Der Anwaltsvertrag als Fernabsatzvertrag
Zu den Informationspflichten beim Anwaltsvertrag als Fernabsatzvertrag
erschienen im KammerReport 1-2021 | 19.03.2021
Ref. iur. Johanna Renkl, Dortmund
A. Vorbemerkung
Nicht nur aufgrund der aktuellen weltweiten Pandemie wird in vielen Bereichen der Gesellschaft immer häufiger auf die Verwendung von Fernkommunikationsmitteln wie Telefon, Fax, E-Mail, über Mobilfunkdienst versendete Nachrichten oder andere Telemedien zurückgegriffen, wobei nicht zu vergessen ist, dass daneben der traditionelle Brief ebenfalls zu den Fernkommunikationsmitteln zählt.
Auch in den meisten Rechtsanwaltskanzleien wurde der Mandantenverkehr zur Verhinderung der Ausbreitung des Coronavirus SARS-CoV-2 grundlegend eingeschränkt. Vor allem aber nicht nur in diesem Zusammenhang werden neue Mandate immer öfter über die genannten Mittel vereinbart und abgewickelt. Anwälte und Mandanten müssen sich nicht mehr zwangsläufig persönlich begegnen. Ohne Zweifel bietet diese Herangehensweise viele Vorteile, denn sie erleichtert Arbeitsabläufe und ermöglicht Zeitersparnis. Hinzu kommt die gegenwärtig voranschreitende Digitalisierung auch im Anwaltsbereich und in der Justiz. Sogenannte „Legal Tech“-Produkte, d. h. Produkte, die auf Basis von Informations- und Kommunikationstechniken die Automatisierung juristischer Tätigkeiten zum Ziel haben, gehören zum festen Bestandteil des Rechtsmarktes. Vor dem Hintergrund dieser Entwicklungen lässt sich vermuten, dass auch über die Grenzen der Pandemie hinaus immer häufiger Mandate über den Fernabsatz angenommen werden, unabhängig davon, ob es zu einem späteren Zeitpunkt zu einem persönlichen Beratungsgespräch kommen soll.
Für jene, die sich diese Form der Mandatierung zu eigen machen wollen, empfiehlt es sich, einen genaueren Blick auf die in diesem Beitrag zum Gegenstand gemachten Rechtsprechungen des Bundesgerichtshofes zu werfen und zu prüfen, ob ihr Auftreten im Rahmen der (zukünftig) angestrebten Mandate den formellen Anforderungen genügt oder ob im Einzelfall aufgrund der gegebenenfalls bestehenden Informationspflichten Maßnahmen zu ergreifen sind.
B. Grundsätze des Fernabsatzvertrags
Liegt ein Fernabsatzvertrag im Sinne von § 312c Abs. 1 BGB vor, muss der Unternehmer den Verbraucher über alle wesentlichen Umstände des Vertrags informieren, um ihn einerseits über die für seine Vertragsentscheidung wesentlichen Informationen in Kenntnis zu setzen und andererseits die Basis für eine einfache und effektive Kommunikation mit dem Unternehmer zu schaffen.1 Die in § 312d Abs. 1 i. V. m. Art. 246a § 1 EGBGB normierten Informationspflichten umfassen dabei insbesondere auch die Belehrung über das Bestehen bzw. Nichtbestehen des Widerrufsrechts nach den §§ 355 ff. BGB und das Bestehen eines fakultativ nutzbaren Muster- und Widerrufsformulars.2
Mit der Schaffung dieser Regelungen hat der nationale Gesetzgeber die Verbraucherrechtrichtlinie 2011/83/EU vom 25. Oktober 2011 umgesetzt, welche die Harmonisierung der Verbraucherschutzrechte beim Abschluss von Distanzgeschäften vorgeschrieben hatte. Durch sie soll unter anderem dem Umstand Rechnung getragen werden, dass der Verbraucher vor Abschluss des Vertrags die Ware bzw. Dienstleistung nicht prüfen kann. Anknüpfungspunkte des Fernabsatzrechts sind dabei die Vertragsverhandlung und der Vertragsschluss als solcher. Ausnahmen von dem Widerrufsrecht sind vom Gesetzgeber für den Fernabsatzvertrag (und außerhalb von Geschäftsräumen geschlossene Verträge) in § 312g Abs. 2 BGB geregelt worden. Ein Widerrufsrecht soll bei Fernabsatzverträgen (und außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen) beispielsweise gemäß § 312g Abs. 2 Nr. 1 BGB nicht vorliegen, wenn der Vertragsschluss auf eine nur individuell angepasste Dienstleistung gerichtet ist. Gemäß § 356 Abs. 4 S. 1 BGB kann der Verbraucher im Rahmen eines Dienstleistungsvertragsverhältnisses aber auch auf sein Widerrufsrecht verzichten. In diesem Fall erlischt das Widerrufsrecht, wenn der Unternehmer die Dienstleistung vollständig erbracht und mit der Ausführung der Dienstleistung erst begonnen hat, nachdem die ausdrückliche Zustimmung des Verbrauchers hierzu vorliegt. Bei Fernabsatzverträgen muss diese Zustimmung entsprechend dokumentiert werden.3
C. Entscheidung des Bundesgerichtshofs 2017
Bislang ist nur wenigen bewusst, dass der Bundesgerichtshof nach jahrelanger umstrittener Rechtsauffassung bereits 2017 festgelegt hat: „Auch Anwaltsverträge können dem Fernabsatzrecht unterfallen und als solche widerrufen werden.“4 Damit wurde der weitverbreiteten Auffassung eine Absage erteilt, Anwaltsverträge unterfielen der Ausnahme aus § 312g Abs. 2 Nr. 1 BGB, da sie eine auf die persönlichen Bedürfnisse des Verbrauchers zugeschnittene Dienstleistung darstellen. Der Bundesgerichtshof entschied, eine allgemeine Unanwendbarkeit des Fernabsatzes auf Anwaltsverträge würde der Lebenswirklichkeit nicht gerecht werden und dies vor allem im Hinblick auf die Existenz und Zulässigkeit sogenannter Anwalts- und Steuerberater-Hotlines, Telekanzleien und die Versteigerung anwaltlicher Beratungsleistungen über das Internet.5
Voraussetzung für die Annahme eines Fernabsatzvertrages ist lediglich, dass der Vertragsabschluss zwischen Mandant als Verbraucher und Anwalt als Unternehmer ausschließlich durch die Verwendung von Fernkommunikationsmitteln im Sinne von § 312c Abs. 2 BGB herbeigeführt worden ist und der Vertragsschluss im Rahmen eines für den Fernabsatz organisierten Vertriebs- und Dienstleistungssystems erfolgt. Ein solches System liegt nach genannter Rechtsprechung regelmäßig zwar nicht bereits vor, wenn „der Rechtsanwalt lediglich die technischen Möglichkeiten zum Abschluss des Anwaltsvertrags wie Briefkasten, elektronische Postfächer und/oder Telefon- und Faxanschlüsse vorhält.“6 Der Gesetzgeber hat jedoch in § 312c Abs. 1 BGB durch die Formulierung „es sei denn“ eine widerlegliche Vermutung für das Vorliegen eines solchen Systems bestimmt, sobald der Vertragsschluss zwischen Verbraucher und Unternehmer ohne persönlichen Kontakt und unter ausschließlicher Nutzung von Fernkommunikationsmitteln stattgefunden hat.7 Die Darlegungs- und Beweislast obliegt damit also grundsätzlich dem Unternehmer. Weil aber mittlerweile nahezu alle Rechtsanwaltskanzleien die genannten technischen Mittel zur schlichten Bewältigung des Arbeitsalltags benötigen, kann sich eine Abgrenzung im Einzelfall als äußerst schwierig gestalten. Der BGH gibt diesbezüglich nur vor, es könne dann von einem für den Fernabsatz organisierten Vertriebs- oder Dienstleistungssystem ausgegangen werden, „wenn der Unternehmer in seinem Betrieb die personellen, sachlichen und organisatorischen Voraussetzungen geschaffen hat, die notwendig sind, regelmäßig Geschäfte im Fernabsatz zu bewältigen.“8
In dem entschiedenen Fall aus 2017 hatte eine Anwaltskanzlei geklagt und von ihrem Mandanten die Zahlung des Anwaltshonorars gefordert. Dem Beklagten waren durch Schreiben einer Gesellschaft deren Dienste angeboten und der Beklagte zur Rücksendung eines ausgefüllten Fragebogens und einer Vollmacht eingeladen worden. Beigefügt war unter anderem auch eine auf die klägerische Anwaltskanzlei lautende Rechtsanwaltsvollmacht, die diese der Gesellschaft in Form von Blankoformularen für eine Vielzahl an potenziellen, von der Gesellschaft zu werbenden Mandanten zur Verfügung gestellt hatte. Das Mandat wurde geschlossen und die Interessen des Mandanten vorerst außergerichtlich verfolgt. Nachdem dies erfolglos geblieben und der Mandant eine gerichtliche Inanspruchnahme abgelehnt hatte, hatte die Anwaltskanzlei dem Beklagten die Tätigkeit mit einer 1,3 Geschäftsgebühr in Rechnung gestellt. Der Mandant lehnte die Zahlung ab und widerrief den Vertrag. Der Anspruch der Kanzlei auf Zahlung des Anwaltshonorars entfiel damit rückwirkend. Der Bundesgerichtshof begründete seine Entscheidung damit, die beweispflichtige Kanzlei habe nicht hinreichend widerlegen können, dass der Vertragsschluss in einem für den Fernabsatz organisierten Vertriebs- oder Dienstleistungssystem erfolgt sei. Sie habe sich jedenfalls eines fremden Organisations- und Dienstleistungserbringungssystems bedient und auch dies sei ausreichend zur Annahme eines Fernabsatzvertrages.9 Durch die Bereitstellung einer Vielzahl von Blankoformularen und standardisierter Schreiben habe die Kanzlei außerdem auf ein überregionales Massengeschäft abgezielt, das auf Fernkommunikation ohne persönlichen Kontakt ausgerichtet gewesen sei. Da ansonsten alle weiteren Widerrufsvoraussetzungen erfüllt waren, insbesondere eine Widerrufsfrist mangels beigefügter Widerrufsbelehrung gemäß § 356 Abs. 3 S. 1 BGB noch gar nicht in Lauf gesetzt worden war, erteilte das Gericht der Kanzlei eine Absage.
D. Entscheidung des Bundesgerichtshofes 2020
In der Entscheidung vom 19. November 2020 hat der Bundesgerichtshof seine Rechtsauffassung nun erneut bestätigt. In dem der Entscheidung zugrunde liegenden Fall hatte nun ein Mandant gegen eine Kanzlei geklagt und die Rückzahlung eines bereits geleisteten Vorschusses gefordert. Die beklagte auf Hochschul- und Prüfungsrecht spezialisierte Kanzlei hatte den Mandanten zunächst telefonisch anwaltlich beraten. Dieser hatte daraufhin eine Honorarvereinbarung unterschrieben und einen entsprechenden Vorschuss gezahlt. Nach dem Gerichtsprozess wurde der Restbetrag gefordert. Der Mandant widerrief jedoch die Honorarvereinbarung und forderte den Vorschuss zurück. Die beklagte Kanzlei erhob Widerklage und forderte die Zahlung des Restbetrags aus der Honorarvereinbarung. Der Bundesgerichtshof gab dem Mandanten Recht und erteilte der Kanzlei so abermals eine Absage. Begründet wurde das Urteil auch hier damit, dass die beweispflichtige Kanzlei nicht das Vorliegen eines organisierten Vertriebs- und Dienstleistungssystems widerlegen konnte. Deutlich gemacht wurde im Weiteren: „[…] an die Annahme eines Vertriebs- und Dienstleistungssystems sind insgesamt keine hohen Anforderungen zu stellen. Nur Geschäfte, die unter gelegentlichem, eher zufälligem Einsatz von Fernkommunikationsmitteln geschlossen werden, sollen aus dem Anwendungsbereich des Fernabsatzwiderrufs ausscheiden.“10
E. Fazit
Es stellt sich nun die Frage, wie in der Praxis eine nur gelegentliche Mandatierung ohne persönlichen Kontakt von einem für Fernabsatz organisierten Vertriebs- oder Dienstleistungssystem tatsächlich abgegrenzt bzw. im Einzelfall ein solches Fernabsatzsystem widerlegt werden kann. Der Bundesgerichtshof bleibt in beiden Entscheidungen ein genaues Anforderungsbild schuldig. Zu finden sind lediglich grobe Anhaltspunkte wie der Verweis darauf, dass dem allgemeinen Auftreten einer Anwaltskanzlei im Internet eine erhebliche Bedeutung beizumessen sei oder dass eine planmäßige Werbung mit dem Angebot eines Vertragsschlusses unter ausschließlicher Verwendung von Fernkommunikationsmitteln für das Vorliegen einer Fernabsatzorganisation spreche.11
Diese nur wenig differenzierten Vorgaben könnten unter Umständen für viele Kanzleien zum Problem werden, da sie sich zumindest an der Grenze zu einem Fernabsatzsystem befinden dürften. Um den Gefahren des Vertragswiderrufs und dem damit im Zusammenhang stehenden Verlust des Honoraranspruchs zu begegnen, sollte nun jede Kanzlei anhand der vom Bundesgerichtshof angeführten Kriterien überprüfen:
- Gibt es im Zusammenhang mit meinem Internetauftritt und/oder meinen Werbeanzeigen Hinweise zur Annahme eines Fernabsatzsystems (zum Beispiel Formulierungen, die auf eine telefonische oder elektronische Betreuung hindeuten)?
- Sind meine erstrebten Mandate auf ein überregionales Massengeschäft im Wege der Fernkommunikation ausgerichtet (vergleichbar beispielsweise mit dem Diesel-Skandal und Flugverspätungen etc.)?
- Biete ich aktiv die Möglichkeit an, bei Vertragsverhandlungen bzw. bei Abschluss von Mandatsverträgen auf eine gleichzeitige persönliche Anwesenheit von Mandant und Anwalt zu verzichten?
- Stelle ich eine Vielzahl von Blankoformularen zur Verfügung?
- Ist anderweitig ein organisiertes Fernabsatzsystem erkennbar?
Wer diese Fragen nicht mit einem klaren Nein beantworten kann, dem sei an dieser Stelle anheimgestellt, im Zweifel den entsprechenden Informationspflichten nachzukommen, insbesondere der Anwaltsvollmacht bzw. Honorarvereinbarung eine entsprechende Widerrufsbelehrung beizufügen. Dabei müsste der Mandant vor dem Hintergrund des Transparenzgebotes auf die genauen Umstände des Vertragsverhältnisses hingewiesen werden. Da ein Abwarten der Kanzlei bis zum Ablauf der Widerrufsfrist kaum praxistauglich wäre, müssten Mandanten zusätzlich eine den gesetzlichen Anforderungen entsprechende Erklärung unterschreiben, in der sie sich mit der sofortigen Arbeitsaufnahme ausdrücklich einverstanden erklären und gemäß § 356 Abs. 4 S. 1 BGB auf ein etwaiges Widerrufsrecht verzichten. Auf diese Weise bliebe den betroffenen Kanzleien im Nachgang zumindest die Möglichkeit, für bereits geleistete Dienste Wertersatzansprüche im Sinne von § 357 Abs. 8 S. 1 Alt. 1 BGB geltend zu machen.
1 Bülow/Artz, Verbraucherprivatrecht, 4. Aufl., 2014, Rn. 267 verweisen auf Schulte-Nölke, Handkommentar BGB, 8. Aufl., § 312b BGB Rn. 1 u. Tamm in: Brönneke/Tonner (Hrsg.), Das neue Schuldrecht – Verbraucherrechtsreform 2014, S. 104.
2 Bülow/Artz, a. a. O., Rn. 269 verweisen auf Schirmbacher/Grasmück, ITRB 2014, 20 f. u. Bierekoven, MMR, 2014, 283 f.
3 Palandt/Grüneberg BGB, 78. Aufl. 2019, § 356, Rn. 8 ff.
4 BGH, Urteil vom 23. November 2017 – IX ZR 204/16-, juris, Rn. 11.
5 Ebd., Rn. 14
6 Ebd., Rn. 19.
7 Palandt/Grüneberg, a. a. O., § 312, Rn. 6
8 BGH, Urteil vom 23. November 2017 – IX ZR 204/16-, juris Rn. 19.
9 Ebd., Rn. 20
10 BGH, Urteil vom 19. November 2020 – IX ZR 133/19-, juris, Rn. 13.
11 Ebd., Rn. 19.
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