Die Abtretungsvereinbarung zwischen Geschädigtem und Kfz-Sachverständigen

erschienen im KammerReport 5-2020 | 16.12.2020

Assessor Marc-Andre Kniewel, Dortmund

A Einleitung

Der vorliegende Beitrag befasst sich mit den Problemen einer Abtretungsvereinbarung im Bereich Kfz-Unfallgutachten.

Bei der Auftragserteilung legt ein Kfz-Sachverständiger häufig ein Abtretungsformular zur Unterschrift vor. In diesem verpflichtet sich der Geschädigte, die Schadenersatzforderung, die er selbst gegen den Schädiger hat, erfüllungshalber an den Sachverständigen abzutreten.

Erfolgt eine solche Abtretung erfüllungshalber und nicht an Erfüllung statt, so ist die Vereinbarung i. d. R. als fiduziarische Vollrechtsübertragung zu behandeln.1 Für den Sachverständigen hat dies zur Folge, dass er neben dem Weiterbestehen seiner Forderung aus dem Werkvertrag eine zusätzliche Befriedigungsmöglichkeit erhält.2 Der Geschädigte hingegen verliert (zunächst) seinen Anspruch. Er kann die Kosten des Sachverständigengutachtens, die grundsätzlich nach § 249 ff. BGB ersatzfähig sind, nicht mehr in eigenem Namen gegen den Schädiger geltend machen – durch die wirksame Abtretung des Anspruchs besteht keine Aktivlegitimation des Geschädigten.

In der Praxis wird häufig die Aktivlegitimation des Geschädigten gerügt, wenn dieser – trotz geschlossener Abtretungsvereinbarung – die Sachverständigenkosten als eigene Schadensersatzposition geltend macht. Eine solche Rüge ist jedoch nur dann erfolgversprechend, wenn die geschlossene Abtretungsvereinbarung überhaupt wirksam ist.

 

B Unwirksamkeit der Abtretungsvereinbarungen

Ob eine Abtretungsvereinbarung wirksam ist, hängt grundsätzlich vom Einzelfall ab. Bei einer Durchsicht verschiedener Abtretungsvereinbarungen fällt jedoch auf, dass sich in einer Vielzahl der Vereinbarungen gleichlautende Mustertexte befinden. Viele der Mustertexte wurden im Laufe der Zeit an die Rechtsprechung des BGH angepasst. Dennoch ist es nicht selten der Fall, dass auch aktuelle Vereinbarungen noch immer Formulierungen enthalten, die einer gerichtlichen Überprüfung nicht standhalten.

Zum besseren Verständnis und zur besseren Überprüfbarkeit in der -Praxis werden deshalb vorab drei exemplarische Beispiele an (noch immer) gängigen Abtretungserklärungen vorgestellt:

I.
„Zur Sicherung des Sachverständigenhonorars in der o. g. Angelegenheit trete ich meine Ansprüche gegen den Fahrer, den Halter und den Haftpflichtversicherer des unfallbeteiligten gegnerischen Fahrzeugs in Höhe des Honoraranspruchs zzgl. Fremdkosten einschließlich der Mehrwertsteuer des SV für die Erstellung des Beweissicherungsgutachtens erfüllungshalber an den SV ab. Die Abtretung erfolgt in der Reihenfolge: Sachverständigen-kosten, Wertminderung, Nutzungsausfallsentschädigung, Nebenkosten, Reparaturkosten. Dabei wird eine nachfolgende Position nur abgetreten, wenn die zuvor genannte Position nicht ausreicht, um den gesamten Honoraranspruch des Sachverständigen zu decken. Sollte die Abtretung der Ansprüche den tatsächlichen Honoraranspruch übersteigen, erfolgt die Abtretung dergestalt, dass hinsichtlich der zuletzt abgetretenen Anspruchsposition ein erstrangiger Teilbetrag in Höhe des restlichen Sachverständigenhonorars abgetreten wird. Auf den Zugang der Annahmeerklärung verzichte ich. Zugleich weise ich hiermit die Anspruchsgegner unwiderruflich an, den Forderungsbetrag aus der Rechnung des SV unmittelbar durch Zahlung an den SV zu begleichen. Der Sachverständige ist berechtigt, diese Abtretung den Anspruchsgegnern gegenüber offen zu legen und die erfüllungshalber abgetretenen Ansprüche gegenüber den Anspruchsgegnern im eigenen Namen geltend zu machen. Durch diese Abtretung werden die Ansprüche des SV aus diesem Vertrag gegen mich nicht berührt. Diese können nach erfolgloser außergerichtlicher Geltendmachung bei der gegnerischen Versicherung oder dem Schädiger zu jeder Zeit gegen mich geltend gemacht werden. Im Gegenzug verzichtet der Sachverständige dann jedoch Zug-um-Zug gegen Erfüllung auf die Rechte aus der Abtretung gegenüber den Anspruchsgegnern. Über die Vergütungsansprüche des Sachverständigen im Zusammenhang mit der im vor-liegenden Schadensfall entfalteten Tätigkeit darf ich keine Vergleiche abschließen.“

II.
„Zur Sicherung des Sachverständigenhonorars in der o. g. Angelegenheit trete ich meinen Anspruch auf Erstattung des Sachverständigenhonorars gegen den Fahrer, den Halter und den Haftpflichtversicherer des unfallbeteiligten gegnerischen Fahrzeugs in Höhe des Honoraranspruchs einschließlich der Mehrwertsteuer für die Erstellung des Beweissicherungsgutachtens erfüllungshalber an den SV ab. Auf den Zugang der Annahmeerklärung verzichte ich. Zugleich weise ich hiermit die Anspruchsgegner unwiderruflich an, den Forderungsbetrag aus der Rechnung des SV unmittelbar durch Zahlung an den SV oder den von ihm genannten Gläubiger zu begleichen. Der SV ist berechtigt, diese Abtretung den Anspruchsgegnern gegenüber offen zu legen und die erfüllungshalber abgetretenen Ansprüche gegenüber den Anspruchsgegnern im eigenen Namen geltend zu machen. Durch diese Abtretung werden die Ansprüche des SV aus diesem Vertrag gegen mich nicht berührt. Diese können nach erfolgloser außergerichtlicher Geltendmachung bei der gegnerischen Versicherung oder dem Schädiger zu jeder Zeit gegen mich geltend gemacht werden. Im Gegenzug verzichtet der Sachverständige dann jedoch Zug um Zug gegen Erfüllung auf die Rechte aus der Abtretung gegenüber den Anspruchsgegnern. Über die Vergütungsansprüche des SV im Zusammenhang mit der im vorliegenden Schadenfall entfalteten Tätigkeit darf ich keine Vergleiche abschließen.“

III.
„(…) Das Sachverständigenbüro kann die Ansprüche gegen mich geltend machen, wenn und soweit der regulierungspflichtige Versicherer keine Zahlung oder lediglich eine Teilzahlung leistet. In diesem Fall erhalte ich die Forderung zurück, um sie selbst gegen die Anspruchsgegner durchzusetzen.“

Es mag überraschend sein, aber sämtliche der o. g. Abtretungsvereinbarungen sind unwirksam – sie verstoßen gegen §§ 305 ff. BGB:

Die unter I. aufgezeigte Vereinbarung verstößt gegen § 305c Abs. 1 BGB:

Eine Regelung in allgemeinen Geschäftsbedingungen hat dabei einen überraschenden Inhalt i. S. v. § 305c Abs. 1 BGB, wenn sie von den Erwartungen des Vertragspartners deutlich abweicht und dieser mit ihr den Umständen nach vernünftigerweise nicht zu rechnen braucht.3

Die in der Vereinbarung verwendete Formulierung ist wegen ihres über-raschenden Charakters nicht Vertragsbestandteil geworden.4

Die dargestellte Abtretungsvereinbarung bezieht sich nicht nur auf die grundsätzlich abtretungsfähige Schadenersatzposition der Gutachterkosten, sondern erweitert die Abtretungsvereinbarung auf nahezu sämtliche Ansprüche, die ein Geschädigter gegen seinen Unfallgegner geltend machen kann.

Sie ist deshalb überraschend i. S. v. § 305c Abs. 1 BGB, da ein rechtlich nicht vorgebildeter durchschnittlicher Auftraggeber eines Schadensgutachtens nicht mit einer Abtretungsvereinbarung dieser Art zu rechnen braucht.5

Die unter II. aufgezeigte Vereinbarung ist nicht überraschend im o. g. Sinn, verstößt jedoch gegen das Transparenzgebot gemäß § 307 Abs. 1 Satz 2, Satz 1 BGB:

„Nach § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB kann sich eine unangemessene Benachteiligung des Vertragspartners auch daraus ergeben, dass eine Bestimmung nicht klar und verständlich ist. Der Verwender allgemeiner Geschäftsbedingungen ist nach den Grundsätzen von Treu und Glauben verpflichtet, Rechte und Pflichten seiner Vertragspartner möglichst klar und durchschaubar darzustellen. Er muss folglich einerseits die tatbestandlichen Voraussetzungen und Rechtsfolgen so genau beschreiben, dass für ihn keine ungerechtfertigten Beurteilungsspielräume entstehen. Andererseits soll der Vertragspartner ohne fremde Hilfe möglichst klar und einfach seine Rechte feststellen können, damit er nicht von deren Durchsetzung abgehalten wird.“6

Die Abtretungsvereinbarung erfüllt diese Anforderungen nicht.

„Unklar im dargestellten Sinne ist die Klausel dabei schon deshalb, weil aus ihr für den als durchschnittlichen Kunden angesprochenen (durchschnittlichen) Unfallgeschädigten nicht hinreichend deutlich wird, – welche Rechte ihm gegenüber dem Sachverständigen zustehen sollen, wenn der Sachverständige nach „zur Sicherung“ und „erfüllungshalber“ erfolgter (Erst) Abtretung des Schadensersatzanspruchs den ihm nach der Klausel verbleibenden vertraglichen Honoraranspruch geltend macht.“7

In der Vereinbarung findet sich zwar eine Verzichtserklärung. Diese betrifft jedoch allein den Verzicht des Sachverständigen, den Schädiger nicht aus abgetretenem Recht in Anspruch zu nehmen, falls der Sachverständige den Geschädigten in Anspruch nimmt und dieser seiner vertraglichen Verpflichtung nachkommt.

„Die damit intransparent geregelte Frage, was mit der vom Geschädigten an den Sachverständigen abgetretenen Schadensersatzforderung geschehen soll, wenn der Sachverständige nach der Abtretung seinen vertraglichen Honoraranspruch gegen den Geschädigten geltend macht, steht in unmittelbarem inhaltlichen Zusammenhang mit der „zur Sicherung“ und „erfüllungshalber“ erfolgten Forderungsabtretung selbst. Die dargestellte Intransparenz führt deshalb nach § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB zur Unwirksamkeit der gesamten Klausel (…).“8

Die gerügte fehlende Transparenz kann darüber hinaus auch nicht durch Auslegung der Vereinbarung überwunden werden. In der Vergangenheit wurde von einzelnen Gerichten vertreten, dass sich ein solcher Anspruch aus ergänzender Vertragsauslegung ergäbe bzw. dies konkludent vereinbart sei.9

Dies führt jedoch nicht darüber hinweg, dass der BGH mit seinen Entscheidungen deutlich gemacht hat, dass insbesondere die Regelung zur Rückübertragung des Anspruchs ausdrücklich erfolgen muss, da hier weder die Rechtsfigur der ergänzenden Vertragsauslegung noch die konkludente Einbeziehung in den Vertrag geeignet sind.

Die unter III. dargestellte Vereinbarung verstößt trotz der formulierten Rückübertragungsmöglichkeit ebenfalls gegen § 307 Abs. 1 S. 2 BGB:

Der Anspruch auf Rückübertragung muss nämlich nicht nur generell, sondern darüber hinaus auch eindeutig geregelt sein.

Aus der Klausel muss der Zeitpunkt, ab welchem der Geschädigte seinen Anspruch zurückerhält, klar erkenntlich sein.10

Diese Anforderungen erfüllt die Klausel nicht.

Bei der Klausel bleibt ungeklärt, ab wann der Geschädigte die abgetretene Forderung zurückerhalten soll. Es wird nicht deutlich, ob dies bereits bei Zahlungsaufforderung, gleichzeitig mit der Zahlung oder erst im Anschluss an die Zahlung erfolgt.11 Die Klausel regelt nur intransparent, wann der Geschädigte den an den Sachverständigen abgetretenen Anspruch ganz oder nur teilweise zurückerhält. Das dem Geschädigten zustehende Rückübertragungsrecht „steht in unmittelbarem inhaltlichen Zusammenhang mit der Regelung der erfüllungshalber erfolgenden Anspruchsabtretung selbst und führt deshalb nach § 307 Abs. 1 Satz 1 und 2 BGB zu deren Unwirksamkeit.“12

 

C. Wirksamkeit der Abtretungsvereinbarungen

Wie bereits in der Einleitung beschrieben, beantragen Geschädigte – trotz der getroffenen Abtretungsvereinbarung – Zahlung der Gutachterkosten an sich bzw. Freistellung ggü. dem Gutachter. Erfüllt die Abtretungsvereinbarung jedoch die höchstrichterlichen Anforderungen, so führt die mangelnde Aktivlegitimation des Geschädigten zwangsläufig zu einer Versagung des geltend gemachten Anspruchs und einer dementsprechenden Kostenlast:

„Der Klägerin steht darüber hinaus kein Anspruch auf Erstattung der beanspruchten Sachverständigen-kosten zu. (…). Die Klägerin vermochte ihre Aktivlegitimation hinsichtlich der unstreitig erfolgten Abtretung des Ersatzanspruchs gegenüber der Beklagten an den Sachverständigen weder darzulegen noch zu beweisen. Insbesondere berief sich die Klägerin zuletzt auf einen Freistellungsanspruch, sodass ein Ausgleich der Kosten und eine damit einhergehende Rückabtretung des Ausgleichsanspruchs nicht angenommen werden konnte.“13

 

D. Zusammenfassung

Durch die BGH-Entscheidungen wurde klargestellt, dass in der Abtretungsvereinbarung nur die Schadensersatzposition der Gutachterkosten erfüllungshalber abgetreten werden kann. Eine vollumfängliche Abtretung aller etwaigen Ansprüche führt zur Unwirksamkeit der Vereinbarung. Zudem muss in der jeweiligen Abtretungsvereinbarung ausdrücklich geregelt sein, wann und unter welchen Voraussetzungen der Geschädigte einen Anspruch auf Rückabtretung des Anspruchs erhält.

Bei der Übernahme eines verkehrsunfallrechtlichen Mandats sollte daher stets zu Beginn geprüft werden, ob die Abtretungsvereinbarung an den Kfz-Sachverständigen überhaupt wirksam ist, da dies die Aktivlegitimation des Geschädigten betrifft.

Wird eine Forderung wirksam auf den Sachverständigen übertragen, so verbleibt für einen Geschädigten – der die Kosten des Sachverständigengutachtens dennoch gerichtlich geltend machen will – nur die Möglichkeit, dass er sich vor der Geltendmachung des Anspruchs mit dem Sachverständigen in Verbindung setzt. Dieser kann den Geschädigten zur Durchsetzung des Anspruchs ermächtigen.

Ist die Abtretungsvereinbarung unwirksam, so bleibt der Geschädigte Inhaber des Schadensersatzanspruchs. Er ist nach wie vor aktivlegitimiert und kann die Kosten des Sachverständigengutachtens selbst gegen den Schädiger geltend machen.

 

  1. Palandt/Grüneberg § 364 Rz. 7
  2. Palandt/Grüneberg § 364 BGB Rz. 7
  3. Vgl. BGH, Urteile vom 28. Mai 2014 – VIII ZR 241/13, ZMR 2014, 966 Rn. 19; vom 18. Mai 1995 – IX ZR 108/94, BGHZ 130, 19, 25; vom 1. Oktober 2014 – VII ZR 344/13, NZBau 2014, 757 Rn. 14; vom 9. Dezember 2009 – XII ZR 109/08, BGHZ 183, 299 Rn. 12; vom 11. Dezember 2003 – III ZR 118/03, WM 2004, 278, 280; vom 26. Juli 2012 – VII ZR 262/11, MDR 2012, 1247 Rn. 10; vom 30. Juni 1995 – V ZR 184/94, BGHZ 130, 150, 154; zit. nach BGH, Urteil vom 21. Juni 2016 – VI ZR 475/15.
  4. Vgl. BGH, Urteil vom 21. Juni 2016 – VI ZR 475/15, Rn. 11
  5. Vgl. BGH, Urteil vom 21. Juni 2016 – VI ZR 475/15 Rn. 11
  6. BGH, Urteil vom 17. Juli 2018 – VI ZR 277/17, Rn. 14
  7. BGH, a. a. O. Rn. 15
  8. BGH, a. a. O. Rn. 16
  9. exemplarisch AG Bad Neustadt, Urteil v. 09.03.2016 – 1 C 568/15
  10. Vgl. BGH, Urteil vom 18. Februar 2020 – VI ZR 135/19
  11. BGH a. a. O. Rn. 10
  12. BGH a. a. O Rn. 11
  13. exemplarisch Landgericht Dortmund, Urteil v. 26.06.2020, Az. 21 O 353/19

 

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Anpassung der „DAC-6“– Handlungshinweise des BRAK-Ausschusses Steuerrecht

erschienen im KammerReport 5-2020 | 16.12.2020

Wie bereits berichtet, ist am 01.01.2020 das Gesetz zur Einführung einer Pflicht zur Mitteilung grenzüberschreitender Steuergestaltungen in Kraft getreten. Dieses Gesetz setzt die sog. DAC-6-Richtlinie in nationales Recht um.

Der Ausschuss Steuerrecht der Bundesrechtsanwaltskammer hat seine DAC-6 Handlungshinweise erneut aktualisiert (die letzte Anpassung erfolgte im August 2020). Die Fassung von September 2020 steht nachfolgend zum Download bereit.

DAC-6 Handlungshinweise des Ausschusses Steuerrecht – Stand: September 2020

https://newsletter.rakba.de/2020/10/erneute-anpassung-der-handlungshinweise-zur-pflicht-zur-mitteilung-grenzueberschreitender-steuergestaltungen/

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Achtung Berufsrechtsverstoß: beA erstregistrieren!

Aktive beA Nutzungspflicht

erschienen im KammerReport 5-2020 | 16.12.2020

Bereits seit dem 01.01.2018 sind alle Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte gem. § 31a Abs. 6 BRAO verpflichtet, das besondere elektronische Anwaltspostfach (beA) zumindest passiv zu nutzen. Dies bedeutet, dass sie die für die Nutzung des beA erforderlichen technischen Einrichtungen vorhalten, die Erstregistrierung durchlaufen sowie Zustellungen und den Zugang von Mitteilungen über das beA zur Kenntnis nehmen müssen. Geschieht dies nicht, verhält sich der Rechtsanwalt berufsrechtswidrig. Er setzt sich, sollte Eingangspost unbemerkt bleiben, zudem einem erheblichen zivilrechtlichen Haftungsrisiko aus, denn jedes von der Bundesrechtsanwaltskammer eingerichtete beA ist, auch wenn der Rechtsanwalt es selbst noch nicht installiert und sich erstregistriert hat, unmittelbar empfangsbereit.

Eine aktuelle Auswertung der Bundesrechtsanwaltskammer ergibt, dass im Bezirk der Rechtsanwaltskammer Hamm zum Stichtag 29.10.2020 nur insgesamt 75 % aller Postfächer erstregistriert waren. Bei den Syndikusrechtsanwälten liegt die Erstregistrierungsquote sogar nur bei 49 %.

Wir appellieren deshalb nochmals dringend an alle Kolleginnen und Kollegen, die dies bislang versäumt haben, umgehend die Erstregistrierung vorzunehmen. Die Rechts-anwaltskammer ist gehalten, nicht-aktivierte Postfächer aus dem System zu ermitteln und gegen die Postfachinhaber Aufsichtsverfahren einzuleiten. Dies wird in Kürze geschehen. Rügebescheide werden mit einer Gebühr in Höhe von 150,00 Euro belegt sein. Das Anwaltsgericht Nürnberg hat einen Verstoß gegen § 31a Abs. 6 BRAO sogar mit einer Geldbuße von 3.000 Euro geahndet.

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Vorsicht im Umgang mit „spezialisiert“ und „Experte“

erschienen im KammerReport 4-2020 | 18.09.2020

Rechtsanwalt und Notar a. D. Karl F. Hofmeister, Olpe

Das anwaltliche Werberecht ist bekanntlich in § 43 b BRAO und den §§ 6, 7 BORA geregelt.

Aufgrund des § 43 b BRAO ist dem Rechtsanwalt nicht alles an Werbung erlaubt; das Werberecht ist beschränkt auf eine sachliche Werbung und unterliegt dem Verbot der Werbung um ein einzelnes Mandat. § 6 Abs. 1 BORA stellt ergänzend klar, dass ein Rechtsanwalt über seine Dienstleistung und seine Person informieren darf. In § 7 BORA, dessen heutige Fassung auf die sog. Spezialisten-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts1 zurückgeht, geht es um die Angabe von Teilbereichen der Berufstätigkeit und die Verwendung qualifizierender Zusätze.

§ 7 Abs. 1 BORA lautet: 

(1) Unabhängig von Fachanwaltsbezeichnungen darf Teilbereiche der Berufstätigkeit nur benennen, wer seinen Angaben entsprechende Kenntnisse nachweisen kann, die in der Ausbildung, durch Berufstätigkeit, Veröffentlichungen oder in sonstiger Weise erworben wurden. 

(2) Wer qualifizierende Zusätze verwendet, muss zusätzlich über entsprechende theoretische Kenntnisse verfügen und auf dem benannten Gebiet in erheblichem Umfang tätig gewesen sein.

Anwaltswerbung, insbesondere solche mit Spezialistenbezeichnungen, beschäftigen die Zivil- und Anwaltsgerichte2, das Schrifttum3 aber auch die Aufsichtsabteilungen der Rechtsanwaltskammern, seit Langem.

Zu Spezialistenbezeichnungen sind zwei wichtige Entscheidungen herauszuheben:

  • Urteil des Anwaltssenats des BGH vom 05.12.2016 (AnwZ (brfg) 31/144 (Spezialist für Erbrecht und Erbschaftssteuerrecht) und
  • Urteil des 1. Zivilsenats des BGH vom 24.07.2014 – I ZR 53/135 (Spezialist für Familienrecht).

In der Entscheidung aus 2016 ging es um die Frage, ob ein Fachanwalt auch zugleich Spezialist für das Rechtsgebiet sein kann. Dieses sei dann möglich, wenn seine Kenntnisse und praktischen Erfahrungen auf dem gesamten Rechtsgebiet diejenigen eines „Nur-Fachanwalts nicht nur unerheblich überschreiten“. In der älteren Entscheidung hatte der BGH die Werbung als Spezialist für ein Rechtsgebiet freigegeben, für das eine Fachanwaltschaft verliehen werden kann. Hierfür sei entscheidend, dass der Anwalt über Fähigkeiten verfügt, die mindestens den Anforderungen eines Fachanwalts entsprechen.

Verwendet ein Rechtsanwalt auf seinem Geschäftspapier die Bezeichnung „Spezialist für …“, hat dieses werblichen Charakter und stellt eine geschäftliche Handlung im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 1 UWG dar6. Die Rechtsanwaltskammer wird in der Regel von Amts wegen oder aufgrund einer Beschwerde der Frage nachgehen, ob die Werbeaussage gemessen an den Voraussetzungen des § 7 Abs. 1 Satz 2 BORA zulässig ist; sie wird den Betreffenden gemäß § 56 Abs. 1 BRAO auffordern, hierüber Auskunft zu erteilen. Liegen diese nicht vor, stellt die Verwendung des Begriffs eine irreführende Werbung im Sinne des § 43 b BRAO vor. Sie wird dann in der Regel berufsrechtliche Maßnahmen einleiten oder ggf. zur Abwehr berufswidrigen Verhaltens zivilrechtlich vorgehen7. Auch ein Mitbewerber könnte wettbewerbsrechtlich gegen den Rechtsanwalt wegen Verstoßes gegen §§ 8 Abs.1, 3, 3a, 5 Abs. 1 Nr. 3 UWG i. V. m. §§ 43 b BRAO, 7 Abs. 1 S. 2 BORA vorgehen und diesen auf Unterlassung in Anspruch nehmen.

Es geht aber nicht allein um Werbeaussagen auf Briefbögen. Als Marketinginstrument kommen neben Anzeigen und Broschüren insbesondere das Internet in Betracht.

In der deutschen Wikipedia findet man dafür folgende Definition:

Online-Marketing (auch Internet-marketing oder Web-Marketing genannt) umfasst alle Marketing-Maßnahmen, die darauf abzielen, Besucher auf eine bestimmte Internetpräsenz zu lenken, auf der ein Geschäft abgeschlossen oder angebahnt werden kann.

Ein Mandant, der Ansprüche gerichtlich oder außergerichtlich geltend machen will, informiert sich oft im Internet darüber, welcher Anwalt seine Sache erfolgreich vertreten könnte. Er möchte möglichst keinen Generalisten („er kann alles, aber nicht gut“8) als Anwalt, sondern einen Fachmann mandatieren. Wenn er also im Internet unter „spezialisiert auf Arzthaftungsrecht“, „spezialisiert auf Mietrecht“, „spezialisiert auf Arbeitsrecht“ oder „spezialisiert auf Dieselskandal“ einen Rechtsanwalt sucht, findet er zahlreiche Anwaltskanzleien mit Aussagen auf der Kanzlei-Website, u. a. wie diese:

„Als spezialisierte Kanzlei vertreten wir geschädigte Patienten und -Versicherungsnehmer und setzen ihre Rechte durch.“,

„Herr Rechtsanwalt R ist im Mietrecht spezialisiert.“,

„… seit 35 Jahren ist unsere Kanzlei auf Arzthaftungsrecht spezialisiert.“,

„Ihr Anwalt im Abgasskandal, spezialisiert und bundesweit erfolgreich.“,

„als Spezialisten im Arbeitsrecht -können wir Konzerne, die mittelständische Wirtschaft … und Unternehmen vertreten“,

„Unsere Experten für Spanisches und Deutsches Recht“ (Website europäischer Rechtsanwälte mit Zulassung in Deutschland)

Es soll nicht bestritten werden, dass ein Rechtsanwalt die Möglichkeit haben muss, seine Erfahrungen und Fähigkeiten herauszustellen. Auch müssen nicht alle der beispielhaft aufgeführten Aussagen „spezialisiert auf …“ berufs- und/oder wettbewerbswidrig sein. Es besteht nur die Aussicht, dass der Anwalt, der derartige Aussagen verwendet, Gefahr läuft, mit einer wettbewerbsrechtlichen Unterlassungsklage oder einem berufsrechtlichen Verfahren überzogen zu werden, denn er trägt die Darlegungs- und Beweislast für die Richtigkeit seiner Selbsteinschätzung.

Dieses mag anhand folgender Entscheidungen deutlich werden:

1.Urteil OLG Frankfurt vom 30.04.2015 – 6 U 3/149

Eine Rechtsanwältin und ein weiterer angestellter Rechtsanwalt wurden von einem Mitbewerber in Bezug auf -Werbeaussagen im Internet auf Unterlassung in Anspruch genommen, im geschäftlichen Verkehr damit zu werben,

  • dass sie sich im Arbeitsrecht spezialisiert habe,
  • dass sie eine spezialisierte Anwaltskanzlei für Arbeitsrecht seien,
  • dass sie spezialisierte Rechtsanwälte für Arbeitsrecht seien,
  • dass sie über eine hohe fachliche Spezialisierung im Arbeitsrecht verfügen.

Das Landgericht hatte der Klage weitgehend stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten wurde das Urteil gegen den angestellten Anwalt aufgehoben, weil für die Gestaltung der Website allein die Rechtsanwältin verantwortlich war. Diesem wurde während des Berufungsverfahrens der Titel „Fachanwalt für Arbeitsrecht“ verliehen. Die Berufung der Rechtsanwältin blieb bezüglich ihrer Aussage, dass sie eine „spezialisierte Rechtsanwältin für Arbeitsrecht“ sei erfolglos. Die Angabe „Rechtsanwalt für Arbeitsrecht“ sei irreführend, weil sie bei den angesprochenen Verkehrskreisen eine Verwechslungsgefahr mit dem „Fachanwalt für Arbeitsrecht“ erzeuge und sie den Beweis nicht geführt habe, dass sie über eine einer Fachanwältin für Arbeitsrecht  gleichwertige Expertise verfüge10. Soweit hinsichtlich der weiteren beanstandeten Werbeaussagen das Verb „spezialisiert“ verwendet werde, müsse der Hinweis auf die Spezialisierung nicht zwingend im Sinne eines Titels verstanden werden, sondern könne auch auf die schwerpunktmäßige Ausrichtung der Kanzlei verstanden werden.

2. Anwaltsgericht Frankfurt am Main, Beschluss vom 09.01.2020 – IV AGH 27/1911

Ein Rechtsanwalt hatte ein Werbeblatt zum Diesel-Abgasskandal gefertigt und dieses u. a. in Briefkästen eingeworfen. In diesem hieß es:

„Motorrechte: Traffic Law. Die -Verkehrsrechtsexperten. … Als Spezialisten auf dem Gebiet, -sorgen unsere Anwälte dafür, dass Sie zu Ihrem Recht und zu Ihrem Geld kommen …“.

Zahlreiche Gerichte urteilten bereits zugunsten der Autofahrer: Wählen Sie Ihren Vorteil: Lieferung eines neuen Fahrzeuges ohne Nutzungsentschädigung, Rückzahlung des Kaufpreises, Minderungszahlungen von mehr als 3.000,- Euro.“

Die zuständige Rechtsanwaltskammer hatte dem Anwalt wegen Verstoßes gegen §§ 43, 43 b BRAO, 7 Abs. 1 Satz 2 BORA eine Rüge erteilt, gegen den dieser Einspruch erhob. Sein Antrag auf gerichtliche Entscheidung blieb erfolglos.

Das Anwaltsgericht entschied mit Beschluss vom 09.01.2020, dass die Verwendung der Begriffe „Experte“ und „Spezialist“ als qualifizierende Zusätze gemäß § 7 Abs. 1 Satz 2 BORA voraussetzen, dass der Rechtsanwalt Kenntnisse aufweist, die denen eines Fachanwalts entsprechen, andernfalls eine Irreführung vorliege. Für die Richtigkeit seiner Selbsteinschätzung trage der Rechtsanwalt die Darlegungs- und Beweislast. Dieser hatte lediglich vorgetragen, dass er an einem Fachanwaltslehrgang teilgenommen habe, ohne darzulegen, ob er auch an den Leistungskontrollen teilgenommen hatte und wenn ja, mit welchem Ergebnis. Er habe daher das Vorliegen der Voraussetzungen gemäß § 7 Abs. 1 Satz 2 BORA nicht nachgewiesen.

Auch habe der Rechtsanwalt über seine berufliche Tätigkeit unsachlich unterrichtet, weil der Hinweis, dass zahlreiche Gerichte zugunsten der Autofahrer urteilten und er zwischen drei Vorteilen wählen könne, dem Rechtssuchenden den Eindruck vermittele, dass er diese Vorteile automatisch und ohne Prozessrisiko für sich in Anspruch nehmen könne.

Fazit

Auch einem Rechtsanwalt ist es gestattet, Werbung zu betreiben. Er muss die Möglichkeit haben, seine besonderen Fähigkeiten in geeigneter Form herauszustellen.

Verwendet er in seinen Werbeaussagen Begriffe wie „spezialisiert“, -„Spezialist“ oder „Experte“, sollte er darauf achten, dass die Voraussetzungen des § 7 Abs. 1 Satz 2 BORA in seinem konkreten Fall vorliegen und dass er diese im Zweifel nachweisen kann.

Hinweise eines Anwalts, dass er sich auf bestimmte Rechtsgebiete spezialisiert habe, können dann zulässig sein, wenn sie der Verkehr als Hinweis auf die schwerpunktmäßige Ausrichtung der Kanzlei versteht.12

 

1 BVerfG, NJW 2004, 2656
2 OLG Stuttgart, NJW 2008, 1326; BGH AnwBl. 2012, 93; BGH AnwBl. 2015, 266; BGH AnwBl. 2017, 201
3 Offermann-Burckart, BRAK-Mitt. 2017,10; dies., BRAK-Mitt. 2015, 62; Deckenbrock, ZAP 2017, 377 u. 1099; Engelcke, AnwBl. 2017, 276;
4 BGH AnwBl. 2017, 202
5 BGH AnwBl. 2015, 266
6 OLG Köln, openJur 2020, 1000 m. w. N.
7 OLG Karlsruhe, GRUR-RR 2013, 171
8 vgl. de.wiktionary.org/wiki/Generalist
9 OLG Frankfurt, openjur 2015, 9790
10 BGH Urteil vom 24.07.2014 a. a. O. Rn. 21, 25
11 AnwBl. Online 2020, 395
12 OLG Frankfurt, a. a. O.

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Vorsicht im Umgang mit Fremdgeld 1

Ausbildungsvergütung

erschienen im KammerReport 4-2020 | 18.09.2020

Rechtsanwalt und Notar a. D. Karl F. Hofmeister, Olpe

Der Verfasser hat in seinem im KammerReport Nr. 2/2020 abgedruckten Aufsatz die Gefahren und Rechtsfolgen aufgezeigt, die bestehen, wenn Fremdgeld auf einem Geschäftskonto der Anwaltskanzlei eingegangen ist und dieses nicht unverzüglich an den Empfangsberechtigten weitergeleitet oder auf ein Anderkonto eingezahlt wird. Die Fallstricke wurden anhand einiger Fälle aus der Gerichtspraxis erläutert.

Die Betrachtungen sollen nachstehend vertieft werden.

 

6. Ausschließung aus der Anwaltschaft – AGH NRW Urteil v. 01.03.2019 – 2 AGH 15/182

Der 74 Jahre alte Rechtsanwalt mit 44 Jahren Berufspraxis war im Bereich der Unfallschadensregulierung tätig. Er hatte über einen Zeitraum von mehreren Jahren von Versicherungen geleistete Zahlungen, die für seine Mandanten bestimmt waren, nicht an diese weitergeleitet, indem er teilweise wahrheitswidrig angab, Geldeingänge seien nicht erfolgt oder nicht feststellbar, oder gegen von Mandanten wegen unstreitiger Forderungen erwirkte Mahnbescheide Rechtsmittel eingelegte.  Er war auch wiederholt wegen Untreue zu einer Geldstrafe verurteilt worden.

Der Anwaltsgerichtshof hat entschieden, dass die Ausschließung aus der Anwaltschaft als berufsrechtliche Sanktion im Falle einer strafrecht-lichen Verurteilung wegen Untreue und Betrugs – insbesondere zum Nachteil von Mandanten – der Regelfall ist.3 Nur bei Vorliegen besonderer Umstände könne ausnahmsweise von dieser Maßnahme abgesehen werden. Umstände, die eine mildere Sanktion rechtfertigen könnten, lägen nicht vor. Zulasten des Rechtsanwalts war zu werten, dass er jahrelang Fremdgelder nicht ausgezahlt hat und die Mandanten Klageverfahren einleiten mussten, die der Rechtsanwalt durch Versäumnisurteile und Einsprüche auch noch verzögert hatte. Das vorinstanzliche Anwaltsgericht4 hatte als Maßnahmenausspruch noch ein Vertretungsverbot für den Bereich der Unfallschadenregulierung für ausreichend angesehen. Die Berufung der Generalstaatsanwaltschaft gegen das Urteil des Anwaltsgericht war erfolgreich.

7. Missmanagement von Fremdgeldern – BGH Beschl. vom 26.11.2019 – 2 StR 588/185

Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 266 Abs. 1 2. Altern. StGB (Untreue in der Variante des Treubruchtatbestands) im konkreten Fall festzustellen, bereitet oft Schwierigkeiten. Das zeigt sich an dem Fall, der von dem BGH zu entscheiden war.

Die Kanzlei der angeklagten Rechtsanwälte entwickelte sich in der Zeit von 2009 bis 2015 wirtschaftlich zunehmend schlechter, so dass diese den Entschluss fassten, an sie überwiesene und übergebene Gelder bewusst pflichtwidrig nicht oder teilweise nicht oder nicht unverzüglich an ihre Mandanten weiterzuleiten, sondern zur Erfüllung eigener Verbindlichkeiten bzw. Begleichung von Kosten ihrer Kanzlei zu verwenden. Über den Eingang von Fremdgeldern ließen sie ihre Mandanten im Unklaren oder hielten diese hin. Erstattungen an Rechtsschutzversicherungen erfolgten Monate oder Jahre später. Es erfolgten aber auch Zuschüsse der Angeklagten aus privaten Mitteln, als die Geschäftskonten im Minus geführt wurden, weil die Einnahmen nicht mehr auskömmlich waren.

Das Landgericht hatte die Angeklagten wegen Untreue in 22 Fällen zu einer Freiheitsstrafe verurteilt. Die Revision führte zur Aufhebung des Urteils und Rückverweisung an das Landgericht. Der BGH beanstandete, dass das Landgericht in allen Fallkonstellationen eine Untreue durch Verwirklichung des Treubruchtatbestands, jeweils begangen durch Unterlassen angenommen hatte. Eine Pflichtverletzung (z. B. Verstoß gegen die Pflicht zur unverzüglichen Weiterleitung der eingegangenen Fremdgelder oder die Pflicht zur Führung eines Anderkontos) begründe allein noch keinen Vermögensnachteil. Das sei erst dann der Fall, wenn in der unterlassenen Weiterleitung die Absicht liege, die eingenommenen Gelder endgültig für sich zu behalten, wenn ein dem Geldeingang entsprechender Betrag nicht jederzeit für den Berechtigten zur Verfügung gehalten werde6 oder wenn die Gefahr eines Vermögensverlustes groß sei, weil die auf dem Geschäftskonto befindlichen Gelder dem Zugriff von Gläubigern offenstehen7. Erst wenn der Rechts-anwalt durch Verwendung von Fremdgeld private Verbindlichkeiten tilge oder geschäftliche Verbindlichkeiten erfülle, die keinen Zusammenhang mit den Zahlungseingängen haben, sei abgesehen vom Fall des Vorhandenseins ausreichender Mittel zum in Aussicht genommenen Ausgleich bei dem Berechtigten ein Vermögensschaden eingetreten8. Das Landgericht habe bei einer Neuverhandlung zu berücksichtigen, dass nach dem Prinzip der Gesamtsaldierung ein Vermögensnachteil nicht eintrete, wenn die Tathandlung selbst einen den Verlust aufwiegenden Vermögensnachteil begründet. Honoraransprüche könnten einen Nachteil ausschließen, wenn die Verwendung der Mandantengelder nicht mit dem Vorsatz rechtswidriger Bereicherung erfolgt, sondern dem Zweck dient, bestehende Honoraransprüche zu befriedigen. Unbeschadet, ob es in jedem Fall einer Rechnung des Anwalts nach § 10 RVG bedarf, sei es aber erforderlich, dass der Honoraranspruch entstanden sei, der Höhe nach feststehe oder beziffert werden könne.

8. Rückgriff auf die Berufshaftpflichtversicherung – Urteil des OLG Düsseldorf vom 14.07.2017 – 4 U 1/19

In diesem Fall hatte ein Untersuchungshäftling, der im Oktober 2010 eine Eigentumswohnung verkaufen wollte,  einer Anwältin eine Geldempfangsvollmacht erteilt. Sie hatte für ihn auch Botengänge und Aufträge übernommen, die eher im nichtjuristischen Bereich lagen. Von der ihr erteilten Geldempfangsvollmacht machte sie im Zusammenhang mit dem Vollzug des notariellen Kaufvertrages Gebrauch. Daraufhin erhielt sie auf ihrem Geschäftskonto am 07.03.2011 eine Gutschrift in Höhe des Kaufpreises von 90.800,26 E. Erst nach der Entlassung des Vollmacht-gebers aus der Untersuchungshaft teilte die Rechtsanwältin diesem den Empfang des Geldes mit. Nach Auszahlung von Beträgen in einer Gesamthöhe von 5.000,– E übergab sie am 16.06.2011 dem Treugeber mehrere Rechnungen in einer Gesamthöhe von 85.808,26 E, die teilweise unberechtigt, teilweise überhöht und teilweise ohne Rechtsgrundlage waren.

Ende 2011 nahm der Treugeber die Anwältin auf Zahlung der ihm zustehenden Beträge vor dem Landgericht in Anspruch. Am 22.01.2012 wurde über das Vermögen der Rechtsanwältin das Insolvenzverfahren eröffnet. In dem Rechtsstreit wurde die Unterbrechung des Verfahrens gemäß § 240 ZPO festgestellt.

Nun wandte sich der Kläger an die Berufshaftpflichtversicherung der Anwältin und nahm diese auf Zahlung und Schadenersatz in Anspruch. Er behauptete, die Rechtsanwältin habe schuldhaft, aber nicht vorsätzlich pflichtwidrig gehandelt. Die Versicherung hat demgegenüber argumentiert, ihre Versicherungsnehmerin habe vorsätzlich pflichtwidrig gehandelt, so–
dass ihre Leistung – auch gegenüber einem Direktanspruch des Klägers – ausgeschlossen sei. Die Rechtsanwältin habe neben dem unstreitigen Stellen von ungerechtfertigten Rechnungen wissentlich gegen die mit dem Kläger vereinbarte besondere Zweckbindung des zur Weiterleitung bestimmten Kaufpreises verstoßen.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Rechtsanwältin habe dadurch pflichtwidrig gehandelt, dass sie das erhaltene Geld nicht unverzüglich ausgekehrt und auf ihrem Geschäftskonto belassen habe. Erst durch dieses pflichtwidrige Vorgehen sei es ihr gelungen, drei Monate nach Fälligkeit  des Herausgabeanspruchs eine Aufrechnungslage herzustellen. Auch war es pflichtwidrig gewesen, dass sie – ungeachtet des Bestehens ihrer Honorarforderungen – diesbezüglich eine Verrechnung vorgenommen habe.

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts blieb erfolglos. Das Berufungsgericht argumentierte, die beklagte Versicherung sei von vorneherein nur dann leistungspflichtig, wenn ihre Versicherungsnehmerin auf Zahlung von Schaden-ersatz in Anspruch genommen wird, nicht aber bei einem Herausgabeanspruch gemäß § 667 BGB, der nicht gemäß § 1 AVB Teil des von der Beklagten versicherten Risikos sei.

Fazit

Wird Fremdgeld veruntreut, drohen dem Anwalt zahlreiche Sanktionen, strafrechtlich (§ 266 StGB), zivilrechtlich (§ 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 266 StGB) und berufsrechtlich (§ 43 a Abs. 5, 114 Abs. 1 Nr. 5 BRAO).

Vergreift sich der Anwalt am Fremdgeld deshalb, weil er sich selbst in finanziellen Schwierigkeiten befindet, nützen dem Mandanten diese Sanktionen oft wenig. In der Insolvenz des Anwalts ist der Mandant ungesichert und kann allenfalls mit einer Quote rechnen.

Ansprüche gegen die Berufshaftpflichtversicherung des Anwalts sind in der Regel gemäß § 51 Abs. 3 Nr. 1 und 5 BRAO ausgeschlossen.

Die Rechtsanwaltskammern können mit den ihnen gesetzlich zugewiesenen Aufsichtsmitteln oft nur im Einzelfall aufgrund einer Beschwerde eines Mandanten mit einer Rüge (§ 73 BRAO) oder einem Antrag auf Einleitung eines anwaltsgerichtlichen Verfahrens (§§ 116 ff. BRAO) tätig werden. Diese Aufsichtsmittel reichen in der Regel nicht aus, um eine systematische Veruntreuung von Mandantengeldern zu erkennen und auszuschließen.

 

1 Fortsetzung zu KammerReport Hamm 2/2020, S. 8 f.
2 AGH NRW Urteil v. 01.03.2019 – 2 AGH, openJur 2020, 4993
3 Henssler/Prütting, Bundesrechtsanwaltsordnung, 5. Aufl., § 43 a BRAO Rdnr. 226, m. w. N.).
4 AnwG Köln v. 15.05.2018 – 4 AnwG 59/17
5 BGH Beschl. vom 26.11.2019 – 2 StR 588/18, NJW 2020, 1689
6 BGH NJW 2015, 1190, 1191
7 BGH NJW 2008, 1827
8 BGH NJW 2015, 1190, 1191
9 Urteil des OLG Düsseldorf vom 14.07.2017 – 4 U 1/1, openJur 2020, 3355

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Informationen zum Sozialrecht für Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte

erschienen im KammerReport 4-2020 | 18.09.2020

Um Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten, die in ihrer Praxis wenige Berührungspunkte mit dem Sozialrecht haben, den Einstieg in die Materie zu erleichtern, hat der BRAK-Ausschuss Sozialrecht Übersichtsmaterialien erarbeitet. In den Informationen zu den insgesamt dreizehn Büchern des Sozialgesetzbuchs (wobei es ein SGB XIII nicht gibt und das SGB XIV noch nicht in Kraft getreten ist) gibt der Ausschuss jeweils einen Überblick über die Regelungsgegenstände des jeweiligen Buches und stellt dabei auch ihre Relevanz für die anwaltliche Praxis heraus.

Die Informationen des Ausschusses Sozialrecht zu den einzelnen Büchern des Sozialgesetzbuches (Stand: Juli 2020) finden Sie unter dem Link: Informationen des Ausschusses Sozialrecht zu den einzelnen Büchern des Sozialgesetzbuches (Stand: Juli 2020)

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Fachanwaltsstatistik zum 1.1.2020

Große BRAO-Reform

erschienen im KammerReport 4-2020 | 18.09.2020

Die Anzahl der erworbenen Fachanwaltstitel hat weiter zugenommen und beträgt insgesamt 57.065 (Vorjahr: 56.305). Insofern erwarben 34.694 Rechtsanwälte (davon 11.825 weiblich) einen Fachanwaltstitel, 9.620 Rechtsanwälte (davon 2.431 weiblich) zwei Fachanwaltstitel und 1.089 Rechtsanwälte (davon 183 weiblich) die höchstmöglichen drei Fachanwaltstitel.

Beliebteste Fachanwaltschaft ist nach wie vor die für Arbeitsrecht (10.826). Dieser folgt die Fachanwaltschaft für Familienrecht (9.383), die mit 58,5 % weiterhin den höchsten Frauenanteil verzeichnet (Vorjahr: 58,06 %). Gleichzeitig hat sie neben den Fachanwaltschaften für Steuerrecht, Verwaltungsrecht und Sozialrecht einen Rückgang zu verzeichnen. Interessant ist aber, dass – außer im Sozialrecht – in diesen Fachanwaltschaften trotz der Rückgänge insgesamt ein Zuwachs der Fachanwältinnen fest-zuhalten ist.

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Der Referentenentwurf zum Kostenrechtsänderungsgesetz 2021*

erschienen im KammerReport 4-2020 | 18.09.2020

Rechtsanwalt Dirk Hinne, Dortmund

Seit 2016 haben BRAK und DAV für ein neues KostRMoG III gefochten. 2013 war durch das KostRMoG II die letzte Anpassung der Anwaltsgebühren an die Entwicklung der Unternehmenskosten erfolgt – nach 9 Jahren. Ein so langer Zeitrahmen ist zu lang. Nicht nur, dass die Anwaltschaft lange Jahre warten musste, um eine Anpassung zu erhalten und in den Wartejahren nicht an der wirtschaftlichen Entwicklung teilnahm, sondern die hohe prozentuale Nachholung bewirkte Widerstände und führte auch zu einer Verminderung der Prozessaufträge. Die Widerstände der Länder gegen die mit der Vergütungsanpassung durch ein neues KostRMoG III einhergehenden Kosten haben dazu geführt, dass es erst jetzt nach wieder zu vielen Jahren zu einer Gebührenanpassung kommen wird, die auch noch erheblich hinter einer realen Anpassung zurückbleibt. Damit es nicht noch zu weiteren Verzögerungen bei der Vergütungsanpassung kommt, sind die strukturellen Änderungen des RVG zurückgestellt worden. Diese müssen noch zu einem neuen KostRMOG III verhandelt werden. Der jetzt vorliegende Referentenentwurf des KostRÄG 2021 sieht deshalb im Wesentlichen eine lineare Anhebung der Gebühren und nur einzelne strukturelle Veränderungen vor. Auch diese Anhebung konnte nur um den Preis der gleichzeitigen Anhebung der Gerichtskosten erreicht werden.

Der Entwurf ist von den betroffenen Kreisen weitgehend akzeptiert worden. Es ist deshalb damit zu rechnen, dass der Entwurf in absehbarer Zeit – ggf. mit Änderungen in einzelnen Punkten – Gesetz werden kann. Was kann die Anwaltschaft von einem KostRÄG 2021 erwarten?

 

I. Zivilrecht und Öffentliches Recht

1. Lineare Gebührenanpassung

In den gemäß § 2 RVG nach dem Wert zu berechnenden Angelegenheiten werden die Gebühren im Durchschnitt um 10 % angehoben. Dabei wird es keine Staffelung der prozentualen Erhöhung nach dem Streitwert geben. Verschiedene interessierte Kreise hatten gefordert, bei kleinen Streitwerten keine oder nur eine geringere Anhebung vorzunehmen. Der Referentenentwurf sieht aber auch bei diesen Streitwerten eine gleich hohe prozentuale Anhebung vor. Das ist aus der Sicht des abrechnenden Rechtsanwalts zu begrüßen, weil die kleinen Streitwerte ohnehin nicht wirtschaftlich entgolten werden.

Die Anhebung erfolgt durch Neu-berechnung der Wertgebühren in der Tabelle zu § 13 RVG. Für nach Inkrafttreten des KostRÄG 2021 begonnene Rechtsstreite oder Instanzen ist deshalb eine neue Gebühren-tabelle erforderlich.

2. Berechnung der Gebühr bei Anrechnung

In § 14 RVG-E soll folgender Absatz 2 eingefügt werden: „Ist eine Rahmengebühr auf eine andere Rahmen-gebühr anzurechnen, ist die Gebühr, auf die angerechnet wird, so zu bestimmen, als sei der Rechtsanwalt zuvor nicht tätig gewesen.“

Hierbei handelt es sich um eine Klarstellung. Die Anrechnung gemäß § 34 Abs. 2 RVG, Vorbem. 2.3 (4) und Vorbem. 3 (4) VV-RVG hat den Zweck, Synergieeffekte durch die Bearbeitung derselben Angelegenheit in verschiedenen Verfahrensstadien abzuschöpfen. Der Gesetzgeber hat jede Gebühr so gebildet, dass sie die Einarbeitung mit entgilt. Die Einarbeitung in den Rechtsfall würde daher sowohl bei der Beratung, als auch bei der außergerichtlichen Vertretung und in der ersten gerichtlichen Instanz entgolten. Damit nicht eine dreifache Vergütung für dieselbe Tätigkeit gezahlt wird, hatte der Gesetzgeber bei der Schaffung des RVG die Anrechnung vorgesehen. Das war -seinerzeit ein erheblicher Fortschritt, weil nach der BRAGO bei dem Anfall von Rats-, Geschäfts- und -Prozessgebühren die jeweils spätere Gebühr die vorher entstandenen Gebühren vollständig konsumiert hatte.

Die Anrechnung funktioniert aber nur dann gerecht, wenn der Synergieeffekt nicht bei der Feststellung von Umfang und Schwierigkeit gemäß § 14 Abs. 1 RVG noch einmal berücksichtigt wird. Dann würde die Vergütung des Rechtsanwalts im folgenden Verfahrensabschnitt doppelt gemindert, nämlich durch die Anrechnung und durch die geringere Bewertung von Umfang und Schwierigkeit bei der Gebührenbestimmung.

Der Gesetzgeber des RVG hatte deshalb bereits in der Vorbem. 2.3 (4) S. 3 VV-RVG klargestellt: „Bei der Bemessung einer weiteren Geschäftsgebühr innerhalb eines Rahmens ist nicht zu berücksichtigen, dass der Umfang der Tätigkeit infolge der vorangegangenen Tätigkeit geringer ist.“ Ebenso hatte er in der Vorbem. 3 (4) S. 4 VV-RVG festgelegt: „Bei einer Betragsrahmengebühr ist nicht zu berücksichtigen, dass der Umfang der Tätigkeit im gerichtlichen Verfahren infolge der vorangegangenen Tätigkeit geringer ist.“

Dennoch wurde oft bei der Ausfüllung der Regelkriterien des § 14 Abs.1 RVG der verringerte Aufwand gebührenmindernd berücksichtigt, obwohl anzurechnen war. Offenbar war die Regelung zu versteckt angelegt. Die Klarstellung an der systematisch richtigen Stelle in § 14 Abs. 2 RVG-E ist daher zu begrüßen und wird zu mehr Klarheit bei der Gebührenbestimmung führen.

3. Deckelung bei mehreren Anrechnungen

Wie ausgeführt, dient die Anrechnung der Abschöpfung von Synergieeffekten. Dazu hat der Gesetzgeber eine pauschale Schätzung des Synergie-Anteils an den Bearbeitungsabschnitten vorgenommen, die im Einzelfall übertrieben hoch oder zu gering sein kann. Mit 1/2 der Mittelgebühr hat der Gesetzgeber den maximalen -Synergieanteil sehr hoch angesetzt.

Die mehrfache Anrechnung hat aber noch weitere Probleme aufgezeigt. Besonders im Zivilrecht hatte eine relativ frische Entscheidung des BGH (Beschluss vom 28.02.2017 – I ZB 55/16; anders OVG NRW 17.07.2017 – 19 E 614/16 – mit Verweis auf die Regelung in § 15 Abs.3 RVG) regelrechtes Entsetzen verursacht. Nach dieser Entscheidung sollten mehrere außergerichtlich angefallene Gebühren auch mehrfach auf eine folgende gerichtliche Gebühr angerechnet werden. Wenn also in einem Klageverfahren mehrere außergerichtlich bearbeitete Angelegenheiten verknüpft werden, so sind nach dem BGH auch alle anteiligen Geschäftsgebühren aus den vorgerichtlichen Geschäften anzurechnen. Das führt schnell zum vollständigen Verlust des Vergütungs-anspruchs für das Verfahren selbst.

In § 15a RVG-E soll deshalb folgender Abs.3 angefügt werden: „Sind mehrere Gebühren teilweise auf dieselbe Gebühr anzurechnen, so ist der anzurechnende Betrag für jede anzurechnende Gebühr gesondert zu ermitteln. Bei Wertgebühren darf der Gesamtbetrag der Anrechnung jedoch denjenigen Anrechnungsbetrag nicht übersteigen, der sich ergeben würde, wenn eine Gebühr anzurechnen wäre, die sich aus dem Gesamtbetrag der betroffenen Wertteile nach dem höchsten für die Anrechnungen einschlägigen Gebührensatz berechnet. Bei Betragsrahmengebühren darf der Gesamtbetrag der Anrechnung den für die Anrechnung bestimmten Höchstbetrag nicht übersteigen.“

Damit wird die grundsätzliche Anrechnung aller entstandenen Geschäftsgebühre, zwar bestätigt, die Gesamtanrechnung aber gedeckelt. Auch diese Neuregelung ist zu begrüßen. So bleibt wenigstens ein Teil der Verfahrensgebühr erhalten.

4. Vergütung bei Streitverkündung

Streitverkündungen sind für den Rechtsanwalt, der sie gemäß § 72 ZPO für seinen Mandanten einem Dritten erklärt, eine aufwändige und haftungsträchtige Aufgabe. Die außergerichtliche Vorbereitung der Streitverkündung stellt bei richtiger Auslegung gegenüber dem Rechtsstreit eine eigenständige Angelegenheit dar. Nach dieser Auffassung entsteht bei einer außergerichtlichen Vorbereitung der Streitverkündung eine Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV-RVG.

Allerdings wird das zum Teil unter Hinweis auf § 19 Abs. 1 S. 1 RVG, nach dem Vorbereitungstätigkeiten zum Rechtszug gehören, bestritten. Nach dieser Auffassung entstünde für die Streitverkündung keine zusätzliche Vergütung. Im gerichtlichen Verfahren gehört die Streitverkündung ohnehin zum Gerichtszug.

Der Referentenentwurf sieht hierzu eine Klarstellung vor. Durch die Einfügung einer Ordnungsnummer 1 b in § 19 Abs. 1 S. 2 RVG-E soll, wie in den Materialien ausgeführt wird, klargestellt werden, dass nur die Verkündung des Streits selbst zum gerichtlichen Verfahren gehört, die außergerichtliche Vorbereitung jedoch nicht.

Die Klarstellung als solche ist grundsätzlich zu begrüßen. Jedoch ist die Formulierung nicht ganz eindeutig. BRAK und DAV haben deshalb in ihrer Stellungnahme zum Referentenentwurf gefordert, klarzustellen, dass nur die Einreichung der Streitverkündungsschrift selbst zum Rechtsstreit gehört.

Insgesamt hatten BRAK und DAV eine andere Lösung für die Vergütung des Aufwands und Risikos der Streitverkündung favorisiert, nämlich den Streitwert des gerichtlichen Verfahrens für den streitverkündenden Rechtsanwalt über eine Addition des Streitwerts des Gegenstands der Streitverkündung zum Gegenstandswert des Rechtsstreit anzuheben. Auch wenn der Gesetzgeber dieser Forderung nicht nachgekommen ist und eine vielleicht sogar systematisch bessere Lösung gefunden hat, ist es zu begrüßen, dass die Streitverkündung in ihrer Bedeutung auch vergütungsrechtlich wahrgenommen wird.

5. Mehrvergleich bei PKH und VKH

Wird durch den im Wege der PKH oder VKH beigeordneten Rechtsanwalt ein Vergleich über Gegenstände geschlossen, die nicht im gerichtlichen Verfahren streitbefangen waren (Mehrvergleich), so ist streitig, ob die PKH oder VKH auch die Tätigkeit des Rechtsanwalts erfasst. Der BGH (Beschluss vom 17.01.2018 – XII ZB 248/16) hatte diese Frage für die Beiordnung in einer selbständigen Familiensache geklärt. Der gemäß Art. 3 i. V. m. Art. 19 Abs. 4 und Art. 20 Abs. 3 GG grundrechtlich garantierte Rechtsschutz für bedürftige Rechts-suchende erfordert eine vollständige Gleichstellung mit begüterten Auftraggebern (BVerfG NJW 2012, 3293). Das erfordert eine Erstreckung der Beiordnung auch auf den Mehrvergleich.

Der Gesetzgeber hat diese Erstreckung jetzt durch einen Zusatz in § 48 Abs. 1 RVG-E ausdrücklich vorgesehen.

6. VKH bei Mehrvergleich über Versorgungsausgleich

Streitig ist auch, ob auch ein Versorgungsausgleich von der VKH erfasst wird, wenn er nicht nach § 137 FamFG eine gesetzliche Folgesache ist und die Erstreckungsvorschrift § 149 FamFG nicht auf ihn anwendbar ist.

In § 48 Abs. 3 RVG-E wird die Erstreckung jetzt ausdrücklich geregelt.

7. Vergütung bei PKH und VKH

Bei PKH- und VKH-Mandaten hat der Gesetzgeber nicht nur eine stärkere Gebührendegression vorgesehen, als bei Wahlmandaten. Zudem ist aber auch eine Streitwertobergrenze bei 30.000 Euro vorgesehen. Bei höheren Werten steigt die Vergütung nicht mehr an. Diese Streitwertgrenze ist seit 1987 unverändert. Die Anhebung dieser Streitwertobergrenze war deshalb ein besonderes Anliegen von BRAK und DAV.

Der Referentenentwurf sieht in § 49 RVG-E eine Anhebung der Streitwertgrenze bei 50.000 Euro vor. Die bis zu dieser Grenze vorgesehenen Gebühren werden ebenfalls um 10 % angehoben und im Bereich zwischen 30.000 und 50.000 Euro weiterentwickelt. Angesichts des Auseinanderklaffens von Haftungsgefahr und Vergütung bei PKH- und VKH-Mandaten stellt das jedenfalls eine Milderung dieses Missverhältnisses dar.

8. Einigungsgebühr bei Beratung

Seit Einführung des RVG ist für den Anfall einer Einigungsgebühr nicht mehr die Abgabe der Willenserklärung durch den Rechtsanwalt erforderlich, sonder nur die Mitwirkung beim Zustandekommen der Einigung. Streitig ist aber, ob der Anfall der Geschäfts- oder Verfahrensgebühr Voraussetzung für den Anfall der Einigungsgebühr ist.

Mit der Einfügung in Vorbem. 1 VV-RVG-E stellt der Referentenentwurf klar, dass auch bei einem Auftrag zur Beratung über einen abzuschließenden Vergleich eine Einigungsgebühr entstehen kann.

8. Verfahrenswert bei Kindschaftssachen

Der Standardwert in isolierten Kindschaftssachen beträgt derzeit nur 3.000 Euro. Das wird der Bedeutung der Angelegenheit für den Auftraggeber und der Verantwortung des Rechtsanwalts kaum gerecht. In § 45 FamGKG-E sieht der Referentenentwurf eine Anhebung des Standardwertes auf 4.000 Euro vor.

Die Anhebung ist zu begrüßen, wenn sie auch weit hinter dem Notwendigen zurückbleibt. Es sei deshalb der Hinweis erlaubt, dass der Standardwert nicht in jedem Fall verbindlich ist. § 45 Abs. 3 FamGKG erlaubt dem Gericht eine abweichende Wertfestsetzung. Hierauf sollte das Gericht in geeigneten Fällen ausdrücklich hingewiesen werden.

 

II. Strafrecht

Auch im Strafrecht steht die Erhöhung der Gebühren um 10 % im Mittelpunkt. Daneben sind nur wenige inhaltliche Änderungen vorgesehen.

1. Erstreckung bei Verbindung von Verfahren

§ 48 Abs. 6 S. 1 RVG sieht vor, dass der Rechtsanwalt im Falle der Beiordnung auch einen Anspruch auf Vergütung seiner Tätigkeiten erhält, die vor dem Zeitpunkt der Beiordnung erbracht worden sind (Erstreckung). Durch die Einfügung in § 48 Abs. 6 S. 3 RVG-E soll klargestellt werden, dass diese Erstreckung auch solche Fälle erfasst, in denen der Rechtsanwalt in einem Verfahren beigeordnet ist und zu diesem Verfahren weitere Verfahren hinzuverbunden werden, in denen er nicht beigeordnet ist oder war, aber bereits Leistungen erbracht hat.

2. Pausen in der mündlichen Verhandlung

Die Rechtsprechung dazu, ob, wann und in welchem Umfang Pausen bei der Berechnung der Terminsgebühr (nach § 14 Abs. 1 RVO oder zum Ansatz den Längenzuschlags) zu berücksichtigen sind, ist unübersehbar und reich an Skurrilitäten. Die Vorbem. 4.1 (3) VV-RVG-E sieht nunmehr vor, dass Wartezeiten und Unterbrechungen bei der Verhandlungsdauer als Teilnahme zu berücksichtigen sind. Ausgenommen sind nur Unterbrechungszeiten, die der Rechtsanwalt zu vertreten hat und Unterbrechungen von mehr als einer Stunde, die mit Zeitangabe angeordnet werden und so für den Rechtsanwalt nutzbar sein können. Die Neuregelung bringt jedenfalls ein Mehr an Abrechnungssicherheit und Streitvermeidung.

3. Zeugenbeistand

Der Zeugenbeistand kann gemäß § 68b Abs. 2 StPO nach inzwischen herrschender Meinung nur für die Dauer der Vernehmung, mithin für eine Einzeltätigkeit nach Teil 4 Abschnitt 3 VV-RVG beigeordnet werden. Das wird der Bedeutung des Zeugenbeistands für den Zeugen und auch für das Verfahren, aber auch dem ihm erteilten Auftrag nicht gerecht, denn der Zeuge erwartet neben der Begleitung im Termin nicht nur die vor- und nachgehende Beratung, als Opferzeuge auch noch die Akten-einsicht und vieles mehr. Das ist ein Inbegriff von Tätigkeiten, also ein Auftrag zu einer nach Teil 4 Abschnitt 1 zu vergütenden Tätigkeit. Der grundrechtlich, aber auch europarechtlich erforderliche Zeugenschutz wird durch dieses Auseinanderklaffen des zivilrechtlichen Auftrags und seiner Kosten und des weitaus geringeren Erstattungsanspruchs aus der Beiordnung nicht gewährleistet.

Daran ändert der Referentenentwurf trotz der Forderungen von BRAK und DAV nichts. Es verschärft die Lage aber insoweit, als er nunmehr den Zeugenbeistands im Bußgeldrecht durch die Änderung der Vorbem. 5.1 VV-RVG-E ausdrücklich dem Zeugenbeistand im Strafrecht gleichstellt.

 

III. Abrechnungen nach § 3 RVG im Sozialrecht

Mit dem KostRMoG I 2004 hatte der Gesetzgeber die Vergütung im Sozialrecht neu strukturiert. Nach der BRAGO war die Vergütung für die vorgerichtliche Tätigkeit ungeregelt. Das RVG sah dann ausdrücklich eine Vergütung für vorgerichtliche Tätigkeiten vor, und zwar sowohl im initialen, wie im folgenden Verwaltungsverfahren. Zudem wurde die Vergütungshöhe für die erste Geschäftsgebühr an die Höhe der Verfahrens-gebühr angepasst. Diese positiven Regelungen wurden aber durch das Minderungssystem entwertet, nach dem im folgenden Verwaltungsverfahren nicht der volle Gebührenrahmen zur Abrechnung bereitstand, wenn eine Vertretung im initialen Verwaltungsverfahren vorhergegangen war. Nach § 63 SGB X ist nämlich nur die Gebühr für das Widerspruchsverfahren erstattungsfähig. Das war im Vergleich zu dem Rechtssuchenden, der den Rechtsanwalt erst im Widerspruchverfahren beauftragte, ungerecht und dem potentiellen Auftraggeber im initialen Verwaltungsverfahren nicht zu vermitteln. Auch durch die Ersetzung der Minderungsvorschriften durch die Anrechnungsvorschrift der Vorbem. 3 (4) VV-RVG ging der Gewinn durch die neue Regelung für vorgerichtliche Tätigkeiten im Gesamtmandat wirtschaftlich verloren.

Im Ergebnis blieb die Vergütung des sozialrechtlichen Mandats nach dem RVG bei Ansatz der Mittelgebühren um 30 – 35 % hinter dem zivilrechtlichen Mandat bei Ansatz der gekappten Mittelgebühr und dem Regelstreitwert von 4.000 E zurück (vgl. Hinne, Anwaltsvergütung im Sozialrecht, 1. Aufl. § 1 RN…).

Das wollte der Gesetzgeber durch das KostRMoG II verbessern. Schließlich waren sozialrechtliche Mandate wegen der geringen Vergütungshöhe kaum wirtschaftlich zu bearbeiten. Der Gesetzgeber des KostRMoG II hatte deshalb zum einen eine überdurchschnittliche Anhebung der Gebühren im Sozialrecht vorgesehen. Daneben wurde das Minderungs-system durch das Anrechnungssystem nach dem Muster der Anrechnung bei den Wertgebühren ersetzt. Das führte nahezu zu einer Verdopplung der nach § 63 SGB X erstattungsfähigen Kosten. Das KostRMoG II hat so einige strukturelle Fehler der neuen Regelung ausgeräumt.

Das Ziel einer Angleichung der sozial-rechtlichen Gebühren an die zivilrechtlichen hat der Gesetzgeber des KostRMoG II aber nicht erreicht. Die Vergütung des sozialrechtlichen Mandats bei Ansatz der Mittelgebühren bleibt weiterhin um rund 25 % hinter dem zivilrechtlichen Mandat bei Ansatz der gekappten Mittelgebühr und dem Regelstreitwert von nunmehr 5.000 Euro zurück (im Einzelnen s. Hinne, Anwaltsvergütung im -Sozialrecht, 2. Aufl. S. 14).

Dieser Unterschied ist für hauptsächlich sozialrechtlich tätige Rechtsanwälte fatal. Im Zivilrecht eine Kompensation durch höherwertige Mandate möglich. Im Sozialrecht ist wegen der Abkopplung der Vergütung vom Streitwert keine Kompensation möglich. Die Quersubventionierung von nicht auskömmlichen Mandaten durch höherwertige ist aber die Voraussetzung für die Verfassungs-gemäßheit des RVG, das eine Beschränkung der Berufsausübungsfreiheit darstellt und deshalb grundsätzlich die Möglichkeit einer auskömmliche Vergütung bieten muss.

Der Referentenentwurf ist deshalb zu Recht bemüht, die Höhe der Verg-ütung im Sozialrechtsmandat auf die Höhe des zivilrechtlichen Normalmandats anzuheben. Die Anhebung der Vergütung bei sozialrechtlichen Betragsrahmengebühren um 20 % anstatt der sonstigen Anhebung um 10 % holt deshalb nur das in den vorangegangenen Kostenrechtsmodernisierungen Versäumte nach.

1. Erstreckung der PKH auf Mehrvergleiche

Anders als bei den zivilrechtlichen Mandaten, die, wie oben dargestellt, von einer Vermehrung des Streit-wertes profitieren, wird es Auswirkungen in sozialrechtlichen Verfahren wegen der Pauschalierung der Gebühren nicht geben. Im Gegenteil ist durch Nr. 1005 Anm. 1 VV-RVG die Gebührenhöhe bei Einbeziehung nicht anhängiger Regelungsgegenstände auf die Höhe der gerichtlichen Einigungsgebühr begrenzt.

2. Mehrfache Anrechnung

Wie oben dargestellt, wird die Anrechnungshöhe bei mehrfacher Anrechnung gekappt. Hiervon profitiert auch die Abrechnung im sozialrechtlichen Mandat. Wird über mehrere Anhörungen und/oder Anträge in einem Grundbescheid entschieden oder werden mehrere Widerspruchsentscheidungen in einem einheitlich anzufechtenden Bescheid zusammengefasst, würde bei mehrfacher Anrechnung die Geschäftsgebühr für das folgende Widerspruchsverfahren faktisch nicht entstehen. Die Verfahrensgebühr für das Klageverfahren Nr. 3102 VV-RVG beträgt bei dem Ansatz der (gekappten) Gebührenmitte bei Geschäfts- und Verfahrensgebühr derzeit nur 150,00 Euro und ist damit ohnehin schon fast sittenwidrig niedrig. Nach Anrechnung auch nur einer weiteren gekappten mittleren Geschäftsgebühr würde eine Vergütung für die Verfahrensführung -faktisch immer vollständig entfallen.

Die Deckelung der mehrfachen Anrechnung war deshalb dringend erforderlich.

3. Terminsgebühr schriftlichem Vergleich

Hatte der BGH bei der Abrechnung des zivilrechtlichen Mandates schon immer auf den Wortlaut der Regelung der Anm. 3104 (1) VV-RVG abgestellt, nach der für den Anfall der Terminsgebühr ein Vergleich vorliegen muss, der in Schriftform abgeschlossen ist, so hat er die Anwendbarkeit der Norm in der Folge auch dann anerkannt, wenn der Vergleich nicht unmittelbar zwischen den Parteien geschlossen worden ist, sondern auf Vorschlag des Gerichts in Beschlussform bestätigt worden ist (zuletzt zusammenfassend Beschluss vom 07.05.2020 – V ZB 110/19). Die Sozialgerichtsbarkeit (vorangehend LSG NRW, Beschluss vom 11.03.2015 – L 9 AL 277/14 B und ihm unkritisch folgend viele andere LSGe) hatte die Rechtsprechung des BGH in ihrer ausweitenden Bedeutung verkannt und gefolgert, dass ein schriftlicher Vergleich nach der wortgleichen Anm. 3106 (1) VV-RVG nur vorläge, wenn der Vergleich durch Beschluss nach § 101 Abs. 1 S. 2 SGG festgestellt worden sei.

Der Referentenentwurf hat diese Rechtsprechung zum Anlass genommen, durch eine Neuformulierung der Anm. 3106 VV-RVG-E klarzustellen, dass jede justizentlastende Einigung, gleich welcher Form, die fiktive Terminsgebühr auslöst. Sie soll nunmehr anfallen, wenn mit oder ohne Mit-wirkung des Gerichts ein Vertrag im Sinne der Nummer 1000 geschlossen wird oder eine Erledigung der Rechtssache im Sinne der Nummer 1002 eingetreten ist.

Es bleibt zu hoffen, dass das nicht wieder missverstanden wird. 

 

IV. Kilometerpauschale

Die Kilometerpauschale Nr. 7003 VV-RVG liegt seit Jahrzehnten stabil bei 0,30 Euro/km. Sie soll die Betriebs- und Vorhaltekosten eines Kfz abdecken. Das ist schon lange nicht mehr möglich – nicht einmal bei einem Kleinwagen. Die Anhebung auf 0,42 Euro ist daher lange überfällig -gewesen. Ausreichend ist sie nicht.

 

V. Bewertung

Viel Licht – viel Schatten. Der Referentenentwurf verbessert die Vergütungssituation durchaus. Auch viele kleine (Ab-)Hilfen sind neu geregelt. Das zu geringe Anhebungsvolumen und auch viele unerfüllte Forderungen aus dem Forderungskatalog von BRAK und DAV lassen den Entwurf hinter dem Notwendigen zurückbleiben.

 

*Aktuell ist der Referentenentwurf bereits durch den Regierungsentwurf des KostRÄG 2021 abgelöst worden, der nun in den Bundestag eingebracht wird. Dieser enthält gegenüber dem Referentenentwurf keine wesentlichen Änderungen.

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BRAK-Handlungshinweise zur Absenkung der Umsatzsteuersätze

erschienen im KammerReport 4-2020 | 18.09.2020

Das sog. Konjunkturpaket der Bundesregierung sieht u. a. eine auf ein halbes Jahr befristete Absenkung des allgemeinen Umsatzsteuersatzes von 19 auf 16 Prozent für die Zeit vom 01.07. bis zum 31.12.2020 vor. Die BRAK hat am 25.06.2020 Handlungshinweise für die Rechnungslegung durch und an Rechtsanwälte veröffentlicht. Sie finden in dem Papier Hinweise dazu, an welchen Zeitpunkt anzuknüpfen und was bei Teilleistungen und Vorschüssen zu beachten ist. Ferner werden verschiedene Konstellationen anhand von Beispielen erörtert und mit Literaturhinweisen abgerundet. Sie finden die Hinweise unter:

Ergänzung der Handlungshinweise zur Absenkung der Umsatzsteuersätze (Stand Juni 2020)

Umsatzsteuerliche Hinweise für die Rechnungslegung durch und an Rechtsanwälte (Stand Mai 2020)

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beA-Betriebsübergang

Anwaltliche Sorgfaltspflicht

Was ändert sich für die beA-Anwender?

erschienen im KammerReport 4-2020 | 18.09.2020

Rechtsanwältin Julia von Seltmann, Berlin

Die BRAK hat den Wechsel ihres technischen Dienstleisters für die (Weiter-)Entwicklung und den Betrieb des besonderen elektronischen Anwaltspostfachs (beA) vollzogen. Die Wesroc GbR hat im Juni 2020 von der Atos Information Technology GmbH die Entwicklung und den Betrieb des beA sowie den Anwendersupport vollständig übernommen. Der folgende Beitrag gibt einen Überblick über die Vorbereitung und Durchführung des Betriebsübergangs. Er erklärt die neuen Supportwege und gibt einen Ausblick auf die Themen, mit denen sich die BRAK gemeinsam mit ihrem neuen Dienstleister künftig befassen wird.

Transition
Dem Betriebsübergang vorausgegangen war ein förmliches Vergabeverfahren, nach dessen Abschluss im September 2019 die BRAK die -Wesroc GbR mit der (Weiter-)Entwicklung und dem Betrieb des beA beauftragt hat. An das Vergabeverfahren schloss sich eine knapp zehnmonatige Transitionsphase an, in der sich die Wesroc GbR mit Unterstützung durch die bisherige Dienstleisterin, die Atos Information Technology GmbH, auf die Betriebsübernahme vorbereitet hat.

In dieser Zeit hat die Wesroc GbR sich mit dem Quellcode der Software vertraut gemacht und die Betriebsumgebungen mit neuer Hardware komplett neu aufgebaut, getestet und in Betrieb genommen. Eine wesentliche Anforderung der BRAK an die Betriebsübernahme war die sichere und verlustfreie Übertragung aller Daten aus dem alten System in das neue System. Dazu hat die Wesroc GbR in enger Abstimmung mit der BRAK-IT ein eigenes Verfahren erarbeitet und erprobt, das die sichere und selbstverständlich verschlüsselte Übertragung der vorhandenen Daten mit einer Gesamtgröße von ca. 20 TB erlaubte, ohne dass die Systeme dafür über längere Zeit hätten stillgelegt werden müssen.

Das Ergebnis einer Sicherheitsüberprüfung bescheinigt dem System, dass es die Anforderungen an einen sicheren Betrieb erfüllt.

beA-Anwendersupport
Zu den Aufgaben der neuen Dienstleisterin gehört auch die Unterstützung der beA-Nutzerinnen und -Nutzer bei allen Fragen rund um das beA. Die Wesroc GbR hat bereits am 2.6.2020 den beA-Anwendersupport übernommen. Mit dem Wechsel von Atos auf Wesroc haben sich auch die Kontaktdaten geändert. Den telefonischen Support erreichen die Anwender seit dem 2.6.2020 von Montag bis Freitag in der Zeit von 08:00 Uhr bis 20:00 Uhr (bundeseinheitliche Feiertage ausgenommen) unter der folgenden Telefonnummer: 030 – 21787017. Per E-Mail ist der Anwendersupport unter der E-Mail-Adresse servicedesk@beasupport.de erreichbar.Außerdem ist es möglich, im Service-Portal unter der Adresse https://portal.beasupport.de direkt ein Ticket für das jeweilige Anliegen zu eröffnen. Wie die Möglichkeit, sich für einen Zugang zum Service-Portal zu registrieren, genutzt werden kann, wird auf der Seite https://portal.beasupport.de erklärt. Seit dem 2.6.2020 besteht für den beA-Nutzer auch die Möglichkeit, dass er seinen aktuellen Bildschirm mithilfe der Software TeamViewer mit einem Support-Mitarbeiter teilt. In vielen Fällen ist mit einem solchen Remote-Zugriff des Supports eine schnellere Lösung der bestehenden Fragestellung möglich. Der Zugriff auf den Rechner des Anwenders ist ausschließlich auf die Zeit des Supportanrufs beschränkt. Der Anfragende kann den Zugriff jederzeit beenden. Er wird vom Support-Mitarbeiter darauf hingewiesen, dass eine Beendigung der TeamViewer-Verbindung nicht automatisch das Programm auf dem Client beendet. Das bedeutet insbesondere, dass vom Supportgebenden auch weiterhin eine Verbindung zum Client aufgebaut werden kann, solange das Programm nicht manuell geschlossen oder der Rechner heruntergefahren wird. Die Supportmitarbeiter weisen bei jedem Einsatz des TeamViewers auf diesen Umstand hin und bitten explizit um Beendigung nach dem Supportanruf. Bitte denken Sie im Interesse der IT-Sicherheit unbedingt daran, das Programm zu schließen. Nähere Informationen zur Nutzung des TeamViewers finden sich ebenfalls auf der Seite https://portal.beasupport.de

Wissensdatenbank
Die Service-Seite verfügt außerdem über eine Wissensdatenbank, die -Antworten zu den häufig gestellten Fragen rund um das beA enthält.

Diese Wissensdatenbank pflegt die Wesroc GbR gemeinsam mit der BRAK laufend. Sie soll als Informationsbasis für alle Fragen rund um das beA dienen.

Datenschutz
Die Datenschutzvereinbarung auf der Seite https://service.westernacher.com/external klärt umfassend über die Verarbeitung der personenbezogenen Daten bei Nutzung des beA-Supports per E-Mail und Telefon sowie beim Besuch des beA-Service-Portals auf.

Supportwegweiser
Nicht alle Fragen können vom technischen Support beantwortet werden. Insbesondere Fragen rund um die beA-Karten und Software-Zertifikate beantwortet die Bundesnotarkammer. Hinweise zu Namens- oder Adress-änderungen bearbeitet die insoweit zuständige regionale Rechtsanwaltskammer. Sie steht auch für berufsrechtliche Fragestellungen, z. B. zu weiteren Kanzleien, Zweigstellen, Vertreterbestellungen oder eingesetzten Abwicklern zur Verfügung. Weitere Informationen bietet die beA-Informationsseite der BRAK: https://bea.brak.de

Der oben abgebildete Supportwegweiser gibt einen schnellen Überblick, welches die richtige Anlaufstelle für Fragen und Probleme rund um das beA und den elektronischen Rechtsverkehr ist:

Weiterentwicklung
Die BRAK und die Wesroc GbR haben sich in der Transitionsphase zunächst auf die Übernahme der vorhandenen Software und den Aufbau eines sicheren Betriebs konzentriert, um allen Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten ein zuverlässiges -System zur Verfügung zu stellen.

Die mit dem Betriebsübergang zu Ende gegangene Transitionsphase stellt zugleich den Eintritt in eine neue Phase der Weiterentwicklung der beA-Webanwendung dar.

Um die Attraktivität des beA und damit auch des elektronischen Rechtsverkehrs zu steigern, soll das beA sukzessive um neue Funktionalitäten erweitert und insgesamt nutzerfreundlicher ausgestaltet werden. Dazu gehören z. B. Verbesserungen bei der Darstellung und der Verarbeitung elektronischer Empfangsbekenntnisse, eine vereinfachte Benutzerführung durch verständlichere Dialoge, die Überarbeitung der Oberfläche sowie die mobile Nutzung des beA.

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