausdrücklich vor. Die anwaltlichen Berufspflichten gelten auch in der Bürogemeinschaft umfassend.

Einrichtung des beA für eingetragene Berufsausübungsgesellschaften

Die eingetragenen Berufsausübungsgesellschaften werden verpflichtend ein besonderes elektronisches Anwaltspostfach erhalten. Gemäß § 31 b BRAO n.F. wird für jede im Gesamtverzeichnis eingetragenen Berufsausübungsgesellschaft ein beA eingerichtet werden. Gleiches gilt für eine im Gesamtverzeichnis eingetragene Zweigniederlassung einer Berufsausübungsgesellschaft, wenn ein entsprechender Antrag gestellt wird; Rechtsanwaltsgesellschaften können sich auf Wunsch weitere Gesellschaftspostfächer einrichten lassen. Das Gesellschaftspostfach wird schließlich, wie auch das beA für Anwältinnen und Anwälte, als schriftformersetzender sicherer Übermittlungsweg i.S.v. § 130a III ZPO anerkannt.

Widerstreitende Interessen

Angesichts der grundlegenden Bedeutung der Berufspflicht des § 43 a Abs. 4 BRAO werden die Grundsätze der Interessenkollision in den Neufassungen der Absätze 4 bis 6 detailliert gesetzlich geregelt; die bisherigen Absätze 5 und 6 werden die Absätze 7 und 8. Nachdem es in § 43a Abs. 4 BRAO bislang schlicht heißt „Der Rechtsanwalt darf keine widerstreitenden Interessen vertreten“, sieht die künftige Regelung in Abs. 4 S. 1 vor, dass ein Rechtsanwalt nicht tätig werden darf, wenn er einen anderen Mandanten in derselben Rechtssache bereits im widerstreitenden Interesse beraten oder vertreten hat.  Das Tätigkeitsverbot wegen Interessenkollision wird durch den neuen Satz 2 auf alle sozietätsangehörigen Anwälte erstreckt. Durch die Erstreckung auf jede Form der „gemeinschaftlichen Berufsausübung“ soll – so die Gesetzesbegründung – klargestellt werden, dass nicht nur die Gesellschafterinnen und Gesellschafter von Berufsausübungsgesellschaften erfasst sind, sondern auch deren angestellte Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte. Außerdem gilt die Norm jetzt auch für die angestellten Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte von Einzelanwältinnen und -anwälten sowie für die freien Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Kanzleien. Ausdrücklich ausgenommen bleibt die Bürogemeinschaft; sie soll von der Sozietätserstreckung nicht erfasst werden. Gemäß der neuen Regelung in Abs. 4 S. 3 bleibt die Sozietätserstreckung eines Tätigkeitsverbots bestehen, wenn der persönlich vorbefasste Anwalt die gemeinschaftliche Berufsausübung beendet.

Das Tätigkeitsverbot greift gem. § 43 Abs. 4 S. 4 BRAO n.F. jedoch nicht, wenn die betroffenen Mandanten nach umfassender Information in Textform zugestimmt haben und geeignete Maßnahmen zur Wahrung der Verschwiegenheit des Anwalts getroffen werden.

Die neue Regelung des Absatz 4 gilt gemäß der neuen Fassung des Absatz 5 entsprechend für die Tätigkeit als Referendar im Vorbereitungsdienst im Rahmen der Ausbildung bei einem Rechtsanwalt sowie gemäß der neuen Fassung des Absatz 6 entsprechend für ein berufliches Tätigwerden des Rechtsanwalts außerhalb des Anwaltsberufs, wenn für ein anwaltliches Tätigwerden ein Tätigkeitsverbot nach Absatz Satz 1 bestehen würde.

Bei der Sozietätserstreckung wird also von der „gemeinschaftlichen Berufsausübung“ gesprochen.

Rechtsberatung durch Syndikusrechtsanwälte

Syndikusrechtsanwältinnen und Syndikusrechtsanwälte dürfen künftig für ihren nicht-anwaltlichen Arbeitgeber, soweit dieser zur Erbringung von Rechtsdienstleistungen berechtigt ist, rechtsberatend gegenüber Dritten tätig werden (§ 46 Abs. 6 BRAO n.F.). Eine Beratung Dritter war für sie bisher nur in engen Grenzen zulässig. Künftig dürfen sie Rechtsdienstleistungen für die Kundschaft ihres nicht-anwaltlichen Arbeitgebers erbringen, sofern dieser zur Erbringung von Rechtsdienstleistungen befugt ist. Sie müssen in solchen Fällen die von ihnen beratenen Personen darauf hinweisen, dass es sich hierbei um keine anwaltliche Beratung i.S.d. § 3 BRAO handelt und sie sich nicht auf das Zeugnisverweigerungsrecht nach § 53 StPO berufen können. Durch § 46 Abs. 6 S. 3 BRAO n.F. wird klargestellt, dass es sich hierbei nicht um anwaltliche Tätigkeit im Sinne des § 46 Abs. 2 S. 1 BRAO handelt. Dadurch wird ausgeschlossen, dass die Begründung eines Antrags auf Zulassung als Syndikusrechtsanwalts auf derartige Tätigkeit gestützt wird.

Einführung der Fortbildungspflicht im Berufsrecht für neu zugelassene Anwälte

In der neu eingeführten Vorschrift des § 43f BRAO n.F. wird geregelt, dass Anwältinnen und Anwälte zukünftig Kenntnisse im Berufsrecht erwerben müssen. Dabei wurde der Erwerb von Kenntnissen im Berufsrecht bewusst nicht als Zulassungsvoraussetzung ausgestaltet, sondern als Berufspflicht. Sie müssen mindestens zehn Zeitstunden Berufsrecht spätestens am Ende des ersten Jahres der Zulassung gehört haben. Angerechnet werden auch Lehrveranstaltungen in den vergangenen sieben Jahren vor der Zulassung. Damit werden die anwaltsrechtlichen Vorlesungen im Studium sowie die anwaltsrechtlichen Arbeitsgemeinschaften im Referendariat aufgewertet. Die neue Regelung wird bereits zugelassene Anwältinnen und Anwälte nicht erfassen.

Änderung der Patentanwaltsordnung und des Steuerberatergesetzes

Parallel wurden mit dem Gesetzespaket außerdem eine Reihe weiterer Gesetze geändert, darunter die Patentanwaltsordnung und das Steuerberatergesetz. Auch für Patentanwältinnen und Patentanwälte sowie für Steuerberaterinnen und Steuerberater wurden u. a. die Vorschriften über die berufliche Zusammenarbeit geändert und eine Reihe weiterer Änderungen vorgenommen. Für Steuerberaterinnen und Steuerberater und auch für zugelassene Steuerberatungsgesellschaften wird ein besonderes elektronisches Steuerberaterpostfach eingeführt, das dem beA entspricht und wie dieses als Schriftformersatz fungieren soll.

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Die Ausbildungsvergütung von Rechtsanwalts- und Rechtsanwalts- und Notarfachangestellten

Ausbildungsvergütung

Vom Status quo und der Frage nach dem Nachholbedarf

erschienen im KammerReport 3-2021 | 24.09.2021

Rechtsanwältin Julia Püngel, Rechtsanwaltskammer Hamm

Zum 1.1.2020 wurde das Berufsbildungsgesetz (BBiG) reformiert und § 17 BBiG, der die Vergütung regelt, neu gefasst. Durch diese Regelung wird nunmehr eine Mindestvergütung für Auszubildende gesetzlich festlegt. Im Gesetzesentwurf der Bundesregierung heißt es hierzu: „Die Mindestvergütung soll (…) Auszubildende besser als durch die bisherige Generalklausel vor Vergütungen schützen, die als nicht mehr angemessen angesehen werden können. Die Mindestvergütung konkretisiert die Verpflichtung von Betrieben, eine „angemessene“ Ausbildungsvergütung zu zahlen.“ Die Notwendigkeit, den Ausbildungsmarkt durch die Einführung eines Mindestlohns zu stärken und zu sichern, wurde damit erkannt und umgesetzt.

 

Mindestvergütung und Vergütungsempfehlungen der Rechtsanwaltskammern

Die Mindestvergütung für Auszubildende gem. § 17 II BBiG beläuft sich für das Jahr 2021 monatlich auf 550 Euro für das erste Ausbildungsjahr, 649 Euro für das zweite Ausbildungsjahr und 743 Euro für das dritte Ausbildungsjahr.

Im Vergleich hierzu stehen die Vergütungsempfehlungen, die die einzelnen Rechtsanwaltskammern vorgeben können und die gemäß der Rechtsprechung des BAG um bis zu 20 % unterschritten werden dürfen und dann immer noch als „angemessen“ gelten (BAG, Urt. v. 16.7.2013 – 9 AZR 784/11). Hierdurch kann unter Umständen ein Spannungsverhältnis entstehen, da die Vergütungsempfehlung der Kammern abzüglich 20 % über der gesetzlichen Mindestvergütung liegen können und daher unklar ist, welche Ausbildungsvergütung maßgeblich ist. Wenn eine solche Kollision auftritt, bleibt der von der Rechtsprechung erteilte verbindliche Charakter der Kammerempfehlungen (ganz im Sinne der Auszubildenden) grundsätzlich bestehen und verliert nicht ohne Weiteres an Geltung.

Die Durchschnittsempfehlungen der Kammern (ohne einen Abzug von 20 %) liegen aktuell pro Monat bei 708 Euro für das erste Ausbildungsjahr, 795 Euro für das zweite Ausbildungsjahr und 886 Euro für das dritte Ausbildungsjahr und damit über der gesetzlichen Vergütung.

 

Der Status Quo: Gehaltssituation von Auszubildenden in Kanzleien

Der Ergebnisbericht zu STAR 2020 (Statistisches Berichtssystem für Rechtsanwälte) für das Wirtschaftsjahr 2018 beschäftigt sich mit wirtschaftlichen personen- und kanzleibezogenen Daten, die über Rechtsanwaltskanzleien erhoben werden. Ein Zusatzteil dieser Umfrage bezieht sich auf Auszubildende zum/r Rechtsanwalts- bzw. Rechtsanwalts- und Notarfachangestellten. Einen der Schwerpunkte bildet die Vergütung, wobei dabei insbesondere zwischen der Kanzlei- und der Ortsgröße differenziert wird.

Die Umfrage ergibt, dass sich das Durchschnittseinkommen der Auszubildenden zur/m Rechtsanwalts- und Rechtsanwalts- und Notarfachangestellten im Jahr 2018 im Bundesgebiet auf 7.200 Euro im ersten Ausbildungsjahr (600 Euro pro Monat), 8.300 Euro im zweiten Ausbildungsjahr (692 Euro pro Monat) und 9.400 Euro im dritten Ausbildungsjahr (783 Euro pro Monat), belief. Dabei wird im westlichen Bundesgebiet wesentlich mehr gezahlt als im Osten (etwa 1.000 Euro mehr pro Jahr).

Die größten Unterschiede hinsichtlich der Vergütung sind allerdings im Verhältnis zwischen Einzelkanzlei und Sozietät und zwischen Klein- und Großstadt zu verzeichnen. Demzufolge zahlen Sozietäten mehr als Einzelkanzleien. Die Höhe der Vergütung steigt mit der Anzahl der tätigen Berufsträger innerhalb einer Kanzlei. So liegt die jährliche Durchschnittsvergütung in der Kanzlei eines Einzelanwalts bei 6.700 Euro im ersten Ausbildungsjahr. Anwaltsbüros mit bis zu fünf Anwälten zahlen bis zu 7.200 Euro, wohingegen Kanzleien, die mehr als 20 Anwälte beschäftigen, im ersten Ausbildungsjahr eine Vergütung von insgesamt 8.700 Euro zahlen. Ein derartiger Unterschied ist auch im zweiten und dritten Ausbildungsjahr zu vermerken.

Beim Vergleich Stadt vs. Land gilt der Grundsatz: Je größer die Stadt, desto höher die Vergütung. So werden in einer Kleinstadt mit bis zu 20.000 Einwohnern im ersten Ausbildungsjahr 6.700 Euro als Durchschnittsgehalt gezahlt. In mittelgroßen Städten mit bis zu 100.000 Einwohnern wird etwas mehr gezahlt, nämlich 6.900 Euro. In Großstädten ab 500.000 Einwohnern beläuft sich die Vergütung auf 7.900 Euro im ersten Ausbildungsjahr. Diese Abweichungen gelten auch für das zweite und dritte Ausbildungsjahr.

Im STAR-Ergebnisbericht wurden darüber hinaus Daten über sonstige Auszubildende erhoben, die in Rechtsanwaltskanzleien beschäftigt sind, für die die Rechts-anwaltskammern aber nicht zuständig sind (z. B. Kauffrau/-mann für Büromanagement). Auffällig hierbei ist, dass Auszubildende zur/m Rechtsanwalts- und Rechtsanwalts- und Notarfachangestellte im Vergleich hierzu weniger verdienen. Das Durchschnittseinkommen von anderen Auszubildenden liegt im gesamten Bundesgebiet bei 9.300 Euro im ersten Ausbildungsjahr, 10.500 Euro im zweiten Ausbildungsjahr und 11.500 Euro im dritten Ausbildungsjahr. Damit verdienen sonstige Auszubildende einer Kanzlei im Durchschnitt über 2.000 Euro mehr pro Jahr als das angehende Fachpersonal.

 

Nachholbedarf und Anlass zur Trendwende

Dieser Trend ist mit Skepsis zu betrachten. Die Ausbildungszahlen in diesem Berufszweig sinken stetig, der Fachkräftemangel hingegen steigt. Es verwundert daher sehr, dass andere Auszubildende in den Kanzleien mehr verdienen als Rechtsanwalts- und Rechtsanwalts- und Notarfachangestellte.

Die Vergütungshöhe könnte ein Faktor sein, um die Attraktivität und die Anerkennung dieses Berufsbildes zu steigern und junge Leute damit wieder für diesen Beruf zu interessieren und zu motivieren. Hier besteht gerade auf dem Land und in mittelgroßen Städten, wie oben angezeigt, noch Luft nach oben, da hier im Jahr 2018 knapp der heutige Mindestlohn gezahlt wurde. Um dem Fachkräfte- und Auszubildendenmangel dort entgegenzuwirken, könnte eine adäquate Erhöhung und Anpassung der Vergütung ein geeignetes Instrument sein, um den Berufszweig auch in diesen (strukturschwachen) Gegenden aufrechtzuerhalten.

 

Bundesprogramm „Ausbildungsplätze sichern“

Um den Ausbildungsmarkt trotz der weiterhin andauernden Corona-Krise zu sichern und zu stabilisieren, hat die Bundesregierung das Bundesprogramm „Ausbildungsplätze sichern“ mittlerweile zweimal erweitert und ergänzt. Im Ergebnis haben sich nicht nur die Förderzeiträume verlängert, sondern auch die Zuschussprämien erhöht. Insgesamt gibt es nunmehr fünf Maßnahmen des Förderprogramms:

  • die Ausbildungsprämie,
  • die Ausbildungsprämie plus,
  • die Zuschüsse zur Vermeidung von Kurzarbeit,
  • die Übernahmeprämie und
  • den Lockdown-II-Sonderzuschuss für Kleinstunternehmen.

Die Zuschüsse belaufen sich von 4.000 Euro auf bis zu 6.000 Euro, abhängig von der jeweiligen Fördermaßnahme.

Die Ausbildungsbetriebe sollen trotz der Corona-Pandemie dazu angehalten werden, weiterhin Auszubildende einzustellen und die Anzahl an Auszubildenden aus den Vorjahren zu halten und/oder zu erhöhen. Des Weiteren wird darauf hingewirkt, dass Auszubildende, die aufgrund wirtschaftlicher Probleme oder einer coronabedingten Insolvenz des Ausbildungsbetriebs gekündigt werden, von anderen Betrieben übernommen werden. Diese Betriebe erhalten hierfür eine entsprechende Förderung. Nach der Abänderung der Ersten Förderrichtlinie können nun auch Zuschüsse für das Ausbildergehalt beantragt werden. Zudem werden Auftrags- oder Verbundausbildungen finanziell unterstützt.

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Die aktive Nutzungspflicht steht vor der Tür.*

Aktive Nutzungspflicht

erschienen im KammerReport 3-2021 | 24.09.2021

Rechtsanwalt Dr. Alexander Siegmund, München

Lange ist es nicht mehr hin. Am 1.1.2022 gilt in den meisten Prozessordnungen bundesweit die sogenannte aktive Nutzungspflicht. Das bedeutet für die Anwaltschaft, dass Schriftsätze nur noch als elektronische Dokumente bei den Gerichten eingereicht werden dürfen, da sie ansonsten unheilbar unwirksam sind. Nur in Ausnahmefällen bleibt die herkömmliche Übermittlung wie bspw. per Telefax zulässig, wenn ein technischer Ausfall unverzüglich glaubhaft gemacht wird. Die Kolleginnen und Kollegen sind daher dringend aufgerufen, sich so schnell wie möglich mit den neuen Bestimmungen vertraut zu machen und ihre Kanzlei auf die elektronische Kommunikation auszurichten. Ansonsten drohen unvermeidlich Haftungsfälle.

 

Aktive Nutzungspflicht – was ist das?

Der Begriff der aktiven Nutzungspflicht findet sich nicht im Gesetz. Er ist genau betrachtet sogar ein wenig schief. Er soll bedeuten, dass die Prozessbevollmächtigten verpflichtet sind, ihre Schriftsätze und Anlagen, Anträge und Erklärungen etc. als elektronische Dokumente zu speichern und „aktiv“ an die Gerichte auf elektronischem Weg zu übermitteln. Die „Nutzung“ eines bestimmten Kommunikationsmittels wie bspw. des beA ist aber gerade nicht vorgeschrieben. Sinn und Zweck der Nutzungspflicht ist es, die Vorteile des elektronischen Rechtsverkehrs nicht dadurch zu beeinträchtigen, dass ein Teil der Anwälte weiterhin Papierdokumente an die Gerichte übersendet, die dann dort zu erheblichen Druck- und Scanaufwänden führen. 1 Spätestens ab 1.1.2026 arbeiten die Gerichte nämlich ausschließlich mit der digitalen Akte (vgl. bspw. § 298a Abs. 1a S. 1 ZPO).

Die Pflichten im Zusammenhang mit dem elektronischen Rechtsverkehr wurden mit dem Gesetz zur Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten vom 10. Oktober 2013 2 eingeführt und mit dem Gesetz zur Einführung der elektronischen Akte in der Justiz und zur weiteren Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs vom 5. Juli 2017 3 erweitert. Die Einführung des elektronischen Rechtsverkehrs sollte dabei im wesentlich bundeseinheitlich und schrittweise erfolgen. So trat am 1.1.2018 bereits die „passive Nutzungspflicht“ in Kraft. Sie wird als reine Berufspflicht in § 31a Abs. 6 BRAO geregelt und verpflichtet zur Nutzung des beA, aber nur in Bezug auf den Empfang und damit auf der Passivseite.

Die aktive Nutzungspflicht tritt zum 1.1.2022 in Kraft. Sie wird geregelt sein in folgenden Prozess- bzw. Verfahrensordnungen: § 130d ZPO, § 14b FamFG, § 46g ArbGG, § 65d SGG, § 55d VwGO, § 52d FGO und § 32d StPO (vgl. auch in Verbindung mit § 110c OWiG). Dokumente, für die die Schriftform (vgl. § 130 Nr. 6 Hs. 1 ZPO) vorgeschrieben ist, müssen dann elektronisch eingereicht werden. Lediglich Verteidiger sollen ihre Schriftsätze als elektronisches Dokument übermitteln. Nur die Berufung und ihre Begründung, die Revision, ihre Begründung und die Gegenerklärung sowie die Privatklage und die Anschlusserklärung bei der Nebenklage müssen als elektronisches Dokument übermittelt werden.

Aufgrund Verordnungsermächtigung konnten zwei Bundesländer die Nutzungspflicht bereits vorab in Kraft treten lassen. Bereits seit dem 1.1.2020 gilt sie in Schleswig-Holstein für den Bereich der Arbeitsgerichtsbarkeit und seit dem 1.1.2021 in Bremen für alle Fachgerichtsbarkeiten mit Ausnahme des LSG Niedersachsen-Bremen in Celle und der Verwaltungsgerichtsbarkeit.

Beim Einreichen von fristwahrenden Schriftsätzen ist dort also bereits heute höchste Vorsicht geboten.

Dies zeigen die zahlreichen im Wesentlichen ergebnislosen Wiedereinsetzungsanträge, über die mittlerweile entschieden wurde.

Zu beachten ist schließlich, dass es bereits heute weitere Pflichten zur elektronischen Kommunikation gibt. Dazu gehört bspw. die Abgabe des elektronischen Empfangsbekenntnisses (174 Abs. 4 S. 4 ZPO), das Mahnverfahren, § 702 Abs. 2 S. 2 ZPO, und das Einreichen von Schutzschriften, § 945a ZPO in Verbindung mit § 49c BRAO. Besondere Aufregung hat in der Vergangenheit zudem die Rechtsprechung bei Faxproblemen am Tag des Fristablaufs gesorgt: Danach sei auch ein Übermittlungsversuch per beA zu unternehmen. Der BGH hat diese Anforderung mittlerweile ein wenig relativiert: Die Benutzung des beA nach gescheiterter Übermittlung per Telefax sei jedenfalls dann kein zumutbarer, nur geringfügigen Aufwand verursachender alternativer Übermittlungsweg, wenn der Anwalt das beA bisher nicht aktiv zum Versand von Schriftsätzen genutzt habe und mit seiner Nutzung nicht vertraut sei. 4

 

Ausgestaltung der aktiven Nutzungspflicht

Die Form der Einreichung ist eine Frage der Zulässigkeit und daher von Amts wegen zu beachten. Wird die Form nicht gewahrt, ist die Prozesserklärung unwirksam. Im Falle der Klage erfolgt eine Abweisung durch Prozessurteil. Auf die Einhaltung kann auch der Gegner weder verzichten noch sich rügelos einlassen (vgl. § 295 Abs. 2 ZPO). Die Nutzungspflicht gilt dabei grundsätzlich für alle anwaltlichen schriftlichen Anträge und Erklärungen nach der jeweiligen Verfahrensordnung. 5 Eine Heilung bspw. nach § 130a Abs. 6 ZPO kommt nicht in Betracht, weil kein Verstoß gegen die Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen (§ 130a Abs. 2 ZPO in Verbindung mit der ERVV) vorliegt. Eine Wiedereinsetzung wird in der Regel an dem Organisationsverschulden des Anwalts scheitern. Allein die Unkenntnis der Normen zum elektronischen Rechtsverkehr kann kein Entschuldigungsgrund sein. 6

Vorgaben im materiellen Recht wie etwa § 2356 Abs. 1 S. 1 BGB, die die Vorlage von öffentlichen Urkunden oder Ausfertigungen in gerichtlichen Verfahren vorschreiben, bleiben als leges speciales von der allgemeinen Nutzungspflicht elektronischer Kommunikationswege natürlich unberührt. Dasselbe gilt erst recht für die Vorlage von Urkunden, die vom Gericht zu informatorischen Zwecken (§§ 142, 273 Abs. 2 Nr. 5 ZPO) oder zu Beweiszwecken angeordnet worden ist. Ausgeschlossen ist überdies nicht die Einreichung von Papierunterlagen, die im grenzüberschreitenden Rechtsverkehr zur Weiterleitung an eine ausländische Stelle bestimmt sind. Soweit in allen diesen Fällen zusätzlich eine Abschrift der vorzulegenden oder weiterzuleitenden Dokumente in Papierform für die Akten eingereicht werden soll, ist die Pflicht zur Einreichung in elektronischer Form allerdings zu beachten. 7

Ist die elektronische Übermittlung aus technischen Gründen vorübergehend nicht möglich, bleibt die Übermittlung nach den allgemeinen Vorschriften zulässig. Die vorübergehende Unmöglichkeit ist bei der Ersatzeinreichung oder unverzüglich danach glaubhaft zu machen; auf Anforderung ist ein elektronisches Dokument nachzureichen, vgl. bspw. § 130d S. 2 und 3 ZPO. Die nach den allgemeinen Vorschriften zulässigen Einreichungsformen sind dabei die Übermittlung in Papierform oder durch Telefax (vgl. § 130 Nr. 6 Hs. 2 ZPO). Diese Ersatzeinreichung ist nur für die Dauer der Störung zulässig. Dabei spielt es keine Rolle, ob die Ursache für die vorübergehende technische Unmöglichkeit in der Sphäre des Gerichts oder des Anwalts zu suchen ist. 8 Die Möglichkeit der Ersatzeinreichung ist verschuldens-unabhängig ausgestaltet. 9

Die Möglichkeit der Ersatzeinreichung kann vor allem zur Wahrung materiell-rechtlicher Verjährungs- oder Ausschlussfristen erforderlich sein, in die keine Wiedereinsetzung gewährt werden kann und bei denen § 167 ZPO eine Rückwirkung auf den Zeitpunkt des Eingangs bei Gericht vorsieht. Allerdings wird durch die Einschränkung „aus technischen Gründen“ und „vorübergehend“ klargestellt, dass Anwälte hierdurch nicht von der Pflicht entbunden sind, die notwendigen technischen Einrichtungen für die Einreichung elektronischer Dokumente vorzuhalten und bei technischen Ausfällen unverzüglich für Abhilfe zu sorgen. 10

Vor diesem Hintergrund wurde daher auch vorgesehen, dass die technische Unmöglichkeit einschließlich ihrer vorübergehenden Natur glaubhaft zu machen ist. Die Glaubhaftmachung (vgl. § 294 ZPO) soll möglichst gleichzeitig mit der Ersatzeinreichung erfolgen. Jedoch sind Situationen denkbar, bei denen der Rechtsanwalt erst kurz vor Fristablauf feststellt, dass eine elektronische Einreichung nicht möglich ist und bis zum Fristablauf keine Zeit mehr verbleibt, die Unmöglichkeit darzutun und glaubhaft zu machen. In diesem Fall ist die Glaubhaftmachung unverzüglich (ohne schuldhaftes Zögern) nachzuholen. Eine Glaubhaftmachung 17 Tage nach der Störung ist nicht mehr unverzüglich. Die gerichtliche Kenntnis von der Störung des beA zu einem bestimmten Zeitpunkt macht die Glaubhaftmachung der Störung nicht entbehrlich. Glaubhaft gemacht werden muss allein die Tatsache einer technischen Störung zum Zeitpunkt der beabsichtigen Einreichung. Es bedarf keiner weiteren Sachverhaltsaufklärung bspw. zu den Gründen der Störung oder eines Zuwartens aus sonstigen Gründen. Die Glaubhaftmachung muss selbst wirksam (also im Zweifel elektronisch) eingereicht werden. Fehlt die Glaubhaftmachung oder wurde sie formunwirksam durchgeführt, wird auch die Ersatzeinreichung unwirksam. 11

 

Was ist jetzt zu tun?

Sofern Anwälte forensisch tätig sind, sollten sie schnellsten Vorkehrungen treffen, um elektronische Dokumente an die Gerichte formwirksam übermitteln zu können. Dabei können verschiedene zugelassene Übermittlungswege genutzt werden (vgl. § 4 Abs. 1 ERVV) wie bspw. akkreditierte EGVP-Clients oder DE-Mail mit Absenderbestätigung. Am einfachsten dürfte es aber sein, das beA zu verwenden, mit dem auf Empfangsseite ohnehin regelmäßig gearbeitet werden muss. Hierfür ist wenigstens die Anschaffung einer beA Karte Basis erforderlich, die über die Bundesnotarkammer bezogen werden kann. 12 Die zur Bestellung benötigte SAFE-ID kann jeder Anwalt selbst im bundesweiten Gesamtverzeichnis recherchieren. 13

Bei der Nutzung von beA bieten sich zwei Übermittlungsmethoden an, vgl. bspw. § 130a Abs. 3 S. 1 ZPO. Entweder wird das elektronische Dokument mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehen, für die aber wiederum ein entsprechendes Signaturzertifikat anzuschaffen ist (beA Karte Signatur). Oder man macht von der vereinfachten Einreichungsmöglichkeit Gebrauch, die allerdings – so hat es sich mittlerweile gezeigt – fehleranfällig ist. Danach genügt es, wenn das elektronische Dokumente am Ende mit dem Namen der verantwortenden Person versehen wird (einfache Signatur) und eben diese verantwortende Person aus ihrem beA heraus das Dokument selbst an das Gericht versendet.

Machen Sie sich darüber hinaus mit den Anforderungen an die elektronischen Dokumente vertraut, wie sie in der ERVV und der dazu erfolgten Bekanntmachung niedergelegt sind. In der Regel ist das elektronische Dokument in druckbarer, kopierbarer und, soweit technisch möglich, durchsuchbarer Form im Dateiformat PDF zu übermitteln, § 2 Abs. 1 ERVV. Denken Sie auch daran, für den Versand und die nachfolgende Eingangskontrolle organisatorische Anweisungen an Ihre Mitarbeiter zu erteilen, um sich im Falle einer Wiedereinsetzung exkulpieren zu können.

1 Veröffentlichung mit freundlicher Zustimmung durch die RAK München. BT-Drs. 17/12634, S. 27.
2 BGBl. I, S. 3786.
3 BGBl. I, S. 2208.
4 BGH Beschl. v. 17.12.2020 – III ZB 31/20, NJW 2021, 390, Rn. 27.
5 BT-Drs. 17/12634, S. 27.
6 BGH Beschl. v. 15.5.2019, XII ZB 573/18, NJW 2019, 2230 mit weiteren Nachweisen.
7 BT-Drs. 17/12634, S. 27.
8 BT-Drs. 17/12634, S. 27.
9 ArbG Lübeck Urt. v. 1.10.2020 – 1 Ca 572/20, BRAK-Mitt 2021, 122.
10 BT-Drs. 17/12634, S. 28.
11 ArbG Lübeck Urt. v. 1.10.2020 – 1 Ca 572/20, BRAK-Mitt 2021, 122.
12 https://bea.bnotk.de/
13 www.rechtsanwaltsregister.org

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Anwaltliche Sorgfaltspflichten beim Versand per beA

Anwaltliche Sorgfaltspflicht

Wichtige Hinweise aus der Rechtsprechung

erschienen im KammerReport 3-2021 | 24.09.2021

Rechtsanwältin Julia von Seltmann, BRAK, Berlin

In der Rechtsprechung kristallisiert sich heraus, dass die Gerichte strenge Anforderungen an die Prüf- und Sorgfaltspflichten der Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte beim Versand von Nachrichten über das beA stellen. Diese Anforderungen werden im Folgenden am Beispiel von zwei aktuellen Entscheidungen erläutert.

Der BGH setzte sich in seiner Entscheidung vom 11.5.2021 – VIII ZB 9/20 mit den anwaltlichen Sorgfaltspflichten im Zusammenhang mit der Übermittlung von fristgebunden Schriftsätzen per beA auseinander. Er stellte fest, dass die anwaltlichen Sorgfaltspflichten denen bei Übersendung von Schriftsätzen per Telefax entsprechen. Insofern sei es unerlässlich, den Versandvorgang zu überprüfen. Die Überprüfung der ordnungsgemäßen Übermittlung erfordere dabei die Kontrolle, ob die Bestätigung des Eingangs des elektronischen Dokuments bei Gericht nach § 130a V 2 ZPO erteilt worden sei. Habe der Rechtsanwalt eine solche Eingangsbestätigung erhalten, bestehe Sicherheit darüber, dass der Sende-vorgang erfolgreich gewesen sei. Bleibe sie dagegen aus, müsse dies den Rechtsanwalt zur Überprüfung und ggf. erneuten Übermittlung veranlassen.

Doch damit nicht genug. Der BGH äußerte sich auch zum arbeitsteiligen Arbeiten in der Kanzlei: Versende ein Rechtsanwalt fristwahrende Schriftsätze über das beA an das Gericht, habe er in seiner Kanzlei das zuständige Personal dahingehend anzuweisen, dass stets der Erhalt der automatisierten Eingangsbestätigung nach § 130a V 2 ZPO zu kontrollieren sei. Er habe zudem diesbezüglich zumindest stichprobenweise Überprüfungen durchzuführen.

Festzuhalten ist somit, dass es die anwaltliche Sorgfaltspflicht gebietet, den Versandvorgang zu überprüfen. Der BGH klärt in seinem Beschluss auch, wie dies zu erfolgen habe; nämlich durch die Überprüfung der Eingangsbestätigung des Gerichts. Deshalb reiche auch die einfache Anweisung an das Büropersonal, dass eine Frist aus dem Fristenkalender erst nach Überprüfung der Erledigung und Anweisung durch den Rechtsanwalt oder die Rechtsanwältin gestrichen werden dürfe, nicht aus. Erforderlich sei auch eine Anweisung zum „Wie“, also dahingehend, dass stets der Erhalt der automatisierten Eingangsbestätigung nach § 130a V 2 ZPO zu kontrollieren ist, bevor die Frist gestrichen wird.

 

Wie stellt sich der erfolgreiche Versandvorgang in der Praxis der beA-Webanwendung dar?

  1. Öffnen Sie die Nachricht, deren erfolgreichen Versand Sie überprüfen möchten, in Ihrem Ordner „Gesendet“. Oberhalb der Visitenkarte erscheint eine Zeile, die Auskunft über den Versandstatus gibt:

Abb. 1: Nach dem Öffnen einer Nachricht, deren erfolgreichen Versand Sie überprüfen möchten, erscheint diese Zeile.

 

War der Versand der Nachricht erfolgreich – ist sie also auf der Empfangseinrichtung des Gerichts eingegangen – sendet das Gericht eine automatisierte Eingangsbestä-tigung zurück. Diese ist daran zu erkennen, dass unter dem Punkt „Meldungstext“ der Eintrag „Request exe-cuted“ und unter dem Punkt „Übermittlungsstatus“ die Meldung „Erfolgreich“ erscheint. Zudem ist das Zugangsdatum mit Uhrzeit vermerkt.

  1. Wenn Sie das Lupensymbol am Ende der Zeile anklicken, erhalten Sie die „vollständige Zustellantwort“. Auch diese beinhaltet das Zugangsdatum mit Uhrzeit:

Abb. 2: Vollständige Zustellantwort

 

Nach der Entscheidung des BGH empfiehlt es sich, das Kanzleipersonal anzuweisen, dass auf die oben beschriebene Art und Weise die Versandkontrolle erfolgt und erst nach dem bestätigten erfolgreichen Versand etwaige Fristen im Fristenkalender gestrichen werden. Bitte vergessen Sie auch nicht, regelmäßig Stichproben durchzuführen, dass Ihre Anweisungen eingehalten werden.

 

Wann ist eine Signaturprüfung beim Nachrichtenversand erforderlich?

Die Bestätigung über den erfolgreichen Versand der Nachricht reicht indes dann nicht aus, wenn elektronische Dokumente übermittelt werden, die der Schriftform unterliegen. In diesen Fällen ist zusätzlich beim Versand von Nachrichten die Prüfung erforderlich, ob die Schriftform eingehalten wurde. Dies ist der Fall, wenn der Schriftsatz eine gültige qualifizierte elektronische Signatur trägt oder wenn die Nachricht über einen sicheren Übermittlungsweg versandt wird.

Das OLG Braunschweig wies in seinem Beschluss vom 18.11.2020 – 11 U 315/20, darauf hin, dass der Rechtsanwalt sich vor der Absendung einer Berufungsbegründung vergewissern müsse, dass diese eine gültige quali-fizierte elektronische Signatur trage, wenn er den Schriftsatz nicht selbst über sein beA eingereicht habe und es daher an einer Versendung über einen sicheren Übermittlungsweg fehle. Dies gelte auch dann, wenn er beispielsweise eine Kanzleisoftware nutze. Dies entbinde den Rechtsanwalt nicht von der Verpflichtung, Dokumente zur Rechtsmitteleinlegung und -begründung auf ihre Vollständigkeit und Richtigkeit hin zu überprüfen.

 

Die Signaturprüfung in der beA-Webanwendung

  1. Öffnen Sie die Nachricht, die das signierte elektronische Dokument enthält. Die Signaturprüfung kann auch nach dem Versand der Nachricht erfolgen, wenn die Nachricht im Ordner „Gesendet“ geöffnet wird.
  2. Klicken Sie in der Nachrichtendarstellung auf das Feld „Signatur prüfen“.

Abb. 3: Feld „Signatur prüfen“

 

Es wird dann ein Prüfprotokoll mit allen Angaben zu den in der Nachricht enthaltenen Signaturen angezeigt.

 

Was ist im Fehlerfall zu tun?

Sollte entweder der Versand oder die Signaturprüfung kein erfolgreiches Ergebnis liefern, muss der Nachrichtenversand erneut angestoßen werden, bevor die Frist als erledigt gestrichen werden kann. Bei einem Signaturfehler bietet es sich an, nicht einfach nur die Nachricht erneut zu versenden, sondern die qualifizierte elektronische Signatur an den Schriftsatz nochmals anzubringen. Auf jeden Fall muss auch beim erneut angestoßenen Nachrichtenversand und einer nochmals angebrachten Signatur jeweils wieder die Überprüfung des erfolgreichen Versands und der gültigen Signatur durchgeführt werden.

 

Technische Anpassungen im beA

Nachdem nun die erste höchstrichterliche Rechtsprechung dazu vorliegt, welche Sorgfaltspflichten zu beachten sind, wird die BRAK in der laufenden Weiterentwicklung darauf achten, diese Anforderungen technisch so umzusetzen, dass ihre Einhaltung Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten auf benutzerfreundlichere Art und Weise erleichtert wird. Zu denken ist beispielsweise an eine automatische Signaturprüfung beim Nachrichtenversand und eindeutigere Fehlermeldungen.

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