erschienen im KammerReport 5-2019 | 13.12.2019
– 25 Jahre Satzungsversammlung bei der Bundesrechtsanwaltskammer
Rechtsanwalt und Notar Dr. Ulrich Wessels, Münster, Präsident der Bundesrechtsanwaltskammer
Vor 25 Jahren war die Geburtsstunde der Satzungsversammlung als rechtssetzendes Organ bei der Bundesrechtsanwaltskammer: Am 2. September 1994 trat das „Gesetz zur Neuordnung des Berufsrechts der Rechtsanwälte und der Patentanwälte“ in Kraft, das in §§ 191a–191e BRAO die Satzungsversammlung etablierte. Das ist Grund genug, auf ihre Anfänge zurückzublicken, auf das, was sie erreicht – und darauf, welche Aufgaben die Satzungsversammlung in ihrer am 1. Juli 2019 beginnenden 7. Legislaturperiode zu bewältigen hat.
Am Anfang stand ein Paukenschlag
Jahrzehntelang konkretisierte die Bundesrechtsanwaltskammer die berufsrechtliche Generalklausel des § 43 BRAO durch Standesrichtlinien. Darin waren detaillierte Verhaltensregeln für die Ausübung des Rechtsanwaltsberufs festgelegt. Die Gerichte zogen diese Standesrichtlinien als Hilfsmittel zur Auslegung des § 43 BRAO heran.
Diese Praxis beendete das Bundesverfassungsgericht im Jahr 1987 mit einem Paukenschlag: Es stellte fest, dass die Standesrichtlinien, die ohne demokratische Beteiligung der Mitglieder erlassen worden waren, als berufsbeschränkende Regelungen dem Gesetzesvorbehalt des Art. 12 Abs. 1 S. 2 GG nicht genügten. Das anwaltliche Standesrecht war dadurch obsolet und galt nur noch übergangsweise.
Nach mehrjähriger Reformdiskussion trat schließlich im September 1994 die neu gefasste BRAO in Kraft. Sie etablierte die Satzungsversammlung als unabhängiges, nur organisatorisch bei der Bundesrechtsanwaltskammer angesiedeltes Beschlussorgan und ermächtigte sie in § 59b Abs. 2 BRAO zum Erlass einer Berufsordnung. Der Satzungsversammlung gehören einerseits die von den 28 Rechtsanwaltskammern gewählten Mitglieder an und andererseits – ohne Stimmrecht – die Präsidenten der Kammern sowie die Mitglieder des Präsidiums der Bundesrechtsanwaltskammer (§ 191a Abs. 4 BRAO). Zunächst einmal mussten die Rechtsanwaltskammern also Wahlordnungen erlassen und Wahlen durchführen.
„Das Nähere zu den beruflichen Rechten und Pflichten“
Die Mitglieder der ersten Satzungsversammlung, deren Amtszeit vom 1. Juli 1995 bis zum 3. Juni 1999 dauerte, hatten nicht weniger als die Aufgabe zu bewältigen, eine komplett neue Berufsordnung zu erlassen. „Das Nähere zu den beruflichen Rechten und Pflichten“ zu regeln, wie die Satzungsermächtigung in § 59b BRAO
lautet, gelang innerhalb eines guten Jahres, nachdem sie sich konstituiert hatte: Am 29. November 1997 beschloss die Satzungsversammlung die erarbeiteten Entwürfe der BORA und der FAO. Sie traten, nach Prüfung durch das Bundesjustizministerium (§ 191e Abs. 1 BRAO), im März 1997 in Kraft – ein durchaus historisches Ereignis, denn damit hatte zum ersten Mal ein demokratisch gewähltes Anwaltsparlament Berufsrecht gesetzt.
Inhaltlich standen dabei zum Teil die alten Standesrichtlinien Modell, im Wesentlichen aber führten die intensiven Diskussionen in der ersten Satzungsversammlung zu einer insgesamt liberalen Berufsordnung. Selbst Kritiker hielten schon deshalb die Schaffung der Satzungsversammlung als demokratisch legitimiertes Rechtssetzungsorgan der Anwaltschaft für einen großen Gewinn. Und in der Tat ist es ein Privileg der Anwaltschaft (und weniger anderer verkammerter freier Berufe wie etwa der Wirtschaftsprüfer und Steuerberater), Regelungen zur Konkretisierung ihres Berufsrechts selbst erlassen zu dürfen.
Mühen der Ebene
Nach diesem ersten „großen Wurf“ bestand die Arbeit der Satzungsversammlung in den folgenden Legislaturperioden vor allem darin, die geschaffenen Regelungen der BORA und der FAO weiter auszudifferenzieren und sie an die Ergebnisse erster gerichtlicher Entscheidungen anzupassen. Zuweilen machte auch das Bundesjustizministerium von seinem in § 191e Abs. 1 BRAO festgelegten Recht Gebrauch, Beschlüsse der Satzungsversammlung zu beanstanden. Die gefassten Beschlüsse konnten damit nicht in Kraft treten. Eine Erweiterung des § 5 BORA betreffend Zweigstellen verteidigte die BRAK erfolgreich gerichtlich gegen die Beanstandung des Bundesjustizministeriums.
Einige Normen der BORA wurden auch von Gerichten aufgehoben. Besonders prominent wurde etwa das Verbot einer Sternsozietät mit Wirtschaftsprüfern und Steuerberatern, welches der Bundesgerichtshof im Jahr 1999 für rechtswidrig erklärte, weil die Regelung so nicht von der Satzungskompetenz gedeckt sei.
Fachanwaltschaften als Qualitätssiegel
Eine der Kernleistungen der Satzungsversammlung war es, das System der Fachanwaltschaften – über die zunächst sechs an die Prozessordnungen angelehnten Fachanwaltschaften hinaus – zu öffnen und damit ein fachlich vielfältiges Siegel für die Qualität anwaltlicher Leistungen zu schaffen. Lange und kontroverse Debatten wurden geführt, bevor die Satzungsversammlung in ihrer dritten Legislaturperiode (vom 1. Juli 2003 bis 30. Juni 2007) die Fachanwaltschaften für Medizinrecht, Miet- und Wohnungseigentumsrecht, Verkehrsrecht, Bau- und Architektenrecht, Erbrecht, Transport- und Speditionsrecht, gewerblichen Rechtsschutz, Handels- und Gesellschaftsrecht, Urheber- und Medienrecht, Informationstechnologierecht sowie Bank- und Kapitalmarktrecht schuf.
In späteren Legislaturen folgten noch weitere Fachanwaltschaften, insbesondere die für Agrarrecht sowie für Internationales Wirtschaftsrecht. Zudem gestaltete die Satzungsversammlung das Klausurensystem einheitlich und befasste sich mit dem Fachgespräch.
Die Satzungsversammlung heute
Der Satzungsversammlung gehen die Themen aus – so unkten Kritiker bereits in der vierten Legislaturperiode und seither immer wieder. In der Tat, die ganz großen Rechtssetzungsprojekte sind erfolgreich abgeschlossen. Viele Detailfragen wurden zwischenzeitlich durch die Rechtsprechung geklärt und, sofern nötig, in der BORA bzw. FAO nachgezogen; das zeigt etwa ein Blick in die regelmäßig in den BRAK-Mitteilungen erscheinenden Berichtsaufsätze zum Fachanwaltsrecht.
Die gerade zu Ende gegangene 6. Legislaturperiode (1. Juli 2015 bis 30. Juni 2019) zeugt jedoch vom Gegenteil: Die Satzungsversammlung reagierte auf die aktuelle politische Entwicklung und schuf die neue Fachanwaltschaft für Migrationsrecht. Sie griff ferner eine bereits ältere Diskussion auf und führte eine Fachanwaltschaft für Sportrecht ein. Nach engagierter und sehr kontroverser Debatte verfehlte der Antrag, eine Fachanwaltschaft für Opferrechte einzuführen, nur knapp die nötige Mehrheit. Klarstellende Regelungen schuf die Satzungsversammlung mit Blick auf die Pflicht, an Zustellungen von Anwalt zu Anwalt mitzuwirken (§ 14 BORA), sowie die Verschwiegenheitspflicht (§ 2 BORA).
Ein Kernthema der 6. Legislaturperiode war das an das Justizministerium gerichtete Petitum, die Satzungsversammlung zur Konkretisierung der allgemeinen Fortbildungspflicht zu ermächtigen. Ziel war es, eine sanktionierte Fortbildungspflicht, wie sie bereits für Fachanwälte existiert, allgemein für die Anwaltschaft einzu-
führen, um so die gleichbleibend hohe Qualität der anwaltlichen Leistung zu gewährleisten. Die Schaffung einer Ermächtigungsgrundlage in der BRAO scheiterte jedoch, nach positiven Signalen der Regierung, an Widerständen aus dem Deutschen Bundestag.
Alles andere als Bore-out
Das von den Unkenrufern befürchtete Bore-out wird auch in der nun anstehenden siebten Legislaturperiode der Satzungsversammlung nicht eintreten. Spannend bleibt, ob die Diskussion um die Einführung einer Fachanwaltschaft für Opferrechte wieder auflebt. Die Ablehnung fiel denkbar knapp aus und es wäre nicht das erste Mal, dass eine zunächst abgelehnte Fachanwaltschaft in einer späteren Legislaturperiode wieder aufgegriffen wird. Im Bereich der Fachanwaltschaften wird außerdem die Neuregelung des – in der jetzigen Ausgestaltung nicht praktikablen – Fachgesprächs anzugehen sein; aus dem Bundesjustizministerium gab es hierzu bisher wohlwollende Signale. Ein weiteres Thema, das erneut kontroverse Diskussionen verspricht und auch früher bereits beschert hat, ist die Zertifizierung der Anbieter von Fachanwaltslehrgängen.
Ein Thema steht voraussichtlich ganz oben auf der Agenda: Die 6. Satzungsversammlung hatte den Gesetzgeber in einer Resolution aufgefordert, sich mit der Konkretisierung der allgemeinen Fortbildungspflicht erneut zu befassen. Dass die 7. Satzungsversammlung dies von der gerade neu ins Amt gekommenen Bundesministerin der Justiz und für Verbraucherschutz einfordert, ist zu erwarten. Und ein weiteres sehr aktuelles Thema wird absehbar zum Dauerbegleiter der Satzungsversammlung: die anwaltliche Verschwiegenheitspflicht und wie sich Datenschutzrecht, fortschreitende Digitalisierung und die Etablierung von Legal Tech hierauf auswirken.
Es bleibt also auch weiterhin viel zu tun – und als Vorsitzender der Satzungsversammlung freue ich mich auf engagierte Diskussionen und weitere Impulse für das Berufsrecht!
* Abdruck mit freundlicher Genehmigung der RAK München