Vom Status quo und der Frage nach dem Nachholbedarf
erschienen im KammerReport 3-2021 | 24.09.2021
Rechtsanwältin Julia Püngel, Rechtsanwaltskammer Hamm
Zum 1.1.2020 wurde das Berufsbildungsgesetz (BBiG) reformiert und § 17 BBiG, der die Vergütung regelt, neu gefasst. Durch diese Regelung wird nunmehr eine Mindestvergütung für Auszubildende gesetzlich festlegt. Im Gesetzesentwurf der Bundesregierung heißt es hierzu: „Die Mindestvergütung soll (…) Auszubildende besser als durch die bisherige Generalklausel vor Vergütungen schützen, die als nicht mehr angemessen angesehen werden können. Die Mindestvergütung konkretisiert die Verpflichtung von Betrieben, eine „angemessene“ Ausbildungsvergütung zu zahlen.“ Die Notwendigkeit, den Ausbildungsmarkt durch die Einführung eines Mindestlohns zu stärken und zu sichern, wurde damit erkannt und umgesetzt.
Mindestvergütung und Vergütungsempfehlungen der Rechtsanwaltskammern
Die Mindestvergütung für Auszubildende gem. § 17 II BBiG beläuft sich für das Jahr 2021 monatlich auf 550 Euro für das erste Ausbildungsjahr, 649 Euro für das zweite Ausbildungsjahr und 743 Euro für das dritte Ausbildungsjahr.
Im Vergleich hierzu stehen die Vergütungsempfehlungen, die die einzelnen Rechtsanwaltskammern vorgeben können und die gemäß der Rechtsprechung des BAG um bis zu 20 % unterschritten werden dürfen und dann immer noch als „angemessen“ gelten (BAG, Urt. v. 16.7.2013 – 9 AZR 784/11). Hierdurch kann unter Umständen ein Spannungsverhältnis entstehen, da die Vergütungsempfehlung der Kammern abzüglich 20 % über der gesetzlichen Mindestvergütung liegen können und daher unklar ist, welche Ausbildungsvergütung maßgeblich ist. Wenn eine solche Kollision auftritt, bleibt der von der Rechtsprechung erteilte verbindliche Charakter der Kammerempfehlungen (ganz im Sinne der Auszubildenden) grundsätzlich bestehen und verliert nicht ohne Weiteres an Geltung.
Die Durchschnittsempfehlungen der Kammern (ohne einen Abzug von 20 %) liegen aktuell pro Monat bei 708 Euro für das erste Ausbildungsjahr, 795 Euro für das zweite Ausbildungsjahr und 886 Euro für das dritte Ausbildungsjahr und damit über der gesetzlichen Vergütung.
Der Status Quo: Gehaltssituation von Auszubildenden in Kanzleien
Der Ergebnisbericht zu STAR 2020 (Statistisches Berichtssystem für Rechtsanwälte) für das Wirtschaftsjahr 2018 beschäftigt sich mit wirtschaftlichen personen- und kanzleibezogenen Daten, die über Rechtsanwaltskanzleien erhoben werden. Ein Zusatzteil dieser Umfrage bezieht sich auf Auszubildende zum/r Rechtsanwalts- bzw. Rechtsanwalts- und Notarfachangestellten. Einen der Schwerpunkte bildet die Vergütung, wobei dabei insbesondere zwischen der Kanzlei- und der Ortsgröße differenziert wird.
Die Umfrage ergibt, dass sich das Durchschnittseinkommen der Auszubildenden zur/m Rechtsanwalts- und Rechtsanwalts- und Notarfachangestellten im Jahr 2018 im Bundesgebiet auf 7.200 Euro im ersten Ausbildungsjahr (600 Euro pro Monat), 8.300 Euro im zweiten Ausbildungsjahr (692 Euro pro Monat) und 9.400 Euro im dritten Ausbildungsjahr (783 Euro pro Monat), belief. Dabei wird im westlichen Bundesgebiet wesentlich mehr gezahlt als im Osten (etwa 1.000 Euro mehr pro Jahr).
Die größten Unterschiede hinsichtlich der Vergütung sind allerdings im Verhältnis zwischen Einzelkanzlei und Sozietät und zwischen Klein- und Großstadt zu verzeichnen. Demzufolge zahlen Sozietäten mehr als Einzelkanzleien. Die Höhe der Vergütung steigt mit der Anzahl der tätigen Berufsträger innerhalb einer Kanzlei. So liegt die jährliche Durchschnittsvergütung in der Kanzlei eines Einzelanwalts bei 6.700 Euro im ersten Ausbildungsjahr. Anwaltsbüros mit bis zu fünf Anwälten zahlen bis zu 7.200 Euro, wohingegen Kanzleien, die mehr als 20 Anwälte beschäftigen, im ersten Ausbildungsjahr eine Vergütung von insgesamt 8.700 Euro zahlen. Ein derartiger Unterschied ist auch im zweiten und dritten Ausbildungsjahr zu vermerken.
Beim Vergleich Stadt vs. Land gilt der Grundsatz: Je größer die Stadt, desto höher die Vergütung. So werden in einer Kleinstadt mit bis zu 20.000 Einwohnern im ersten Ausbildungsjahr 6.700 Euro als Durchschnittsgehalt gezahlt. In mittelgroßen Städten mit bis zu 100.000 Einwohnern wird etwas mehr gezahlt, nämlich 6.900 Euro. In Großstädten ab 500.000 Einwohnern beläuft sich die Vergütung auf 7.900 Euro im ersten Ausbildungsjahr. Diese Abweichungen gelten auch für das zweite und dritte Ausbildungsjahr.
Im STAR-Ergebnisbericht wurden darüber hinaus Daten über sonstige Auszubildende erhoben, die in Rechtsanwaltskanzleien beschäftigt sind, für die die Rechts-anwaltskammern aber nicht zuständig sind (z. B. Kauffrau/-mann für Büromanagement). Auffällig hierbei ist, dass Auszubildende zur/m Rechtsanwalts- und Rechtsanwalts- und Notarfachangestellte im Vergleich hierzu weniger verdienen. Das Durchschnittseinkommen von anderen Auszubildenden liegt im gesamten Bundesgebiet bei 9.300 Euro im ersten Ausbildungsjahr, 10.500 Euro im zweiten Ausbildungsjahr und 11.500 Euro im dritten Ausbildungsjahr. Damit verdienen sonstige Auszubildende einer Kanzlei im Durchschnitt über 2.000 Euro mehr pro Jahr als das angehende Fachpersonal.
Nachholbedarf und Anlass zur Trendwende
Dieser Trend ist mit Skepsis zu betrachten. Die Ausbildungszahlen in diesem Berufszweig sinken stetig, der Fachkräftemangel hingegen steigt. Es verwundert daher sehr, dass andere Auszubildende in den Kanzleien mehr verdienen als Rechtsanwalts- und Rechtsanwalts- und Notarfachangestellte.
Die Vergütungshöhe könnte ein Faktor sein, um die Attraktivität und die Anerkennung dieses Berufsbildes zu steigern und junge Leute damit wieder für diesen Beruf zu interessieren und zu motivieren. Hier besteht gerade auf dem Land und in mittelgroßen Städten, wie oben angezeigt, noch Luft nach oben, da hier im Jahr 2018 knapp der heutige Mindestlohn gezahlt wurde. Um dem Fachkräfte- und Auszubildendenmangel dort entgegenzuwirken, könnte eine adäquate Erhöhung und Anpassung der Vergütung ein geeignetes Instrument sein, um den Berufszweig auch in diesen (strukturschwachen) Gegenden aufrechtzuerhalten.
Bundesprogramm „Ausbildungsplätze sichern“
Um den Ausbildungsmarkt trotz der weiterhin andauernden Corona-Krise zu sichern und zu stabilisieren, hat die Bundesregierung das Bundesprogramm „Ausbildungsplätze sichern“ mittlerweile zweimal erweitert und ergänzt. Im Ergebnis haben sich nicht nur die Förderzeiträume verlängert, sondern auch die Zuschussprämien erhöht. Insgesamt gibt es nunmehr fünf Maßnahmen des Förderprogramms:
- die Ausbildungsprämie,
- die Ausbildungsprämie plus,
- die Zuschüsse zur Vermeidung von Kurzarbeit,
- die Übernahmeprämie und
- den Lockdown-II-Sonderzuschuss für Kleinstunternehmen.
Die Zuschüsse belaufen sich von 4.000 Euro auf bis zu 6.000 Euro, abhängig von der jeweiligen Fördermaßnahme.
Die Ausbildungsbetriebe sollen trotz der Corona-Pandemie dazu angehalten werden, weiterhin Auszubildende einzustellen und die Anzahl an Auszubildenden aus den Vorjahren zu halten und/oder zu erhöhen. Des Weiteren wird darauf hingewirkt, dass Auszubildende, die aufgrund wirtschaftlicher Probleme oder einer coronabedingten Insolvenz des Ausbildungsbetriebs gekündigt werden, von anderen Betrieben übernommen werden. Diese Betriebe erhalten hierfür eine entsprechende Förderung. Nach der Abänderung der Ersten Förderrichtlinie können nun auch Zuschüsse für das Ausbildergehalt beantragt werden. Zudem werden Auftrags- oder Verbundausbildungen finanziell unterstützt.
Bildnachweis: stock.adobe.com | vegefox-com