Wo sie bereits gilt – und weshalb sie kein Schreckgespenst ist
erschienen im KammerReport 1-2021 | 19.03.2021
Rechtsanwältin Dr. Tanja Nitschke,
Mag. rer. publ., BRAK, Berlin
Zum 1.1.2021 hat das Land Bremen für seine Arbeits-, Finanz- und Sozialgerichtsbarkeit (mit Ausnahme des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen) die verpflichtende Nutzung des elektronischen Rechtsverkehrs eingeführt. Bremen ist das zweite Bundesland, in dem Anwält*innen für bestimmte Gerichtszweige einer aktiven Nutzungspflicht für das besondere elektronische Anwaltspostfach (beA) unterliegen. Aber was bedeutet das im Einzelnen? Und was gilt, falls dabei etwas nicht richtig läuft? Der Beitrag gibt einen Überblick über Bereiche mit Nutzungspflichten und über Ausnahmen und Heilungsmöglichkeiten.
Ausbau des Elektronischen Rechtsverkehrs in Bremen
Bremen hat die in Art. 24 II des Gesetzes zur Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten vorgesehene Option genutzt, die eigentlich erst ab dem 1.1.2022 verpflichtende Nutzung des elektronischen Rechtsverkehrs (ERV) vorzuziehen. § 46g ArbGG sowie die parallelen Regelungen in § 52d FGO und § 65d SGG, die dies vorschreiben, sind für die Arbeits-, Sozial- und Finanzgerichte (mit Ausnahme des LSG Niedersachsen-Bremen) bereits zum 1.1.2021 in Kraft getreten.
Damit soll der Ausbau des ERV im Land weiter vorangetrieben werden. Die Verwaltungs- und Arbeitsgerichtsbarkeit arbeiten bereits mit vollständig elektronischen Akten. 2021 sollen Finanz- und Sozialgericht sowie die ordentlichen Gerichte folgen. In vielen Bereichen versenden die Bremer Gerichte auch bereits elektronisch.
Aktive Nutzungspflicht in Schleswig-Holstein
Bremen ist nach Schleswig-Holstein das zweite Bundesland, das den verpflichtenden ERV für bestimmte Gerichtsbarkeiten vorzieht. Schleswig-Holstein hatte dies bereits zum 1.1.2020 für seine Arbeitsgerichtsbarkeit getan. Die Bilanz ist bislang aus richterlicher wie anwaltlicher Sicht positiv; davon berichten Steidle/Jähneausführlich im BRAK-Magazin 5/2020, 9. Von den Erfahrungen in beiden Ländern und von erster Rechtsprechung zu den maßgeblichen Vorschriften profitieren Justiz und Anwaltschaft bundesweit.
Die Nutzungspflicht im Detail
Für Anwält*innen bedeutet die Nutzungspflicht: Seit dem 1.1.2021 dürfen sie Schriftsätze an die Arbeits-, Sozial- und Finanzgerichte in Bremen (mit Ausnahme des LSG Niedersachsen-Bremen) nur noch als elektronisches Dokument i. S. v. § 46c ArbGG, § 52a FGO und § 65a SGG – die § 130a ZPO entsprechen – einreichen. Gleiches gilt bereits seit dem 1.1.2020 für die Arbeitsgerichtsbarkeit in Schleswig-Holstein – und wird ab dem 1.1.2022 allgemein gelten.
Bei der Einreichung als elektronisches Dokument sind die formalen Anforderungen nach der ERVV und den dazu erlassenen Bekanntmachungen zu beachten, insb. die Vorgaben zum Dateiformat (PDF/A), zur Durchsuchbarkeit sowie zum Einbetten von Schriftarten, die in §§ 2 I, 5 I Nr. 3 ERVV i. V. m. Nr. 1 ERVB 2019 und Nr. 1 ERVB 2018 niedergelegt sind.
Schriftsätze per beA einreichen: das „kleine Einmaleins“
- Schriftsatz im Format PDF/A in durchsuchbarer Form (§§ 2 I, 5 I Nr. 3 ERVV i. V. m. Nr. 1 ERVB 2019)
- Aussagekräftige Dateinamen und Nummerierung für die Anhänge (§ 2 II ERVV)
- 100 Anhänge mit insgesamt max. 60 MB (§ 5 I Nr. 3 ERVV i. V. m. Nr. 2 ERVB 2018)
- Einreichen eines qualifiziert elektronisch signierten Schriftsatzes (§ 130a III 1 Alt. 1 ZPO) oder Einreichen auf sicherem Übermittlungsweg (§ 130a III 1 Alt. 2 ZPO), d. h. durch die Anwält*innen selbst aus ihrem eigenen beA (§ 130a IV Nr. 2 ZPO).
Ausführlichere Informationen zum Einreichen per beA finden sich in der Wissensdatenbank zum beA und außerdem regelmäßig im BRAK-Magazin und im beA-Newsletter.
Sofern der Anwältin bzw. dem Anwalt ein Fehler hinsichtlich des Formats unterläuft, z. B. weil ein nicht durchsuchbares Dokument eingereicht wird, kann dieser gem. § 130a VI 2 ZPO geheilt werden. Hierzu muss das Dokument unverzüglich in einer für das Gericht zur Bearbeitung geeigneten Form nachgereicht werden; zudem ist glaubhaft zu machen, dass das nachgereichte mit dem ursprünglichen Dokument inhaltlich übereinstimmt. Die Gerichte haben insofern eine (einmalige) Hinweispflicht gem. § 130a VI 1 ZPO (zum Umfang von Hinweispflicht und Heilung s. BAG, Beschl. v. 12.3.2020 – 6 AZM 1/20).
Nach § 2 III ERVV soll der Nachricht ferner ein strukturierter Datensatz beigefügt werden, der Informationen zum Verfahren enthält. Unterläuft der Anwältin oder dem Anwalt dabei ein Fehler, z. B. ein Zahlendreher im Aktenzeichen, beeinträchtigt das zwar die automatische Zuordnung der Nachricht zu einer Verfahrensakte; es ist aber für die Wirksamkeit der Einreichung unschädlich. Dies entschied jüngst das OLG Zweibrücken (Beschl. v. 7.12.2020 – 1 OWi 2 Ss Bs 165/20).
Was tun, wenn der Versand einmal nicht klappt?
Für den Fall, dass die elektronische Übermittlung technisch vorübergehend nicht möglich ist, erlauben § 46g S. 3 ArbGG, § 52d S. 3 FGO und § 65d S. 3 SGG – ebenso wie die ab 1.1.2022 geltenden § 130d S. 2 ZPO und § 55d S. 3 VwGO – eine Ersatzeinreichung nach den allgemeinen Vorschriften. Dann kann der Schriftsatz ausnahmsweise per Fax oder postalisch eingereicht werden.
Dass die Übermittlung per beA nicht möglich ist, muss bei der Ersatzeinreichung oder unverzüglich danach glaubhaft gemacht werden (vgl. § 46g S. 4 ArbGG und Parallelvorschriften). Auf Wunsch des Gerichts muss zudem ein elektronisches Dokument nachgereicht werden.
Unterbleibt eine unverzügliche Glaubhaftmachung, ist das Dokument nicht wirksam eingereicht, eine etwaige Klage- oder Rechtsmittelfrist also versäumt. Dies hat das ArbG Lübeck (Urt. v. 1.10.2020 – 1 Ca 572/20, BeckRS 2020, 33224) jüngst klargestellt. Der Anwalt hatte in dem dortigen Fall erst nach 17 Tagen vorgetragen, dass ihm am Tag des Fristablaufs ein Einreichen der Kündigungsschutzklage per beA – das in Schleswig-Holstein damals bereits verpflichtend zu nutzen war – wegen einer Störung des beA nicht möglich war.
Ob der Grund, weshalb eine Einreichung per beA nicht möglich war, aus der Sphäre der Anwältin bzw. des Anwalts stammt, spielt dabei keine Rolle; die Ersatzeinreichung ist verschuldensunabhängig (vgl. ArbG Lübeck, Urt. v. 1.10.2020 – 1 Ca 572/20, BeckRS 2020, 33224 Rn. 79). Die technische Unmöglichkeit kann ihre Ursache z. B. in einer Störung der Justizserver oder des beA-Systems, aber auch in einem Ausfall der Internetverbindung in der Kanzlei o. ä. haben. Technische Nachforschungen sind jedoch nicht gefordert, glaubhaft gemacht werden muss lediglich die vorübergehende technische Unmöglichkeit als solche. Hierzu können u. a. die Störungsmeldungen von Justiz und BRAK genutzt werden.
Informationen bei Störungen im ERV
Störungsmeldungen der Justiz auf Bundes- und Länder-ebene werden tagesaktuell unter https://egvp.justiz.de/meldungen/index.php publiziert.
Störungen des beA-Systems sind in der Störungsdokumentation der BRAK aufgelistet.
Weitere Bereiche mit aktiver Nutzungspflicht
In bestimmten Bereichen ist der ERV bereits seit einiger Zeit zwingend zu nutzen.
Empfangsbekenntnisse sind gem. § 174 IV 3 ZPO elektronisch abzugeben, sofern das Gericht die Zustellung auf elektronischem Weg vorgenommen hat. Dies muss mittels des vom Gericht mitgesandten strukturierten Datensatzes geschehen (§ 174 IV 4 ZPO); sendet das Gericht diesen nicht mit, genügt eine Einreichung gem. § 130a ZPO.
Anträge und Erklärungen und seit dem 1.1.2020 auch Widersprüche im Mahnverfahren dürfen gem. § 702 II ZPO von Anwält*innen nur in maschinell lesbarer Form abgegeben werden (s. http://www.online-mahnantrag.de/). Achtung: Das Barcode-Verfahren, bei dem der Antrag ausgedruckt und postalisch eingereicht wird, ist für Anwält*innen nur noch bis Ende 2021 nutzbar; es wird ab dem 1.1.2022 mit Eintritt der aktiven beA-Nutzungspflicht unzulässig.
Schutzschriften gem. § 945a ZPO müssen Anwält*innen gem. § 49c BRAO an das Schutzschriftenregister einreichen. Dies muss elektronisch geschehen; die Vorgaben der Schutzschriftenregisterverordnung ähneln im Wesentlichen denen nach § 130a ZPO, § 2 ERVV.
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