Das 47er Modell – gemeinsame Handlungsfähigkeit im Katastrophenfall
Rechtsanwalt Stephan Störmer aus Steinfurt
„Das Feuer an einem Kabelschacht der Deutschen Bahn am Mittwochmorgen in Berlin-Schöneweide verursachte erhebliche Störungen im Regional- und Fernverkehr. (…) Der für politisch motivierte Straftaten zuständige Staatsschutz des Berliner Landeskriminalamts übernahm die Ermittlungen.“ (FAZ online vom 13.02.2025)
„Nur wenige Stunden vor der Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele in Paris verüben Unbekannte mehrere Brandschläge auf das Schnellzugnetz in Frankreich.“ (Tagesschau.de vom 26.07.2024)
Diese oder ähnliche Meldungen häufen sich in den letzten Monaten. In den genannten Fällen konnten Ursachen und Folgen verhältnismäßig schnell erkannt und beseitigt werden.
Was passiert jedoch, wenn es durch eine Naturkatastrophe oder einen Anschlag zu einem landesweiten Stromausfall kommt, der nicht innerhalb von Stunden oder sogar Tagen behoben werden kann, also Mobilfunkmasten nicht mehr mit Strom versorgt werden können und die gewohnten Kommunikationswege nicht mehr zur Verfügung stehen?
Vor dieser Frage standen auch das Ministerium der Justiz und das Ministerium des Innern des Landes Nordrhein-Westfalen. Konkret ging es darum, wie Justizbetrieb, Kriminalitätsbekämpfung und Gefahrenabwehr in derartigen Fällen so lange wie möglich aufrechterhalten werden können.
Gemeinsam wurde deshalb das sogenannte „47er Modell“ erarbeitet. Dieses regelt die Zusammenarbeit der 47 Polizeipräsidien und Kreispolizeibehörden mit den Gerichten und Staatsanwaltschaften in Nordrhein-Westfalen. Festgelegt wurden die Arbeitsabläufe sowie Kommunikationswege der beteiligten Behörden in Krisenfällen.
Das Modell sieht zusammengefasst vor, dass in definierten Ernstfällen Richterinnen und Richter sowie Staatsanwältinnen und Staatsanwälte die örtlichen Polizeibehörden aufsuchen können, um in präventiv krisenfesten Räumen die notwendigen Entscheidungen zu treffen. Ein Hauptanwendungsfall wird sicherlich die Vorführung einer vorläufig festgenommenen Person bis zum Ablauf des auf die Festnahme folgenden Tages sein.
Im späten Frühjahr des letzten Jahres fand ein erster Test unter realen Bedingungen in den Räumen des Polizeipräsidiums Münster statt.
Der Übung lag der Fall zugrunde, dass während eines landesweiten Stromausfalls eine Person wegen des Vorwurfs des versuchten Mordes in Tateineinheit mit gefährlicher Körperverletzung vorläufig festgenommen wurde.
Nach Ausrufung des Krisenfalls durch den Präsidenten des Landgerichts wurden die Beteiligten über Satellitentelefon bzw. BOS-Funk (ein nicht öffentlicher mobiler UKW-Landfunkdienst) alarmiert und über die Notfalllage in Kenntnis gesetzt.
Dadurch bedingt erfolgte die Aktivierung eines Notgeschäftsverteilungsplans bei den einzelnen Behörden. Zugleich wurde Schlüsselpersonal des Amtsgerichts sowie der Staatsanwaltschaft Münster durch die jeweilige Behördenleitung in Bereitschaft versetzt.
Entsprechend dem vorgesehenen Notfallplan begab sich ein Staatsanwalt mit für den Krisenfall vorgehaltenen Materialien per Fahrrad zum Polizeipräsidium Münster und bezog einen dort für ihn vorgesehenen (Ausweich-)Arbeitsraum.
Nach Durchsicht der von der Polizei zusammengestellten Akte verfasste der Staatsanwalt einen Antrag auf Erlass eines Haftbefehls.
Daraufhin benachrichtigte die Polizei über BOS-Funk das Amtsgericht Münster.
Der nach dem Notgeschäftsverteilungsplan zuständige Richter begab sich daraufhin, ebenfalls per Fahrrad, mit einer Servicekraft zum Polizeipräsidium am Friesenring.
Staatsanwaltschaft und Amtsgericht sind für derartige Fälle mit Laptops und Powerbanks in entsprechenden Notfallkoffern ausgestattet, die auch Stempel und Stempelkissen beinhalten. Drucker werden von der Polizei gestellt und über Notstromaggregate versorgt.
Der Beschuldigte, szenisch dargestellt durch einen Mitarbeiter des Ministeriums der Justiz, wurde sodann dem Haftrichter vorgeführt und es wurde schlussendlich Haftbefehl erlassen.
Die Benachrichtigung der JVA Münster erfolgte ebenfalls über BOS-Funk.
Nach Auswertung diverser Evaluationen konnte zusammengefasst ein positives Feedback aufseiten von Justiz- und Innenressort gezogen werden.
Wie sieht aber nun die Beteiligung der Anwaltschaft aus?
Immerhin sehen die gesetzlichen Regelungen in einem solchen Szenario zwingend die Anwesenheit einer Rechtsanwältin bzw. eines Rechtsanwalts vor, da ein Fall der notwendigen Verteidigung nach § 140 Absatz 1 Nr. 4 StPO gegeben ist.
Da die Notwendigkeit der Beteiligung der Anwaltschaft den Ministerien frühzeitig bewusst war, hat der Verfasser als Verteidiger an der hier besprochenen Übung teilgenommen.
Um das Testszenario zunächst nicht zu überfrachten, war im Ablaufplan vorgesehen, dass ich mich bereits – wenn man so will, aus zufälligen Gründen – im Polizeipräsidium befand.
Genau dieser doch praktisch eher unwahrscheinliche Umstand zeigt jedoch, dass auch die Anwaltschaft auf derartige Krisenfälle vorbereitet sein muss. Insoweit wird nun ein Notfallplan erarbeitet, um sodann handlungsfähig zu sein und ureigenste anwaltliche Aufgaben wahrnehmen zu können.
Denkbar ist insofern beispielsweise eine Einbeziehung der bei den örtlichen Anwaltvereinen angesiedelten Strafverteidiger-Notdienste.
Laufende Abstimmungen hierzu werden unter Koordination der Rechtsanwaltskammer stattfinden.
Rechtsanwalt Stephan Störmer aus Steinfurt