BRAK und DAV: geplante Erhöhung der Anwaltsgebühren ist Schritt in die richtige Richtung

erschienen im KammerReport 4-2024 | 02.10.2024

Ein Mitte Juni vom Bundesministerium der Justiz vorgelegter Referentenentwurf eines Gesetzes zur Änderung des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes und des Justizkostenrechts sieht eine lineare Erhöhung der gesetzlichen Anwaltsgebühren vor. Wertgebühren, die sich nach der Höhe des Streitwerts bemessen, sollen danach um 6 % steigen, Festgebühren um 9 %. Der Entwurf beinhaltet außerdem Erhöhungen der Gerichtskosten, der Gerichtsvollziehergebühren und der Vergütungssätze des Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetzes für Sachverständige und Sprachmittler sowie der Entschädigungssätze für Telekommunikationsunternehmen für Überwachungsmaßnahmen.

Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK) und Deutscher Anwaltverein (DAV) setzen sich gemeinsam für eine Erhöhung der gesetzlichen Anwaltsgebühren ein, die insbesondere dem erheblichen inflationsbedingten Anstieg der Personal- und Sachkosten für Anwaltskanzleien seit der letzten Gebührenanpassung im Jahr 2021 Rechnung trägt. In ihrer gemeinsamen Stellungnahme begrüßen BRAK und DAV, dass mit dem Referentenentwurf des Kostenrechtsänderungsgesetzes 2025 die dringend erforderliche Anpassung der Rechtsanwaltsvergütung in Angriff genommen wird.

Die vorgeschlagene lineare Erhöhung der gesetzlichen Rechtsanwaltsgebühren ist aus Sicht von

BRAK und DAV ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung, wenngleich nicht in der von der Anwaltschaft erhofften Höhe. Kritisch sehen sie jedoch die geringere prozentuale Erhöhung bei Wertgebühren. Begründet wird diese mit einem inflationsbedingten Anstieg der Streitwerte. Diese bleiben jedoch meist in derselben Wertstufe, so dass sich lediglich eine lineare Erhöhung um 6 % ergibt, die damit hinter der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung zurückbleibt.

Der Referentenentwurf enthält daneben auch strukturelle Änderungen in mehreren Bereichen. Mit diesen setzen sich BRAK und DAV in ihrer Stellungnahme ebenfalls auseinander. Sie begrüßen insbesondere die Anhebung des Gegenstandswerts in Kindschaftssachen. Damit wird eine langjährige Forderung von BRAK und DAV umgesetzt. Ebenfalls angehoben werden sollen die Regel-Gegenstandswerte in Abstammungs-, Ehewohnungs- und Gewaltschutzsachen. Dies trägt aus Sicht von BRAK und DAV zwar dem hohen Aufwand in derartigen Fällen besser Rechnung, sie halten allerdings eine weitere Angleichung an den Regelwert für erforderlich.

Ebenfalls angehoben werden soll die Prozesskostenhilfevergütung. BRAK und DAV begrüßen insofern, dass die Gebühren an diejenigen für Wahlanwältinnen und -anwälte weiter angenähert werden. Sie sehen allerdings noch Verbesserungsbedarf. Die Pkh-Vergütung ist der einzige Bereich, in dem die Vergütung nach unten von dem ansonsten geltenden Regelwert von 5.000 Euro abweicht. Eine sachliche Rechtfertigung sehen BRAK und DAV hierfür nicht.

Die BRAK wird auch das weitere Gesetzgebungsverfahren kritisch begleiten.

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Wertschätzung?

erschienen im KammerReport 4-2024 | 02.10.2024

RA Detlef Wendt, Recklinghausen

Diesen Beitrag gestatte ich mir zu schreiben, weil ich immer öfter lesen und hören muss, dass Anwälte und Notare  sich über einen eklatanten Bewerbermangel an Auszubildenden beklagen und, was ich als besonders erstaunlich dabei empfinde, scheinbar vollkommen ratlos sind, was die Ursache dieses Phänomens sein könnte. Vermutlich würde ich mit diesem Beitrag, bezöge er sich auf einen anderen als den freien Beruf, in einem asozialen Netzwerk einen Shitstorm produzieren, der sich gewaschen hätte. Diese Gefahr sehe ich allerdings bei Anwälten und Notaren eher nicht. Gleichgültigkeit ist nämlich in der Angelegenheit, um die es hier geht, eines der hervorstechendsten Merkmale unserer Zunft. Damit meine ich nicht die gegenüber Mandanten, denn von denen leben wir, auch nicht die gegenüber Gerichten, denn von ihnen sind wir, zumindest die meisten von uns, in gewisser Weise abhängig, nein, ich meine die gegenüber den Auszubildenden, den unentbehrlichen Helferlein, deren von uns ihnen entgegengebrachte Wertschätzung von der eines Herrn Düsentrieb gegenüber seinem Helferlein so weit entfernt ist wie die Sonne vom Mond.

Wir, diese elitären Geisteswissenschaftler, die es sich zum Ziel gesetzt haben, Menschen zu helfen, die Sprache, Gestik und Mimik bis ins Kleinste zu  beherrschen glauben, uns mit unserer Ausbildung für prädestiniert halten, große Unternehmen zu leiten, ja sogar Staaten als Kanzler oder Präsidenten vorzustehen und im Übrigen Fortbildungsmaßnahmen ausschließlich dann – und auch in diesem Fall nur in dem gesetzlich vorgeschriebenen Mindestumfang – besuchen, wenn es für die Fortführung eines Fachanwaltstitels notwendig ist, sind offenbar komplette Versager, wenn es darum geht, junge Menschen davon zu überzeugen, diesen Weg mit uns zu gehen, als ernst genommener und wertgeschätzter Mitarbeiter, der uns den bei der Rettung der Welt im Wege stehenden Kleinkram abnimmt, die Telefonate, die Vorgespräche, die Fristenüberwachung, die Schreiben, den Kaffee für die wichtigen Mandanten und die Gänge zu Gericht, zur Post und auch zum Bäcker um die Ecke, wenn wir mal wieder morgens keine Zeit zum Frühstücken hatten.

Ich begann meine Anwaltstätigkeit 1987 zunächst als Angestellter, später als Partner in einer Kanzlei von mehreren Sozien, manchmal drei, dann wieder vier oder fünf, zu Hochzeiten waren wir fast 30 Personen im Büro, incl. Putzfrau, denen die meisten Bosse  einen noch geringeren Stellenwert einräumen als den Auszubildenden; mit denen spricht man sowieso nicht, allenfalls dann, wenn beim Putzen des Schreibtischs ein darauf befindlicher Aktenstapel umgeworfen wurde. Oft wurden bei uns jährlich zwei Auszubildende eingestellt, so dass in manchen Jahren sechs jungen Menschen eine berufliche Perspektive gegeben werden konnte. Bei den Bewerbungsgesprächen bediente man sich zu Anfang meiner Tätigkeit eines Rechtschreibtests, der vermutlich von einem der Seniorpartner kurz nach Gründung der Kanzlei entworfen worden ist. Denn wer mag es leugnen: Korrekte Rechtschreibung ist des A und O aller Schriftsätze und dementsprechend auch aller Mitarbeiter, und wer die nicht beherrschte, hatte in keinem Büro, das etwas auf sich hielt, damit  auch in unserem nicht, etwas verloren. Wer beispielsweise bei der Niederschrift der Wörter Weinbrand und Branntwein versagte, durfte gehen, gelegentlich soll – ich möchte mich für diese Worte allerdings nicht verbürgen – der eindringliche Rat mit auf den Weg gegeben worden sein, es doch bei einem Discounter an der Kasse zu versuchen oder eine Friseurlehre zu beginnen. Ich müsste lügen, wenn ich behauptete, sicher zu sein, nicht ein einziges Mal in über 30 Jahren in einem Schriftsatz die Worte Branntwein und Weinbrand untergebracht zu haben, habe jedoch so große Zweifel, dass es für den Grundsatz in dubio pro reo mehr als ausreichen würde.

Während meiner Tätigkeit habe ich es zum Glück nicht erleben müssen, habe aber vom Hörensagen – selbstverständlich wissen wir alle, wie unzuverlässig diese Weitergabe von Geschehnissen ist, fast noch dubioser als Stille Post – erfahren, dass es vor meiner Zeit durchaus vorgekommen sein soll, dass Auszubildende das Auto eines der Sozien waschen oder mit dessen Hund Gassi gehen durften. Darüber aufgeregt haben wir Junganwälte uns damals allenfalls am Rande, sollten wir es für aus der Zeit gefallen gehalten haben, hatten wir gar keine Lust, intensiver darüber nachzudenken, denn bei einem zehn- bis zwölfstündigen Arbeitstag in einer Sechstagewoche hatten wir Wichtigeres zu tun, als uns um den Ausbildungsstoff der Auszubildenden Gedanken zu machen. Wenn es dann doch einmal gelang, redeten wir uns ein, dass zumindest die erstgenannte Tätigkeit eng mit der Ausbildung verknüpft war, denn jedenfalls damals, also zur guten alten Zeit, fuhr man noch mit dem Auto zu Gericht, und damit war die Fahrzeugpflege Bestandteil der Rechtspflege. Wem die Verbindung zwischen Gassigehen und Ausbildungsstoff nicht sofort geläufig ist, mag an die Tierhalterhaftung in § 833 BGB erinnert werden.

Liebe Kollegen und von mir aus auch -innen (sollten Sie eine genderfreundliche Sprache in diesem Text vermissen, lesen Sie, bevor Sie schimpfen, bitte die Entscheidung des BGH vom 13.03.2018 VI ZR 143/17), machen wir uns nichts vor: Dass Anwälte und Notare unter einem massiven Bewerberschwund für ihre Auszubildenden leiden, haben sie – und ich nehme ausdrücklich geschätzte 5 % der Kollegen hiervon aus, zu denen Sie, der Sie dies gerade lesen, selbstverständlich gehören – ausschließlich selbst verursacht. Wieso? Hier nur einige Gründe:

  1. Die Arbeitszeit. In wie vielen Kanzleien beginnt sie um 8.00 Uhr und endet um 18.00 Uhr, manchmal sogar noch mit anschießendem Gang zur Post? Ach so, in Ihrer nicht, weil sie den Auszubildenden ja zwei Stunden Mittagspause gönnen? Das ist überaus großzügig von Ihnen, und: Wer macht nicht gerne zwei Stunden Mittagspause im Betrieb?
  2. Die Bezahlung. Wie oft musste die Kammer in den letzten 20 Jahren die Vergütungsempfehlung heraufsetzen? Und wie oft wurde und wird nicht einmal die eingehalten? Würden die Anwälte von vornherein eine angemessene Vergütung – und das betrifft leider nicht nur Auszubildende – zahlen, bräuchte man keine Empfehlung der Kammer.
  3. Desinteresse an der Ausbildung. Welcher Anwalt kennt eigentlich die Lehrpläne , die Rahmenbedingungen? Wer hat sich jemals die Lehrbücher angeschaut? Wer hat jemals die Berichtshefte gelesen und mit den Auszubildenden besprochen, und mit Besprechung meine ich nicht die rasche Unterzeichnung beim Rausgehen zu einem Gerichtstermin? Die meisten Anwälte haben nicht einmal eine Ahnung davon, wo genau sich die Berufsschule befindet, wie viele Auszubildende die jeweilige Klasse hat, wer die Lehrer sind und was dort überhaupt gelehrt wird. Und wie viele Anwälte, die doch einmal einen Blick in die von der Schule gestellten Aufgaben gewagt haben, mussten sich eingestehen, dass die Aufgaben teilweise so gehaltvoll sind, dass sie selbst an deren Bearbeitung verzweifeln und ohne eingehendes Studium einschlägiger Kommentare bei der Lösungsfindung hoffnungslos scheitern würden?
  4. Vermutlich das Schlimmste: Fehlende Wertschätzung, das schmerzliche Resultat aus einer Summe von Einzelteilen, zu denen auch die Nrn. 1-3 zählen. Ich will nicht so weit gehen wie ein mir bekannter Angestellter aus der Personalabteilung einer Sparkasse, zu behaupten, dass viele Anwälte ihre Mitarbeiter wie Leibeigene halten, aber: In welcher Kanzlei haben Auszubildende einen eigenen Arbeitsplatz (von einem eigenen Raum will ich gar nicht erst reden)? Seien wir ehrlich: Die meisten von uns machen sich darüber bei Anmietung von Kanzleiräumen nicht einmal den leisesten Gedanken. Und in wie vielen Kanzleien sitzen die Auszubildenden im Archiv oder im Abstellraum, auf einem ausgeleierten Schreibtischstuhl vor einem verschlissenen Kinderschreibtisch, den der Boss von zu Hause mitgebracht hat? Ich komme zum Glück aus einer für unsere örtlichen Verhältnisse als ordentlich (auch in räumlicher Hinsicht) zu bezeichnenden größeren Kanzlei, kenne aber genügend Büros, in denen das der Fall war, und niemand muss mir bitte erzählen, dass das ein Relikt aus der Steinzeit sei und ich keine Ahnung von den heute herrschenden Zuständen hätte.

Auszubildende haben einen Anspruch darauf, ernst genommen, höflich und angemessen behandelt und wertgeschätzt zu werden. Wertschätzung, liebe Kollegen, ist das Zauberwort, und solange es den Anwälten und Notaren daran mangelt, werden ihnen die jungen Menschen die Bude gewiss nicht mehr einrennen. Und sollten Sie einwenden wollen, an Bewerbern mangele es Ihnen gar nicht, nur deren Qualität lasse zu wünschen übrig, ist gerade auch das eine naturgegebene Folge der jahrzehntelangen mäßigen bis schlechten Behandlung. Gute Bewerber geben sich eben nicht mehr mit schlechter Bezahlung, unmöglichen Arbeitszeiten und geringster Wertschätzung zufrieden.

Ich habe mich früher gelegentlich gefragt, warum beispielsweise Banken und Versicherungen die Auszubildenden von Anwaltskanzleien nach bestandener Prüfung regelmäßig mit Kusshand übernommen haben. Darauf angesprochen sagte mir der o.g. Personaler einer Sparkasse, die Erklärung dafür liege auf der Hand: Azubis von Rechtsanwaltskanzleien seien wahrlich nicht verwöhnt, vielen käme es so vor, als wechselten sie von der Leibeigenschaft ins Paradies.

Wir alle (Sie merken, ich schließe mich trotz mehrjährigen Rentnerdaseins nicht aus), die wir uns über das Ausbleiben von Bewerbungen beklagen, haben es versäumt, den Beruf der Notariats- und Rechtsanwaltsfachangestellten attraktiv zu machen, weil wir lange Zeit den Blick für den Menschen, wenn nicht gar verloren, so aber zumindest tief vergraben haben. Ob Ihnen eine archäologische Meisterleistung im Rahmen einer Ausgrabung gelingt, bleibt abzuwarten. Ich drücke Ihnen zwar nicht hoffnungslos, aber durchaus skeptisch meine alten Daumen.

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Weniger Anwälte, mehr Syndizi und Fachanwältinnen und noch mehr BAG

erschienen im KammerReport 3-2024 | 21.06.2024

Die 28 Rechtsanwaltskammern verzeichneten zum Stichtag 01.01.2024 insgesamt 172.514 Mitglieder. Im Vergleich zum Vorjahr (169.388) bedeutet dies insgesamt einen leichten Zuwachs um 3.126 Mitglieder (1,85 %).

Dieser Zuwachs der Gesamtmitglieder basiert im Wesent­lichen auf dem enormen Anstieg der nichtanwaltlichen Mitglieder nach § 60 Abs. 2 Nr. 3 BRAO, gefolgt von den Berufsausübungsgesellschaften (BAG). Aber auch mehr Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte waren Mitglieder der Rechtsanwaltskammern:

Zum Stichtag waren 165.776 Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte* in allen Zulassungsarten zugelassen.

Das entspricht einem Plus von 0,36 % im Vergleich zum Vorjahr (165.186). Somit setzte sich der leichte Rückgang in den Jahren 2021 (165.680; -0,13 %), 2022 (165.587; -0,06 %) und 2023 (165.186; -0,24 %) in der Gesamtschau nicht fort.Konkret waren bundesweit 139.589 Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte in Einzelzulassung (Vorjahr: 140.713; -1.124; -0,80 %), 6.806 Syndikusrechtsanwältinnen und -anwälte (Vorjahr: 5.937; +869; +14,64 %) und 19.381 in Doppelzulassung (Vorjahr: 18.536; +845; +4,56 %) zugelassen.

Damit sind die Zahlen der Einzelzulassungen erneut rückläufig. Der Trend geht weiterhin zur Zulassungsart Syndizi, die insbesondere bei Frauen sehr beliebt ist: Deren Anteil lag bei 59,39 %. Bei den doppelt Zuge­lassenen lag der weibliche Anteil bei 45,96 %, bei den einzeln Zugelassenen bei 34,77 %.

Insgesamt lag der Frauenanteil unter den zum Stichtag bundesweit zur Rechtsanwaltschaft Zugelassenen (165.776) mit 61.491 Rechtsanwältinnen bei 37,09 %. Der weibliche Anteil ist in allen Zulassungsarten um 1,52 % gestiegen (Vorjahr: 36,67 %). Die Entwicklung hält damit an.

Enorme Zuwächse gab es bei den zugelassen BAG und zwar um 47,63 % (01.01.2024: 4.727; Vorjahr: 3.202). Den größten Anteil daran haben die 3.177 PartGmbB, die gleich­zeitig mit 72,38 % den höchsten Zuwachs verzeichneten (Vorjahr: 1.843). Ferner waren 1.404 GmbH (Vorjahr: 1.268), 33 AG (Vorjahr: 30), 25 UG (Vorjahr: 16), 22 GmbH & Co KG (Vorjahr: 4), 35 LL.P. (Vorjahr: 1) und zehn sonstige Gesellschaften (Vorjahr: 2) zugelassen.

Außerdem waren 21 Personengesellschaften, die nach § 59f Abs. 1 Satz 2, 3 BRAO freiwillig ihre Zulassung beantragen können, zugelassen. Diesen unterfallen größtenteils die GbR, aber auch die PartG.

Die Anzahl der Mitglieder nach § 60 Abs. 2 Nr. 3 BRAO, den nichtanwaltlichen Mitgliedern von Geschäftsführungs- und Aufsichtsorganen der Berufsausübungsgesellschaften, stieg stark an: Verzeichneten die Rechtsanwaltskammern im Vorjahr noch 866 Mitglieder, waren es zum 01.01.2024 insgesamt 1.889. Die Zahl der nichtanwaltlichen Mitglieder hat sich damit bundesweit mehr als verdoppelt (+118,13 %).

Die Anzahl der Fachanwältinnen und Fachanwälte ist weiter gestiegen:

Zum Stichtag gab es 46.035 Fachanwälte (Vorjahr: 45.968), davon 15.201 Fachanwältinnen (Vorjahr: 15.026). Damit ist der Frauenanteil bei den Fachanwaltschaften erneut gestiegen und liegt bei 33,02 % (Vorjahr: 32,69 %). Gemessen an der Gesamtzahl der insgesamt zugelassenen Rechtsanwälte sind 27,77 % auch Fachanwälte; von den insgesamt zugelassenen Rechtsanwältinnen sind 24,72 % auch Fachanwältinnen.

Die Anzahl der erworbenen Fachanwaltstitel hat mit insgesamt 58.474 Titeln weiter zugenommen (Vorjahr: 58.339). 34.896 Rechtsanwälte (davon 12.292 weiblich) erwarben einen Fachanwaltstitel, 9.857 (davon 2.676 weiblich) zwei Fachanwaltstitel und 1.282 (davon 233 weiblich) die höchstmöglichen drei Fachanwaltstitel.

Beliebteste Fachanwaltschaft ist nach wie vor die für Arbeits­recht (11.163), gefolgt von der Fachanwaltschaft für Familienrecht (8.759), für Steuerrecht (4.695), für Verkehrsrecht (4.400) und Strafrecht (3.994). Die höchsten Zuwächse verzeichneten die Fachanwaltschaften für Vergaberecht (+10,54 %), für Sportrecht (+20,00 %), für Informationstechnologierecht (+5,53 %) und für Migrationsrecht (+5,46 %). Die Fachanwaltschaften für Sozialrecht (-2,69 %), für Familienrecht (-2,02 %) und für Transport- und Speditionsrecht (-1,73 %) hatten die höchsten Rückgänge.

* Der Begriff „Rechtsanwalt“ wird in den Statistiken „außer bei gesondert aufgeführten Einzeldaten“ für alle Zulassungsarten und Geschlechter verwendet.

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Schon gewusst? Elektronischer Rechtsverkehr mit den Gerichtsvollziehern

erschienen im KammerReport 3-2024 | 21.06.2024

Für die Teilnahme am elektronischen Rechtsverkehr kann für Gerichtsvollzieher ein besonderes elektronisches Bürger- und Organisationenpostfach (eBO) oder ein elektronisches Gerichts- und Verwaltungspostfach (EGVP) eingerichtet werden. Es besteht daher die Möglichkeit, Aufträge zur Zustellung oder Zwangsvollstreckung sowie Sachstandsanfragen unmittelbar an Angehörige des Gerichtsvollzieherdienstes zu richten. Wurde ein entsprechendes Postfach eingerichtet, sind die Gerichtsvollzieherinnen und Gerichtsvollzieher unter ihren Namen und der Geschäftsanschriften im eBO-Adressbuch zu finden. In diesem Fall können Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte auch per beA unmittelbar mit den Gerichtsvollzieherinnen und Gerichtsvollziehern kommunizieren. Diese können im beA im Gesamtverzeichnis gesucht und ausgewählt werden.

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Die Schlichtungsstelle der Rechtsanwaltschaft

erschienen im KammerReport 3-2024 | 21.06.2024

von Uta Fölster (Schlichterin) und Alexander Jeroch (Geschäftsführer)

Streit zwischen Rechtsanwalt und Mandant: mehr Schlichtung wagen
Zum 1.1.2011 nahm in Berlin die Schlichtungsstelle der Rechtsanwaltschaft (SdR) ihre Arbeit auf. Gäbe es sie noch nicht, müsste man sie erfinden, denn die SdR kann im Bereich der einvernehmlichen Streitbeilegung auf erfolgreiche Jahre zurückblicken. Was macht die SdR und was zeichnet sie aus? Zehn kurze Antworten auf häufig gestellte Fragen:

Wofür ist die SdR zuständig?
Sie soll und kann helfen, Streit zwischen Anwältin/Anwalt und Mandantin/Mandant zu schlichten, sofern

  • es um eine „vermögensrechtliche“ Streitigkeit aus dem Mandatsverhältnis geht, deren Wert 50.000 € nicht übersteigt, und
  • der Streit nicht bei Gericht rechtshängig ist oder war.

Wer kann einen Schlichtungsantrag stellen?
Sowohl die Anwältin/der Anwalt/ als auch die Mandantin/der Mandant.

Muss die SdR tätig werden oder kann sie es auch ablehnen, einen Schlichtungsvorschlag zu erarbeiten?
Ja, sie kann ablehnen. Außer den bereits genannten Voraussetzungen (Wertgrenze und gerichtliche Rechtshängigkeit) soll ein Antrag binnen drei Wochen zum Beispiel auch abgelehnt werden, wenn

  • der Anspruch nicht zuvor gegenüber der anderen Partei geltend gemacht worden ist,
  • der Antrag offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat oder mutwillig erscheint,
  • eine berufsrechtliche Überprüfung bei der Rechtsanwaltskammer oder eine strafrechtliche Überprüfung bei der Staatsanwaltschaft anhängig ist.

Wie wird geschlichtet?
Das Verfahren ist freiwillig und kostenfrei. Mündliche Verhandlungen und Beweisaufnahmen finden nicht statt. Ein Schlichtungsantrag muss schriftlich gestellt werden. Liegen keine Ablehnungsgründe vor, haben die Parteien rechtliches Gehör erhalten und sind alle notwendigen Unterlagen eingereicht, so unterbreitet die SdR ab diesem Zeitpunkt binnen 90 Tagen einen Schlichtungsvorschlag. Der Vorschlag enthält einen Tatbestand, also eine Zusammenfassung des Sachverhalts, und eine rechtliche Würdigung. Die Parteien können den Vorschlag ohne weitere Begründung annehmen oder ablehnen. Nehmen beide den Vorschlag an, schließen sie damit einen außergerichtlichen Vergleich, an den sie gebunden sind. Lehnt auch nur eine Seite den Vorschlag der SdR ab, ist das Verfahren beendet. Es bleibt den Parteien nach erfolglosem Abschluss des Schlichtungsverfahrens unbenommen, ein gerichtliches Verfahren einzuleiten.

Was ist mit Verjährungsfristen?
Unter bestimmten Voraussetzungen kann mit Eingang des Antrages bei der SdR die Verjährung für die Dauer des Verfahrens gehemmt werden.

Das gilt jedenfalls dann, wenn

  • die SdR die zuständige Schlichtungsstelle ist,
  • Ablehnungsgründe nicht vorliegen,
  • der Anspruch sich ausreichend konkret aus dem Vortrag und den Unterlagen ergibt,
  • die gegnerische Seite nicht bereits im Vorfeld signalisiert hat, an einem Schlichtungsverfahren nicht teilzunehmen.

Warum mehr Schlichtung wagen?
Erfolgreiche Schlichtung spart zum einen Geld und Nerven. Anders als ein streng formalisiertes und u. U. kostenintensives gerichtliches Verfahren bietet die flexible Streitschlichtung größeren Raum für Kulanz und Interessenabwägungen. Sie kann stärker Rücksicht nehmen auf das, was im Einzelfall „recht und billig“ ist, und bietet deshalb größere Gewähr für einen dauerhaften Frieden zwischen den Streitenden.

Außerdem spart die Schlichtung Zeit: Sie dauert bei der SdR im Schnitt nur ca. vier Monate, ein gerichtliches Zivilverfahren (1. und 2. Instanz) hingegen im Schnitt rund 18 Monate.

Und auch, wenn ein Schlichtungsvorschlag nicht angenommen wird, so dürfte die Lektüre der gründlichen rechtlichen Ausführungen in dem einen oder anderen Fall zu einem Erkenntnisgewinn führen.

Wer arbeitet bei der SdR?
Beschäftigt sind aktuell eine Schlichterin, ihr Stellvertreter, ein Geschäftsführer (Anwalt), sechs Anwältinnen und Anwälte (jeweils in Teilzeit) sowie fünf Assistentinnen und Assistenten. Beratend steht der SdR ein neunköpfiger Beirat zur Seite.

Was macht den Erfolg der SdR aus?
Jährlich gehen ca. 1.000 Anträge ein, meist gestellt von Mandantinnen und Mandanten. In rund 400 Verfahren unterbreitet die SdR Schlichtungsvorschläge. Ganz überwiegend sehen die Vorschläge ein gegenseitiges Nachgeben vor, die Annahmequote betrug zuletzt 64% – eine erfolgreiche Bilanz für die SdR und vor allem für die streitenden Parteien.

Die Schlichtungsstelle würde sich freuen, wenn noch mehr Anwältinnen/Anwälte von sich aus eine Schlichtung beantragten.

Ist die SdR unabhängig?
Ja. Dazu verpflichten die rechtlichen Vorgaben des Verbraucherstreitbeilegungsgesetz, der BRAO und der Satzung der Schlichtungsstelle. Sie schreiben die Unabhängigkeit der Einrichtung, die Unparteilichkeit und Verschwiegenheitspflicht ihrer Beschäftigten fest und sehen u. a. vor, dass eine Schlichterin/ein Schlichter nicht Anwältin/Anwalt sein darf. So waren und sind seit der Gründung der SdR ausschließlich frühere Richterinnen/Richter als Schlichterin/Schlichter tätig. Zwar ist die SdR aus organisatorischen Gründen bei der BRAK angesiedelt, sie ist jedoch in ihrer inhaltlichen Arbeit weisungsfrei.

Wo gibt es nähere Informationen?
Unter www.s-d-r.org oder
telefonisch unter 030/ 28 44 441 70.

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Datenschutzrecht: Sektorale Daten­aufsicht für die Anwaltschaft und Schutz des Zurückbehaltungsrechts an Handakten

erschienen im KammerReport 3-2024 | 21.06.2024

Mit dem geplanten Ersten Gesetz zur Änderung des Bundesdatenschutzgesetzes (BDSG) soll die Datenschutzaufsicht in Deutschland vereinheitlicht und zudem Ergebnisse der Evaluierung des BDSG umgesetzt werden.  Zu dem im vergangenen Jahr vorgelegten Referentenentwurf begrüßte die BRAK im Grundsatz die vorgeschlagenen Änderungen zur Vereinheitlichung der Datenschutzaufsicht als Schritte zu mehr Rechtssicherheit im Aufsichtsverfahren. Sie brächten aus ihrer Sicht jedoch nur kleinere Vorteile und seien teils auf bestimmte Bereiche – namentlich Wissenschaft, historische Forschung und Statistik – beschränkt, während andere Bereiche außen vor blieben. Die BRAK erinnerte daran, dass die Forderungen der Anwaltschaft im Interesse eines funktionierenden Datenschutzes und wichtiger zur Einhaltung rechtsstaatlicher Grundsätze dringend geboten sind und forderte insbesondere, dass aufsichtsbehördliche Befugnisse zum Schutz des Mandatsgeheimnisses weitergehend beschränkt werden, als dies bisher der Fall ist. Gefordert wurde eine selbstverwaltete und unabhängige anwaltliche Datenschutzaufsicht sowie weitergehende Bemühungen zur territorialen Vereinheitlichung der Datenschutzaufsicht. Besonders wichtig sei der Schutz des Zurückbehaltungsrechts in Bezug auf Handakten, der im Berufsrecht aller rechts- und steuerberatenden sowie wirtschaftsprüfenden Berufe verankert ist, vor einer Aushebelung durch datenschutzrechtliche Auskunfts- oder Datenübertragungsansprüche.

An dieser bereits früher geäußerten Forderung nach einer Zentralisierung und notwendigen sektorspezifischen Ausgestaltung der Datenschutzaufsicht hält die BRAK fest und fordert erneut, die Aufsicht über Datenverarbeitungen in Rechtsanwaltskanzleien in die anwaltliche Selbstverwaltung zu überführen. In einem gemeinsamen Schreiben mit der Bundessteuerberaterkammer, dem Deutschen Steuerberaterverband und der Wirtschaftsprüferkammer vom 08.05.2024 hat die BRAK nun im Vorfeld der ersten Beratung über den Gesetzentwurf im Deutschen Bundestag am 15.05.2024 gefordert, das Zurückbehaltungsrecht an Handakten der rechts- und steuerberatenden Berufe klar gegen datenschutzrechtliche Auskunftsansprüche abzusichern.

Der Auskunftsanspruch nach Art. 15 der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) berechtigt Betroffene in der Regel dazu, eine vollständige Kopie der über sie gespeicherten Daten zu verlangen. Dies gilt auch für die Handakten der rechts- und steuerberatenden Berufe. Das Berufsrecht von Anwälten, Steuerberatern und Wirtschaftsprüfern normiert im Falle offener Vergütungsansprüche ausdrücklich ein Zurückbehaltungsrecht an den Handakten, die ansonsten nach Beendigung des Mandats herauszugeben sind. Müsste eine vollständige digitale Kopie der Handakte im Wege des Auskunftsanspruchs herausgegeben werden, liefe das Zurückbehaltungsrecht ins Leere. Die Spitzenorganisationen der rechts- und steuerberatenden Berufe fordern daher, das datenschutzrechtliche Auskunftsrecht in solchen Fällen zu beschränken.

Den Weg zu einer solchen Einschränkung ebnet eine Öffnungsklausel für die Mitgliedstaaten in Art. 23 I DSGVO. In
§ 34 BDSG sind bereits jetzt Einschränkungen für bestimmte Fälle geregelt. Die Spitzenverbände fordern, über § 34 BDSG das Auskunftsrecht des Art. 15 DSGVO auch zur Durchsetzung zivilrechtlicher Ansprüche einzuschränken, da ansonsten regelmäßig die Gefahr besteht, dass Gerichte – wie bereits ergangene Entscheidungen zeigen – auch dem missbräuchlichen Auskunftsanspruch gemäß Art. 15 DSGVO stattgeben, was zur faktischen Aushöhlung des zivilrechtlichen Zurückbehaltungsrechts führt.

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Anwaltsgebühren: Hinweise für ein transparentes Stundenhonorar

erschienen im KammerReport 3-2024 | 21.06.2024

Für Zeithonorarvereinbarungen in Anwaltsverträgen hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) in einer Anfang 2023 veröffentlichten Entscheidung strenge Anforderungen an die Transparenz aufgestellt. Verbraucherinnen und Verbrauchern müssen danach sämtliche Tatsachen mitgeteilt werden, die sie benötigen, um den Umfang ihrer finanziellen Verpflichtung erkennen zu können. Die bloße Mitteilung des Stundensatzes genügt dazu nicht; der EuGH hielt die entsprechende Honorarklausel im zugrundeliegenden Verfahren des Obersten Gerichts Litauens für intransparent.

Die Umsetzung der vom EuGH gestellten Transparenzanforderungen bereitet in der Praxis Schwierigkeiten. Nach den Beobachtungen der Gebührenreferentinnen und -referenten der Rechtsanwaltskammern sind einige Rechtsschutzversicherungen dazu übergegangen, Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte unter Hinweis darauf in Regress zu nehmen, dass die geschlossenen Vergütungsvereinbarungen wegen der Entscheidung des EuGH unwirksam seien.

Zur Erleichterung der anwaltlichen Praxis haben die Gebührenreferentinnen und -referenten bei ihrer 84. Tagung am 6.4.2024 in Stuttgart Handlungshinweise für Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte verabschiedet:

  • Der EuGH verlangt, dass Verbraucherinnen und Verbraucher in die Lage versetzt werden, die sich aus der Stundenlohnvereinbarung ergebenden wirtschaftlichen Folgen anhand genauer und nachvollziehbarer Kriterien einzuschätzen. Dies kann durch eine Schätzung der mindestens erforderlichen Stunden erreicht werden. Alternativ kann auch vereinbart werden, in angemessenen Zeitabständen abzurechnen. Transparenz kann nach der Rechtsprechung des OLG Köln aber auch auf andere Weise geschaffen werden, etwa indem die gesetzliche Vergütung nach dem RVG als Mindestaufwand vereinbart wird.
  • Eine Honorarklausel ist nach der Rechtsprechung des EuGH nicht allein deshalb nichtig, weil sie dem Transparenzgebot nicht genügt, d. h. weil Angaben zum voraussichtlichen finanziellen Aufwand fehlen. Nach der Rechtsprechung des OLG Bamberg ist die Wirksamkeit einer intransparenten Klausel durch eine Gesamtwürdigung aller Umstände des Vertragsschlusses zu prüfen. Dabei sind auch die Kenntnisse und Fähigkeiten des Vertragspartners zu berücksichtigen. Das besondere Fachwissen eines Beteiligten ist dabei den übrigen auf einer Seite Beteiligten nach dem Rechtsgedanken des § 166 BGB zuzurechnen. Dies gilt insbesondere für die in der Praxis häufigen Fälle, in denen ein Rechtsschutzversicherer bei der Aushandlung der Gebührenvereinbarung beteiligt war.
  • Ist eine Vereinbarung über Stundenhonorar unter Berücksichtigung aller Umstände unwirksam, kann das Gericht die rechtliche Lage wiederherstellen, in der sich die Verbraucherin bzw. der Verbraucher ohne die Vereinbarung befunden hätte. Das Gericht kann allerdings nicht selbst bestimmen, welche Vergütung für die schon erbrachten Dienstleistungen angemessen ist, sondern hat das gesetzliche Gebührenrecht anzuwenden.

Weiterführende Links:

EuGH, Urt. v. 12.1.2023 – C-395/21, BRAK-Mitt. 2023, 173 mit Anm. Kunze

OLG Köln, Urt. v. 12.4.2023 – 11 U 2018/19

OLG Bamberg, Urt. v. 15.6.2023 – 12 U 89/22

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Videokampagne der BRAK: #Aufstehen für den Rechtsstaat

erschienen im KammerReport 2-2024 | 21.03.2024

Die Anwaltschaft ist dem Rechtsstaat auf besondere Weise verpflichtet. Als Organe der Rechtspflege sind wir berufen, unseren freiheitlichen demokratischen Rechtsstaat zu schützen und zu verteidigen. Anwältinnen und Anwälte, Richterinnen und Richter, Demokratinnen und Demokraten müssen aufstehen und ihre Stimme erheben: Gegen Hass, Hetze und Rassismus und für unsere Demokratie,  für unseren Rechtsstaat.

Die Arbeitsgemeinschaft zur Sicherung des Rechtsstaates der Bundesrechtsanwaltskammer hat daher die Kampagne „#Aufstehen für den Rechtsstaat“ ins Leben gerufen. In kurzen Videobotschaften treten täglich Anwältinnen und Anwälte, Richterinnen und Richter, Politikerinnen und Politiker für unsere Demokratie, für unsere Verfassung und für unseren Rechtsstaat ein – passend zum 75. Geburtstag unseres Grundgesetzes im Jahr 2024. Denn es ist Zeit, aufzustehen! Den Anfang machte Bundesjustizminister Dr. Marco Buschmann, gefolgt unter anderem von Präsidentinnen und Präsidenten verschiedener Rechtsanwaltskammern, Mitgliedern des BRAK-Präsidiums und vielen mehr.

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Fremdbesitzverbot: Anwälte sehen keinen Bedarf für Kapitalinvestoren in Kanzleien

erschienen im KammerReport 2-2024 | 21.03.2024

Das sowohl in der Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO) als auch in der Patentanwaltsordnung (PAO) verankerte sog. Fremdbesitzverbot untersagt es der (Patent-)Anwaltschaft derzeit, reine Kapitalinvestoren in ihre Kanzleien zu holen. Dies sichert die Unabhängigkeit (patent-)anwaltlicher Beratung, unter anderem vor Einflussnahme von Investoren auf die Mandatsführung und -auswahl unter Rentabilitätsgesichtspunkten. Mit Blick auf Legal- Tech-Unternehmen wird jedoch von manchen eine Lockerung gefordert. Der Koalitionsvertrag der Regierungsparteien sieht eine Überprüfung des Fremdbesitzverbots vor.

Das Bundesministerium der Justiz (BMJ) hat mit einer im Oktober und November 2023 mit Unterstützung von BRAK und Rechtsanwaltskammern durchgeführten Umfrage ergründet, ob die Anwaltschaft überhaupt Bedarf für die Beteiligung von reinen Kapitalinvestoren an (patent-)anwaltlichen Berufsausübungsgesellschaften sieht und wie sie mögliche Konflikte mit der anwaltlichen Unabhängigkeit einstuft. Die Anfang Dezember von der BRAK veröffentlichten Ergebnisse der Gesamtauswertung der Umfrage zeigen, dass eine deutliche Mehrheit der (Patent-)Anwältinnen und Anwälte keine Lockerung des Fremdbesitzverbots möchte. 62,57 % lehnen eine Lockerung generell ab, weitere 27,69 % lehnen eine Lockerung zwar nicht generell ab, sehen hierfür aber keinerlei Bedarf; nur 7,72 % halten eine Lockerung für notwendig. 79,58 % der Befragten sprechen sich sogar deutlich gegen die Aufnahme reiner Kapitalgeber aus. 72,83 % sehen Gefahren für die anwaltlichen Kernpflichten (insbesondere Unabhängigkeit, Verschwiegenheit, Verbot der Vertretung widerstreitender Interessen) und glauben nicht, dass sich diese Gefahren durch gesetzliche Regelungen eindämmen ließen.

Auch die Beteiligung Dritter am Gewinn von Anwaltskanzleien wird weit überwiegend kritisch gesehen. 71,23 % der Teilnehmenden würden auf keinen Fall Finanzierungen mit Gewinnbeteiligung in Anspruch nehmen. 72,30 % denken, dass die Beteiligung Dritter am Gewinn ebenfalls Gefahren für die anwaltlichen Kernpflichten mit sich brächte, die sich auch durch gesetzliche Vorgaben nicht hinreichend eindämmen lassen.

Die Umfrage ermöglichte außerdem Freitextantworten. Diese fielen weit überwiegend kritisch gegenüber einer Lockerung des Verbots aus. Dabei wurden Aspekte wie Kommerzialisierung, Vernachlässigung von Mandanteninteressen, Begrenzung des Zugangs zum Recht sowie negative Erfahrungen mit Fremdbesitz bei den medizinischen Berufen angeführt. Die vereinzelten befürwortenden Kommentare thematisierten insbesondere, dass Fremdkapital und Gewinnbeteiligungen für Gründer eine wertvolle Unterstützung sein könnten.

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Dokumentation der Hauptverhandlung und Einsatz von Videokonferenztechnik

erschienen im KammerReport 2-2024 | 21.03.2024

Der Gesetzgeber möchte als Ausdruck einer modernen, digitalen und bürgernahen Justiz den Einsatz von Videokonferenztechnik in den Gerichten ermöglichen. Über die beabsichtigten Neuregelungen – insbesondere zu § 128a ZPO – und auch über die beabsichtigte digitale Dokumentation strafgerichtlichen Hauptverhandlung wurde im Vorfeld viel diskutiert. Ursprünglich sah der Referentenentwurf sowohl eine Ton- als auch eine Videoaufzeichnung vor. Als Kompromiss sollte nur noch die Tonaufzeichnung zwingend festgelegt werden, die Videoaufzeichnung hingegen nicht mehr. Nach dem Bundestagsbeschluss soll Videokonferenztechnik sowohl bei der mündlichen Verhandlung als auch in weiteren gerichtlichen Terminen – zum Beispiel bei der Urteilsverkündung – die physische Präsenz an einem bestimmten Ort künftig entbehrlich machen. Beantragt ein Verfahrensbeteiligter die Teilnahme per Bild- und Tonübertragung, soll der Vorsitzende diese anordnen. Die Ablehnung eines solchen Antrags müsste das Gericht unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls begründen.

Nachdem der Bundestag sowohl das „Gesetz zur Förderung des Einsatzes von Videokonferenztechnik in der Zivilgerichtsbarkeit und den Fachgerichtsbarkeiten“ als auch das „Gesetz zur digitalen Dokumentation der strafgerichtlichen Hauptverhandlung und zur Änderung weiterer Vorschriften (Hauptverhandlungsdokumentations­gesetz – DokHVG)“ im November 2023 beschlossen hat, äußerte der Bundesrat inhaltliche Bedenken, so dass sich zunächst der Vermittlungsausschuss mit dem Gesetzentwurf befasst, bevor die neuen Regelungen in Kraft treten können. Die Justizministerinnen und -minister der Länder hatten sich bereits mit großer Mehrheit gegen die beiden Gesetzesvorhaben gestemmt. Die BRAK reagierte mit einem Brandbrief auf die Blockadehaltung der Länder, BRAK-Präsident Ulrich Wessels sprach von einer „klaren Be­hin­de­rung drin­gend be­nö­tig­ter Re­for­men“ und for­derte die Mi­nis­ter­prä­si­den­ten auf, den Ge­set­zen zu­zu­stim­men. Damit blieb er erfolglos. Der Vermittlungsausschusses kann nun nach Art. 77 GG Änderungen an den Gesetzen verlangen.

Zwar unterstützen die Länder das Ziel des Gesetzes zum verstärkten Einsatz von Videokonferenztechnik, um die Durchführung mündlicher Verhandlungen im Wege der Bild- und Tonübertragung zu erleichtern, sie äußern jedoch grundlegende Bedenken gegen einzelne Vorgaben des Gesetzes. Die mündliche Verhandlung sei als Herzstück eines jeden Gerichtsprozesses von herausragender Bedeutung für die Wahrheitsfindung. Deshalb müssten die Vorsitzenden nach eigenem Ermessen entscheiden können, ob sie stattdessen Videokonferenz einsetzen ­wollen. Dies dürfe nicht in der Dispositionsbefugnis der Parteien stehen. Kritisiert wird zudem die vorgesehene Begründungspflicht, wenn ein Gericht den Einsatz von Videotechnik ablehnt.

Der Bundestagsbeschluss sieht für die Länder die Möglichkeit vor, sogenannte vollvirtuelle Videoverhandlungen in der Zivilgerichtsbarkeit zu erproben: Dabei würde sich auch die oder der Vorsitzende nicht mehr im Sitzungssaal aufhalten, sondern wäre zum Beispiel aus dem Home Office zugeschaltet. Die Verhandlung müsste dann zusätzlich in einen öffentlich zugänglichen Raum im Gericht übertragen werden, damit die Öffentlichkeit teilhaben könnte. Auch die Erprobung rein virtueller Verhandlungen, bei denen auch das Gericht per Video zugeschaltet ist, lehnen die Länder ab. Sie fordern, am Grundsatz der Saalöffentlichkeit festzuhalten. Der Bundesrat warnt davor, dass Video-Verhandlungen abgefilmt und weiterverarbeitet oder veröffentlicht würden, um Äußerungen aus dem Zusammenhang zu reißen und zu missbräuchlichen Zwecken zu verwenden. Auch das vorgesehene rasche Inkrafttreten ohne Übergangszeit stößt auf Kritik der Länder – insbesondere wegen der großen technischen und personellen Aufwände für den Einsatz von Videotechnik.

Durch das ebenfalls neu beschlossene Hauptverhandlungsdokumentationsgesetz sollen Landgerichte und Oberlandesgerichte verpflichtet werden, erstinstanzliche strafgerichtliche Hauptverhandlungen künftig standardmäßig per Ton aufzuzeichnen. Daraus würde sich dann automatisiert ein elektronisches Transkript generieren. Eine zusätzliche Bildaufzeichnung könnten die Länder durch Rechtsverordnung teilweise oder flächendeckend einführen. Unter bestimmten Bedingungen soll das Gericht von einer Aufzeichnung und deren Transkription absehen können – so zum Beispiel bei Aussagen von minderjährigen Zeugen und Opfern von Sexualstraftaten; ebenso, wenn eine Gefährdung der Staatssicherheit oder des Lebens, des Leibes oder der Freiheit eines Zeugen oder einer anderen Person zu befürchten ist.

Diesbezüglich äußert der Bundesrat grundlegende und tiefgreifende fachliche Bedenken, insbesondere zur Gefahr für die Wahrheitsfindung und Beeinträchtigung des Opferschutzes, aber auch zu Verfahrensverzögerungen und zum Verhältnis von personellem, technischen, organisatorischen und finanziellen Aufwand zum Mehrwert. Die Länder verweisen auf teils heftige und einhellig ablehnende Kritik aus der justiziellen Praxis. Die bisher praktizierte Dokumentation habe sich bewährt. Ein nachvollziehbarer Bedarf und eine fachliche Notwendigkeit für eine digitale Dokumentation sei weder erkennbar noch im Gesetz dargelegt, bemängelt der Bundesrat in seinem Anrufungsbeschluss.

Durch den Vermittlungsausschuss wurde zunächst der Einsatz eines Koordinierungsgremiums beschlossen. Der Vermittlungsausschuss tagt nur einmal im Monat. Der zunächst für den 20.03.2024 geplante Sitzungstermin wurde laut Webseite des Vermittlungsausschusses „aus terminlichen Gründen“ verschoben. Die BRAK hat angekündigt, die Themen mit Beginn der Koordinierungs­bemühungen erneut öffentlichkeitswirksam aufzugreifen, damit die beiden Gesetzgebungs­vorhaben nicht scheitern und ein positives Vermittlungsergebnis erreicht wird. 

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