erschienen im KammerReport 5-2024 | 13.12.2024
Rechtsanwalt und Notar a.D., Karl F. Hofmeister, Olpe
Der Verfasser hat in seinen im Kammerreport Nr. 2/2020 und Nr. 4/2020 abgedruckten Aufsätzen die Gefahren und Rechtsfolgen aufgezeigt, die bestehen, wenn Fremdgeld auf einem Geschäftskonto der Anwaltskanzlei eingegangen ist und dieses nicht unverzüglich an den Empfangsberechtigten weitergeleitet wird. Die Fallstricke wurden anhand einiger Fälle aus der Gerichtspraxis erläutert.
Die Betrachtungen sollen nachstehend um einige Aspekte vertieft werden.
1. Verrechnung zweckbestimmter Mandantengelder mit anwaltlichen Honoraransprüchen 2
Behält ein Rechtsanwalt Fremdgelder längere Zeit auf seinem Geschäftskonto, handelt er seiner berufsrechtlichen Pflicht zuwider. Die unverzügliche Weiterleitung von Fremdgeld ist ein monumentaler Grundsatz anwaltlicher Pflichten.
Folgender Sacherhalt war Gegenstand eines Verfahrens vor einem Anwaltsgericht:
Der vor dem Anwaltsgericht angeschuldigte Rechtsanwalt veranlasste über mehrere Jahre wiederholt größere und kleinere für den jeweiligen Mandanten bestimmte Zahlungen auf ein Kanzleikonto, ohne für die unverzügliche Weiterleitung der Gelder an die jeweils materiell Berechtigten Sorge zu tragen.
Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 266 Abs. 1 2. Altern. StGB (Untreue in der Variante des Treubruchtatbestands) im konkreten Fall festzustellen, bereitet oft Schwierigkeiten.
Ein Rechtsanwalt, der sich im Rahmen eines bestehenden Anwaltsvertrages zur Weiterleitung bestimmter Fremdgelder auf sein Geschäftskonto einzahlen lässt und weder uneingeschränkt bereit noch jederzeit fähig ist, einen entsprechenden Betrag aus eigenen flüssigen Mitteln vollständig auszukehren, kann sich der Untreue strafbar machen. Nach § 4 Abs. 2 Satz 1 BORA ist ein Rechtsanwalt verpflichtet, eingegangene Fremdgelder unverzüglich an den Berechtigten weiterzuleiten oder, falls dies ausnahmsweise nicht sofort durchführbar ist, den Mandanten hiervon sofort in Kenntnis zu setzen und dafür Sorge zu tragen, dass ein dem Geldeingang entsprechender Betrag bei ihm jederzeit für den Berechtigten zur Verfügung steht. Maßgebend für einen Verstoß nach § 266 StGB ist immer, ob das Vermögen des Mandanten durch die Pflichtverletzung gemindert wird (sog. Verschleifungsverbot3).
Wenn aber in der unterlassenen Weiterleitung die Absicht liegt, die eingenommenen Gelder endgültig für sich zu behalten, der Rechtsanwalt die eingenommenen Gelder zwar nicht auf Dauer für sich behalten will, aber ein dem Geldeingang entsprechender Betrag nicht jederzeit für den Berechtigten zur Verfügung gehalten wird4 oder die Gefahr eines Vermögensverlustes groß ist, weil die auf dem Geschäftskonto befindlichen Gelder dem unabwendbaren Zugriff von Gläubigern offensteht5, handelt er in Vermögensbenachteiligungsabsicht.
Der Rechtsanwalt kann sich auf einen Nichteintritt eines Vermögensnachteils nicht mehr berufen, wenn er dies nicht unmittelbar bei Nichtauskehrung zweckbestimmter Fremdgelder auf Honoraransprüche, mit denen aufgerechnet werde, geltend macht6.
Das Nichtweiterleiten der Fremdgelder stellt nicht nur eine Verletzung anwaltlicher Berufspflichten aus §§ 43, 43 a Abs. 7 BRAO, 4 Abs. 1 und 2 BORA dar, sondern erfüllt in der Regel auch den Straftatbestand des § 266 StGB7, die auch eine Ausschließung aus der Anwaltschaft nach Maßgabe der §§ 113 Abs. 1, 114 BRAO erforderlich macht, um die rechtssuchende Bevölkerung vor ähnlichen Pflichtverletzungen in der Zukunft wirksam zu schützen8.
2. Verrechnung zweckbestimmter Mandantengelder mit Honoraransprüchen aus formularmäßig getroffener unwirksamer Vergütungsvereinbarung
Der Bundesgerichtshof hat jetzt mit Urteil vom 12.09.2024 entschieden, dass die Unwirksamkeit von Honorarvereinbarungen im Ganzen zwar nicht zur Unwirksamkeit der Anwaltsverträge insgesamt führt, der Verwender für seine anwaltlichen Tätigkeiten aber die gesetzliche Vergütung nach dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz von dem Mandanten verlangen kann9.
Folgender Sachverhalt könnte sich hieraus ergeben:
Der Rechtsanwalt hatte mit seinem Mandanten eine unzulässige Vergütungsvereinbarung geschlossen. Zu beanstanden waren den Mandanten unangemessen benachteiligende Bestimmungen zur Erhöhung des Stundensatzes, zur Auslagenpauschale und zu einem Erfolgshonorar. Gegenüber der aus dem Mandat erlangten Zahlung in fünfstelliger Höhe erklärte der Rechtsanwalt erst vier Monate nach Zahlungseingang die Aufrechnung mit seinem Honoraranspruch aus der Vergütungsvereinbarung und brachte dann den zugunsten des Mandanten verbleibenden Betrag zur Auszahlung. Der Mandant begehrt vor dem Landgericht Rückerstattung der bei Abrechnung des gesetzlichen Gebühren des RVG verbleibenden Differenzbetrages.
Bei einer Strafanzeige des Mandanten oder bei einem Antrag der Rechtsanwaltskammer auf Einleitung eines anwaltsgerichtlichen Verfahrens (§§ 116 ff. BRAO) wird in einem solchen Fall die Staatsanwaltschaft künftig prüfen müssen, ob der Anwalt seine anwaltlichen Berufspflichten aus §§ 43, 43 a Abs. 7 BRAO, 4 Abs. 1 und 2 BORA verletzt hat, ggf. auch, ob dem Mandanten ein Nachteil im Sinne des § 266 StGB entstanden ist.
3. Fremdgeldweiterleitungspflicht gegenüber der Rechtsschutzversicherung
Wie vorstehenden aufgezeigt, hat ein Rechtsanwalt eine berufsrechtliche Pflicht zur Weiterleitung von Fremdgeld gegenüber dem Mandanten.
Folgender Sachverhalt war Gegenstand eines Verfahrens vor einem Anwaltsgericht:
In mehreren Verkehrsunfallsachen hatte ein Rechtsanwalt von der Rechtsschutzversicherung des Mandanten Kostenvorschüsse gefordert und erhalten. Nach außergerichtlicher und auch nach gerichtlicher Regulierung der Schadenersatzansprüche, in deren Rahmen der Unfallgegner auch die angefallenen Rechtsanwaltsgebühren gezahlt hatte, unterließ der Rechtsanwalt jeweils eine Rückzahlung der erhaltenen Vorschüsse an den Versicherer, sondern verrechnete diese mit seinem Honoraranspruch.
Das Anwaltsgericht Hamburg10 hatte in einer Entscheidung vom 17.11.2022 im Anschluss an das Urteil des BGH vom 23.07.2019 11 ausgeführt, es könne dahinstehen, ob ein Verstoß gegen die Verpflichtung zur Weiterleitung des Fremdgeldes vorliege oder der Rechtsanwalt zur Aufrechnung mit Honoraransprüchen gegenüber der Rechtsschutzversicherung berechtigt gewesen sei, denn diese gehöre nicht zum Kreis derer, um deren Schutz es bei der Behandlung von Fremdgeld gem. § 43 a Abs. 7 BRAO und § 4 Abs. 2 Satz 1 BORA gehe.Mit seiner Berufung gegen das Urteil des Anwaltsgerichts mit dem Ziel, das freisprechende Urteil aufzuheben, beantragte die Generalstaatsanwaltschaft, den Anwalt wegen Verstoßes gegen § 43 a Abs. 5 Satz 2 BRAO a.F. (wortgleich mit § 43 a Abs. 7 S. 2 n.F.) zu verurteilen. Der Anwaltsgerichtshof Hamburg stellte in seinem Urteil vom 08.11.2023 12 fest, dass § 43 a Abs. 5 a.F das allgemeine Vertrauen in die Korrektheit und in die Integrität der Anwaltschaft in allen finanziellen Fragen und damit zugleich die Funktion der Anwaltschaft in die Rechtspflege schütze. Dieses Interesse rechtfertige es, die Pflicht zur Weiterleitung von Fremdgeld zusätzlich in den Rang einer öffentlich- rechtlichen Berufspflicht zu erheben 13. Fremdgelder im Sinne des § 43 a Abs. 5 S. 2 BRAO a.F. sind daher nicht nur Mandantengelder, sondern auch Fremdgelder der Versicherung (insbesondere Zahlungen auf Kostenerstattungsansprüche), die an diese weiterzureichen sind.
Im Ergebnis wird die Entscheidung des Anwaltsgerichthofes Hamburg, dass ein Verstoß gegen die Verpflichtung zur Weiterleitung des Fremdgeldes an die Rechtschutzversicherung vorliegen kann, auch von dem Anwaltsgerichtshof Hamm geteilt 14.
Fazit
Wird Fremdgeld veruntreut, drohen dem Anwalt zahlreiche Sanktionen, strafrechtlich (§ 266 StGB), zivilrechtlich (§ 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 266 StGB) und berufsrechtlich (§ 43 a Abs. 7, 114 Abs. 1 Nr. 5 BRAO).
Vergreift sich der Anwalt am Fremdgeld deshalb, weil er sich selbst in finanziellen Schwierigkeiten befindet, nützen dem Mandanten diese Sanktionen oft wenig. In der Insolvenz des Anwalts ist der Mandant ungesichert und kann allenfalls mit einer Quote rechnen. Ansprüche gegen die Berufshaftpflichtversicherung des Anwalts sind in der Regel gemäß § 51 Abs. 3 Nr. 1 und 5 BRAO ausgeschlossen.
Bei einer Schädigung der Mandanten durch schuldhafte Verletzungen seiner Vermögensbetreuungspflicht gem. §§ 43, 43 a Abs. 7 BRAO, 266 StGB, ist das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Integrität des Anwaltsstandes betroffen und dadurch das Ansehen der Rechtsanwaltschaft geschädigt.
Die Rechtsanwaltskammern können mit den ihnen gesetzlich zugewiesenen Aufsichtsmitteln oft nur im Einzelfall aufgrund einer Beschwerde eines Mandanten mit einer Rüge (§ 73 BRAO) oder einem Antrag auf Einleitung eines anwaltsgerichtlichen Verfahrens (§§ 116 ff. BRAO) tätig werden. Diese Aufsichtsmittel reichen in der Regel nicht aus, um eine systematische Veruntreuung von Mandantengeldern zu erkennen, entgegenzuwirken und auszuschließen.
1 Fortsetzung zu Kammerreport Hamm 2/2020 und 4/2020, S. 8 f.
2 OLG München, Beschl. vom 05.04.2023 – 15 U 6218/22 – im Anschluss BGH, Beschl. vom 26.11.2019 – 2 StR 588/18 –
3 BVerfG 126, 170, 206; AnwBl Online 2020, 614-617
4 BGH, a.a.O., Rn.13, m.w.N.
5 BGH, a.a.O., Rn.13, m.w.N.
6 OLG München, a.a.O.; Weyland/Bauckmann, BRAO, 11. Aufl., Rn. 123 zu § 43 a
7 Anwaltsgerichtshof Hamm, Urteil vom 04.10.2024 – 2 AGH 2/23 –, Rn.34 f, juris
8 Anwaltsgerichtshof Hamm, a.a.O., Rn. 40; AGH NRW, Urteil vom 01.03.2019, BRAK- Mitteilungen 4/2019, 196
9 BGH, Urteil vom 12.09.2024 – IX ZR 65/23 -, Rn. 57, juris; BGH NJW 2024, 3364 f.
10 Anwaltsgericht Hamburg, Urteil vom 17.11.2022 – III 31/21 EV 125/20 -, juris
11 BGH, Urteil vom 23.07.2019 – VI ZR 307/18 – Rn. 14 ff.,juris
12 Anwaltsgerichtshof Hamburg, Urteil vom 08.11.2023- AGH I EVY 4/2023 (I-43) -, Rn. 18, juris
13 Anwaltsgerichtshof Hamburg, a.a.O. m.w.N.
14 Anwaltsgerichtshof Hamm, a.a.O., Rn. 35
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