erschienen im KammerReport 2-2023 | 24.03.2023
Der EuGH hat durch Urteil vom 12.01.2023 in der Rechtssache C-395/21 über eine Klausel eines zwischen einem Rechtsanwalt und einem Verbraucher geschlossenen Vertrags über die Erbringung von Rechtsdienstleistungen entschieden, nach der sich die Vergütung der erbrachten Rechtsdienstleistungen nach dem Zeitaufwand richtet. Danach genügt eine solche Klausel ohne weitere Angabe nicht dem Erfordernis der Klarheit und Verständlichkeit.
Dem Gerichtshof wurden durch das Oberste Gericht Litauens Fragen zur Auslegung der unionsrechtlichen Bestimmungen zum Schutz der Verbraucher von missbräuchlichen Vertragsklauseln vorgelegt. Sie betreffen insbesondere den Umfang des Erfordernisses der klaren und verständlichen Abfassung einer Klausel eines Vertrags über die Erbringung von Rechtsdienstleistungen und die Folgen der Feststellung der Missbräuchlichkeit einer Klausel, mit der die Vergütung dieser Dienstleistung festgelegt wird. Im Wege eines Vorabentscheidungsersuchens können die Gerichte der Mitgliedstaaten in einem bei ihnen anhängigen Rechtsstreit dem Gerichtshof Fragen nach der Auslegung des Unionsrechts vorlegen. Der Gerichtshof entscheidet nicht über den nationalen Rechtsstreit. Es ist Sache des nationalen Gerichts, über die Rechtssache im Einklang mit der Entscheidung des Gerichtshofs zu entscheiden. Die Entscheidung des Gerichtshofs bindet andere nationale Gerichte, die mit einem ähnlichen Problem befasst werden.
Im Urteil vom 12.01.2023 stellt der EuGH zunächst klar, dass eine Klausel, mit der die Verpflichtung des Auftragsgebers zur Zahlung der Vergütung des Rechtsanwalts festgelegt und die Höhe der Vergütung bestimmt wird, unter den Begriff „Hauptgegenstand des Vertrages“ fällt. Im streitgegenständlichen Verfahren schloss ein Verbraucher in Litauen mit einem Rechtsanwalt fünf Verträge über Rechtsdienstleistungen. Die Vergütung sollte sich jeweils nach dem Zeitaufwand richten. Für die Beratung oder Erbringung von Rechtsdienstleistungen wurde ein Stundensatz von 100,00 € vereinbart. Nachdem die in Rechnung gestellte Vergütung nicht in voller Höhe gezahlt wurde, erhob der Anwalt zunächst beim erstinstanzlichen litauischen Gericht Klage auf Zahlung von 9.900,00 € für die erbrachten Rechtsdienstleistungen. Das erstinstanzliche litauische Gericht gab der Klage nur teilweise statt, die hiergegen eingelegte Berufung wurde zurückgewiesen. Daraufhin legte der Rechtsanwalt beim obersten Gericht Litauens eine Kassationsbeschwerde ein. Das Oberste Gericht Litauens legte den Rechtsstreit dann im Wege eines Vorabentscheidungsersuchens dem EuGH vor.
Der Gerichtshof gelangt zu dem Ergebnis, dass eine Klausel eines zwischen einem Rechtsanwalt und einem Verbraucher geschlossenen Vertrags über die Erbringung von Rechtsdienstleistungen, nach der sich die Vergütung Letzterer nach dem Zeitaufwand richtet, dem unionsrechtlichen Erfordernis, dass die Klausel klar und verständlich abgefasst sein muss, nicht genügt, wenn dem Verbraucher vor Vertragsabschluss nicht die Informationen erteilt worden sind, die ihn in die Lage versetzt hätten, seine Entscheidung mit Bedacht und in voller Kenntnis der wirtschaftlichen Folge des Vertragsabschlusses zu treffen. In diesen Informationen müssen Angaben enthalten sein, anhand deren der Verbraucher die Gesamtkosten der Rechtsdienstleistungen der Größenordnung nach einzuschätzen vermag, etwa eine Schätzung der Stunden, die voraussichtlich oder mindestens erforderlich sind, um eine bestimmte Dienstleistung zu erbringen, ohne die Verpflichtung, in angemessenen Zeitabständen Rechnungen oder regelmäßige Aufstellungen zu übermitteln, in denen die aufgewandten Arbeitsstunden ausgewiesen sind.
Der EUGH stellt zur Missbräuchlichkeit einer Klausel über die Vergütung von Rechtsdienstleistungen nach dem Zeitaufwand fest, dass das nationale Gericht unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände der Rechtssache zunächst zu prüfen hat, ob ein Verstoß gegen das Gebot von Treu und Glauben vorliegt, und dann, ob zum Nachteil des Verbrauchers ein erhebliches Missverhältnis besteht. Die Missbräuchlichkeit einer Klausel eines Verbrauchervertrags ist grundsätzlich im Wege einer Gesamtwürdigung zu beurteilen, bei der nicht nur die fehlende Transparenz der Klausel berücksichtigt wird. In seiner Entscheidung stellt der Gerichtshof fest, dass eine Klausel eines Vertrags über die Erbringung von Rechtsdienstleistungen, nach der sich die Vergütung Letzterer nach dem Zeitaufwand richtet und die daher den Hauptgegenstand des Vertrages betrifft, nicht bereits deshalb, weil sie dem Transparenzerfordernis nicht entspricht, als missbräuchlich anzusehen ist, es sei denn, dass innerstaatliche Recht sieht dies ausdrücklich vor. Was die Folgen der Missbräuchlichkeit einer Klausel über die Vergütung angeht, stellt der Gerichtshof fest, dass das nationale Gericht verpflichtet ist, eine solche Klausel für unanwendbar zu erklären, sofern der Verbraucher dem nicht widerspricht. Kann ein Vertrag über die Erbringung von Rechtsdienstleistungen nach der Aufhebung der Klausel über die Vergütung nach den einschlägigen Vorschriften des innerstaatlichen Rechts nicht fortbestehen, steht die Richtlinie 93/13 seiner Nichtigerklärung nicht entgegen, und zwar auch dann, wenn dies bedeuten würde, dass der Gewerbebetreibende für die von ihm erbrachten Dienstleistungen überhaupt keine Vergütung erhält. Nur falls die Nichtigerklärung insgesamt für den Verbraucher besonders nachteilige Folgen hätte, wäre das vorlegende Gericht ausnahmsweise befugt, eine für nichtig erklärte missbräuchliche Klausel durch eine dispositive Vorschrift des innerstaatlichen Rechts zu ersetzen.
Es empfiehlt sich daher, Zeitklauseln in Honorarvereinbarungen mit Verbrauchern so abzufassen, dass die Verbraucher eine Vorstellung davon haben, wie hoch das Honorar am Ende des Mandats sein wird. Eine Angabe des Stundensatzes allein dürfte daher nicht ausreichend sein.
Die Pressemitteilung des EuGH zu diesem Urteil finden Sie unter dem Link.
Quelle: Pressemitteilung Nr. 10/23 des EUGH
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