Die Mitwirkungspflicht nach § 52 Abs. 1 und Abs. 6 GwG im Spannungsverhältnis zur Selbstbelastungsfreiheit und Verschwiegenheitspflicht eines Rechtsanwalts

Rechtsanwältin Lena Koch, juristische Referentin der Rechtsanwaltskammer Hamm

erschienen im KammerReport 1-2022 | 10.03.2022

Gemäß §§ 50 Nr. 3, 51 Abs. 1 und Abs. 2 Geldwäschegesetz (GwG) ist die Rechtsanwaltskammer die zuständige Aufsichtsbehörde für Rechtsanwälte und Kammerrechtsbeistände nach § 2 Abs. 1 Nr. 10 GwG. Im Rahmen der ihr gesetzlich zugewiesenen Aufgabe kann die Rechtsanwaltskammer die geeigneten und erforderlichen Maßnahmen und Anordnungen treffen, um die Einhaltung der im GwG und der aufgrund des GwG ergangenen Rechtsverordnungen festgelegten Anforderungen sicherzustellen. Gemäß § 51 Abs. 3 S. 1 und S. 2 GwG kann die Rechtsanwaltskammer bei den Verpflichteten Prüfungen zur Einhaltung der im GwG festgelegten Anforderungen durchführen. Die Prüfungen können auch ohne besonderen Anlass vor Ort und anderswo erfolgen. Das GwG schreibt für die Rechtsanwaltskammern zwingende Prüf-, Berichts- und Meldepflichten vor, §§ 44, 51 GwG. Die Rechtsanwaltskammern haben daher Kontrollen durchzuführen, um der Entschließung der europäischen Union zu einer umfassenden Politik zur Verhinderung von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung nachzukommen. Neben dem Prüfungsrecht wurde den zuständigen Aufsichtsbehörden als mögliches aufsichtsrechtliches Instrument ein Auskunfts- und Unterlagenvorlagerecht in § 52 Abs. 1 und Abs. 6 GwG eingeräumt.

1. Die Mitwirkungspflicht nach § 52 Abs. 1 und Abs. 6 GwG

Nach § 52 Abs. 1 GwG haben der Verpflichtete, die Mitglieder seiner Organe und seine Beschäftigten den Aufsichtsbehörden Auskunft über alle Geschäftsangelegenheiten und Transaktionen zu erteilen, sowie Unterlagen vorzulegen, die für die Einhaltung der im GwG festgelegten Anforderungen von Bedeutung sind. Die entsprechende Pflicht besteht für Personen, bei denen aufgrund ihrer Geschäftstätigkeit Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sie Verpflichtete nach § 2 Abs. 1 GwG sind. Sie haben der zuständigen Aufsichtsbehörde auf Verlangen unentgeltlich Auskunft über alle Geschäftsangelegenheiten zu erteilen und Unterlagen vorzulegen, soweit dies für die Feststellung der Verpflichteteneigenschaft erforderlich ist, § 52 Abs. 6 GwG. Erteilt der Verpflichtete oder die mitwirkungspflichtige Person entgegen § 52 Abs. 1 oder Abs. 6 GwG Auskünfte nicht, nicht richtig, nicht vollständig oder nicht rechtzeitig oder legt er Unterlagen nicht, nicht richtig, nicht vollständig oder nicht rechtzeitig vor, stellt dies eine Ordnungswidrigkeit nach § 56 Abs. 1 Nr. 73 GwG dar.

Der Begriff der Auskunft ist dem Normzweck nach weit zu verstehen. Darunter fallen nicht nur Mitteilungen von Tatsachen, sondern auch Beurteilungen und sonstige subjektive Einschätzungen (z. B. Zuverlässigkeit eines Mitarbeiters).1 Dabei muss allerdings ein Bezug zu Geschäftsangelegenheiten und Transaktionen bei den Verpflichteten vorliegen, die für die festgelegten Anforderungen des Geldwäschegesetzes von Bedeutung sind. Hierbei kann sich die Auskunft auf allgemeine Vorgänge (z. B. die Umsetzung der internen Sicherungsmaßnahmen), genauso wie auf spezielle Angelegenheiten (z. B. konkreter Verdachtsfall) beziehen.2

Auch der Begriff der Unterlagen ist weit auszulegen und bezieht sich auf alle Unterlagen mit einer Relevanz zu den Anforderungen des GwG. Aus dem Wort „vorzulegen“ lässt sich entnehmen, dass die Unterlagen den Aufsichtsbehörden so zur Verfügung zu stellen sind, dass sie diese einsehen und prüfen können (z. B. Dokumente im Zusammenhang mit der Identifizierungspflicht).

Das GwG verpflichtet somit die betroffenen Rechtsanwälte unter Bußgeldandrohung zur Unterstützung der Rechtsanwaltskammer, damit diese ihre Aufgaben wahrnehmen kann und auf diese Weise an entscheidungsrelevante Informationen gelangt.

2. Das Spannungsverhältnis zur Selbstbelastungsfreiheit

Im Straf- und Bußgeldverfahren steht dem Beschuldigten ein umfassendes Recht zu, jede aktive Mitwirkung an seiner Überführung zu verweigern. Demgegenüber steht die Mitwirkungspflicht nach § 52 Abs. 1 und Abs. 6 GwG, die eine effektive verwaltungsrechtliche Aufsicht sicherstellen soll. Dadurch besteht die Gefahr, dass die Rechte und Möglichkeiten der Betroffenen, sich den Ermittlungen im Rahmen des Straf- oder Bußgeldverfahrens zu entziehen, im Vergleich zu einem „herkömmlichen“ straf- oder bußgeldrechtlichen Ermittlungsverfahren erheblich ein­geschränkt werden.3 Es müssen eindeutige Regelungen und Vorgehensweisen geschaffen werden, um zu einer angemessenen Rechtsposition des Betroffenen zu gelangen, welche das Spannungsverhältnis zwischen der Mitwirkungspflicht im Verwaltungsverfahren und der Selbstbelastungsfreiheit im Straf- und Bußgeldverfahren weitestgehend aufzulösen.

a) Die Selbstbelastungsfreiheit im Rahmen des § 52 Abs. 4 GwG und im Straf- und Bußgeldverfahren

Gemäß § 52 Abs. 4 GwG kann der zur Erteilung einer Auskunft Verpflichtete die Auskunft auf solche Fragen verweigern, deren Beantwortung ihn selbst oder einen der in § 383 Abs. 1 Nr. 1 bis Nr. 3 ZPO bezeichneten Angehörigen der Gefahr strafrechtlicher Verfolgung oder eines Verfahrens nach dem Gesetz über Ordnungswidrigkeiten aussetzen würde. Damit wird im Geldwäschegesetz dem rechtsstaatlichen Grundsatz Rechnung getragen, dass das Zeugnisverweigerungsrecht aus persönlichen Gründen zur umfassenden Aussageverweigerung berechtigt.4 Angehörige im Sinne des § 383 Abs. 1 Nr. 1 bis Nr. 3 ZPO sind der Verlobte einer Partei, der Ehegatte einer Partei, auch wenn die Ehe nicht mehr besteht, diejenigen, die mit einer Partei in gerader Linie verwandt oder verschwägert, in der Seitenlinie bis zum dritten Grad verwandt oder bis zum zweiten Grad verschwägert sind oder waren. Entsprechendes gilt für den Lebenspartner einer Partei oder denjenigen, mit dem die Partei ein Versprechen eingegangen ist, eine Lebenspartnerschaft zu begründen.

Im Verwaltungsverfahren erstreckt sich der Schutzumfang nur auf das Recht zur Auskunftsverweigerung. Bei mehreren Fragen kann das Recht auch nur für solche ­Fragen gelten, bei denen die Voraussetzungen der ­Auskunftsverweigerung erfüllt sind. Stellt sich heraus, dass Fragen zu Unrecht nicht beantwortet wurden, kann dagegen nach § 56 Abs. 1 Nr. 73 GwG bußgeldrechtlich vorgegangen werden, da die Auskunft nicht oder nicht rechtzeitig abgegeben wurde.

Während im Hinblick auf die Auskunft dem verpflichteten Rechtsanwalt nach § 52 Abs. 4 GwG ein Auskunftsverweigerungsrecht im Sinne der Selbstbelastungsfreiheit zusteht, sieht § 52 Abs. 4 GwG eine entsprechende Regelung für die Verweigerung der Vorlage von Unterlagen nicht vor. Die Regelung ist insoweit eindeutig. Die zur Mitwirkung Verpflichteten nach § 52 Abs. 1 GwG und Personen nach § 52 Abs. 6 GwG sind daher nicht berechtigt, die Vorlage von Unterlagen oder eine Prüfung zu verweigern, und zwar ohne Rücksicht darauf, ob diese Aufzeichnungen später als Beweismittel für die Begehung einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit dienen können. Eine Prüfung muss in jedem Fall geduldet werden.5 Eine weite Auslegung zugunsten des Verpflichteten würde schon gegen den Wortlaut der Norm sprechen. Eine entsprechende Ergänzung der Regelung im Rahmen der Gesetzesanwendung ist methodisch auch vor dem Hintergrund eines eventuell drohenden Strafverfahrens nicht begründbar. Die Rechtsprechung hat diese umfassenden Mitwirkungspflichten nonverbaler Art unter dem Aspekt der Selbstbelastungsfreiheit bislang nicht beanstandet. Der notwendige Schutz des Betroffenen sei bereits durch das Auskunftsverweigerungsrecht gewährleistet. Hinsichtlich der Aufzeichnungs- und Dokumentationspflichten bestehe keine Zwangslage, da von dem Betroffenen erwartet werden könne, dass er die Begehung von Straftaten unterlässt; dies gilt im besonderen Maße für die der Aufsicht der Rechtsanwaltskammern unterliegenden nach dem GwG verpflichteten Rechtsanwälte. Auch eine natürliche Person kann dementsprechend, sei es als Verpflichteter, Mitglied eines Organes oder Beschäftigter, auf der Basis des § 52 Abs. 4 GwG verpflichtet werden, bestimmte Unterlagen herauszugeben, selbst wenn sie sich mit der Herausgabe der Unterlagen der Gefahr strafrechtlicher Verfolgung oder eines Ordnungswidrigkeitenverfahrens aussetzt. Da die Unterlagen im Sinne des GwG erstellt werden, unterliegen sie dem öffentlichen Geldwäschepräventionsinteresse. Die Rechtsanwaltskammer ist dementsprechend in jedem Fall berechtigt, insbesondere die Dokumentation der Risikoanalyse gemäß § 5 GwG, der Identifizierungspflicht gemäß §§ 8 Abs. 2 S. 2, 10 Abs. 1 Nr. 1, 11 ff. GwG sowie der konkreten Risikobewertung im Einzelfall gemäß §§ 8 Abs. 1 Nr. 2, 10 Abs. 2, 14 Abs. 1, 15 Abs. 2 GwG zu überprüfen und sich vorlegen zu lassen.

Die Vereinbarkeit außerstrafrechtlicher Mitwirkungspflichten mit dem nemo-tenetur-Prinzip ist in der höchstrichterlichen Rechtsprechung erstmals im sogenannten Gemeinschuldnerbeschluss des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahre 1981 problematisiert worden.6 Das Bundesverfassungsgericht stellte zunächst fest, dass jede zwingbare Auskunftspflicht einen Eingriff in das grundgesetzlich geschützte allgemeine Persönlichkeitsrecht nach Art. 2 Abs. 1 GG darstelle und hob hervor, dass das nemo-tenetur-Prinzip zu den Grundsätzen eines rechtsstaatlich geführten Strafprozesses gehöre und Ausdruck einer rechtsstaatlichen Grundhaltung sei, die auf dem Leitgedanken der Achtung der Menschenwürde nach Art. 1 Abs. 1 GG beruhe. Dennoch sei eine uneingeschränkte Auskunftspflicht im Verwaltungsverfahren verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Für den im Verwaltungsverfahren Auskunftspflichtigen könne nicht das Gleiche gelten wie für einen Beschuldigten in einem Straf- oder Bußgeldverfahren, weil seine Rechte ihre Grenzen in den Rechten der weiteren Beteiligten fänden, die auf seine Auskünfte angewiesen seien. Es sei allerdings mit der Menschenwürde nach Art. 1 Abs. 1 GG unvereinbar, wenn der im Verwaltungsverfahren Auskunftspflichtige dadurch gleichzeitig die Voraussetzungen für eine strafgerichtliche Verurteilung oder eine ähnliche Sanktion liefern müsse, weil das im Strafverfahren eingeräumte Schweigerecht „illusorisch“ wäre, wenn die im außerstrafrechtlichen Verfahren erzwungene Selbstbelastung im Strafverfahren gegen den Betroffenen verwandt werden könne. Deshalb müsse für derartige selbstbelastende Aussagen ein strafrechtliches Verwertungsverbot gelten.7 Im Ergebnis darf die selbstbelastende Aussage daher nicht gegen den Willen des Betroffenen „zweckentfremdet“ und im Rahmen der Strafverfolgung verwertet werden.8

Die Anerkennung der gesetzlichen Aufzeichnungs-, Dokumentations- und Vorlagepflichten durch die obergerichtliche Rechtsprechung begegnet bereits aus praktischen Erwägungen keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Bestünde die Pflicht in den Fällen möglicher Selbstbezichtigung nicht, könnte der Betroffene entscheiden, berechtigte staatliche Überwachungsinteressen gerade dort einzuschränken, wo diesen besonderes Gewicht zukommt.9 Ohne die Mitwirkung der Verpflichteten nach dem GwG – also ohne Informationen und Informationschancen – ist eine ordnungsgemäße Durchführung der Aufsicht durch die zuständigen Aufsichtsbehörden nicht möglich. Eine effektive verwaltungsrecht­liche Aufsicht ist erst durch die Aufsichtsbefugnisse und den daraus resultierenden Erkenntnismöglichkeiten gewährleistet.

Entscheidend ist, dass die Aufsichtsbefugnisse ausnahmslos als präventive Überwachungsmaßnahmen ausgestaltet sind. Diese präventiven Maßnahmen wie Auskunftsersuchen, Dokumentations- und Vorlagepflichten können im Vorfeld eines Straf- oder Bußgeldverfahrens verfassungskonform eingesetzt werden.

b) Die Abgrenzung von präventivem und repressivem Verwaltungshandeln

Im Gegensatz zur verfassungskonformen Einsetzung der präventiven Maßnahmen im Vorfeld eines Straf- oder Bußgeldverfahrens ist eine andere Bewertung vorzunehmen, wenn die Ausübung von „Aufsichtsbefugnissen“ bereits dem repressiven Verwaltungshandeln zuzurechnen ist; der Betroffene ist dann nicht mehr auf sein Auskunftsverweigerungsrecht aus § 52 Abs. 4 GwG beschränkt. Vielmehr stehen ihm dann sämtliche Beschuldigtenrechte zu. Er ist durch die Bußgeldbehörde darüber zu belehren, dass es ihm freisteht, sich zu dem Vorwurf zu äußern. Er ist in keiner Weise zu einer aktiven Mitwirkung verpflichtet. Mit dem Übergang in das bußgeldrechtliche Verfahren findet ein grundlegender Wechsel in der Rechtslage und den Rechtspositionen, sowohl der Behörde als auch des Betroffenen, statt. Der Abgrenzung von präventivem und repressivem Verwaltungshandeln kommt daher enorme Bedeutung zu. Es kommt entscheidend auf die Frage an, ob die zuständige Behörde als Aufsichts- oder Bußgeldbehörde im Sinne des GwG tätig wird, also bereits von einem bußgeldrechtlichen Verfahren ausgegangen werden muss. Werden bereits Ermittlungen im bußgeldrechtlichen Verfahren getätigt, erstarkt das bloße Auskunftsverweigerungsrecht des Betroffenen zu einem umfassenden Recht, jede aktive Mitwirkung an den Ermittlungen zu verweigern.

Aufgrund der Doppelzuständigkeit der Rechtsanwaltskammer als Aufsichts- und Verfolgungsbehörde im Sinne des GwG bleibt unklar, ob das Aufsichts- oder Kontroll­ersuchen noch im Rahmen der präventiven Aufsicht erfolgt oder bereits eine – im Bußgeldverfahren unzulässige – Ermittlungshandlung darstellt. Problematisch ist also, dass die Ausübung der Aufsichtsbefugnisse nach der Konzeption des GwG zwar im – präventiven – Aufsichtsverfahren ergeht, in der Praxis jedoch häufig zugleich die Aufklärung eines ordnungswidrigkeitenrechtlichen Sachverhalts zum Ziel hat. Für den Betroffenen ist es grundsätzlich anhand der äußerlich neutralen Maßnahme nicht erkennbar, in welchem Verfahren die Rechtsanwalts­kammer tätig wird.

Dieser besondere Umstand muss dahingehend Berücksichtigung finden, dass die Beschuldigtenrechte im vollen Umfang bereits dann gewährleistet werden, wenn tatsächliche Anhaltspunkte für eine Ordnungswidrigkeit gegeben sind. Die allgemeinen Grundsätze zur Frage, wann von der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens auszugehen ist und eine Person in die Rolle eines Beschuldigten rückt, sind insoweit folglich zu modifizieren. Es kann weder auf einen Willensakt der zuständigen Verfolgungsbehörde, die aufgrund ihrer Doppelzuständigkeit das Bußgeldverfahren nicht zu früh einleiten wird, noch auf das Kriterium der Erkennbarkeit eines straf- oder bußgeldrechtlich motivierten Vorgehens, welches bei den äußerlich neutralen Maßnahmen nicht greifen kann, abgestellt werden. Dementsprechend muss allein entscheidend sein, ob bereits tatsächliche Anhaltspunkte für eine Ordnungswidrigkeit gegeben sind, also ein Anfangsverdacht besteht. Bereits der Anfangsverdacht einer Ordnungswidrigkeit begründet dementsprechend einen Wandel grundlegender Rahmenbedingungen mit der Folge, dass sich die Rechtsstellung des Betroffenen nicht mehr nach dem Verwaltungsrecht, also nach § 52 Abs. 4 GwG, bestimmt, sondern seine Rechte als Betroffener eines Ordnungswidrigkeitenverfahrens zur Geltung kommen.

Die dargelegten Grundsätze finden eine Bestätigung in der Rechtsprechung des EGMR. Nach der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs sind das Recht zu Schweigen und das Recht, sich nicht selbst beschuldigen zu müssen, allgemein anerkannte internationale Grundsätze, die das Herzstück des Begriffs des fairen Verfahrens nach Art. 6 Abs. 1 EMRK bilden. In einer Entscheidung aus dem Jahre 1984 hat der Gerichtshof Art. 6 EMRK für das gerichtliche Bußgeldverfahren für anwendbar erklärt.10 Danach ist ein Betroffener jedenfalls nach dem Zeitpunkt der Mitteilung des Bußgeldbescheids, den er nicht hinzunehmen bereit ist, einem Angeklagten im Sinne des Art. 6 EMRK gleichzustellen. In einer weiteren Entscheidung hat der EGMR dargelegt, dass das Schweigerecht des Beschuldigten auch durch außerstrafprozessuale Mitwirkungspflicht nicht ausgehebelt werden darf.11 Das Recht, sich nicht selbst beschuldigen zu müssen, wird dabei in erster Linie auf das Schweigerecht selbst, also das Recht, verbale Selbstbelastung zu unterlassen, bezogen. Mit einer Entscheidung aus dem Jahr 2001 hat der Gerichtshof den nemo-tenetur-Grundsatz im Straf- und Bußgeldverfahren ausdrücklich auch auf die Vorlage von Urkunden erstreckt.12

3. Das Spannungsverhältnis zur Verschwiegenheitspflicht

Der Rechtsanwalt ist zur Verschwiegenheit verpflichtet. Die Pflicht zur Verschwiegenheit – abgesichert durch § 203 StGB – gehört zu den Kernpflichten von Rechts­anwälten. Sie steht im Rang gleichberechtigt neben den beiden anderen „core values“, der Unabhängigkeit der Rechtsanwälte und dem Verbot der Vertretung widerstreitender Interessen.

a) Die Verschwiegenheitspflicht nach §§ 43 a Abs. 2 BRAO, 52 Abs. 5 GwG

Die Verschwiegenheitspflicht bezieht sich auf alles, was dem Rechtsanwalt in Ausübung seines Berufes bekannt geworden ist. Dies gilt nicht für Tatsachen, die offenkundig sind oder ihrer Bedeutung nach keiner Geheimhaltung bedürfen. Diese statusbildende Grundpflicht zur Verschwiegenheit ist in § 43 a Abs. 2 BRAO dem Grundsatz nach geregelt und ist gemäß § 59 b Abs. 2 Nr. 1 lit. c) BRAO in § 2 BORA näher konkretisiert worden.13 Das Gebot der Verschwiegenheit zählt zu den tragenden Säulen des Anwaltsberufs. Die strikte Verschwiegenheit ist die unerlässliche Basis des Vertrauensverhältnisses zwischen Rechtsanwalt und Mandant. Integrität und Zuverlässigkeit des einzelnen Berufsangehörigen sowie das Recht und die Pflicht zur Verschwiegenheit sind die Grundbedingungen dafür, dass dieses Vertrauen entstehen kann.14 Die Verletzung dieser Pflicht ist sowohl berufsrechtlich, § 113 Abs. 1 BRAO, als auch strafrechtlich, § 203 Abs. 1 Nr. 3 StGB, sanktioniert. Das Berufsgeheimnis wird als anwaltliche Grundpflicht und Voraussetzung für die sachgerechte anwaltliche Berufsausübung durch Art. 12 Abs. 1 S. 1 GG geschützt. Ohne gesetzliche Garantie von Recht und Pflicht zur Verschwiegenheit stünde die anwaltliche Berufsausübung überhaupt in Frage.15

Der Tatbestand der anwaltlichen Verschwiegenheitspflicht nach § 43 a Abs. 2 BRAO setzt einen Zusammenhang zwischen der Kenntniserlangung und der anwaltlichen Berufsausübung voraus. Bereits die Anbahnung des Mandats zählt zum geschützten Bereich; der Rechtsanwalt ist also zum Schweigen verpflichtet, auch wenn er das ihm angetragene Mandat ablehnt.16

Offenkundige Tatsachen und solche, die ihrer Bedeutung nach keiner Geheimhaltung bedürfen, unterliegen gemäß § 43 a Abs. 2 S. 3 BRAO nicht der Verschwiegenheitspflicht. Eine Tatsache ist offenkundig, wenn verständige und erfahrene Menschen sie entweder in der Regel kennen müssen oder sich über die aus allgemein zugänglichen und zuverlässigen Quellen unschwer unterrichten können. Wissen, das man sich nur mit besonderen Fachkenntnissen aus allgemeinen zugänglichen Quellen aneignen kann, ist danach nicht offenkundig.17

§ 2 Abs. 1 S. 2 BORA bekräftigt ausdrücklich, dass die Verschwiegenheitspflicht zeitlich unbegrenzt gilt, auch über das Mandatsende hinaus. Dabei gilt die Verschwiegenheitspflicht gegenüber jedermann, also auch gegenüber Familienangehörigen und anderen Rechtsanwälten.

Das GwG trägt der besonderen Vertrauensstellung bei einer Rechtsberatung und Prozessvertretung Rechnung, indem ein besonderes Auskunftsverweigerungsrecht in § 52 Abs. 5 GwG geregelt wird. Demnach können Rechtsanwälte die Auskunft auf Fragen verweigern, wenn sich diese Fragen auf Informationen beziehen, die sie im Rahmen der Rechtsberatung oder der Prozessvertretung des Vertragspartners erhalten haben. Das besondere Auskunftsverweigerungsrecht besteht nicht, wenn der Verpflichtete weiß, dass sein Mandant seine Rechtsberatung für den Zweck der Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung in Anspruch genommen hat oder nimmt. In diesen Fällen bleibt die Pflicht zur Auskunft bestehen. Der Schutzumfang des § 52 Abs. 5 GwG erstreckt sich nur auf das Recht zur Auskunftsverweigerung. Die verpflichteten Rechtsanwälte sind daher nicht berechtigt, die Vorlage von Unterlagen oder eine Prüfung nach dem GwG zu ­verweigern.

Die Verschwiegenheitspflicht ist ungeachtet ihrer für das anwaltliche Berufsbild herausragenden Bedeutung vielfältigen „Angriffen“ ausgesetzt. Im GwG und in den aufgrund des GwG ergangenen Rechtsverordnungen sind Tatbestände geschaffen worden, welche die Verschwiegenheitspflicht der Rechtsanwälte durchbrechen, sodass es im Rahmen der Geldwäscheprävention in vielen Fällen zu einer Umgehung der Verschwiegenheitspflicht der Rechtsanwälte kommen kann.

b) Durchbrechungen der Verschwiegenheitspflicht durch das GwG

Neben der Mitwirkungspflicht nach § 52 Abs. 1 und Abs. 6 GwG stellt § 43 Abs. 1 GwG grundsätzlich eine Durchbrechung der anwaltlichen Verschwiegenheitspflicht dar, soweit der Rechtsanwalt zur Verdachtsmeldung verpflichtet ist. Nach § 43 Abs. 1 GwG hat der Verpflichtete einen Sachverhalt unabhängig vom Wert des betroffenen Vermögensgegenstandes oder der Transaktionshöhe unverzüglich der Zentralstelle für Finanztransaktionsuntersuchungen (FIU) zu melden, sofern Tatsachen vorliegen, die darauf hindeuten, dass ein Vermögensgegenstand, der mit einer Geschäftsbeziehung, einem Maklergeschäft oder einer Transaktion im Zusammenhang steht, aus einer strafbaren Handlung stammt, die eine Vortat der Geldwäsche darstellen könnte (Nr. 1), ein Geschäftsvorfall, eine Transaktion oder ein Vermögensgegenstand im Zusammenhang mit Terrorismusfinanzierung steht (Nr. 2) oder der Vertragspartner seine Pflichten nach § 11 Abs. 6 S. 3 GwG, gegenüber dem Verpflichteten offenzulegen, ob er die Geschäftsbeziehung oder die Transaktion für einen wirtschaftlich Berechtigten begründen, fortsetzen oder durchführen will, nicht erfüllt hat (Nr. 3).

Durch die Ausnahme in § 43 Abs. 2 GwG, die den Rechtsanwalt in den dort beschriebenen Fällen von der Verpflichtung zur Verdachtsmeldung ausnimmt, besteht keine Durchbrechung mehr von der Schweigepflicht, sodass der Rechtsanwalt nicht nur zur Meldung nicht verpflichtet, sondern wegen der Verschwiegenheitspflicht dazu nicht berechtigt ist. Diese Ausnahme gilt nur für Fälle, in denen sich der meldepflichtige Sachverhalt auf Informationen bezieht, die der Rechtsanwalt im Rahmen von Tätigkeiten der Rechtsberatung oder Prozessvertretung erhalten hat. Die Meldepflicht bleibt bestehen, wenn der verpflichtete Rechtsanwalt weiß, dass der Vertragspartner die Rechtsberatung oder Prozessvertretung für den Zweck der Geldwäsche, der Terrorismusfinanzierung oder einer anderen Straftat genutzt hat oder nutzt oder ein Fall des § 43 Abs. 6 GwG vorliegt. Danach kann das Bundesministerium der Finanzen im Einvernehmen mit dem Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz durch Rechtsverordnung ohne Zustimmung des Bundesrates Sachverhalte bei Erwerbsvorgängen nach § 1 des Grunderwerbssteuergesetzes bestimmen, die von Verpflichteten nach § 2 Abs. 1 Nr. 10 und Nr. 12 GwG stets nach § 43 Abs. 1 GwG zu melden sind.

Die seit dem 01.10.2020 geltende Verordnung zu den nach dem Geldwäschegesetz meldepflichtigen Sachverhalten im Immobilienbereich (GwGMeldV-Immobilien) bestimmt gemäß § 43 Abs. 6 GwG Sachverhalte bei Immobilientransaktionen, die von Verpflichteten der rechtsberatenden Berufe an die Zentralstelle für Finanztransaktionsuntersuchungen (FIU) zu melden sind. Dabei schafft die Verordnung weitergehende materiell-rechtliche Meldepflichten als § 43 Abs. 1 GwG vorsieht. Meldepflichtig sind typisierte Sachverhalte bei Immobilientransaktionen, die aufgrund bestimmter Auffälligkeiten einen möglichen Zusammenhang zu Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung aufweisen. So müssen unter anderem Sachverhalte gemeldet werden, bei denen die Transaktionen einen Bezug zu Staaten aufweist, die nach EU oder FATF Vorgaben als Risikostaaten gelistet sind, oder bei denen Auffälligkeiten im Zusammenhang mit den beteiligten Personen bestehen.

Bezüglich des besonderen strafbewehrten Schutzes des Vertrauensverhältnisses zwischen dem Mandanten und dem Rechtsanwalt ist nach wie vor offen, was den Rechtsanwälten zur Erfüllung ihrer Pflichten sowohl nach der BRAO und der BORA, sowie nach dem GwG anzuraten ist. Der Verordnungsgeber zwingt Rechtsanwaltskammern und andere Aufsichtsbehörden in eine missliche Situation und schafft neue Vorbehalte bei den Verpflichteten, bei denen gerade mit viel Einsatz versucht wird, Sensibilität, Akzeptanz und Bereitschaft zu erreichen. Die Regelung konkreter Meldesachverhalte soll den Verpflichteten eine klare Abgrenzung ermöglichen, wann sie eine Meldepflicht gegenüber der FIU trifft, in welchen Fällen die Verschwiegenheit bestehen bleibt; jedoch ist das Gegenteil der Fall. Die GwGMeldV-Immobilien trägt zu einer rechtsunsicheren Anwendung der Meldepflicht bei.

4. Zusammenfassung

Die Mitwirkungspflicht nach § 52 Abs. 1 und Abs. 6 GwG steht in Spannungsverhältnissen sowohl zur Selbstbelastungsfreiheit als auch zur Verschwiegenheitspflicht, welche sich nicht lösen lassen; die Spannungen müssen bewusst sein, damit ihnen im alltäglichen Geschäft der Rechtsanwälte und Aufsichtsbehörden praxisgerecht begegnet werden kann.

Im Hinblick auf das Spannungsverhältnis zur Selbstbelastungsfreiheit ist es notwendig, genau festlegen zu können, wann ein Ordnungswidrigkeitenverfahren beginnt, um eine angemessene Rechtsposition des möglicherweise Betroffenen eines Bußgeldverfahrens durchsetzen zu können. Ansatzpunkt hierfür ist aufgrund der Doppelzuständigkeit der Rechtsanwaltskammer als Aufsichts- und Bußgeldbehörde im Sinne des GwG nur das Bestehen eines Anfangsverdachts. Sobald ein Anfangsverdacht gegeben ist, erstarkt das bloße Auskunftsverweigerungsrecht aus dem Aufsichtsverfahren zu einem umfassenden Auskunfts- und Vorlageverweigerungsrecht im Ordnungswidrigkeitenverfahren; der Betroffene hat nunmehr das Recht, jede aktive Mitwirkung an den Ermittlungen im Bußgeldverfahren zu verweigern.

Bezugnehmend auf das Spannungsverhältnis der Mitwirkungspflichten zur Verschwiegenheitspflicht ist zu bedenken, dass die staatlichen Informationsbegehrlichkeiten in den letzten Jahren kontinuierlich – auch aus guten Gründen – gestiegen sind. Schließlich besteht insbesondere im Sinne des GwG ein natürliches Spannungsverhältnis zwischen dem staatlichen Interesse an effektiver Bekämpfung von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung und dem Gemeinwohlinteresse an einem nahezu lückenlosen anwaltlichen Berufsgeheimnis. Dementsprechend ist es notwendig, dass die Anwaltschaft und die Berufsverbände im Hinblick auf den Schutz der Verschwiegenheit wachsam sind und diese Kernpflicht der Rechtsanwälte gegenüber dem Gesetzgeber und der EU bestmöglich verteidigen, wie es die BRAK jüngst bezüglich des im Juli 2021 veröffentlichten Gesetzgebungspakets zur Bekämpfung der Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung getan hat.

 

  1. Wende/Thirmeyer, in: Zentes/Glaab, GwG, § 52, Rn. 10.
  2. BT-Drs. 17/5417, S. 14; Wende/Thirmeyer, in: Zentes/Glaab, GwG, § 52, Rn. 10.
  3. Bärlein, Pananis, Rehmsmeier, NJW 2002, 1825.
  4. BT-Drs. 17/5417, S. 14; Wende/Thirmeyer, in: Zentes/Glaab, GwG, § 52, Rn. 19.
  5. vgl. VG Berlin, NJW, 1988, 1105, 1106 f.; Hartung, NJW 1988, 1070,1071; Wende/Thirmeyer, in Zentes/Glaab, GwG, § 52, Rn. 20.
  6. BVerfGE 56,37 = NJW 1981, 1431; Bärlein, Pananis, Rehmsmeier, NJW 2002, 1825, 1827.
  7. vgl. BVerfGE 56, 37 (51) = NJW 1981, 1431; Bärlein, Pananis, Rehmsmeier, NJW 2002, 1825, 1827.
  8. Bärlein, Pananis, Rehmsmeier, NJW 2002, 1825, 1827.
  9. vgl. Rogall, in: SK-StPO, Vorb. § 133 Rn. 146; Bärlein, Pananis, Rehmsmeier, NJW 2002, 1825, 1828.
  10. EGMR, NJW 1985, 1273.
  11. EGMR, ÖJZ 1998, 32.
  12. EGMR, NJW 2002, 499.
  13. Ab dem 01.08.2022 entspricht § 59 b Abs. 2 Nr. 1 lit. c BRAO § 59 a Abs. 2 Nr. 1 lit. c BRAO.
  14. BVerfG NJW 2007, 2752, 2753; BVerfG NJW 2006, 3411, 3412; BVerfG NJW 2005, 1917, 1919; BVerfG NJW 2004, 1305, 1307; Henssler, AnwBl. 2019, 216.
  15. BVerfG NJW 2004, 1305, 1309; Henssler, AnwBl. 2019, 216.
  16. Knöfel, Grundfragen der internationalen Berufsausübung von Rechtsanwälten, 2005, 741; Henssler AnwBl. 2019, 216, 217.
  17. BGH NJW 1954, 1656; BGH NSTZ 2000, 596, 597.

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Aktualisierte Hinweise zu Abwicklung und Vertretung

erschienen im KammerReport 1-2022 | 10.03.2022

Die Regelungen für Abwicklung und Vertretung wurden durch die Reform des notariellen Berufsrechts angepasst. Die BRAK hat ihre Informationsmaterialien entsprechend aktualisiert.

Das Gesetz zur Modernisierung des notariellen Berufsrechts, das am 01.08.2021 in Kraft trat, brachte auch einige für Anwältinnen und Anwälte relevante Veränderungen. Insbesondere wurden die Regelungen für Vertretungen in §§ 53, 54 BRAO und für die Abwicklung einer Kanzlei in § 55 BRAO angepasst. Die augenfälligsten Neuerungen sind, dass eine Vertretung erst bei zweiwöchiger Abwesenheit von der Kanzlei bestellt werden und dass man der Vertretung Zugriff auf das eigene beA einräumen muss.

Der BRAK-Ausschuss Abwickler/Vertreter hat seine Handlungshinweise sowohl für die Tätigkeit des Vertreters als auch für die Tätigkeit des Abwicklers überarbeitet und an die neue Rechtslage angepasst. Die aktualisierten Hinweise finden Sie unter den folgenden Links

Hinweise für die Tätigkeit des Abwicklers (Stand: 2022) 

Informationen des BRAK-Ausschusses Abwickler/Vertreter 

Aktualisiert wurde zudem das Abwicklerlexikon. Es enthält Erläuterungen zu zahlreichen Stichworten im Zusammenhang mit der Tätigkeit eines Kanzleiabwicklers i. S. v. § 55 BRAO, etwa zu den Befugnissen und Berichtspflichten des Abwicklers, zum Umgang mit den Mitarbeitern der abzuwickelnden Kanzlei oder zum besonderen elektronischen Anwaltspostfach (beA) des ehemaligen Rechtsanwalts. Das Abwicklerlexikon (Stand: 2022) steht bereit unter dem Link

Abwicklerlexikon (Stand: 2022) 

 

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„ABC – Steuerfragen für Rechtsanwälte“ – BRAK-Information erweitert

(Stand Dezember 2021)

erschienen im KammerReport 1-2022 | 10.03.2022

Der BRAK-Ausschuss Steuerrecht hat sein Steuer-ABC für Anwältinnen und Anwälte um einen Beitrag zu Bewirtungskosten ergänzt. Im Zentrum steht dabei das Spannungsverhältnis zum Mandatsgeheimnis.

Im Steuer-ABC hat der BRAK-Ausschuss Steuerrecht sämtliche von ihm erstellte Publikationen zu steuerrechtlichen Fragen für Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte überblicksartig dargestellt, um sie für Recherchen leichter zugänglich zu machen. Die verschiedenen Handlungshinweise sowie Publikationen in den BRAK-Mitteilungen sowie im BRAK-Magazin werden jeweils kurz zusammengefasst und verlinkt. Sie betreffen unter anderem Themen wie Betriebsprüfungen, die Gewerblichkeit anwaltlicher Tätigkeit, die Rechnungslegung sowie eine Reihe weiterer steuerrechtlicher Fragen, die für die anwaltliche Praxis relevant sind.

Der neu aufgenommene Beitrag behandelt die Anforderungen an die steuerliche Geltendmachung von Bewirtungsaufwendungen und beleuchtet, inwieweit hierbei Konflikte mit dem Mandatsgeheimnis eintreten können. Die Hinweise des BRAK-Ausschusses Steuerrecht ABC-Steuerfragen für Rechtsanwälte finden Sie in alphabetischer Sortierung unter dem Link
ABC – Steuerfragen für Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte.

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Wahlen zum Kammervorstand 2022

Wahlen zur Kammerversammlung

Wahlaufruf des Wahlleiters, Rechtsanwalt Christoph Sandkühler, Hamm

erschienen im KammerReport 4-2021 | 17.12.2021

Sehr geehrte Frau Kollegin, sehr geehrter Herr Kollege,

Sie sind gefragt: Im kommenden Jahr sind alle Mitglieder der Rechtsanwaltskammer Hamm aufgerufen, Vorstandsmitglieder der Rechtsanwaltskammer gemäß § 64 ff. BRAO zu wählen. Kolleginnen und Kollegen mit Kanzleisitz in den Landgerichtsbezirken Arnsberg, Bielefeld, Bochum, Dortmund, Essen, Münster, Paderborn, Siegen und am Ort des Sitzes der Kammer haben die Möglichkeit, sich für ihren Bezirk zu bewerben.

Nicht wenige Kolleginnen und Kollegen haben die Tätigkeit des Vorstands der Rechtsanwaltskammer bislang eher „aus der Ferne“ betrachtet. Angesichts hoher eigener beruflicher Beanspruchung ist dies verständlich. Aber: Anwaltliche Selbstverwaltung setzt das ehrenamtliche Engagement von Kolleginnen und Kollegen voraus. Und: Ein Kammervorstand kann nur so gut sein wie die Mitglieder, die hinter ihm stehen.

Machen Sie deshalb von Ihrem Wahlrecht Gebrauch! Geben Sie Ihre Stimmen ab! Nehmen Sie durch Ihre Wahlbeteiligung Einfluss auf die Entwicklung der beruflichen Selbstverwaltung und des anwaltlichen Berufsrechts. Wirken Sie daran mit, dass der Kammervorstand ein repräsentatives Abbild der durch ihn vertretenen Kolleginnen und Kollegen bleibt.

Die Vorstandswahlen im Jahre 2022 finden als elektro-nische Wahlen statt. Die Wahlunterlagen zur elektro-nischen Wahl erhalten Sie im März 2022 unmittelbar nach der Kammerversammlung am 30.03.2022. Sie haben dann bis zum 12.05.2022, 24:00 Uhr, die Möglichkeit, Ihren Kandidatinnen und Kandidaten Ihre Stimme zu geben.

Sie wollen nicht nur Ihre Stimme abgeben, sondern auch einen Wahlvorschlag unterbreiten oder erwägen selbst eine Kandidatur zur Wahl in den Kammervorstand? Voraussetzung für eine Kandidatur ist, dass der Kandidat seinen Kanzleisitz in einem der o.g. Landgerichtsbezirke unterhält. Beachten Sie bitte auch die Frist zur Einreichung der Wahlvorschläge vom 24.01.2022 bis zum 21.02.2022, 16:00 Uhr. Innerhalb dieses Zeitraums haben Sie die Möglichkeit, einen Wahlvorschlag bei dem Wahlausschuss einzureichen. Vorschlagsberechtigt sind auch die örtlichen Anwaltvereine. Die Geschäftsstelle der Rechtsanwaltskammer hält ein Formblatt bereit, das die notwendigen Formalien berücksichtigt.

Kandidatinnen und Kandidaten werden Gelegenheit haben, sich in der Kammerversammlung den wahlberechtigten Mitgliedern persönlich vorzustellen. Auch auf der Homepage der Rechtsanwaltskammer wird die Möglichkeit bestehen, sich als Kandidat/in zu präsentieren.

Über die weiteren Einzelheiten werde ich Sie noch mit der ersten Wahlbekanntmachung, die Mitte Januar 2022 per beA verschickt wird, informieren.

Ich freue mich auf Ihre Beteiligung an den Wahlen zum Kammervorstand 2022!

Ihr
Christoph Sandkühler
Wahlleiter

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Readiness 2022

Tipps für beA-Neulinge

Zehn Punkte zur Vorbereitung auf den verpflichtenden elektronischen Rechtsverkehr

erschienen im KammerReport 4-2021 | 17.12.2021

Rechtsanwältin Julia von Seltmann, BRAK, Berlin*

Ab dem 1.1.2022 wird der verpflichtende elektronische Rechtsverkehr flächendeckend eingeführt. Die BRAK bereitet seit einiger Zeit das beA-System auf den zu erwartenden Anstieg der versandten und empfangenen Nachrichten unter dem Stichwort „Readiness 2022“ vor. Aber auch in den Kanzleien, die derzeit noch nicht auf den elektronischen Versand von Nachrichten umgestellt haben, werden noch Vorbereitungen zu treffen sein. Die folgende Zehn-Punkte-Liste soll dabei unterstützen.

1. Erstregistrierung vornehmen

Für die Nutzung des Postfachs ist dessen Inbesitznahme, die sog. Erstregistrierung, erforderlich. Hilfestellung bietet die Anleitung unter https://portal.beasupport.de/external/knowledge-base/article/79.

2. E-Mail-Adresse für Benachrichtigungen hinterlegen

In der Postfachverwaltung können Sie eine oder mehrere E-Mail-Adressen hinterlegen, an die im Falle eines Posteingangs im beA Benachrichtigungen versandt werden sollen. Bei der Einrichtung des Postfachs wird automatisch die Adresse hinterlegt, die bei der Rechtsanwaltskammer bekannt ist. Diese Adresse sollten Sie unbedingt kontrollieren und ggf. bei Ihrer Kammer aktualisieren. Falls keine Adresse hinterlegt ist, können Sie diese selbstständig eintragen. Weitere Informationen finden sich hier: https://portal.beasupport.de/external/knowledge-base/article/37.

3. Kanzleiinfrastruktur überprüfen

Die Kanzleiinfrastruktur sollte auf den elektronischen Rechtsverkehr vorbereitet sein. Geprüft werden sollten vor allem die allgemeinen Vorkehrungen zur IT-Sicherheit (insb. beim Einsatz von Software-Zertifikaten), die Leistungsfähigkeit des Internetanschlusses, die Aktualität der Virenschutzprogramme, das Vorhandensein ausreichender Scan-Möglichkeiten, eine ausreichende Anzahl von beA-Mitarbeiterkarten und Kartenlese-geräten, die Kompatibilität mit eingesetzter Kanzleisoftware oder anderer Fachsoftware.

4. Kanzleiorganisation

Die kanzleiinternen Prozesse sollten an den elektronischen Rechtsverkehr angepasst werden. Zu klären ist, wie die Zugriffe auf die Postfächer geregelt sind, wie Posteingänge und Fristen überwacht werden, ob Vertretungsregeln und bisherige Prozesse angepasst werden müssen.

5. Rechtevergabe

Als Folge der Anpassung der kanzleiinternen Prozesse sollten die entsprechenden Berechtigungen im beA eingerichtet werden. Das beA-Anwenderportal beschreibt die einzelnen Schritte: https://portal.beasupport.de/external/knowledge-base/category/3.

6. Rechtliche Grundlagen

Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte und ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sollten sich rechtzeitig mit den rechtlichen Grundlagen des elektronischen Rechtsverkehrs vertraut machen. Wichtige Regelungen enthalten die Verfahrensordnungen, die Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung (ERVV) mit der dazugehörigen Bekanntmachung und die Rechtsanwaltsverzeichnis- und -postfachverordnung (RAVPV).

7. Angabe des Kommunikationswegs

§ 130 Nr. 1a ZPO regelt, dass vorbereitende Schriftsätze die für eine Übermittlung elektronischer Dokumente erforderlichen Angaben enthalten sollen, sofern eine solche möglich ist. Darunter zählt auch die Angabe des Postfachs, über das die Korrespondenz erfolgen soll. Es ist also sinnvoll, in den ersten Schriftsatz in einer Sache einen Hinweis auf das für die Korrespondenz zu verwendende beA aufzunehmen.

8. Schulungen

Rechtsanwaltskammern, Anwaltvereine und Schulungsanbieter bieten verstärkt praxisnahe Schulungen für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte zur Vorbereitung auf den 1.1.2022 an.

9. Support

Falls Probleme auftreten sollten: Der Supportwegweiser der BRAK gibt einen Überblick über passgenaue Hilfsangebote: https://portal.beasupport.de/external/c/supportwegweiser.

10. Rechtzeitig anfangen

Warten Sie nicht bis zum letzten Tag, bis Sie den elektronischen Rechtsverkehr aktiv nutzen, sondern fangen Sie so früh wie möglich damit an. Das rechtzeitige „Üben“ hilft bei der Etablierung der notwendigen Prozesse in der Kanzlei und bereitet auf den Stichtag 1.1.2022 vor.

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Praxishinweise der Rechtsanwaltskammer Hamm zur Geldwäscheprävention

erschienen im KammerReport 4-2021 | 17.12.2021

RAin Lena Koch, Juristische Referentin der RAK Hamm

Rechtsanwälte sowie Kammerrechtsbeistände können Verpflichtete im Sinne des Geldwäschegesetzes (GwG) sein, wenn sie eine der in § 2 Abs. 1 Nr. 10 GwG aufgeführten Tätigkeiten durchführen. In diesem Fall – bereits bei der ersten Durchführung einer Katalogtätigkeit – müssen die Sorgfaltspflichten und internen Sicherungsmaßnahmen nach dem GwG beachtet und eingehalten werden. In ihren Aufsichtsprüfungen im Rahmen der Geldwäscheprävention bemerkt die Rechtsanwaltskammer Hamm immer wieder die gleichen bußgeldbewehrten und leicht vermeidbaren Verstöße. Daher legen wir Ihnen die Beachtung der folgenden Praxishinweise nahe:

1.
Die Vorschriften des GwG dienen der Prävention. Rechtsanwälte sollen sich durch Vorsichtsmaßnahmen vor ihrem Missbrauch durch Kriminelle, die Geldwäsche betreiben, schützen. Weder das Geldwäschegesetz noch die Rechtsanwaltskammer Hamm als Aufsichtsbehörde verdächtigen Rechtsanwälte oder Mandanten der Geldwäsche. Das Risiko ist abstrakt, die Aufsichtsprüfungen erfolgen grundsätzlich anlasslos. Personen, bei denen aufgrund ihrer Geschäftstätigkeit Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sie Verpflichtete nach § 2 Abs. 1 Nr. 10 GwG sind, haben der Rechtsanwaltskammer auf Verlangen unentgeltlich Auskunft über alle Geschäftsangelegenheiten zu erteilen und Unterlagen vorzulegen, soweit dies für die Feststellung der Verpflichteteneigenschaft erforderlich ist, § 52 Abs. 6 GwG. Ein verpflichteter Rechtsanwalt hat der Rechtsanwaltskammer auf Verlangen unentgeltlich Auskunft über alle Geschäftsangelegenheiten und Transaktionen zu erteilen und Unterlagen vorzulegen, die für die Einhaltung der im GwG festgelegten Anforderungen von Bedeutung sind, § 52 Abs. 1 GwG. Dementsprechend sind Sie gesetzlich dazu verpflichtet, bei der Durchführung der Aufsichtstätigkeit durch die Rechtsanwaltskammer mitzuwirken; Verstöße gegen die Mitwirkungspflicht sind gemäß § 56 Abs. 1 Nr. 73 GwG bußgeldbewehrt.

2.
Erfüllen Sie die Sorgfaltspflichten bei jeder Tätigkeit im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 10 GwG, insbesondere auch für langjährig bekannte „Dauermandanten“. Anknüpfungspunkt der Verpflichtungen ist nicht der Mandant, sondern vielmehr jede einzelne (zumindest abstrakt) risikobehaftete Tätigkeit im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 10 GwG für den Mandanten. Nach dem GwG kann das Missbrauchsrisiko dort allenfalls gering, jedoch nicht ausgeschlossen sein. Die Sorgfaltspflichten entfallen daher in keinem Fall. Lediglich ihr Umfang kann nach Maßgabe des § 14 GwG ggfs. reduziert werden. Die Pflicht zur Identifizierung entfällt dementsprechend nicht schon dann, wenn Ihnen der zu Identifizierende persönlich bekannt ist. Wurde der Mandant einmal GwG-konform identifiziert und dies dokumentiert, kann von einer erneuten Identifizierung bei der anstehenden Tätigkeit im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 10 GwG mit demselben Mandanten unter Umständen abgesehen werden, vgl. § 11 Abs. 3 GwG. Dokumentieren Sie dann jedoch stets den Namen des zu Identifizierenden und den Umstand, dass er bei früherer Gelegenheit bereits identifiziert worden ist, § 8 Abs. 2 S. 5 GwG, durch einen Hinweis, wo die Dokumentation der Identifizierung zu finden ist. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Mandant bei Begründung der Geschäftsbeziehung, also bei Mandatsannahme, anhand eines gültigen amtlichen Ausweisdokuments (§ 12 Abs. 1 Nr. 1 GwG) zu identifizieren ist.

Beachten Sie, dass die Identifizierung nur eine von mehreren zwingenden Sorgfaltspflichten ist, vgl. § 10 GwG.

3.
Prüfen Sie die Identität des Mandanten und ggfs. der für ihn auftretenden Person anhand des vor Ort im Original vorgelegten Personalausweises und fertigen Sie die Kopie. Sie dürfen und müssen die betreffenden Ausweise kopieren und aufzeichnen oder einscannen. § 8 Abs. 2 S. 2 GwG geht als lex specialis insoweit entgegenstehenden Normen (Personalausweisgesetz, Datenschutz) vor. Eine zugesendete Kopie – ohne Abgleich mit dem Originaldokument – ist untauglich, vgl. § 13 Abs. 1 GwG. Anstelle der Prüfung des Ausweisdokuments vor Ort können Sie sich aber nach § 13 Abs. 1 Nr. 2 GwG eines „sonstigen Verfahrens“ bedienen, „das zur geldwäscherechtlichen Überprüfung der Identität geeignet ist und ein Sicherheitsniveau aufweist“, das der Prüfung des vor Ort vorgelegten Dokuments gleichwertig ist. Als gleichwertiges Verfahren kann ein Identifizierungsverfahren mittels Videoschaltung anzuerkennen sein, soweit es hohen technischen und sonstigen Sicherheitsstandards genügt und Manipulationen ausgeschlossen sind. Darüber hinaus können Sie einen Kollegen oder andere Verpflichtete am Ort des Mandanten nach Maßgabe des § 17 GwG beauftragen und Ihre (!) Sorgfaltspflichten, für die Sie nach wie vor verantwortlich bleiben, § 17 Abs. 1 S. 3 GwG, durch Dritte durchführen lassen.

4.
Auch die Mitwirkung anderer Verpflichteter, beispielsweise eines Notars, Steuerberaters oder Wirtschaftsprüfers oder eines Geldinstituts, befreit Sie nicht von der Erfüllung Ihrer Pflichten nach dem Geldwäschegesetz. So hat der Rechtsanwalt beispielsweise die Identifizierungspflicht nebst Dokumentations- und Aufbewahrungspflichten auch dann zu erfüllen, wenn der Mandant etwa bereits beim Notar identifiziert wurde oder dort voraussichtlich noch identifiziert werden wird. Ziel ist es, dem Geldwäscherisiko mithilfe eines weiteren und konsequenten Präventionssystems vorzubeugen.

5.
Seit dem 01.08.2021 sind bei der Identitätsprüfung der wirtschaftlich Berechtigten einer juristischen Person insbesondere die Neuregelung des § 12 Abs. 3 GwG zu beachten. Im Falle der Identifizierung anlässlich der Begründung einer neuen Mandatsbeziehung mit einer Vereinigung nach § 20 GwG (alle juristischen Personen des Privatrechts und eingetragene Personengesellschaften) oder einer Rechtsgestaltung nach § 21 GwG haben Sie nunmehr zwingend einen Nachweis der Registrierung zum Transparenzregister nach § 20 Abs. 1 GwG oder § 21 GwG oder einen Auszug der im Transparenzregister zugänglichen Daten einzuholen. Nach § 12 Abs. 3 S. 3 GwG müssen Sie bei Geschäftsbeziehungen oder Transaktionen mit Vereinigungen nach § 20 GwG oder Rechtsgestaltungen nach § 21 GwG keine über die Einsicht in das Transparenzregister hinausgehenden Maßnahmen zur Erfüllung Ihrer Überprüfungspflicht ergreifen, wenn die nach § 11 Abs. 5 GwG erhobenen Angaben mit den Angaben zu den wirtschaftlich Berechtigten im Transparenzregister übereinstimmen und keine sonstigen Anhaltspunkte bestehen, die Zweifel an der Identität der wirtschaftlich Berechtigten, ihrer Stellung als wirtschaftlich Berechtigte oder der Richtigkeit sonstiger Angaben nach § 19 Abs. 1 GwG begründen oder die auf ein höheres Risiko der Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung gemäß § 15 Abs. 2 GwG hindeuten.

Inländische juristische Personen des Privatrechts und eingetragene Personengesellschaften sowie bestimmte weitere Rechtsträger, die das GwG sämtlich als „Vereinigungen“ definiert, sowie bestimmte „Rechtsgestaltungen“ sind bereits seit Oktober 2017 gemäß §§ 20 Abs. 1, 21 Abs. 1 GwG verpflichtet, deren wirtschaftlich Berechtigte zum Transparenzregister elektronisch mitzuteilen (www.transparenzregister.de). Die bisherige Mitteilungsfiktion, wonach keine Mitteilung zum Transparenzregister erforderlich war, wenn sich die wirtschaftlich Berechtigten schon aus anderen öffentlichen Registern ergaben, wurde durch das Transparenzregister- und Finanzinformationsgesetz gestrichen und damit zum 01.08.2021 eine (bußgeldbewehrte) Mitteilungspflicht für alle Rechtseinheiten eingeführt; lediglich bei eingetragenen Vereinen erfolgt eine automatische Eintragung nach § 20 a GwG. Abhängig von der Rechtsform bestehen gemäß § 59 Abs. 8 GwG Übergangsregelungen, soweit bislang die Mitteilungsfiktion griff.

6.
Die Rechtsanwaltskammer Hamm empfiehlt Ihnen, zur vollumfänglichen Dokumentation der Erfüllung der Pflichten nach dem GwG einen GwG-Dokumentationsbogen zu erstellen und im Falle des Vorliegens einer Tätigkeit im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 10 GwG auszufüllen und zur jeweiligen Akte zu nehmen. Um in dem Kanzleibetrieb sowohl die mandatsbezogenen Sorgfaltspflichten als auch die dazugehörigen Aufzeichnungspflichten nach dem GwG stets entsprechend den gesetzlichen Vorgaben zu erfüllen, stellt die Rechtsanwaltskammer für die im Bezirk zugelassenen Rechtsanwälte Musterformulare auf ihrer Homepage zur Verfügung. Es wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Muster-Dokumentationsbögen ein Service der Rechtsanwaltskammer Hamm sind, die lediglich eine Hilfestellung geben sollen und daher keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben. Der Rechtsanwalt, der Tätigkeiten gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 10 GwG durchführt, bleibt zur eigenständigen Prüfung und Erfüllung seiner gesetzlichen Verpflichtungen aus dem GwG im Einzelfall verpflichtet.

7.
Von der konkreten Risikobewertung im Einzelfall gemäß § 8 Abs. 1 Nr. 2 GwG ist die abstrakte Risikoanalyse gemäß § 5 GwG zu unterscheiden. Sobald Sie eine Katalogtätigkeit gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 10 GwG durchführen, haben Sie grundsätzlich eine Risikoanalyse gemäß § 5 GwG zu erstellen. Ziel der Risikoanalyse ist es, die spezifischen Risiken in Bezug auf Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung umfassend und vollständig zu erfassen, zu identifizieren, zu kategorisieren und zu gewichten sowie darauf aufbauend geeignete Geldwäsche-Präventionsmaßnahmen, insbesondere interne Sicherungsmaßnahmen, zu treffen. Diese müssen sich aus der Risikoanalyse ableiten lassen und dieser entsprechen. Die Anlagen 1 und 2 zum GwG enthalten dabei eine nicht abschließende Aufzählung von Faktoren und möglichen Anzeichen für ein potenziell geringeres oder höheres Risiko. Bei der Erstellung der Risikoanalyse sind insbesondere diese Risikofaktoren sowie die Informationen zu berücksichtigen, die auf Grundlage der nationalen Risikoanalyse den Verpflichteten von der Zentralstelle für Finanztransaktionsuntersuchungen (FIU) zur Verfügung gestellt werden. Die Risikoanalyse ist im angemessenen Umfang zu erstellen, der sich insbesondere nach Art und Umfang Ihrer Geschäftstätigkeit richtet. Sie muss dokumentiert, d. h. schriftlich oder elektronisch aufgezeichnet, regelmäßig, zumindest einmal im Jahr, überprüft und – soweit erforderlich – aktualisiert werden und ist der Rechtsanwaltskammer auf Verlangen in der jeweils aktuellen Fassung zur Verfügung zu stellen, § 5 Abs. 2 Nr. 1 bis Nr. 3 GwG. Die Rechtsanwaltskammer hat eine individuelle und eine kanzleiweite Muster-Risikoanalyse auf ihrer Homepage veröffentlicht, welche die entsprechenden Anforderungen an eine derartige Analyse veranschaulichen.

Weitere Informationen können Sie der aktualisierten 6. Auflage der Auslegungs- und Anwendungshinweise zum GwG entnehmen, welche Sie auf der Homepage der Rechtsanwaltskammer Hamm unter „Anwaltsservice“, dort: „Geldwäschegesetzverpflichtungen“, finden (www.rechtsanwaltskammer-hamm.de).

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Kindererziehungszeiten – Möglichkeit der Anerkennung bei der Deutschen Rentenversicherung Bund

erschienen im KammerReport 4-2021 | 17.12.2021

Mitglieder berufsständischer Versorgungswerke der freien Berufe, die von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung befreit sind, können (gleichwohl) bei der Deutschen Rentenversicherung (DRV) die Anerkennung von Kindererziehungszeiten beantragen. Dies gilt demnach auch für Mitglieder unseres Versorgungswerkes.

Mitglieder berufsständischer Versorgungswerke, die bereits in der Vergangenheit Beiträge an die DRV leisteten und dort einen Rentenanspruch erwarben, erhalten mit der Anerkennung von Kindererziehungszeiten eine Rentengutschrift. Viele Mitglieder berufsständischer Versorgungswerke haben aber noch nie Beiträge an die DRV geleistet. Aber auch sie können sich Kindererziehungszeiten von der DRV anerkennen lassen. Die Anerkennung bewirkt, dass ein Rentenanspruch gegenüber der DRV erworben wird oder durch verhältnismäßig geringe Zuzahlung erworben werden kann. Die Altersversorgung beim Versorgungswerk wird dadurch nicht berührt.

Zum 1.1.2019 hat der Staat die Rentengutschrift der DRV erhöht. Für jedes Kind, das vor 1992 geboren wurde, schreibt die DRV nunmehr 30 statt bisher 24 Beitragsmonate gut. Sie gewährt damit 2,5 statt bisher zwei Entgeltpunkte. Für jedes nach 1992 geborene Kind sind es weiterhin 36 Beitragsmonate und drei Entgeltpunkte. Ein Entgeltpunkt (West) entspricht aktuell einem monatlichen Rentenanspruch von 34,19 Euro.

Eine Rente von der DRV erhält jedoch nur, wer die sogenannte allgemeine Wartezeit erfüllt hat. Hierfür müssen mindestens 60 Beitragsmonate verbucht sein. Wer zwei vor 1992 geborene Kinder erzogen hat – und dafür 60 Beitragsmonate gutgeschrieben bekommt –, hat somit bereits einen Rentenanspruch bei der DRV erworben. Wer nur ein Kind erzogen hat und die Wartezeit bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze nicht erfüllt, kann die fehlenden Monate durch freiwillige Beitragsleistungen auffüllen (auch Einmalzahlung möglich). Die Höhe der nötigen freiwilligen Beitragsleistung ist im Verhältnis zur Höhe der zu erwartenden DRV-Rente verhältnismäßig gering.

Vor 1955 geborene Eltern können frühestens sechs Monate vor Erreichen der Regelaltersgrenze so viele Beiträge nachzahlen, wie zum Erfüllen der allgemeinen Wartezeit erforderlich sind. Wer 1955 oder später geboren ist, kann einen Antrag auf freiwillige Versicherung in der DRV stellen und für die fehlenden Monate laufend freiwillige Beiträge leisten. Wichtig ist, dass der Antrag auf freiwillige Versicherung in der DRV so rechtzeitig gestellt wird, dass die fehlenden Beitragsmonate bis zum Erreichen der DRV-Regelaltersgrenze noch mit Bei-trägen belegt werden können.

Allerdings kann sich nur ein Elternteil die Erziehungszeit anrechnen lassen: derjenige, der die Erziehung hauptsächlich übernimmt bzw. übernahm. Sofern beide Elternteile an der Erziehung beteiligt sind bzw. waren, fällt der Anspruch auf Anrechnung der Kindererziehungszeit automatisch der Mutter zu. Durch gemeinsame Erklärung gegenüber der Deutschen Rentenversicherung können die Eltern aber eine abweichende Verteilung bestimmen.

Der Antrag auf Anerkennung von Kindererziehungszeiten kann bei den örtlichen Auskunfts- und Beratungsstellen der Rentenversicherung oder schriftlich bei der Deutschen Rentenversicherung Bund, Postfach, 10704 Berlin, gestellt werden. Dort können Sie auch nähere Einzelheiten zur Anerkennung von Kindererziehungszeiten erhalten.

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beA in neuem Gewand

Elektronische Empfangsbekenntnisse

Ein erster Blick auf die neuen Oberflächen oder UI/UX-Redesign

erschienen im KammerReport 4-2021 | 17.12.2021

Rechtsanwältin Julia von Seltmann, BRAK, Berlin*

Aus der Anwaltschaft sind vielfach Wünsche an die BRAK herangetragen worden, dass ein Redesign der beA-Oberflächen erforderlich sei. Die Begründungen lauteten, die beA-Webanwendung sei altbacken, benutzerunfreundlich und unübersichtlich. Deshalb und aus eigener Anschauung hat die BRAK Oberflächenanpassungen in Auftrag gegeben, die zu einer nutzerfreundlicheren Arbeit mit der beA-Webanwendung beitragen sollen.

Expertinnen und Experten aus dem Wesroc-Entwicklungsteam haben sich die Oberflächen der beA-Webanwendung kritisch angeschaut und Überarbeitungen vorgeschlagen. Diese Vorschläge haben sie anhand von Prototypen durch beA-Anwenderinnen und -Anwender sowohl aus der Anwaltschaft als auch aus dem Kreis der Kanzleimitarbeiterinnen und -mitarbeiter in Nutzerinterviews testen lassen. Die Ergebnisse dieser Tests sind in weitere Überarbeitungen eingeflossen. Die Ergebnisse, die sich derzeit in der Umsetzung befinden, sollen im Folgenden präsentiert werden.

Neuer Rahmen für den Posteingang

Der Posteingang erhält einen neuen Rahmen. Die Bereiche „Postfach“ und „Sichten“ werden durch Ziehleisten auf der linken Seite der Ansicht getrennt. Die Schalt-flächen sind künftig auf der rechten Seite untereinander und nicht mehr – wie bisher – relativ willkürlich über den Nachrichten angeordnet. Insgesamt stellt sich der Posteingang damit sehr viel übersichtlicher und klarer dar. Außerdem sind weitere Funktionen wie Filter und Volltextsuche, aufklappbare Tabelleneinträge sowie Kontextmenüs vorgesehen (Abb. 1).

Wenn die Nutzerinnen und Nutzer nach diesem neuen Konzept eine Nachricht öffnen möchten, öffnet sich diese innerhalb der Rahmenanwendung. Der rechte Bereich enthält eine minimierbare Button-Menüleiste. Der Inhaltsbereich soll durch Überschriften „Nachrichtendetails“, „Anhänge“ und „Kommentare“ strukturiert werden. Mit einem Button in der Nachrichten-Kopfzeile kommen die Anwenderinnen und Anwender zurück zum vorherigen Ordner (Abb. 2).

Einfacher und übersichtlicher: Erstellen von Nachrichten

Auch das Erstellen einer neuen Nachricht soll übersichtlicher werden. Die Nachricht öffnet sich im selben Fenster. Ein weiterer Browser-Tab ist nicht mehr vorgesehen. Die Anordnung erfolgt zentriert innerhalb des vorgegebenen Rahmens. Ziel ist die optimierte Erfassung des Nachrichteninhalts. Bei der Auswahl mehrerer Empfänger sind empfängerspezifische Felder ausfüllbar, die dazu führen, dass jedem Empfänger eigene Verfahrensdaten zugeordnet werden können (Abb. 3).

Die Funktionalitäten „Auf Nachricht antworten“ und „Nachricht weiterleiten“ zeigen sich ebenfalls im neuen Gewand. Insgesamt wird auch hier die Ansicht in dem vorgegebenen Rahmen beibehalten, um mehr Übersichtlichkeit zu erreichen. Bisher etwas umständlich gestaltet sich die Empfängerauswahl. Auch hier sind Verbesserungen vorgesehen. Das zuletzt ausgewählte Verzeichnis ist beim erneuten Öffnen vorausgewählt. Es kann eine Volltextsuche mit direkter Auswirkung auf die Tabelle vorgenommen werden und das Umschalten zwischen Adressbüchern soll sich künftig einfacher gestalten lassen.

Wann genau welche dieser Änderungen den Nutzerinnen und Nutzern zur Verfügung gestellt werden wird, stand bei Redaktionsschluss des KammerReports noch nicht fest. Wesroc hat mit der Entwicklung begonnen. Das erste Arbeitspaket soll auf jeden Fall noch im Jahr 2021 bereitgestellt werden.

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Alternative Streitbeilegung: Anwaltliche Hinweispflichten

erschienen im KammerReport 4-2021 | 17.12.2021

Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte müssen verschiedene Hinweispflichten auf Mechanismen der außergerichtlichen Streitbeilegung erfüllen. Rechtsgrundlagen hierfür sind die Online-Dispute-Resolution-Verordnung (Verordnung (EU) Nr. 524/201) und das Verbraucherstreitbeilegungsgesetz. Der BRAK-Ausschuss Außergerichtliche Streitbeilegung hat seine Informationsbroschüre hierzu aktualisiert und überarbeitet. Eingearbeitet wurden dabei u. a. ein Urteil des EuGH aus dem Jahr 2020 zu Online-Pflichtangaben zur alternativen Streitbeilegung sowie die aktuelle Rechtsprechung des BGH zu im Wege des Fernabsatzes geschlossenen Anwaltsverträgen. Die aktualisierten Informationen finden Sie unter diesem Link: https://brak.de/w/files/02_fuer_anwaelte/berufsrecht/hinweispflichten_odr-plus-vsgb_2021.pdf

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Vorsicht im Umgang mit widerstreitenden Interessen

Umgang mit widerstreitenden Interessen

– Interessenkollision im Lichte der BRAO-Reform: Was gilt heute, was kommt, was kommt nicht? –

erschienen im KammerReport 3-2021 | 24.09.2021

Rechtsanwalt und Notar a.D. Karl F. Hofmeister, Olpe

Interessenkonflikte und hieraus sich ergebende Tätigkeitsverbote beschäftigen regelmäßig seit Jahrzehnten die Aufsichtsabteilungen der Rechtsanwaltskammern.

Oft wird die Tragweite des Verbotes widerstreitender Interessen in der Kollegenschaft verkannt, will man nicht ohne Weiteres und ohne Not auf ein lukratives Mandat verzichten. Die Entscheider in der Anwaltsgerichtsbarkeit, den Kammern und den Staatsanwaltschaften tun sich oft schwer, den konkreten Fall sachgerecht zu beurteilen und zu entscheiden.

Der Aufsatz soll als Orientierungshilfe zum Thema Interessenkollision dienen, wobei auf eine umfassende Darstellung der einzelfallbezogenen Rechtsprechung zum Verbot widerstreitender Interessen zu Gunsten der besseren Übersicht verzichtet wird.

Die Rechtsanwaltskammer Hamm hatte folgenden Fall zu beraten und zu entscheiden, der es bis zum Bundesgerichtshof gebracht hat:

Die Beschwerdegegnerin vertrat in einem Scheidungs- und Zugewinnausgleichsverfahren den Ehemann sowie später auch den volljährigen Sohn der Eheleute gegen die Mutter auf Zahlung von Kindesunterhalt.

Im Ergebnis wurde der Beschwerdegegnerin ein belehrender Hinweis wegen Verstoßes gegen §§ 43 a Abs. 4 BRAO, 3 Abs. 1 1. Alt. BORA erteilt. Der Anwaltsgerichtshof hob den belehrenden Hinweis auf, ließ aber die Berufung unter Hinweis darauf zu, dass es für die Annahme einer Interessenkollision auf eine Einzelbetrachtung ankomme, diese Frage aber höchstrichterlich noch nicht geklärt sei.

Der Anwaltssenat des Bundesgerichtshofes hat mit Urteil vom 23.04.2012 1 die Berufung gegen die Entscheidung des AGH zurückgewiesen und die Auffassung vertreten, ein Interessengegensatz sei anhand einer „konkret objektiven Betrachtung“ zu beurteilen. Ob widerstreitende Interessen vertreten werden, könne nicht ohne Blick auf die konkreten Umstände des Einzelfalls beurteilt werden. Maßgeblich sei, ob der in den anzuwendenden Rechtsvorschriften typisierte Interessenkonflikt im konkreten Fall tatsächlich auftrete.

Die Entscheidung des BGH wurde im Schrifttum 2 mit „mehr als überraschend“ betitelt, hatte die Rechtsprechung 3 doch bis dahin die Frage, ob die Interessen der Parteien anhand eines subjektiven oder eines objektiven Bewertungsmaßstabes zu bestimmen seien, in dem Sinne überwiegend entschieden, dass den subjektiven Vorstellungen der Mandanten entscheidende Bedeutung zukomme.

 

I. Ausgangslage

Vor einer Beschäftigung mit weiteren aktuellen Streitfragen bedarf es zunächst eines Blickes auf die rechtlichen Grundlagen; es sind diese straf- und berufsrechtlichen Vorschriften:

§ 356 Abs. 1 StGB lautet:

Ein Anwalt oder ein anderer Rechtsbeistand, welcher bei den ihm in dieser Eigenschaft anvertrauten Angelegenheiten in derselben Rechtssache beiden Parteien durch Rat oder Beistand pflichtwidrig dient, wird mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.

§ 43 a Abs. 4 BRAO lautet:

Der Rechtsanwalt darf keine widerstreitenden Interessen vertreten.

§ 3 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 1 BORA lauten:

(1) Der Rechtsanwalt darf nicht tätig werden, wenn er eine andere Partei in derselben Rechtssache im widerstreitenden Interesse bereits beraten oder vertreten hat oder mit dieser Rechtssache in sonstiger Weise im Sinne der §§ 45, 46 Bundesrechtsanwaltsordnung beruflich befasst war. …

(2) Das Verbot des Abs. 1 gilt auch für alle mit ihm in derselben Berufsausübungs- oder Bürogemeinschaft gleich welcher Rechts- oder Organisationsform verbundenen Rechtsanwälte. …

Was unterscheidet die verschiedenen Verbotstatbestände und was sind ihre Tatbestandsmerkmale?

  1. In § 356 StGB wird das Verhalten eines Rechtsanwalts unter Strafe gestellt, der bei den ihm in dieser Eigenschaft anvertrauten Angelegenheiten in derselben Rechtssache beiden Parteien pflichtwidrig dient.

In § 43 a Abs. 4 BRAO heißt es nur kurz und knapp, dass einem Rechtsanwalt die Vertretung widerstreitender Interessen untersagt ist.

Die berufsrechtliche Regelung des § 3 BORA ist hingegen detaillierter. In Absatz 2 wird das Verbot auch auf alle in derselben Berufsausübungs- und Bürogemeinschaft verbundenen Rechtsanwälte erstreckt und gilt nach Absatz 3 auch für den Fall des Sozietäts- oder Bürogemeinschaftswechslers.

§ 356 StGB setzt vorsätzliches Handeln voraus, während für die Norm des § 43 a Abs. 4 BRAO jeder schuldhafte, auch fahrlässige Verstoß, genügt.

Eine Besonderheit besteht für Anwälte in einer Sozietät insoweit, als § 356 StGB nicht sozietätsweit gilt.

  1. Tatbestandsmerkmale des § 43 a Abs. 4 BRAO sind:
  • Vertretung 4
    • erfasst wird jede rechtsbesorgende anwaltliche Berufsausübung
  • widerstreitender 5
    • Verhältnis von Dingen, die sich unvereinbar, widersprüchlich gegenüberstehen
  • Interessen 6
    • diese sind rechtlich zu würdigen (nicht bloß wirtschaftliche Interessen)
  • in derselben Rechtssache
    • ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal in § 43 a Abs. 4 (in § 356 StGB und § 3 Abs. 1 BORA ausdrücklich klargestellt)

 

II. Streitfragen

In der Praxis wirft das Verbot der Vertretung widerstreitender Interessen auf Basis der bestehenden Gesetzeslage 7 eine Reihe offener Fragen auf. Die damit einhergehende Rechtsunsicherheit stellt eine Gefahr für die Arbeit eines Rechtsanwalts/einer Rechtsanwältin dar. Die wesentlichen Streitfragen waren bisher – ohne Anspruch auf Vollständigkeit – folgende:

  • Kann das Einverständnis der Mandanten die pflichtwidrige Vertretung widerstreitender Interessen beseitigen? 8
  • Wann stellen zwei Angelegenheiten „dieselbe Rechtssache“ dar? 9
  • Kann allein der Mandant bestimmen, welche Interessen der Anwalt zu vertreten hat oder sind die maßgeblichen Interessen objektiv zu bestimmen? 10
  • Kann ein Anwalt Parallelmandate führen, also in derselben Angelegenheit für mehrere Mandanten tätig sein, deren Interessen gleichgerichtet sind? 11
  • Welche Auswirkungen hat ein Sozietätswechsel für die aufnehmende und die abgebende Sozietät, wenn der wechselnde Anwalt a) persönlich b) nicht persönlich vorbefasst war? 12
  • Gelten Tätigkeitsverbote auch für Referendare im oder neben dem Vorbereitungsdienst bei Rechtsanwälten bzw. in Anwaltssozietäten und für befristet angestellte wissenschaftliche Mitarbeiter? 13
  • Führt eine vertrauliche Information, die der Anwalt von einer Partei erhalten hat, zu einem Tätigkeitsverbot, wenn die Information aus einem anderen Mandatsverhältnis stammt, diese Information für die neue Rechtssache von Bedeutung sein kann und deren Verwendung im Widerspruch zu den Interessen des Mandanten des vorherigen Mandats stehen? 14

III. Sanktionen

Ein vorsätzlicher Verstoß gegen das Verbot widerstreitender Interessen kann zu einer Verurteilung wegen einer Straftat (§ 356 StGB) führen (s. o).

Darüber hinaus kommen die berufsrechtlichen Sanktionen in Betracht (§ 113 BRAO). In der Regel wird die Rechtsanwaltskammer bei der Generalstaats-anwaltschaft die Einleitung eines anwaltsgerichtlichen Verfahrens gemäß § 121 f. BRAO beantragen. Als anwaltsgerichtliche Maßnahmen kommen (zunächst) ein Verweis und/oder eine Geldbuße in Betracht (§ 114 Abs. 1 BRAO). Bei geringem Verschulden des Rechtsanwalts kann auch eine Rüge (§ 74 BRAO) ausgesprochen werden. Die Rechtsanwaltskammer kann gegenüber dem betroffenen Anwalt auch einen Belehrungsbescheid aussprechen und die Fortführung des Mandates untersagen. 15

Die Mandatsniederlegung kann von dem Prozessgegner auch im Wege eines Unterlassungsanspruchs gemäß §§ 1004, 823 Abs. 2 BGB durchgesetzt werden. 16

Schließlich kommen als zivilrechtliche Rechtsfolgen eines Verstoßes gegen das Verbot widerstreitender Interessen die Nichtigkeit des Mandatsvertrages gemäß § 134 BGB in Betracht, so dass ggf. vertragliche Honoraransprüche nicht mehr geltend gemacht werden können. 17

 

IV. Neuregelung des § 43 a Abs. 4 durch die BRAO-Reform 18

Die bisherige aus einem Satz bestehende Regelung wird neu und umfassend über drei Absätze formuliert. § 43 a Abs. 4 bis Abs. 6 BRAO lauten künftig:

(4) Der Rechtsanwalt darf nicht tätig werden, wenn er einen anderen Mandanten in derselben Rechtssache bereits im widerstreitenden Interesse beraten oder vertreten hat. Das Tätigkeitsverbot gilt auch für Rechtsanwälte, die ihren Beruf gemeinschaftlich mit einem Rechtsanwalt ausüben, der nach Satz 1 nicht tätig werden darf. Ein Tätigkeitsverbot nach Satz 2 bleibt bestehen, wenn der nach Satz 1 ausgeschlossene Rechtsanwalt die gemeinschaftliche Berufsausübung beendet. Die Sätze 2 und 3 sind nicht anzuwenden, wenn die betroffenen Mandanten der Tätigkeit des Rechtsanwalts nach umfassender Information in Textform zugestimmt haben und geeignete Vorkehrungen die Einhaltung der Verschwiegenheit des Rechtsanwalts sicherstellen. Ein Tätigkeitsverbot nach Satz 1, das gegenüber einer Berufsausübungsgesellschaft besteht, entfällt, wenn die Voraussetzungen des Satzes 4 erfüllt sind. Soweit es für die Prüfung eines Tätigkeitsverbots nach Satz 1 oder Satz 2 erforderlich ist, dürfen der Verschwiegenheitspflicht unterliegenden Tatsachen einem Rechtsanwalt auch ohne Einwilligung des Mandanten offenbart werden.

(5) Absatz 4 Satz 1 gilt entsprechend für die Tätigkeit als Referendar im Vorbereitungsdienst im Rahmen der Ausbildung bei einem Rechtsanwalt. Absatz 4 Satz 2 ist nicht anzuwenden, wenn dem Tätigkeitsverbot nach Absatz 4 Satz 1 eine Tätigkeit als Referendar nach Satz 1 zugrunde liegt.

(6) Absatz 4 Satz 1 gilt entsprechend für ein berufliches Tätigwerden des Rechtsanwalts außerhalb des Anwaltsberufs, wenn für ein anwaltliches Tätig-werden ein Tätigkeitsverbot nach Abs. 2 Satz 1 bestehen würde.

Mit der Neuregelung zu § 43 a Abs. 4 a.F. BRAO wird die bisherige Kurzfassung durch eine ausdifferenzierte Vorschrift ersetzt, die auch Sozietätsfälle regelt. Im Einzelnen:

Das in § 43 a Abs. 4 BRAO a. F. hineininterpretierte ungeschriebene Tatbestandsmerkmal „in derselben Rechtssache“ wird in den Gesetzestext aufgenommen. Absatz 4 Satz 1 n.F. ist im Übrigen wortgleich zu § 3 Abs. 1 BORA formuliert.

In § 43 a Abs. 4 BRAO n.F. wird jetzt bei der Sozietätserstreckung nicht mehr von der „Berufsausübung in der Berufsausübungsgesellschaft“, sondern von der „gemeinschaftlichen Berufsausübung“ gesprochen. Durch diese Änderung soll – so die Gesetzesbegründung – klargestellt werden, dass nicht nur die Gesellschafterinnen und Gesellschafter von Berufsausübungsgesellschaften erfasst sind, sondern auch deren angestellte Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte. Außerdem gilt die Norm jetzt auch für die angestellten Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte von Einzelanwältinnen und -anwälten sowie die freien Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Kanzleien. Ausdrücklich ausgenommen bleibt die Bürogemeinschaft. Sie soll von der Sozietätserstreckung nicht erfasst werden.

§ 43 a Abs. 4 Satz 4 BRAO n.F. sieht wie § 3 Abs. 2 BORA die Möglichkeit vor, dass die beteiligten Mandanten in Textform der Übernahme eines widerstreitenden Mandats zustimmen, wobei es auf entgegenstehende „Belange der Rechtspflege“ nicht mehr ankommt, jetzt aber zusätzlich verlangt wird, dass „geeignete Vorkehrungen die Einhaltung der Verschwiegenheit sicherstellen“.

Für Kanzleiwechsler stellt § 43 a Abs. 4 Satz 3 BRAO nun klar, dass ein Rechtsanwalt, den aufgrund persönlicher Mandatsbefassung ein Tätigkeitsverbot trifft, dieses für die aufnehmende Kanzlei fortbesteht, die dann ein betreutes kollidierendes Mandat nicht weiterführen oder neu annehmen darf. Für die abgebende Kanzlei stellt Satz 3 BRAO klar, dass deren Rechtsanwälte an das Tätigkeitsgebot gebunden bleiben. Bei nicht persönlicher Mandatsbefassung des Kanzleiwechslers erstreckt sich ein Tätigkeitsverbot nicht auf die Rechtsanwälte der aufnehmenden Kanzlei. 19

§ 43 a Abs. 4 Satz 5 BRAO n.F. regelt eine mögliche Interessenkollision für den Referendar, der nach seiner Zulassung als Rechtsanwalt in widerstreitendem Interesse zu einem Mandat tätig wird, das er als Referendar bearbeitet hatte. Eine sozietätsweite Erstreckung seines Tätigkeitsverbotes auf die gesamte Kanzlei erfolgt indes nicht.

 

V. Was kommt nicht?

Im Gesetzgebungsverfahren zur BRAO-Reform war zunächst auch eine Verschärfung des Verbots der widerstreitenden Interessen bei vertraulichen Informationen aus einem anderen Mandat vorgesehen.  Diese Regelung im § 43 a Abs. 4 BRAO-E war in den Beratungen umstritten und ist ebenso wie im § 45 Abs. 2 BRAO-E wieder ersatzlos gestrichen worden.

 

VI. Fazit und Ausblick

Das Verbot der Vertretung widerstreitender Interessen gehört zu Grundpflichten, die ein Rechtsanwalt als „Organ der Rechtspflege“ (§ 1 BRAO) zu beachten hat. Die Vertretung widerstreitender Interessen kann für einen Rechtsanwalt strafrechtliche, berufsrechtliche und zivilrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen. Wer ein solches Risiko nicht eingehen möchte, sollte die konkrete Situation stets gründlich prüfen und im Zweifelsfall auf das Mandat verzichten.

Dass die große BRAO-Reform auch das Verbot widerstreitender Interessen regelt und sich das Tätigkeitsverbot bei Interessenkollision auch auf die Sozietät erstreckt, ist zu begrüßen. Es bleibt abzuwarten, wie sich die bisher einzelfallbezogene Rechtsprechung hierauf einstellt.

 

1 BGH NJW 2012, 3039
2 Henssler in Henssler/Prütting, BRAO, 5. Aufl., Rz. 172 c zu § 43 a
3 Henssler, AnwBl 2018, 342, 346 f.; BVerfG NJW 2003, 2521 – Sozietätswechsler; BVerfG NJW 2006, 2469; BGH Beschl. vom  09.02.2012, BeckRS 2012, 06067
4 Weyland/Träger, BRAO, 10. Aufl., § 43 a, Rz. 66; Henssler/Prütting, a.a.O., Rz. 186 a
5 Henssler/Prütting, a.a.O, Rz. 171;
6 Henssler/ Prütting, a.a.O., Rz.169 f.
7 siehe unten Fußnote 17
8 Henssler/Prütting, a.a.O, Rz. 171; Geier/Wolf/Göcken, Anwaltliches Berufsrecht, 3. Aufl., § 3 BORA, R7. 33
9 BGH NJW 2020, 3451; Henssler/Prütting, a.a.O, Rz. 199; -Weyland/Träger, a.a.O., Rz. 61 f.
10 vgl. Gaier/Wolf/Göcken, a.a.O., § 43 a, Rz. 46
11 Henssler/Prütting, a.a.O, R7. 181
12 Diller, AnwBl 2021, 162
13 Schnapp, AnwBl. 2021, 223; Diller, AnwBl Oneline, 2021, 1–4
14 Schnapp, AnwBl, a.a.O.
15 BGH NJW 2012, 3039 Rz.5
16 Deckenbrock, AnwBl Online, 2018, 209
17 BGH NJW 2016, 2561; BGH NJW-RR 2017, 1459
18 Gesetz zur Neuregelung des Berufsrechts der anwaltlichen und steuerberatenden Berufsausübungsgesellschaften sowie zur Änderung weiterer Vorschriften im Bereich der rechtsberatenden Berufe vom 07.07.2021, BGBl.2021 I, 2363; Inkrafttreten zum 01.08.2022
19 vgl. Meinungsstreit Henssler in Henssler/Prütting a.a.O. Rz. 36 zu § 3 BORA

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