erschienen im KammerReport 2-2019 | 07.03.2019
Rechtsanwältin und Fachanwältin für Strafrecht Elke Werner, Fachanwältin für Strafrecht
Bei der Beratung und Vertretung seiner Auftraggeber läuft der Rechtsanwalt nicht selten Gefahr, sich in dem Grenzbereich des strafrechtlich Zulässigen zu bewegen. Die strafrechtliche Bewertung seines Rates oder seines Handelns ist angesichts der Vielfalt und der Komplexität der Fallgestaltungen gelegentlich schwierig. Nur der Rechtsanwalt, der sich der strafrechtlichen Risiken seiner Tätigkeit bewusst ist, kann und wird seinen Rat und sein Handeln so einrichten, dass sie sich (noch) im Rahmen des Zulässigen bewegen. Er wird sich veranlasst sehen, auch Aufträge, denen eine besondere Bedeutung für den Auftraggeber zukommt, in Bezug auf ihre Risikoträchtigkeit für sich und seinen Mandanten zu betrachten und einzuschätzen.
Welche Folgen ein fehlendes Risikobewusstsein und damit eine unterlassene Risikoanalyse in Bezug auf ein Tätigwerden und/oder ein Tätigbleiben des Rechtsanwalts haben kann, soll an dem nachfolgenden Beispiel aufgezeigt werden:
Der Rechtsanwalt (R) berät und vertritt eine Bau-GmbH seit Jahren in allen Rechtsangelegenheiten. Eines Tages sucht der geschäftsführende Gesellschafter (G) der Bau-GmbH R auf und berichtet ihm, dass seine Bau-GmbH zahlungsunfähig sei. Ein Antrag auf Insolvenzeröffnung könne daher nur dadurch vermieden werden, dass der Gesellschaft Geld zugeführt
werde, etwa durch Kreditgewährung, durch Einbindung eines Kreditgebers als weiteren Gesellschafter oder gar durch Verkauf des Unternehmens an einen solventen Käufer. G bittet R, in allen Richtungen tätig zu werden, um den Fortbestand der Bau-GmbH herbeizuführen. R, der aus Aufträgen in der Vergangenheit noch eine größere Vergütungsforderung gegen die Gesellschaft hat, erklärt sich gegen eine zu vereinbarende Vergütung bereit, tätig zu werden. Über die von der Bau-GmbH an R für diesen Auftrag zu zahlende Vergütung wird man sich einig. Als R von G die Zahlung eines Vorschusses auf die vereinbarte Vergütung verlangt, erklärt ihm G, dass die Gesellschaft doch zahlungsunfähig sei. G bietet R für dessen Vergütungsforderung aus den früheren Aufträgen und für die vereinbarte Vergütung für die Tätigkeiten zur Existenzerhaltung der Bau-GmbH an, ihm einen von Rechten Dritter unbelasteten Baukran als Sicherheit für seine Vergütungsforderungen zu übereignen. R ist damit einverstanden und fertigt auf Bitten des G den Sicherungsübereignungsvertrag. G und R unterzeichnen diesen Vertrag. R bemüht sich, Interessenten zu finden, die bereit sind, der Bau-GmbH einen Kredit zu geben, sich an der Gesellschaft zu beteiligen oder diese Gesellschaft zu kaufen. Nach fünf Wochen intensivster Bemühungen muss R erkennen, dass er keinen Erfolg haben wird. Der Insolvenzantrag wird durch G für die Bau-GmbH gestellt; das Insolvenzverfahren wird eröffnet.
Das Insolvenzgericht teilt der Staatsanwaltschaft die Eröffnung des Insolvenzverfahrens mit. Diese prüft, ob ein Anfangsverdacht für die Einleitung eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens gegeben ist, bejaht diesen und leitet das Verfahren gegen G und R ein. Das strafrechtliche Ermittlungsverfahren endet in einer Anklage gegen beide Beschuldigte.
Wie konnte es dazu kommen? Was hat R, als er das Mandat übernahm und fortführte, nicht bedacht?
1.
Die Insolvenzantragstellung nach mehr als drei Wochen ab Kriseneintritt
Die Bau-GmbH war zahlungsunfähig; sie befand sich also in einer Krise. Das erfordert grundsätzlich ein sofortiges Handeln. Wird nämlich eine juristische Person zahlungsunfähig, so ist das Vertretungsorgan, hier der Geschäftsführer G, verpflichtet, ohne schuldhaftes Zögern, spätestens aber drei Wochen nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit einen Insolvenzantrag zu stellen, § 15a Abs. 1 Satz 1 InsO. Nach Abs. 4 dieser Vorschrift wird bestraft, wer einen Insolvenzantrag nicht, nicht rechtzeitig oder nicht richtig stellt.
G hat den Antrag auf Insolvenzeröffnung erst (wenigstens) fünf Wochen nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit, also nicht rechtzeitig, gestellt. Die Sanierungsbemühungen des R rechtfertigen die Ausschöpfung der Dreiwochenfrist, nicht aber deren Überschreitung.
G hat sich also wegen Insolvenzverschleppung nach § 15a Abs. 4 InsO strafbar gemacht.
Übrigens: Selbst wenn es gelungen wäre, durch die Bemühungen des R die Insolvenz der Bau-GmbH zu vermeiden, diese Bemühungen aber nicht
in der Dreiwochenfrist hätten abgeschlossen werden können, wäre die Strafbarkeit für beide Beschuldigte gegeben gewesen.1
Wie steht es mit R, der seine Bemühungen für die Bau-GmbH mit Zustimmung des G über die Dreiwochenfrist hinaus fortgesetzt hat?
Angesichts des Sonderdeliktscharakters des § 15a Abs. 4 InsO kann sich der Berater grundsätzlich nur wegen Teilnahme (Anstiftung oder Beihilfe) an der Straftat des Vertretungsorgans der juristischen Person strafbar machen. Da eine Anstiftung des R ausscheidet, kommt dessen Beihilfe zu der von G begangenen Insolvenzverschleppung in Betracht.
Wegen Beihilfe macht sich der Berater strafbar, der in Kenntnis der Insolvenz-reife bei den die Dauer von drei Wochen überschreitenden Sanierungsmaßnahmen mitwirkt.2 Dabei ist es gleichgültig, ob der Berater – wie hier – durch reale Tatbeiträge oder durch emotionale Verstärkung des Tatentschlusses die Tatdurchführung fördert.3
R hat sich damit der Beihilfe zur Insolvenzverschleppung nach § 15a Abs. 4 InsO, § 27 StGB strafbar gemacht.
2.
Die Übereignung des
Baukrans zur Sicherheit für die Vergütungsforderungen
Der Sicherungsübereignungsvertrag zwischen der durch G vertretenen Bau-GmbH und R sicherte sowohl die Vergütungsforderung des R aus dem früheren Auftrag als auch das Honorar des R für das Tätigwerden zur Rettung des Unternehmens.
Um bei einem Unternehmenszusammenbruch die gleichmäßige Befriedigung aller Gläubiger sicherzustellen, stellen die Insolvenzstraftaten des StGB, nämlich die §§ 283 – 283d, verschiedene Verhaltensweisen insbesondere von Organen juristischer Personen unter Strafe.
Bei diesen Strafvorschriften handelt es sich – mit Ausnahme der Schuldnerbegünstigung nach § 283d StGB – um Sonderdelikte.4 Sie verlangen das Vorhandensein einer (Unternehmens-)Krise, die Erfüllung einer objektiven Strafbarkeitsbedingung (den Zusammenbruch des Unternehmens) sowie zumindest in einigen Tatbestandsalternativen die Kaufmannseigenschaft des Täters. Unter Strafe stehen z. B. Tathandlungen wie das Beiseiteschaffen oder Verheimlichen von Vermögenswerten, das Vortäuschen von Rechten anderer oder das Anerkennen erdichteter Rechte.
Nach § 283 Abs. 1 Nr. 1 StGB sind Handlungen unter Strafe gestellt, durch die Bestandteile des Vermögens, die im Falle der Insolvenzeröffnung zur Insolvenzmasse gehören (§ 35 InsO), dieser entzogen werden.
Der R zur Sicherheit übereignete Baukran war Eigentum der Bau-GmbH. Als Bestandteil des Vermögens der Bau-GmbH hätte er bei der Insolvenz-eröffnung zur Insolvenzmasse gehört. Durch die Sicherungsübereignung an R wurde er der Insolvenzmasse entzogen. Damit ist der Baukran im Sinne des § 283 Abs. 1 Nr. 1 StGB beiseite gebracht worden.
Die Übereignung des Baukrans erfolgte an R, einen Gläubiger der Bau-GmbH.
Wird einem Gläubiger eine Sicherheit oder Befriedigung gewährt, die ihn vor den übrigen Gläubigern begünstigt, so findet die Vorschrift der Gläubigerbegünstigung nach § 283c StGB, eine Privilegierung gegenüber § 283 Abs. 1 Nr. 1 StGB, Anwendung.
Da R zu dem Zeitpunkt, als ihm der Baukran übereignet wurde, keinen Anspruch auf dessen Übereignung hatte, hat G durch den Abschluss des Sicherungsübereignungsvertrags mit R den Tatbestand der Gläubigerbegünstigung nach § 283c Abs. 1 StGB verwirklicht.
Gesichert wurden durch die Übereignung des Baukrans zwei Vergütungsforderungen des R, nämlich zum einen die aus dem früheren Auftrag und zum anderen die aus dem neuen Auftrag.
Mit seiner Forderung aus dem früheren Auftrag gehörte R zu der Gesamtheit der Gläubiger der Bau-GmbH. Seine Gläubigereigenschaft war insoweit bereits bei Eintritt der Krise, hier in Form der Zahlungsunfähigkeit, gegeben. Deshalb durfte er nicht besser gestellt werden als die übrigen Gläubiger. Anders verhält es sich mit seiner Vergütungsforderung aus dem Sanierungsauftrag. Diese seine Gläubigereigenschaft wurde erst nach Eintritt der Krise begründet. R hatte aus dem Anwaltsvertrag einen Anspruch auf Vorschusszahlung.5 Als seinem Verlangen auf Vorschusszahlung nicht nachgekommen werden konnte, übereignete ihm G zur Besicherung des Anspruchs den Baukran. Dazu war G berechtigt. Der in wirtschaftlichen Schwierigkeiten befindliche Schuldner (hier: die durch G vertretene Bau-GmbH) hat nämlich einen Anspruch darauf, in der Krisensituation einen Rechtsanwalt seines Vertrauens hinzuzuziehen, diesen zu beauftragen und damit neue Forderungen zu begründen.6
Strafbewehrt bei G wegen Gläubigerbegünstigung nach § 283c StGB ist demnach nur die unzulässige Besicherung der Altforderung des R durch die Übereignung des Baukrans.
Was ist mit R, der das Sicherungseigentum entgegengenommen und den Sicherungsübereignungsvertrag entworfen hat?
Angesichts des Sonderdeliktscharakters der Gläubigerbegünstigung nach § 283c StGB kann sich R grundsätzlich nur wegen Teilnahme (Anstiftung oder Beihilfe) an der Straftat des G strafbar gemacht haben.
Eine Anstiftung des R scheidet aus, da G den Vorschlag gemacht hat, die Sicherungsübereignung vorzunehmen.
Eine Beihilfe des R könnte deshalb gegeben sein, weil er durch die Mitwirkung an der Sicherungsübereignung das Sicherungsgut entgegengenommen hat.
Da § 283c StGB die „Gewährung“ einer Bevorzugung verlangt, ist zwangsläufig Voraussetzung, dass der begünstigte Gläubiger – hier R – an der Handlung mitwirkt. Der durch den Täter begünstigte Gläubiger macht sich also durch die bloße Annahme der ihm gewährten Vergünstigung nicht als Teilnehmer strafbar, da ohne seine Beteiligung der
Straftatbestand begriffsnotwendig nicht verwirklicht werden kann; es liegt ein Fall der notwendigen Teilnahme vor.7
Beschränkt sich die Handlung des begünstigten Gläubigers allerdings nicht auf die bloße Annahme einer ihm vom Schuldner freiwillig angebotenen Sicherung, so kommt für ihn strafbare Teilnahme an einer Gläubigerbegünstigung nach § 283c StGB in Betracht.8
R hat mehr getan, als nur die Sicherheit (Übereignung des Baukrans) entgegenzunehmen; er hat den Sicherungsübereignungsvertrag entworfen. Dadurch hat er die Handlung des G unterstützt und handelte zudem mit dem erforderlichen doppelten Gehilfenvorsatz.
R hat sich damit der Beihilfe zur Gläubigerbegünstigung nach §§ 283c, 27 StGB strafbar gemacht.
Es zeigt sich: Anwaltliche Tätigkeit ist risikobehaftet.
1 Vgl. Müller-Gugenberger/Häcker, Wirtschaftsstrafrecht, 6. Aufl. 2015, § 96 Rn. 20.
2 Vgl. Bittmann/Trück, Praxishandbuch Insolvenzstrafrecht, § 29 Rn. 58 ff.
3 Zur derartigen „psychischen Beihilfe“ vgl. z. B. BGH NStZ 1998, 622; NStZ 1996, 563; OLG Düsseldorf NStZ 2002, 139).
4 Fischer, Vor § 283 Rn. 18.
5 § 9 RVG.
6 BGH Urt. v. 29.09.1988 – 1 StR 332/88, NStZ 1989, 179 = wistra 1989, 102.
7 Fischer, § 283c Rn. 10 m.w.N.; Weyand/Diversy, Insolvenzdelikte, 10. Aufl., Rn. 135.
8 BGH Urt. v. 16.12.1991 – StbSt (R) 2/91, NStZ 1992, 239 f. = wistra 1993, 147 f. = NJW 1992, 1278; Fischer, § 283c Rn. 11; siehe auch Weyand/Diversy, Rn. 135.