Vorsicht im Umgang mit Fremdgeld

erschienen im KammerReport 2-2020 | 31.03.2020

Rechtsanwalt und Notar a. D. Karl F. Hofmeister, Olpe

Wenn ein Anwalt Gelder für einen Mandanten in Empfang nimmt und nicht einem Anderkonto zuführt, sondern anderweitig verwendet, macht dieser sich nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs grundsätzlich der Untreue i. S. des § 266 StGB schuldig. In der Regel führt eine Verurteilung zum Ausschluss aus der Anwaltschaft nach § 114 Abs. 1 Nr. 5 BRAO. Zivilrechtlich hat der Mandant neben dem Anspruch auf Herausgabe des Fremdgeldes Anspruch auf Schadenersatz wegen Verletzung des Vertragsverhältnisses sowie nach §§ 823 Abs. 2 BGB, 266 StGB.

In der Praxis ist immer wieder festzustellen, dass Fremdgeld entgegen § 43 a Abs. 5 BRAO nicht unverzüglich an den Empfangsberechtigten ausgezahlt wird, weil der Anwalt sich selbst in finanziellen Schwierigkeiten befindet. Bei Durchsetzung der zivilrechtlichen Ansprüche des Mandanten, die in solchen Fällen oft erfolglos bleibt, kommt es dann zu einem Widerruf der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft nach § 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO.

Aber auch unterhalb der Schwelle des Strafrechts gilt, dass die Pflicht, fremde Gelder unverzüglich an den Empfangsberechtigten auszuzahlen, zu den anwaltlichen Kernpflichten gehört, sodass in diesen Fällen nahezu immer eine Pflichtverletzung von derart erheblicher Schwere gegeben ist, dass von dem Rechtsanwalt, jedenfalls im Wiederholungsfalle, eine Gefahr für die Rechtspflege ausgeht und ihm kaum mehr die umfassende Aufgabe weiter anvertraut werden kann, unabhängiger Berater und Vertreter der Rechtsuchenden zu sein (Henssler/Prütting, Bundesrechtsanwaltsordnung, 5. Aufl., § 43 a BRAO Rdnr. 226, m. w. N.).

Was also gilt es für den Anwalt und seine Büroorganisation zu beachten, wenn Fremdgeld auf einem Geschäftskonto eingegangen ist?
Es gelten die berufsrechtlichen Regelungen der §§ 43 a Abs. 5 BRAO, 4 Abs. 2 BORA.

§ 43 a Abs. 5 BRAO lautet:

Der Rechtsanwalt ist bei der Behandlung der ihm anvertrauten Vermögenswerte zu der erforderlichen Sorgfalt verpflichtet. Fremde Gelder sind unverzüglich an den Empfangsberechtigten weiterzuleiten oder auf ein Anderkonto einzuzahlen.

§ 4 Abs. 2 BORA lautet:

Fremdgelder und sonstige Vermögenswerte, insbesondere Wertpapiere und andere geldwerte Urkunden, sind unverzüglich an den Berechtigten weiterzuleiten. Solange dies nicht möglich ist, sind Fremdgelder auf Anderkonten zu verwalten; dies sind in der Regel Einzelanderkonten. Auf einem Sammelanderkonto dürfen Beträge über 15.000,- € für einen einzelnen Mandanten nicht länger als einen Monat verwaltet werden. Sonstige Vermögenswerte sind gesondert zu verwahren. Die vorstehenden Bestimmungen gelten nicht, solange etwas anderes in Textform vereinbart ist. Über Fremdgelder ist unverzüglich, -spätestens mit Beendigung des Mandats, abzurechnen.

Die Fallstricke sollen anhand einiger Fälle aus der Praxis erläutert werden:

1. Anzeigepflicht – OLG Düsseldorf Beschl. v. 15.05.2019 – I 24 U 171/18

Der beklagte Rechtsanwalt hatte von der Rechtsschutzversicherung zweier Gesellschafter einer oHG Gerichtskostenvorschüsse für zwei Gerichtsverfahren gegen die Vermieterin erhalten und bei der Gerichtskasse eingezahlt. Am 16.10. 2010 wurden ihm von der Gerichtskasse 7.350,- € zurückerstattet. Mit Schreiben vom 30.12.2010 erteilte der Beklagte der klägerischen Rechtsschutzversicherung eine „Abschlusskostennote“, in der der Zahlungseingang nicht aufgeführt war. Erst mit Schreiben vom 07.09.2011 teilte der Rechtsanwalt seinem Mandanten und Versicherungsnehmer die Zahlung mit. Die Berufung des beklagten Rechtsanwalts gegen den Zahlungsanspruch der Klägerin blieb erfolglos. Der Rechtsanwalt hatte gegen seine Verpflichtung verstoßen, den Eingang von Fremdgeld unverzüglich dem Mandanten anzuzeigen und dieses auszuzahlen. Für diesen Vorgang darf nach Ansicht des Schrifttums ein Zeitraum von 2-3 Wochen regelmäßig nicht überschritten werden (Henssler/Prütting BRAO, a.a.O.). Nach der Recht-sprechung werden als Obergrenze 2 Wochen angesehen (OLG Hamm, Beschl. v. 28.02.2013 – IX – 32 W 1/13; OLG Celle, Beschl. v. 24.10.2013 – 17 W 7/13). Der Rechtsanwalt hätte die Versicherung entsprechend zeitnah gemäß § 43 a Abs. 5 BRAO, 4 BORA unterrichten und die Auszahlung vornehmen müssen. Der Versuch des Rechtsanwalts, gegenüber der Klageforderung mit Ansprüchen gegen seinen Mandanten aufzurechnen, blieb erfolglos, weil der Mandant zu keinem Zeitpunkt Inhaber der Hauptforderung war (arg. § 17 VIII ARB 94 i. V. m. § 86 Abs. 1 VVG).

2. Unverzügliche Auszahlung und Abrechnung – AGH NRW Urteil v. 06.09.2019 – 2 AGH 1/19

In diesem Fall wurde der Rechtsanwalt durch seinen Mandanten beauftragt, gegen seinen früheren Arbeitgeber einen Urlaubsgeldanspruch geltend zu machen. Nach Abschluss des Arbeitsgerichtsverfahrens zahlte der Arbeitgeber einen Betrag von 1.390,99 E auf das Geschäftskonto des Rechtsanwalts, eingegangen am 04.07.2013. Hiervon zahlte er an den Mandanten einen Betrag von 1.000,- € am 12.09.2013. Den darüberhinausgehenden Betrag behielt der Rechtsanwalt zunächst im Hinblick auf Forderungen gegen den Sohn des Mandanten, ohne dieses mit dem Mandanten zu vereinbaren.

Der Anwaltsgerichtshof bestätigte die vorgenannte Rechtsprechung aus der o. a. Entscheidung des OLG Düsseldorf vom 15.05.2019. Der Einbehalt von Fremdgeld von mehr als 2 Monate nach der Kontogutschrift sei verspätet erfolgt. Der AGH beanstandete aber auch als Verstoß gegen §§ 43 a Abs. 5 S. 2 BRAO, 4 Abs. 2 S. BORA, dass der Rechtsanwalt das Fremdgeld auf seinem Geschäftskonto belies und nicht auf einem Anderkonto deponierte, über das er nicht verfügte. Die Pflichtverletzungen des Rechtsanwalts wurden mit Verweis und Geldbuße nach § 113 Abs. 1 BRAO geahndet.

3. Treuwidrige Verwendung von Auslagenvorschüssen – AGH NRW Urteil v. 13.05.2015 – 2 AGH NW 23/15

Der Rechtsanwalt war von einem Unternehmen mit 6 Markenanmeldungen bei dem Deutschen Patent- und Markenamt beauftragt worden Er übersandte seiner Mandantin 6 gleichlautende Kostennoten über jeweils 740,30 E, in denen 440,30 E Anwaltsvergütung und 300,00 E Auslagen für das Patent- und Markenamt enthalten waren. Die Mandantin beglich die Rechnungen, der Geldbetrag wurde am 23.01.2008 dem Geschäftskonto des Rechtsanwalts gutgeschrieben. Er stellte die Markenanträge, zahlte aber die Gebühren nicht ein. Am 09.03.2009 kündigte der Rechtsanwalt alle mit der Mandantin bestehenden Mandate, weil diese in einer bestimmten Angelegenheit seine Kosten trotz Mahnung nicht bezahlt hatte. Zugleich schrieb er seiner Mandantin: „Um meinem Geld nicht uneingeschränkt hinterherlaufen zu müssen, verrechne ich in Übereinstimmung mit den geltenden Gesetzen jegliches Guthaben Ihrerseits mit den Forderungen. Hierzu gehören auch die Amtsgebühren der vergangenen Markenanmeldungen. Das Markenamt ist informiert und wird diese nun von Ihnen direkt einfordern.“

Der Anwaltsgerichtshof wies in seiner Entscheidung auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes hin, wonach sich ein Rechtsanwalt grundsätzlich der Untreue schuldig macht, wenn er Gelder für einen Mandanten vereinnahmt und diese nicht einem Anderkonto zuführt, sondern anderweitig verwendet. Die Rechtsprechung sei auch für Auslagenvorschüsse anzuwenden, die für Gerichtskosten oder behördliche Gebühren an den Rechtsanwalt zur Weiterleitung gezahlt werden (BGH Beschl. v. 24.07.2010 – 2 StR 221/14, NStZ 2015, 2177, Rn. 4 und 8). Der Anwaltsgerichtshof stellte weiter fest, dass es für eine Aufrechnung bis zur Mandatsniederlegung an der Voraussetzung der Gegenseitigkeit gefehlt habe. Ein Rechtsanwalt darf nicht gegen zweckgebundene zur Weiterleitung an Gerichte oder Behörden an ihn gezahlte Beträge aufrechnen, da es sich um Treugut handelt (OLG Düsseldorf VersR 2010, 1652; OLG Düsseldorf, VersR 2010, 1031; BGH NJW 1989, 1148). Die Pflichtverletzungen des Rechtsanwalts wurden mit Verweis und Geldbuße nach § 113 Abs. 1 BRAO geahndet.

4. Empfangsberechtigter und Rechtsschutzversicherung – BGH Urteil vom 23.07.2019 – VI ZR 307/18

In diesem Fall hatte die beklagte Rechtsanwältin von dem Rechtsschutzversicherer des Mandanten einen Kostenvorschuss für Gerichtsverfahren erhalten; sie zahlte auch Gerichtskosten. Nach erfolgreichem Rechtsstreit zahlte der Prozessgegner im November 2012 entsprechend dem vorausgegangenen Kostenfestsetzungsbeschluss ca. 8.000,- € an die Rechtsanwältin, die rechtzeitig die Summe an den Mandanten überwies. Im Juni 2015 bat die Rechtsschutzversicherung die Rechtsanwältin um Mitteilung des Verfahrensstandes, die entsprechend Auskunft über ihre Zahlung an den Mandanten gab. Dieser zahlte dann im August 2015 den erhaltenen Betrag an die Rechtsschutzversicherung, die nun ihrerseits die Rechtsanwältin auf Erstattung eines Zinsschadens und vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten in Anspruch nahm. Die Klage blieb erfolglos.

In seiner Entscheidung wies der Bundesgerichtshof darauf hin, dass die Rechtsschutzversicherung eine Sachversicherung sei, für die § 86 Abs.1 S. 1 VVG gelte. Danach sei der Kostenerstattungsanspruch des Mandanten gegen den unterlegenen Prozessgegner auf die Klägerin übergegangen. Ein Anspruch auf Verzinsung der Geldschuld der Beklagten aus §§ 280 Abs. 2, 286 Abs. 1, 288 Abs. 1 BGB habe nicht bestanden, weil die beklagte Rechtsanwältin mangels Mahnung im Zeitraum von November 2012 bis August 2015 nicht in Verzug geraten sei. Ein Verzinsungsanspruch aus § 849 BGB komme nicht in Betracht, weil ein deliktischer Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB daran scheitere, dass § 43 a Abs. 5 S. 2 BRAO kein Schutzgesetz zugunsten des Rechtsschutzversicherers sei.

Der Fall zeigt aber auch, wer Fremdgelder an einen Nichtberechtigten auszahlt, deshalb noch einmal in Anspruch genommen werden kann.

5. Sammelanderkonten – BGH Beschl. v. 31.10.2018 – XII ZB 300/18

Ein Rechtsanwalt, der zum Berufsbetreuer für eine Person mit dem Aufgabenkreis Vermögenssorge bestellt worden war, führte bei seiner Bank ein als „Barkasse“ bezeichnetes Rechtsanwalts-Sammelanderkonto, auf dem er Gelder verschiedener Betreuter verwaltete. Die Betreute verfügte selbst über ein eigenes Girokonto bei derselben Bank, welches als Pfändungsschutzkonto geführt wurde.

Der Bundesgerichtshof entschied über eine Rechtsbeschwerde gegen einen Beschluss, der ihm verbot, das Rechtsanwalts-Sammelanderkonto für den Betroffenen zu führen und künftig nochmals Gelder aus dem Vermögen des Betroffenen einem Fremdgeld- oder Anderkonto zuzuführen.

Bereits für das frei vereinbarte, auf besonderem Vertrauen beruhende Mandatsverhältnis enthalte § 4 Abs. 2 BORA eine Beschränkung dahin, dass Fremdgelder in der Regel als Einzelanderkonten zu verwalten seien. Noch strengere Maßstäbe seien angelegt, wenn das Treuhandverhältnis nicht auf einer frei vereinbarten Vertrauensstellung gründet, sondern auf öffentlicher Amtsstellung, etwa bei Notaren, beruht. Entsprechendes gelte für die auf gerichtlicher Bestellung des Vormunds oder Betreuers gründende Verwaltung von Mündelgeldern und Gelder von Betreuten.

Der Fall zeigt, dass §§ 43 a Abs. 5 BRAO, 4 Abs. 2 BORA nicht nur auf die Berufsausübung als Rechtsanwalt im engeren Sinne Anwendung findet, sondern dass zu seiner Berufsausübung auch seine Tätigkeit als Betreuer, Nachlassverwalter, Testamentsvollstrecker, Insolvenzverwalter u. a. gehört (Weyland-Träger, Bundesrechtsanwaltsordnung, 10. Aufl., § 43 a BRAO, Rdnr. 89).

Die vorgenannten Fälle sind vereinfacht dargestellt. Sie zeigen, dass der falsche oder sorglose Umgang mit Fremdgeld in der Regel – ungeachtet der erheblichen zivilrechtlichen Folgen – mit drastischen anwaltsgerichtlichen Maßnahmen nach §§ 113, 114 BRAO geahndet wird, die bis zur Ausschließung aus der Rechtsanwaltschaft reichen können. Die Rechtsanwaltskammern sind meistens mit eigenen Aufsichtsmitteln nicht in der Lage, Berufsrechtsverstöße nach §§ 43 a Abs. 5 BRAO, 4 Abs. 2 BORA angemessen zu ahnden, sodass sie in der Regel bei den Staatsanwaltschaften die Einleitung eines anwaltsgerichtlichen Verfahrens oder auch eines staatsanwaltlichen Ermittlungsverfahrens beantragen.
Die Rechtsanwaltskammern haben selbst keine Möglichkeiten, von Amts wegen eigene Ermittlungen anzustellen, wenn ihnen Unregelmäßigkeiten bei der Abwicklung von Fremdgeldern angezeigt werden. Sie können daher nicht durch einen Beauftragten den Zahlungsverkehr, die Konten und die auf diese bezugnehmenden Unterlagen des Rechtsanwalts einsehen und prüfen.

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